Kapitel 9
- Jeffrey -
Nach viel Tamtam und Trallala, zumindest was die Fahrzeugwahl und den Fahrer betraf, verläuft der restliche Sonntag stinklangweilig.
Wahrscheinlich liegt es genau daran. Es ist Sonntag, ein Tag, an dem selbst Staatsanwälte und First Minister Zeit mit ihren Lieben verbringen, solange nichts Außergewöhnliches geschieht.
Jedenfalls observieren wir erst Adamson, der mit Sohn und Frau und der unvermeidlichen Security den Tiergarten ins Chaos stürzt. Der Medienrummel ist so groß, sollte Adamson etwas verbocken, würden wir es aus den Nachrichten erfahren. Also statten wir Thompson einen Besuch ab. Nachdem wir uns einen strategisch perfekten Platz suchen, von wo aus man uns zwar nicht sieht, wir aber das Küchenfenster der Thompsons beobachten können, werden wir Zeuge eines Schlagabtauschs zwischen der Staatsanwältin und ihrer Haushälterin.
Letztere kurz davor den Verstand zu verlieren, wirft das metaphorische Handtuch und verlässt genervt das Haus, um mit durchdrehenden Reifen davonzubrausen.
Wenige Minuten später steht Daria Thompson höchstpersönlich mit Schürze am Herd und bereitet das Abendessen vor, zu dem bald darauf ihre Eltern auftauchen. Familienidylle vom Feinsten, mehr gibt es für uns nicht zu sehen.
Doch all diese Normalität bedeutet nichts. Ben und ich wissen aus Erfahrung, dass selbst die unauffälligsten Zeitgenossen perfekte Fassaden aufrecht halten können, um dahinter Dinge zu tun, die arglose Menschen in Angst und Schrecken versetzen würden, wüssten sie es.
Gegen neun Uhr abends brechen wir die Aktion ab und fahren ohne nennenswerte Erkenntnisse zurück.
Die ereignislosen Stunden sind nicht mal das Frustrierendste. Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, Ben näher kennenlernen zu können. Doch anstatt das Gespräch mit ihm zu suchen, kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren außer auf diesen Matt. Der Kerl geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Die ganze Zeit frage ich mich, ob er tatsächlich einfach nur Bens Fahrer ist. Ja gut, Ben meinte, er wäre mehr als das. Aber was läuft da zwischen den beiden? Ist ihre Beziehung rein geschäftlich oder …?
Kurz bevor wir auf Balgreen House ankommen, brummt Ben: »Wirst du mir heute noch sagen, was los ist?«
Ich kriege kein Wort raus. Nicht weil ich nicht wüsste, was ich sagen sollte, sondern weil ich mir plötzlich idiotisch vorkomme.
»Fährst du bitte mal links ran?«
Am nächsten Feldweg biege ich ab und stoppe den Wagen. »Was ist los?«
»Das würde ich ganz gern zuerst von dir wissen. Ich meine, ich war wirklich geduldig. Hab die letzten Stunden kein Sterbenswörtchen darüber verloren, dass du die personifizierte schlechte Laune bist. Und bevor wir wieder mal keine Gelegenheit haben, unter vier Augen zu reden, machen wir das hier und jetzt. Also? Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen? Oder liegt es einfach nur an meiner Gesellschaft?«
Die letzte Frage schockiert mich dermaßen, dass ich mich ruckartig zu ihm umdrehe und gedankenlos herausposaune: »Niemals!« Über mich selbst erschrocken, starre ich Ben mit offenem Mund an.
