Das Gebäude war ein riesiger Bauch, der sie verschluckte, das Kind und sie, und jeden Morgen wieder aufs Trottoir ausspuckte. Die Concierge konnte nicht auf das Kind aufpassen. Sie hatte schon ihren Haushalt zu machen, einen Mann, den sie ernähren musste (wann immer sie von ihm sprach, verdrehte sie die Augen), und die Mülleimer, die sie rausstellen musste. Den Mann der Concierge sah man nie, weshalb die Mutter des Kindes in den ersten Monaten gedacht hatte, Paloma würde allein in der Wohnung hinter der Pförtnerloge wohnen, oder sie habe hin und wieder Besuch von einem Bruder oder einem Freund der Familie. Nur ihr Radio, das von früh bis spät lief, zeugte von der Existenz des Mannes, der, wie die Mutter des Kinds irgendwann erfahren hatte, seine Beine nicht mehr benutzen konnte.
Tagsüber kam es öfter vor, dass sie Eigentümern begegneten, die sich zu zweit oder dritt im Eingangsbereich aufhielten. Doch kaum kamen sie näher, verstummten diese Leute und warteten, bis sie mit dem Buggy an ihnen vorbeigegangen war, bevor sie ihr Getuschel wiederaufnahmen. Manche waren schon älter, andere nicht. Hier unterhielt man sich nur mit anderen Eigentümern. Man muss Äpfel von Birnen unterscheiden. Oder die Spreu vom Weizen trennen. Es gab nun mal Mieter und Eigentümer.
Eigentümer, wie die Nachbarin und ihr Mann, trafen sich regelmäßig, und im Eingangsbereich wurden mit Reißnägeln Zettel ausgehängt, die alle an das Datum, den Ort und die Uhrzeit der nächsten Versammlung erinnerten. »An alle Eigentümerinnen und Eigentümer«. Immer wenn sie an diesem Aushang vorbeiging, hatte sie das Gefühl, die Einladung zu einem Fest zu lesen, zu dem sie nie eingeladen werden würde. Bei diesen Versammlungen, so stellte sie sich vor, verschworen sich alle gegen sie. Weil sie mit ihren Mietzahlungen im Rückstand war. Weil sie folglich in eine Kategorie fiel, die noch unterhalb der der normalen Mieter lag, nämlich die der säumigen Mieter. Weil sie dieses Haus früher oder später würde verlassen müssen. Das machte sie fast paranoid.
Es gab noch eine weitere Unterkategorie, die in diesem Gebäude stark vertreten war, nämlich jene, die in den ehemaligen Dienstbotenzimmern im Dachgeschoss wohnten. Diese Zimmer waren normalerweise für Studenten bestimmt, doch angesichts der horrenden Mietpreise in der Innenstadt wohnten hier auch junge Arbeiter, meist ledig, denn wie hätte man es zu zweit auf weniger als sieben Quadratmetern ausgehalten?
Alleinstehende bedeuten immer Probleme, versicherte einer der Eigentümer laut und deutlich seinen Mitstreitern, nachdem die Mutter des Kindes im Eingangsbereich mit ihrem Buggy an ihnen vorbeigegangen war und die Unterhaltung flott wiederaufgenommen wurde. Gleich darauf begann er, über Airbnb zu schimpfen, was er wie »Erbienbi« aussprach, sodass sie anfangs glaubte, er rede über Musik, und sie, fast mit Interesse, die Ohren spitzte. Diese Erbienbi-Leute, sagte er, diese neue Pest, brachten viel Unruhe in ihre gutbürgerlichen Häuser, diese Leute gingen Tag und Nacht ein und aus und gefährdeten ihre Sicherheit.
Vor Entsetzen zitternd riefen sie sich erneut die Sache mit dem Schwarzen in Erinnerung, der für einige Wochen in einem der Zimmer im siebten Stock gewohnt (um nicht zu sagen: es besetzt) hatte. Die Concierge hatte mehrmals Schreie von oben gehört und hinaufgehen müssen. Dazu muss man wissen, dass die Concierge es hasste, bis ganz nach oben zu gehen, wo im Gegensatz zu den unteren Etagen Chaos herrschte. Hatte sie nicht einmal in aller Herrgottsfrühe dort oben zwei junge Frauen entdeckt, die vor der Tür des Schwarzen sturzbetrunken auf dem nackten Boden lagen? Umgeben von Wodkaflaschen? Eine der Frauen lag in ihrem Urin, »Pipi, Pipi«, hatte die Concierge den angewiderten Eigentümern in ihrem gebrochenen Französisch erklärt. Die Nachbarin gehörte natürlich zu diesen Leuten, die Nachbarin und ihr Polizist von Ehemann hatten ihre Wohnung gekauft und damit auch ihre Ungestörtheit und ihren Frieden, wie sie hofften.