Kaum löste sich das Projektil aus der Waffe, hob ich die Hand und rief meine Magie, um den Bolzen aufzuhalten, bevor er sich in Maevens Brust bohren konnte.
Einen Moment lang glaubte ich, ich hätte es geschafft. Aber ich war erschöpft von meiner erzwungenen Schwimmpartie im See und dem Aufstieg über die Klippe. Der Pfeil entglitt meinem Halt und bohrte sich Maeven in die Schulter. Mit einem Aufschrei fiel sie zu Boden.
»Mutter!«, kreischte Delmira und sank neben Maeven auf die Knie.
Milo knurrte. Er wollte auf Corvina zustürmen, doch die riss einen weiteren Pfeil aus ihrem Gürtel, lud die Armbrust nach und richtete die Waffe auf ihn.
»Ah, ah«, schnurrte sie. »Ich bin noch nicht bereit, dich zu töten. Aber bald, mein lieber Verlobter, bald.«
Milo hielt an. Seine Wangen brannten vor Wut. Corvina schickte ihm einen spöttischen Luftkuss. Wexel, der im Hintergrund stand, verzog amüsiert die Lippen.
»Also«, sagte Corvina und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Vater, Zariza und Ruri zu. »Ihr könnt mich entweder als neue Königin von Morta anerkennen, oder ihr könnt zusammen mit den Morricones sterben. Das ist eure Entscheidung.«
Hass strahlte von ihr aus, heiß wie Feuer. Corvina meinte jedes Wort ernst. Die Morricones wären als Erste dran, dann würde sie die anderen Herrscherinnen und Herrscher töten, gefolgt von den Leuten am Ufer … wenn ihr als neuer Königin von Morta nicht alle Adeligen ihre Ehrerbietung erwiesen.
Es sei denn, ich hielt sie auf.
Entschlossen trat ich aus der Deckung. »Ich glaube nicht, dass du heute noch irgendwen töten wirst«, rief ich.
Corvina wirbelte mit weit aufgerissenen Augen zu mir herum. »Du! Ich dachte, Milo hätte dich von der Klippe katapultiert!«
»Hat er, aber auch das hat er verbockt, so wie er seinen neuesten Putsch verbockt hat.« Ich warf einen kurzen Blick auf den Kronprinzen. »Du bist nicht besonders gut im Fang-die-Krone, oder, Milo?«
Er starrte mich böse an – mit noch mehr Wut und Hass in den Augen als in dem Moment, als Corvina ihren Verrat offenbart hatte. Aber mein Blick huschte an ihm vorbei zu Leonidas.
Leo …
Gemma …
Wir beide schickten einen Gedanken zum anderen, doch die Worte spielten keine Rolle. Nein, im Moment zählte nur die Liebe, die mein Herz füllte – seine Liebe, vermischt mit Angst um meine Sicherheit.
Innerhalb von einer Zehntelsekunde verdrängte diese Liebe alles andere. Den Hass, den Zorn und die Verbitterung, die von Corvina und Milo ausgingen. Maevens Schmerzen. Die Sorge, den Stress und das Entsetzen, die von Delmira, Vater, Zariza und Ruri ausstrahlten. Die Angst der Zuschauer. Unsere Liebe verdrängte alles andere … als wäre der Liladorn im Park Amok gelaufen und hätte nur die schönsten Blüten am Leben gelassen. Diese Liebe schenkte mir die Kraft, weiterzumachen.
Ich blieb vor Corvina stehen. In gewisser Weise war es, als sähe ich in einen Spiegel, besonders, da wir beide immer noch die graue Lederkleidung der Gladiatoren trugen. Nur waren bei Corvina Frisur und Schminke immer noch perfekt, während ich aussah, als wäre ich durch Schlamm gerobbt.
»Du besitzt die nervige Eigenschaft, allen Fallen zu entkommen, die ich dir stelle«, meinte sie.