Auf seinem Gesicht breitet sich ein sanftes Lächeln aus. Doch das verschwindet recht schnell. Er räuspert sich und nickt. »Gut. Also an mir liegt es nicht.«
Aufmerksam schaue ich Ben an, will herausfinden, was in seinem Kopf vorgeht. Das gelingt mir nicht. Natürlich nicht. Ich bin schließlich kein Hellseher. Ich bin vielleicht ein Idiot, weil ich mich die letzten Stunden wie einer verhalten habe, es eigentlich immer noch tue. »Darf ich dich etwas Persönliches fragen?«
Ben schnallt sich ab, dreht sich so, dass er mich direkt ansehen kann, und lehnt sich gegen die Beifahrertür. Seine Miene wirkt nachdenklich, als ihn irgendeine Art Erkenntnis treffen muss, da er erstaunt lacht und nachdrücklich meint: »Ja!«
»Ist Matthew dein … ähm, Partner?«
Hinter seiner Brille schieben sich die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammen, als würden sie sich mit einem Kuss begrüßen wollen. Das lenkt mich dermaßen ab, dass ich statt Bens Antwort nur weißes Rauschen höre und dagegen ankämpfen muss, ihm die Brille aus dem Gesicht zu klauen und ihn zu küssen.
»Jeffrey? Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«, dringt Bens amüsierte Stimme zu mir durch.
Plötzlich bemerke ich, dass ich Ben viel näher als zuvor bin und werfe einen Blick nach unten, um erstaunt festzustellen, dass ich mich über die Mittelkonsole beuge. Ich zucke zurück und sinke auf meinen Sitz. »Sorry, was hast du gesagt?«
Bens Mund umspielt ein unterdrücktes Grinsen, als er langsam und deutlich fragt. »Du willst wissen, ob Matt und ich ein Paar sind?«
Ach das . Ich schlucke und nicke.
Dieses sanfte Lächeln von zuvor breitet sich erneut auf Bens Gesicht aus. Mein Herz stolpert, um anschließend in einem rasenden Tempo weiterzuschlagen.
»Das ist eine einfache Frage. Nein, wir sind kein Paar. Wir hatten nie etwas miteinander und werden auch nie etwas miteinander haben, falls das deine nächste Sorge sein sollte.«
Ich atme erleichtert aus und bemerke erstaunt, dass ich die Luft angehalten hatte.
»Darf ich nun dich etwas fragen?«, flüstert Ben und schiebt unwillkürlich mit dem Zeigefinger seine Brille zur Nasenwurzel hoch. Und weil er oft daneben fasst, sind seine Gläser verschmiert. Mich wundert, dass er überhaupt noch was erkennt.
Und wieder muss ich gegen das Bedürfnis ankämpfen, sie ihm abzunehmen. Nur diesmal, um sie zu putzen, ihm wieder aufzusetzen und ihn anschließend so lange zu küssen, bis ihm die Brillengläser beschlagen. Ich schüttle meine Gedanken ab und krächze: »Sicher.«
»Warum wolltest du das wissen?«
Tja, was sage ich jetzt?
»Sei bitte ehrlich, Jeffrey«, fügt er leise an.
Wie er das sagt. Er klingt so ängstlich, als wappne er sich für das Schlimmste. Herrje, das geht mir durch Mark und Bein und trifft mich mitten ins Herz. Wer hat ihm das angetan? Wie kann man diesen wunderbaren Mann überhaupt anlügen? Ich könnte es nicht. Nicht für alles Geld der Welt. Daher bleibt mir nichts anderes übrig, als ihm tatsächlich die Wahrheit zu sagen – klar und deutlich, ohne Schnörkel. »Weil ich dich mag und dich gerne besser kennenlernen möchte.« So, jetzt ist es raus.
Bens Blick ist Gold wert. Völlig fassungslos starrt er mich an und schnappt nach Luft. Doch mehr als diese Reaktion bekomme ich nicht von ihm. Er rutscht auf seinem Sitz herum und schnallt sich an.
Tja, er benötigt wohl etwas Zeit, um diese Information zu verdauen. »Wir sollten weiterfahren. Sie warten sicher alle schon auf uns«, erkläre ich in gewollt neutralem Tonfall und starte den Motor.
