KAPITEL 41
Renate lag unter der Erde. Die feuchte Luft roch nach welkem Laub und etwas, das sie nicht beschreiben konnte.
Ihre Lider ließen sich nicht richtig öffnen. Etwas – eine Ameise? – kroch in ihre Nase, dann in den Mund. Renate biss auf das kleine Tierchen, das tote Insekt schmeckte nach Johannisbeeren.
Sie hörte das entfernte Bellen eines Hundes. Ihr Herz pochte schneller. »Hilfe«, flüsterte sie, und erst jetzt wurde ihr klar, dass in ihrem Mund kein Lappen mehr steckte. Sie war zu schwach, um auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Er hatte sie einfach lebendig begraben.
Es ist die Angst in deinen Augen, die mir die größte Wonne bereitet, dicht gefolgt von dem seelischen Schmerz, hörte sie die Stimme ihres Entführers in ihrem Ohr. Sie wollte wieder weinen, doch sie hatte keine Tränen mehr. Obwohl du weißt, dass der Tod naht, flehst du mich nicht an, dich zu töten. Du bist noch stärker als meine Mutter, und das bewundere ich so an dir.
Sein Atem roch nach Karamell und frischer Milch. Renate schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken.
Deine schlichte Schönheit und dein natürliches Aussehen sind betörend, Sally, hatte er ihr ins Ohr geflüstert.
Renate riss die Augen auf, doch sein Gesicht schwebte die ganze Zeit vor ihr und ließ sich nicht wegblinzeln oder wegdenken.
Die Geschmeidigkeit, mit der du dich bewegst, deine Augen, ja selbst deine Füße, besonders die Füße, all das ist wie aus meiner Fantasie entsprungen.
Klammer Angstschweiß hatte ihr Kleid durchtränkt. Sie trug jetzt dieses grüne Kleid mit weißen Blumen. Das war sein letztes, welches er nur für mich aufgehoben hat, dachte Renate und wollte die rechte Hand heben, doch ein Brennen zeigte ihr, dass sie gefesselt war.
Die Wahrheit hat mich noch mehr verstört als all die Lügen, mit denen ich aufgewachsen bin und an die ich die ganze Zeit geglaubt habe. Diese beiden Polizisten haben zu viel aufgewühlt. Ich komme in all dem Trüben nicht mehr zurecht. Mit dir hätte alles enden sollen. Sollen – verstehst du? Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Wir sehen uns bald, Sally, und dann werde ich dich von deinem Leid erlösen.
Renate glitt in die Bewusstlosigkeit, und endlich schöpfte sie so etwas wie Hoffnung, nicht mehr erwachen zu müssen. Ihr Körper fiel wie ein viel zu enges Korsett von ihr ab. Sie sank in einen traumlosen Schlaf und wurde von milchig-trübem Nebel umhüllt.