»Dann solltest du dir vielleicht bessere Fallen ausdenken.« Ich legte die Hand an den Gargoyle-Dolch an meinem Gürtel, den ich zu meinem Glück in dem ganzen Chaos nicht verloren hatte. »Du willst Königin von Morta sein? Dann komm her und verdiene dir diesen verdammten Titel.«
»Versuchst du tatsächlich, eine königliche Herausforderung auszurufen?« Corvina lachte. »Ich muss nicht gegen dich kämpfen.« Sie deutete auf die Dumond-Kämpfer auf der Terrasse. »Du kannst gar nicht gewinnen, Gemma. Nicht allein. Nicht gegen uns alle.«
In der Ferne erschienen drei Schatten am Himmel. Sie sanken tiefer und tiefer, wie Pfeile, die auf ein Ziel zuhielten. Links von mir glitt ein weiterer Schatten durch die Büsche und schlich sich unauffällig näher ans Ufer. Rechts von mir schließlich trat ein einzelner Kämpfer zwei Schritte vor.
Ich grinste Corvina an. »Wer hat behauptet, ich wäre allein?«
Begleitet von einem lauten Grollen und einem herausfordernden Schrei stürzten Grimley, Fern und Lyra sich auf die Dumond-Kämpfer. Unten am Seeufer sprang Otto aus den Büschen und rammte Corvinas Männer zur Seite. Und Reiko sprang vor die Dumond-Kämpfer, um ihre Königin und ihren Vater zu schützen. Kai trat neben sie.
Corvina sah sich entgeistert um. Entsetzen huschte über ihre Miene, nur um augenblicklich von Wut verdrängt zu werden. »Nein!«, schrie sie. »Du wirst mir meine Rache nicht nehmen! Tötet sie! Tötet sie alle!«
Im Park brach blankes Chaos aus.
Grimley und Fern attackierten mehrere Kämpfer mit den Krallen, während Lyra einem weiteren Mann mit dem Schnabel die Kehle aufriss. Unten am Wasser rannte Otto hin und her. Er setzte seinen gedrungenen Körper ein, um die Kämpfer umzuwerfen und dann auf ihnen herumzutrampeln wie ein Kind bei einem Wutanfall.
Ein paar der Dumond-Kämpfer griffen Reiko an, doch sie zog ihre Klinge erst über den Bauch eines Mannes, wirbelte dann herum und tötete einen weiteren Mann auf dieselbe Art. Sie riss sich den Helm vom Kopf und warf ihn zur Seite, um ihre größere, stärkere Drachenform anzunehmen. Kai, Ruri und Tatsuo verwandelten sich ebenfalls, dann stürzten sich die vier Drachenmorphe auf ihre Feinde, um sie mit Krallen und Waffen zu vernichten.
Zariza und Xenia wechselten in ihre Ogerformen, während Vater seine blauen Blitze entfesselte und Rhea ihre Kampffähigkeiten und ihre Stärkemagie einsetzte.
Leonidas hob die Hand und schleuderte einen Angreifer nach hinten, doch vorher traf dessen Klinge noch seine Handfläche. Der Prinz erledigte einen weiteren Kämpfer mit seiner Magie, während Delmira einen Feind mit ihrem Liladorn-Dolch erstach.
Wexel stand zwischen den mortanischen Wachen und den Dumond-Kämpfern und wedelte mit dem Schwert. Allerdings konnte ich nicht erkennen, gegen wen der Hauptmann kämpfte. Und ich konnte Milo nirgendwo in der wogenden Menge entdecken … aber das überraschte mich nicht. Jetzt, da sein neuester Anschlag misslungen war, versuchte der Kronprinz wahrscheinlich zu entkommen – weil er im Herzen eben doch ein Feigling war.
Mit einem Knurren richtete Corvina ihre Armbrust auf Leonidas, doch ich ballte die Hand zur Faust und konzentrierte mich auf ihre Waffe. Die Armbrust sprang ihr aus den Händen und rutschte klappernd über die Pflastersteine.