Nach dem Abendessen erstelle ich einen neuen Schichtplan für meine Männer, um anschließend einige Runden Pool mit William, Joel und Ryan im Billardzimmer zu spielen, das sich wie die Gästezimmer im Südflügel befindet, nur eben im Erdgeschoss. Also weit entfernt von Ben, der sich mit seinem Laptop in der Kommandozentrale häuslich eingerichtet hat, um in Ruhe weitere Recherchen anzustellen und mit Janice an einem Projekt eines geheimen Auftraggebers zu arbeiten.
Übrigens behält Ben recht. Es ergibt sich tatsächlich keine weitere Gelegenheit, unter vier Augen zu reden.
Da ich am nächsten Morgen Kylee begleiten will, bleibe ich erneut über Nacht auf Balgreen House. Gegen Mitternacht falle ich ins Bett und grübele darüber nach, ob Ben mir absichtlich aus dem Weg gegangen ist oder nicht.
Eine Antwort bleibt mir verwehrt. Sogar als ich ihn im Traum danach frage, dreht er sich einfach um und lässt mich stehen.
*
Montag
So frustriert wie heute bin ich noch nie aufgewacht. Obendrein ärgere ich mich über mich selbst, weil ich so dusselig war, Ben meine Gefühle zu offenbaren. Aber alles Schmollen führt zu nichts.
Also fahre ich nach dem Frühstück mit Kylee ins Krankenhaus. Oder besser gesagt, Kylee fährt. Ich werde abermals auf den Beifahrersitz verbannt. Was ich nicht lustig finde. Schließlich bin ich ihr Bodyguard und sollte somit den Wagen lenken, in dem sie sitzt.
Doch als wir in einem Jaguar Coupé aus den Siebzigern die Garage verlassen und langsam mit offenen Fenstern am Haus vorbeifahren, steht William breit grinsend vor der Tür und ruft mir Mut machend zu: »Ich hab’s auch überlebt.«
Daraufhin braust Kylee lachend in Richtung Pförtnerhäuschen.
Da Dad heute freihat, werden wir von Lawry erwartet. Nachdem er Kylee charmant begrüßt, zwinkert er mir frech zu und meint: »Na, Mrs Daisy?«
»Kennst du eigentlich meine morgendliche Lieblingsyogaübung?«, frage ich Lawry und zeige ihm anschließend mit einem süßlichen Lächeln den Stinkefinger.
Kylee prustet und erklärt: »Oh, den aufgehenden Mittelfinger mag ich auch.«
Lawry verschwindet grummelnd ins Häuschen, um das Tor zu öffnen.
Überraschend gut gelaunt lasse ich mich von Kylee zum Krankenhaus chauffieren.
Wir holen Maggie ab und machen einen kleinen Umweg über Cramond, wo sich das Anwesen der Harris’ befindet, um genug Wechselsachen einzupacken, dass Maggie locker einen Monat auf Balgreen House verbringen könnte.
Obwohl Maggie hartnäckig protestiert, lässt Kylee sich nicht davon abbringen und versichert ihrer Freundin immer und immer wieder, dass sie ein gern gesehener Gast wäre und so lange bleiben könne, bis Gras über die Sache gewachsen ist.
Ich muss mir auf die Zunge beißen, um nicht kundzutun, dass das Jahre dauern kann. Andererseits bewundere ich Kylee für ihre Großzügigkeit. Die bestimmt ein Stück weit ihrem schlechten Gewissen gegenüber Maggie geschuldet, aber im Grunde ein ausgeprägter Charakterzug von ihr ist. Sie ist eben eine Frau mit einem riesigen Herzen. Es wäre sicher toll, mit ihr unter einem Dach zu leben. Wenn da nur nicht die Frage mit der Miete wäre. Wie aus dem Nichts trifft mich eine Erkenntnis.
Als Maggie sich ein paar Minuten für sich erbittet, um im Büro ihres Mannes einige Dokumente zusammenzusuchen, genießen Kylee und ich die Aussicht vom Wohnzimmerfenster aus auf den Firth of Forth. Beinahe majestätisch schlängelt sich der Meeresarm am Anwesen der Harris vorbei und glitzert im Sonnenlicht wie Abertausende Diamanten.
