Endlich schläft das Kind.
Sie steht auf, so vorsichtig sie kann, bewegt sich im Zeitlupentempo, damit der Fußboden nur ja nicht knarrt und der Kleine sie nicht bei ihrem heimlichen Rückzugsmanöver ertappt.
Den Aufzug meiden, er wäre zu laut.
Der Spiegel im Eingangsbereich zeigt die Silhouette einer Flüchtenden.
Ein paar Geschäfte sind noch auf, und heraus kommen Studenten, mit Flaschen und Chips-Tüten unter dem Arm. Sie geht an den Terrassen der Bars und Restaurants vorbei. Japanisch. Indisch. Griechisch. Italienisch.
Tische mit Gelächter unter Freunden. Tische mit Liebespaaren.
Menschenansammlung vor einer Bar mit Live-Musik. Schlagzeugrhythmen jedes Mal, wenn die Tür geöffnet wird. Freier Eintritt. Donnerstagabends Live-Konzerte.
Sie drängt sich durch die Warteschlange vor dem Kino ihres Stadtviertels, überfliegt die Filmexposés in der Vitrine. Retrospektive George Cukor. My Fair Lady steht auch wieder auf dem Programm. Auf den Filmplakaten Audrey Hepburn mit strahlendem Lächeln und ihrem weißen plissierten Glockenhut.
Sie betritt den Vorraum. Ein paar Studierende haben sich noch nicht entschieden, in welchen Film sie gehen wollen. Sie würde ihnen zu dem Depardon-Film raten.
Es riecht nach Süßem und Popcorn.
Saal 2, Herrschaften, die Vorstellung beginnt in Kürze. Saal 3, Sie müssen sich noch ein paar Minuten gedulden.
Der Kassierer hinter seiner Glasscheibe spricht sie an: »Guten Abend, Madame, welchen Film möchten Sie sehen?«
An der Kreuzung trommelt ein Autofahrer mit den Fingern auf sein lederbezogenes Lenkrad ein. An die Fensterscheibe klopfen. Wohin fahren Sie? Können Sie mich mitnehmen? Ach nein, jetzt reicht’s: Hände hoch, dies ist ein Raubüberfall, Schlüssel her! Haben Sie wenigstens vollgetankt?
In der Ferne der Wolkenkratzer Part-Dieu, den die Lyoner »Le Crayon« nennen, den Bleistift, jahrzehntelang das höchste Gebäude, bevor ein anderer, noch höherer, gebaut wurde: »La Gomme«, der Radiergummi.
In ihrer Tasche vibriert das Handy. Zehn Minuten, hatten wir gesagt. Zeit, nach Hause zu gehen.
Der Metroschacht, in dem die Menschenmassen verschwinden.