»Ich glaube nicht, dass du im Triumphzug nach Morta zurückkehren wirst«, rief ich.
Corvina fletschte die Zähne. »Es gibt immer einen neuen Schachzug, immer ein neues Spiel, Gemma. Ich habe Maeven getötet, und ich kann auch dich töten. Das dürfte absolut ausreichen, um die mortanischen Adeligen davon zu überzeugen, dass ich stark genug bin, ihre neue Königin zu werden.«
Graue Blitze explodierten aus ihren Fingerspitzen in meine Richtung. Ich packte all die knisternden, pulsierenden Energiestränge. Corvina war stark – viel stärker, als mir bewusst gewesen war –, und ihre Blitze kämpften gegen meinen Halt wie ein Gargoyle in einem Netz. Zuckend und windend versuchten sie, sich zu befreien.
Zentimeter für Zentimeter kroch die Magie näher an mich heran. Ich zitterte vor Anstrengung. Ich konnte ihre Magie nicht aufhalten, also lenkte ich sie mit meiner Macht zur Seite ab. Die grauen Blitze trafen den Stamm eines nahestehenden Baumes und durchtrennten ihn, sodass der Baum mit einem lauten Stöhnen umfiel. Die ausladenden Äste schlugen mehrere Dumond-Kämpfer zu Boden.
Corvina knurrte, und um ihre Finger erwachten noch mehr Blitze zum Leben, nur um sich dann in Hagelkörner zu verwandeln. Die Adelige schnippte mit den Fingern, worauf die Körner sofort in meine Richtung flogen und mit jedem Meter größer und spitzer wurden, bis eine Wolke aus eiskalten Messern auf mich zusauste. Wieder setzte ich meine Magie ein, um den Angriff abzulenken. Die Eismesser trafen mit solcher Kraft auf eine Bank, dass die steinerne Sitzfläche zersprang. Mir drehte sich der Magen um. Das hätte ich sein können. Doch dieses Schicksal drohte mir immer noch, wenn es Corvina gelang, meine Abwehr zu durchdringen.
»Du willst die wahre Macht der Dumond-Familie sehen?«, höhnte Corvina. »Nun, hier ist sie, Gemma!«
Sie streckte die Arme nach oben, als wäre sie ein Baum, der dem Himmel entgegenstrebte. Nur dass Corvina keinerlei Interesse an Sonnenlicht hegte.
Stattdessen begann die Wettermagierin, ein Gewitter zu beschwören.
Unheilvolle graue Wolken drängten heran, und grollender Donner hallte über den Park. Lachend reckte Corvina die Hände in den Himmel. Wind heulte um sie herum, und Blitze schossen aus den Wolken. Die Elektrizität tanzte um ihren Körper, als wäre Corvina ein lebendiger Blitzableiter. Doch noch schlimmer waren die riesigen, gezackten Hagelkörner, die der magische Sturm zur Erde schickte.
Ich sah über die Schulter zurück. Vater, Rhea, Zariza, Ruri und Tatsuo kämpften immer noch mit Corvinas Truppen. Für Reiko und Kai galt dasselbe. Grimley, Fern und Lyra sprangen hin und her und schlugen mit Klauen, Flügeln und Schwänzen um sich. Leonidas und Delmira bewachten immer noch Maeven und stachen jeden nieder, der ihrer Mutter zu nahe kam.
»Lauft!«, schrie ich. »Runter von dieser Terrasse!«
Lauter Donner übertönte meine Stimme. Meine Fingerspitzen kribbelten warnend. Eilig sah ich wieder Corvina an. Die Adelige grinste breit. Ihre grauen Augen leuchteten wie Sterne, und immer noch tanzten Blitze um ihren Körper, so elegant wie Tänzer im Ballsaal.