»Wunderschön, nicht?«, murmelt Kylee.
»Ja, es ist toll. Sag mal, du und William, ihr meint das ernst, oder?«
Kylee wendet sich mir zu und grinst. »Dass wir euch gern alle bei uns hätten? Aber natürlich.« Sie zieht eine Grimasse. »Du hältst mich für verrückt, oder?«
Ich zwinkere ihr zu. »Ein bisschen?«
Ein Hauch Traurigkeit huscht ihr übers Gesicht, ehe ihr Blick wieder zum Forth wandert und sie flüstert: »Ich habe mir immer eine große Familie gewünscht, weißt du? Aber das geht nicht mehr.«
»Oh, Kylee, das tut mir leid.«
Ihr Kopf ruckt zu mir herum. »Was?! Oh nein, das hast du falsch verstanden. Ich kann durchaus Kinder bekommen, aber …« Sie zuckt die Achseln. »Ich kann und will nicht von William verlangen, ein zweites Mal von vorn anzufangen.«
»Er liebt dich, Kylee. Er würde sicher gern Kinder mit dir haben.«
»Ich weiß, dass er mir den Gefallen tun würde. Aber Jeff, überleg doch mal. Er ist vierundsechzig.« Sie winkt ab. »Wie gesagt, das wäre zu egoistisch. Und es gibt ja noch andere Möglichkeiten, eine Familie zu gründen.« Sie lächelt mich an. »Du denkst darüber nach, zu uns zu ziehen, oder?«
»Das tue ich tatsächlich.«
Erfreut klatscht sie in die Hände. »Oh, das wäre wundervoll. Dein Dad würde sich so freuen.« Mit aufgerissenen Augen schlägt sie sich die Hand vor den Mund und nuschelt: »Ups, das wollte er dir doch selbst erzählen.«
Ich lache. »Ernsthaft? Dad nimmt euer Angebot an?« Seit Mums Tod lebt er allein und ich kann mir nicht mal vorstellen, wie einsam er sich ohne sie fühlen muss. Ehrlich gesagt, habe ich mir bisher nie Gedanken darüber gemacht, wie schwer ihm das Alleinleben fallen muss. »Ich bin froh, dass er das tut.«
Kylee nickt. »Wir auch, glaub mir. Und nachdem Sadie sich endlich hat weichklopfen lassen … Dein Dad braucht dringend eine Familie.« Sie legt mir eine Hand auf den Arm. »Wie du.«
»Nicht so voreilig bitte.«
Ihre Gesichtszüge fallen in sich zusammen. »Oh!«
»Ich denke, ich bin nicht der Einzige, der ernsthaft darüber nachdenkt. Und ich bin mir sicher, ich bin auch nicht der Einzige von uns, der ständig an einem Detail festhängt, das die Entscheidung verkompliziert.«
»Du redest von Miete. Aber das kommt überhaupt nicht infrage. William will das ebenso wenig wie ich.«
»Okay, das finde ich zwar großzügig, aber ich fühle mich nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, auf eure Kosten zu leben. Habt ihr zwei schon mal darüber nachgedacht?«
»Oh, wir wollen ganz sicher niemandem das Gefühl geben, ein Sozialfall zu sein. Wir tun das nicht für unser Ego. Aber …«
Ich ergreife ihre Hände und halte Kylee sanft davon ab, wild zu gestikulieren. »Das weiß ich doch. Ich hätte da einen Vorschlag zu machen, mit dem sich alle wohlfühlen könnten.«
Sie hält still und sieht mich fragend an. »Okay.«
»Wie wäre es, wenn wir in Höhe unserer jetzigen Mieten Beträge auf ein Konto einzahlen und wir mit dem Ersparten andere unterstützen? Ich meine, so wie es aussieht, werden wir immer wieder auf Menschen stoßen, denen es wirklich schlecht ergeht, vielleicht noch schlechter als Maggie, weil sie durch Gesindel wie Harris und Montgomery in ein finanzielles oder gesundheitliches Desaster geraten sind.«
Jetzt scheint Kylee vollends den Faden verloren zu haben, denn sie stottert begriffsstutzig: »Du willst …? Menschen wie Maggie?« Dann leuchten ihre Augen auf. »Oh mein Gott, die Idee ist wundervoll.«
»So würden wir unser Gesicht wahren und könnten nebenbei Gutes tun.«
»Wenn wir zu Hause sind, sagst du das allen anderen, okay? Ich will, dass sie es von dir hören.«
»Dann wäre das okay für dich?«
»Aber natürlich. Ich sagte doch, die Idee ist wundervoll.«
Ein leises Räuspern lässt uns herumfahren. Maggie steht wie ein Häufchen Elend in der Tür, eine Aktenmappe in den Händen. »Ich denke, ich habe alles. Können wir bitte fahren? Ich halte es hier keine Sekunde länger aus.«
Kylee eilt auf sie zu und legt beschützend ihren Arm um sie. »Komm, wir bringen dich hier weg.«
Maggie sieht zu mir und schnieft.
