»Am Wochenende komme ich vorbei.« Diese Nachricht stand im Display ihres Handys wie ein Rebus, ein Rätsel. Es war die Nummer des Vaters des Kindes.
Vorbeikommen? Wozu genau? Um seine restlichen Sachen zu holen? Um das Kind in den Arm zu nehmen? Vorbeikommen hieß auf jeden Fall: nicht lange bleiben. Auf einen Sprung? Deutete diese Nachricht auf eine größere Verhaltensänderung des Vaters hin, oder handelte es sich nur um eine vage Absichtserklärung? Schließlich war er der Vater und hatte, genau wie sie, gewisse Rechte, was das Kind betraf. Das Recht, es ihr zu entziehen, vielleicht sogar ihr wegzunehmen?
Sie dachte an dieses alte Kinderlied, das ihr plötzlich nicht mehr aus dem Kopf ging: Es ist mal da, es ist mal dort, es rennt, es rennt, das Frettchen, das Frettchen aus dem schönen Wald …
Nein, mit seiner Nachricht wollte der Vater einfach nur mitteilen, dass er wieder Kontakt aufnehmen wollte, seinen Sohn nicht vergessen hatte. Dass er ihn in Zukunft vielleicht hin und wieder sehen wollte. Dass eine Übereinkunft, eine Versöhnung möglich sein müsste. Als sie die Neuigkeit schließlich ihrem Sohn mitteilte, war sie wieder ganz ruhig.
Dein Papa hat eine Nachricht geschickt. Er denkt an dich. Er kommt dich bald besuchen. Er liebt dich. Als sie diese Worte aussprach, kamen ihr plötzlich die Tränen. Tränen der Freude, der Erleichterung. Das Kind und sie fielen sich um den Hals, schlossen sich in die Arme, sie waren wieder eine Familie.
Am Wochenende war das Telefon des Vaters wieder ausgeschaltet. Gegen achtzehn Uhr schlug sie dem Kind vor, einen kleinen Spaziergang zu machen, um vor dem Abendessen noch etwas frische Luft zu schnappen.
»Und Papa?«, fragte das Kind.
»Ich weiß nicht, dein Papa hat sicher viel Arbeit.«
Auf der Straße trödelte der Kleine, blieb bei jedem Kieselstein stehen, an jedem Kanaldeckel, jeder neuen Haustür. Die ganze Welt faszinierte ihn, beanspruchte seine Aufmerksamkeit, er wollte alles aus nächster Nähe sehen, anfassen, verstehen. Sie zog ihn am Ärmel seiner Jacke weiter. Komm, komm weiter. Was machst du da? Auf, beeil dich. Was, wenn der Vater doch noch vorbeikam und sie nicht zu Hause waren? Wie hatte sie nur auf die Idee kommen können, unter diesen Umständen aus dem Haus zu gehen? Das Kind setzte sich irgendwann auf die Erde. Es wollte nicht nach Hause gehen. Es wollte zuerst sehen, wie der Mond am Horizont langsam emporstieg. Sie setzte sich zu ihm auf die Außentreppe einer Boutique, und sie warteten gemeinsam auf den Einbruch der Dunkelheit.
Die Nachricht des Vaters läutete eine neue Phase ein, eine vage, unbestimmte Warterei ohne den kleinsten Hinweis, an dem sie sich hätten orientieren können, ohne Datum oder Motiv.
Folglich begann sie wieder, bei jeder SMS zusammenzuzucken, mehrmals pro Stunde ihre Mails zu checken, ihre Mailbox abzuhören. Der Vater würde kommen, sie musste sich an diese Hoffnung klammern, jawohl, ihr Kind hatte einen Vater, und irgendwann würde es ihn wiedersehen.