»Nun, Gemma?«, schrie sie. »Was hältst du jetzt von der Macht der Dumonds?«
Statt ihr zu antworten, versenkte ich mich tief in dem Sturm aus Emotionen in mir und rief mehr, mehr, immer mehr meiner eigenen Magie. Corvinas Macht knisterte um ihren Körper, doch ich schlang meine Macht um mich wie einen Mantel, der mich von Kopf bis Fuß verhüllte.
Mit einer kurzen Bewegung ihrer Finger schleuderte Corvina einen Blitz auf mich. Wieder lenkte ich den Angriff mit meiner eigenen Macht ab. Als Nächstes schickte sie Hagelkörner los, doch auch diese konnte ich zur Seite schlagen.
Wieder und wieder griff Corvina mich mit ihrer Wettermagie an, schleuderte Blitze, Hagelkörner und sogar nadelspitzen Eisregen in meine Richtung. Doch dank des Sturms aus Gefühlen in mir fand ich die Kraft, alle Attacken abzuwehren.
Manchmal schaffte ich es, die Blitze in eine Gruppe von Dumond-Kämpfern zu lenken, doch meistens gelang es mir nur, meinen eigenen Tod zu verhindern. Schweiß rann mir übers Gesicht und vermischte sich mit der Feuchtigkeit der Eisregens. Mein gesamter Körper zitterte vor Anstrengung. Ich brauchte so viel Magie, um auch nur Corvinas kleinsten Angriff abzuwehren. Ich biss die Zähne zusammen und machte weiter, erlaubte ihrer Macht nicht, meinen schützenden Mantel zu durchdringen – mit dem ich auch jeden schützte, der hinter mir stand.
Nach einem wütenden Angriff, bei dem Corvina mich erneut mit nadelscharfem Eisregen beschoss, senkte sie die Hände und grinste.
»Du wirst langsamer, Gemma«, flötete Corvina. »Schwächer. Gib es zu. Deine Mentalmagie ist meiner Wettermagie einfach nicht gewachsen.«
Sie hatte recht. Das Gift, die Tortur im See und der Aufstieg über die Klippen hatten mich ausgelaugt, und dieser Kampf raubte mir die letzten Reste meiner Kraft. Ich konnte nicht mehr lange durchhalten. Und sobald meine Magie versagte, konnte Corvina mich in aller Ruhe mit ihren Blitzen frittieren und mit ihrem Eis in Stücke hacken. Ich musste diese Auseinandersetzung beenden – musste sie umbringen –, bevor es so weit kam, oder Corvina würde sich als Nächstes auf die Herrscher stürzen. Oder auf Leonidas und jede andere Person, die mir etwas bedeutete.
Corvina verzog höhnisch das Gesicht. »Niemand kann das Wetter aufhalten. Besonders nicht du, Glimma.«
Dieser verdammte, beleidigende Spitzname ließ eine frische Welle der Wut in mir hochkochen. Selbst jetzt, nach dieser Zurschaustellung von Kraft und Stärke, hielt das Miststück mich immer noch für eine verwöhnte Prinzessin und glaubte, dass sie mich auf ihrem Weg zum mortanischen Thron einfach zerstören konnte.
Trotzdem sorgte der Spitzname auch dafür, dass ich den Kampf mit anderen Augen betrachtete. Ich konnte Corvina nicht mit meiner Magie umbringen, dafür war ich einfach zu erschöpft. Aber sie unterschätzte mich. Ich musste einfach nur einen Weg finden, um ihre Arroganz zu meinem Vorteil einzusetzen, so wie sie Milos Intrige manipuliert hatte, um ihren eigenen Nutzen daraus zu ziehen …
Mir fiel etwas ein. Ich sah mich verzweifelt auf dem nassen, verbrannten, mit Hagelkörnern übersäten Boden um. Wo war sie? Wo?
Mein Blick fand die Armbrust, die ich Corvina vorhin entrissen hatte. Trotz des magischen Duells war die Waffe noch unversehrt, auch wenn sie halb verborgen in einem Haufen von Hagelkörnern lag. Ich musste sie nur erreichen … oder vielmehr, Corvina in die richtige Position locken.