Ich lächle sie aufmunternd an und sage: »Es warten schon alle sehnsüchtig auf Sie.«
Perplex blickt sie von mir zu Kylee. »Wie meint er das?«
Kylee lacht. »Lass dich überraschen.« Daraufhin führt sie Maggie aus dem Haus.
Ich schnappe mir die im Flur deponierten Koffer und Reisetaschen und folge ihnen zum Auto. Muss ich erwähnen, dass ich auf die Rückbank verbannt werde?
*
Kaum dass wir ankommen, öffnet sich die Haustür. Sadie und Millie kommen mit einem einladenden Lächeln auf uns zu, begrüßen Maggie und bringen ihr Gepäck hinein.
Maggie ist so überwältigt von der ihr entgegengebrachten Freundlichkeit, dass sie kein Wort rausbekommt und sich regelrecht an Kylee festklammert, als sie ins Haus gehen.
Unschlüssig, ob ich ihnen folgen soll, bleibe ich vor der Tür stehen. Doch Kylee bemerkt mein Zögern und winkt mich herein. »Nicht bummeln«, trällert sie und ruft in der Empfangshalle: »Kommt alle her und begrüßt Maggie Harris.«
Ich muss lachen. Kylee ist wirklich gnadenlos. Sie gibt der armen Frau keine Sekunde Zeit, um sich zu fangen.
Plötzlich erscheinen aus allen Ecken sämtliche kurz- wie langfristigen Hausbewohner und überschütten Maggie mit weiteren Liebenswürdigkeiten.
Selbst mir wird ganz warm ums Herz, als ich das miterlebe. Und einmal mehr wird mein Gefühl bestätigt, dass Balgreen House etwas Besonderes für mich werden könnte.
»Hi!«, spricht mich Ben leise an.
Ich wende mich ihm zu und sehe ihn breit grinsen. »Hi!«
Mich stupst etwas am Knie und mein Blick gleitet von Bens Gesicht nach unten. Sushi steht schwanzwedelnd neben mir und winselt herzerweichend. Sofort gehe ich in die Hocke und werde von ihm mit einem feuchten Hundekuss begrüßt. »Hallo, mein Hübscher. Sind denn auch alle lieb zu dir?«
»Hey!«, meldet sich Janice erbost zu Wort. »Der Schlawiner wird über alle Maßen verwöhnt. Also ja, wir sind lieb zu ihm.«
»Sadie und Kylee bringen Maggie auf ihr Zimmer«, verkündet Millie und gesellt sich zu uns. Hinter ihr sehe ich William mit Maggies Gepäck die Treppe hoch stapfen.
»Lass mich das doch machen, Dad«, will Joel ihn aufhalten.
Doch der winkt nur ab.
»Sturer Hund«, murmelt Joel.
»Das habe ich gehört, Junior«, schnauft William.