Fast träge warf Corvina einen weiteren Blitz in meine Richtung. Statt ihn mit meiner Magie abzulenken, sprang ich zur Seite und rannte los – weg von der Armbrust –, als hätte ich mir meine Niederlage eingestanden und wollte fliehen.
Ein warnendes Kribbeln durchfuhr meine Fingerspitzen. Ein Blitz schlug vor mir in den Boden, sodass ich schlitternd zum Halten kam und herumwirbelte –, nur um sofort von einem Hagelschauer getroffen zu werden.
Ich packte meine Magie, und es gelang mir, den Großteil der Projektile abzuwehren. Den Großteil, aber eben nicht alle.
Plock-plock-plock.
Drei Eiskugeln durchbrachen meine Defensive. Eines traf mich am rechten Oberarm und riss mir die Haut auf, zwei weitere schlugen so heftig in meine rechte Hüfte, dass eine hässliche Wunde entstand. Ich geriet aus dem Gleichgewicht und landete unsanft auf dem Hintern. Die Schmerzen, die mich durchfuhren, fühlten sich an, als hätte mir jemand kalte Nägel ins Fleisch geschlagen.
»Gemma!«, schrie Leonidas. »Gemma!«
Er stach noch einen Dumond-Kämpfer nieder und trat vor, als wollte er sich zwischen mich und Corvina werfen. Ich fing seinen Blick ein und schickte ihm einen Gedanken.
Vertrau mir.
Er zögerte … dann war es zu spät, weil ihn ein weiterer Kämpfer attackierte.
Corvinas Sandalen knirschten über die Hagelkörner, die überall herumlagen. Mit einem Geräusch, als liefe sie über ein Feld aus Knochen, kam die Wettermagierin näher, bis sie hoch über mir aufragte. Der Wind peitschte ihr um den Körper und ließ ihr kastanienbraunes Haar wie wehende Flammen aussehen. Die grauen Blitze, die immer noch um ihren Kopf knisterten, erweckten fast den Eindruck, sie trüge eine Krone aus flüssigem Silber.
»Jetzt siehst du gar nicht mehr so schick aus, Glimma, oder? Ich kann nicht glauben, dass Milo in Blauberg solche Probleme hatte, dich zu töten. Andererseits ist er bei Weitem nicht so mächtig, wie er es sich einbildet. Er hat keine Fantasie, setzt seine Magie nie kreativ ein. So ist es bei allen Morricones. Maeven und Milo beschießen ihre Gegner einfach immer nur mit ihren Blitzen. Wenig originell, findest du nicht auch?«
Mein Blick ging an ihr vorbei zu der Armbrust, die immer noch auf dem Boden lag. Langsam, unendlich langsam packte ich die Energiestränge um die Waffe und befreite sie vorsichtig aus dem Haufen von Hagelkörnern. Bei der Anstrengung überlief ein Zittern meinen Körper. Erneut rann mir Schweiß übers Gesicht und brannte in meinen Augen, doch ich ignorierte alle Wunden und Schmerzen und konzentrierte mich nur auf diese Energiefäden.
Corvina hob die Hand. Ein einzelnes Hagelkorn bildete sich über ihrer Handfläche – ein scheußlicher, großer Ball aus Eis und scharfen Kanten, der meinen Körper mühelos durchschlagen konnte. »Und?«, fragte sie. »Noch irgendwelche letzten Worte von Glimma Ripley?«
»Du hattest … in einer Hinsicht … recht«, stieß ich gepresst hervor, weil ich vor Schmerzen kaum sprechen konnte.
Sie kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Ach ja?«
Ich grinste im Angesicht meines bevorstehenden Todes. »Es gibt immer einen neuen Schachzug.«
Ich hob die Hand und zeigte mit dem Finger auf ihre Brust. Corvina runzelte verwirrt die Stirn und senkte den Blick. Sobald sie mich nicht mehr ansah, krümmte ich den Finger und drückte damit den Abzug der Armbrust.