Joel zuckt grinsend die Achseln, legt Ryan den Arm um und stellt sich mit ihm neben Millie, um mich dabei zu beobachten, wie ich Sushi die Ohren kraule. »Wie war’s im Haus der Harris’?«, erkundigt sich Joel.
Ich schnaube. »Deprimierend.«
»Tja, das kann ich mir vorstellen«, klinkt sich Gina ein und schlingt einen Arm um Janice.
Ich richte mich auf und fühle mich ein klein wenig umzingelt. »Wo ich euch gerade alle zusammen antreffe …«
»Das wird dir hier öfter passieren«, foppt uns William, der soeben die Treppe wieder runterkommt und lachend in Richtung Küche geht. »Ich kümmere mich mal um Kaffee und Tee.«
Als er im Wirtschaftstrakt verschwindet, ruhen etliche Augenpaare auf mir.
Ich hole tief Luft und sage: »Ich weiß, ich gehöre irgendwie noch nicht wirklich zum inneren Kreis, aber …«
»Erzähl keinen Schwachsinn«, mosert Gina.
»Genau«, bekräftigt Ben, der mich mit gerunzelter Stirn ansieht und sich einmal mehr unwirsch die Brille hochschiebt. Ich bin erneut abgelenkt und starre ihn einfach nur an. Erst sein strahlendes Lächeln holt mich in die Realität zurück. Okay, das auffällige Räuspern von Joel und Gina ebenso.
»Wie auch immer«, entgegne ich so ungerührt wie möglich und schenke nun allen wieder meine volle Aufmerksamkeit. »Ihr kennt Williams und Kylees Angebot. Ihr wisst schon, es geht um unsere Wohnsituation. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht und mir ist eine Idee gekommen.« Daraufhin erkläre ich ihnen, was ich mir vorstellen könnte.
Als ich meinen Monolog beendet habe, starren mich alle entgeistert an.
»Ihr findet es dumm«, stelle ich entsetzt fest. Mir war nicht klar, wie wichtig mir ihre Meinung ist.
»Spinnst du?«, blafft mich Janice an und ich zucke unter den harschen Worten regelrecht zusammen. Sie sieht Gina an, die ihr lächelnd zunickt.
Ich halte die Luft an und mustere jeden Einzelnen von ihnen. Schlagartig wird mir bewusst, dass sie mich alle durch die Bank breit angrinsen, sodass ich meinen Atem entlasse und keuche: »Ihr findet die Idee gut?«
»Ich hirne seit Tagen rum«, sinniert Millie. »Aber darauf bin ich nicht gekommen. Es ist perfekt.«
Allgemeine Zustimmung brandet auf, bevor Joel todernst erklärt: »Eins steht fest, wir behalten die Flitterwochen-Suite.« Er seufzt und fügt beinahe gequält an Ryan gewandt hinzu: »Habe ich dir eigentlich je gesagt, dass dein Bett grottig ist? Aber das hat ja jetzt ein Ende.«
Ryan funkelt Joel gespielt beleidigt an: »Ach, mein Bett ist grottig? Bisher habe ich keine Beschwerden deinerseits gehört.«
»Weil du ihn gekonnt vom Meckern abgehalten hast«, erklärt Janice lachend.
Joels Wangen färben sich herrlich rosa und ihm ist anzusehen, dass er am liebsten im Erdboden versinken würde. Doch Ryan presst ihn an seine Brust und drückt ihm einen festen Kuss auf den Mund, bevor er für alle hörbar flüstert: »Ich hätte da eine Idee, wie ich dich vom Nörgeln ablenken kann. Sadie hat noch Erdbeeren in der Küche.«
»Dann ist es abgemacht?«, will Gina wissen und unterbricht rüde Joel und Ryans Balzritual.
Alle nicken, bis auf Ben, der gedankenverloren vor sich hinstarrt.
»Also wenn das jetzt beschlossene Sache ist, gilt es, Pläne zu schmieden.« Millie hakt sich bei Gina und Janice ein. »Vielleicht sollten wir mit William darüber reden, wie wir das mit unseren Besitztümern machen.«
Janice gluckst. »Siehst du, Mum, ich brauche nur meine wenigen Habseligkeiten zusammenraffen und kann ohne Umzugsfirma von A nach B wechseln. Ich hab dir immer gesagt, es hat Vorteile, in einer möblierten Wohnung zu leben.«
»Schon klar, aber du bist gerade mal halb so alt wie ich. Warte noch ein paar Jahre, dann baust du dir dein eigenes Nest mit eigenen Möbeln.«
»Deine Mutter hat recht. Wir müssen unbedingt mit William und Kylee reden und sie fragen, was mit unseren Möbeln wird«, erklärt Gina. »Wir könnten uns natürlich auch einen Lagerraum mieten.«
»Am besten klären wir das gleich«, wirft Joel ein. »Lasst uns zu Dad gehen, solange Kylee und Sadie mit Maggie zugange sind.«
»Was habt ihr ausgeheckt?«, fragt Kylee, die mit den anderen beiden Ladys im Schlepptau die Treppe herunterkommt.
Wie ertappte Schulkinder stehen wir allesamt stramm.
Sadie lacht und flüstert Kylee bühnenreif zu: »Schau sie dir an. Als hätten wir sie beim Blödsinnmachen erwischt.«
Kylee kichert.
Ben räuspert sich und alle blicken ihn erwartungsvoll an. »Während ihr mit William redet, drehe ich mit Sushi eine große Runde.«
Er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut und will sich absetzen, stelle ich irritiert fest. Ehe ich mich davon abhalten kann, sage ich: »Ich begleite dich.«
Ben sieht mich überrascht an. »Nein, nicht nötig. Ihr habt einiges zu besprechen.«
Ich werfe der Bande einen Blick zu, den sie sofort verstehen, und sich unter diversen Ausreden vom Acker machen.
Hinter mir höre ich Kylee zu Sadie sagen: »Zeigst du Maggie bitte das Haus? Ich komme gleich nach.«
Alle bis auf Ben, Kylee und meine Wenigkeit verlassen die Eingangshalle. Kylee schlendert zu uns rüber, beugt sich zu Sushi herunter und krault ihn ausgiebig, während sie beiläufig sagt: »Benjamin, ob du in Portobello bleibst oder nicht, macht keinen Unterschied. Du gehörst jetzt schon zu uns. Und ich rede nicht von unserem Plan, einer verbrecherischen Organisation das Handwerk zu legen.«
Ben keucht erschrocken auf. »Woher weißt du, wo ich wohne?«
Sie blickt zu ihm auf und lächelt ihn warmherzig an. »Janice ist gut in dem, was sie tut, weißt du? Sie hatte, glaube ich, einen guten Lehrer, wenn nicht sogar den besten. Aber keine Sorge, die genaue Adresse hat sie uns nicht verraten.«
Ben schüttelt resigniert den Kopf. »Tja, ich habe sie wohl unterschätzt.«
Kylee erhebt sich und streicht beschwichtigend über Bens Arm. »Geht ihr drei an die frische Luft. Wir warten, bis ihr zurück seid, in Ordnung? Derweil kann sich Maggie ein wenig mit allen vertraut machen. Die Arme ist etwas überfordert.«
Ben lacht. »Und das wundert dich?«
»Du bist eine Naturgewalt. Es gibt niemanden, der dir widerstehen kann«, pflichte ich Ben bei.
Lachend zerzaust sie einmal mehr Sushis Fell und lässt uns ohne ein weiteres Wort allein.
»Wollen wir?«, frage ich und deute auf die Eingangstür.
Ben sieht zu mir auf. »Du musst wirklich nicht mitkommen.«
Ich seufze. »Ich möchte aber.«
Einen langen Moment mustert Ben mich eingehend, ehe er einknickt. »Wenn das so ist, lass uns gehen.«
Sushi bellt und sprintet zur Haustür, vor der er bereits ungeduldig hin und her läuft, bis wir sie ihm öffnen.