Plock!
Der Zährensteinpfeil schoss von der Sehne und bohrte sich in Corvinas Rücken.
Schreiend stolperte sie vor. Sie riss die Augen auf, und das tödliche Hagelkorn entglitt ihrem Halt. Ich trat mit dem rechten Fuß aus, traf ihr linkes Bein und warf sie so neben mir zu Boden. Dann riss ich den Dolch aus meinem Gürtel und rammte Corvina die Klinge ins Herz, genauso wie Maeven die Klinge in Myrkvior in Emperias Brust gebohrt hatte.
Corvina stieß einen letzten Schrei aus. Ihre Macht knisterte um uns herum, doch sie war jetzt nur noch ein helles Licht ohne Blitze. Und selbst dieses letzte Aufwallen ließ schnell nach. Corvina seufzte, dann wurden ihren Augen glasig. Schweigen breitete sich aus, und eine seltsame Stille setzte ein, nach dem andauernden Dröhnen des magischen Sturms …
»Nein! Nein, nein, nein!«
Wexel stieß einen mortanischen Soldaten zur Seite und rannte zu Corvina. Milo dagegen schien verschwunden.
Der Hauptmann starrte auf die junge Adelige hinunter. Eine allumfassende Pein strahlte in heißen Wellen von ihm aus. Dann schoss sein hassglühender Blick zu mir.
»Du Miststück!«, zischte er. »Du hast sie umgebracht!«
Wexel stieg über Corvinas Leiche hinweg und riss sein Schwert nach oben. Ich hob die Hand, aber meine Magie war verbraucht. Ich konnte ihn nicht davon abhalten, mich …
Wexel flog durch die Luft und landete gute fünf Meter entfernt auf dem Rücken.
Dann trat Leonidas neben mich, die Hand immer noch auf den Hauptmann gerichtet. Er hatte mich gerettet.
Mein Herz machte einen Sprung, und erneut erhob sich dieser Sturm aus Gefühlen tief in meinem Inneren. So fand ich die Kraft, mich auf die Beine zu kämpfen und zu ihm zu stolpern. Leonidas fing mich auf, so wie er es auch bei meinem Sprung vom Leuchtturm getan hatte. Ich lehnte mich an ihn, und er hielt mich fest.
»Leo«, flüsterte ich.
»Gemma«, murmelte er. Seine wunderschönen, amethystfarbenen Augen leuchteten. »Gemma.«
Ich wollte ihm sagen, wie sehr ich ihn liebte, doch Leonidas presste seine Lippen auf meine. Ich vergrub die Finger in seinem Haar, um ihn näher an mich zu ziehen. Der Gefühlssturm in mir brauste auf. Ich öffnete ihm meine Seele und erlaubte ihm, alles zu spüren – erlaubte ihm, meine allumfassende Liebe wahrzunehmen.
Leonidas’ Magie verband sich mit meiner. Begehren, Leidenschaft und Fürsorge glitten zwischen uns hin und her, und die Gefühle fesselten unsere Herzen aneinander. Irgendwann lösten wir uns keuchend voneinander, allerdings ohne uns loszulassen …
»Leo!« Delmiras verzweifelter Ruf durchschnitt die Luft. »Leo!«
Wir drehten uns um. Die Prinzessin, die über Maeven gebeugt saß, winkte uns verzweifelt heran. Leonidas legte mir einen Arm um die Taille, und wir humpelten zusammen los.
Inzwischen hatten die Soldaten der verschiedenen Königreiche die verbliebenen Dumond-Kämpfer zurückgetrieben. Auch unten am Ufer waren die Kämpfe beendet, allerdings irrten die Zuschauer mit schockierten Gesichtern herum, als könnten sie nicht glauben, was geschehen war und wie nahe sie dem Tod gekommen waren. Dieses Gefühl war mir wohlbekannt.
Doch eine Person starb gerade: Maeven.