2013
Im vorigen Jahr habe ich dann doch gekündigt, es geschah nach einem ersten Gespräch in dem Verlag, zu dem ich gern gewollt hatte und der mein Buch, zwei Bücher werden es ja, ein Buch, bestehend aus zwei Bänden, der also dieses Epos eines in der Literaturbranche fast Unbekannten auch wirklich angenommen hat. Mit dem Lektor hatte ich damals zusammengesessen, und der Lektor hatte mir die übliche Vorgehensweise erklärt, er hatte gesagt: Wir lesen, dann machen wir Ihnen Vorschläge. Ein Drittel von denen wird Ihnen sofort einleuchten. Ein Drittel werden Sie sofort ablehnen. Über ein Drittel werden Sie nachdenken, und wir werden darüber diskutieren. Sie brauchen auch nichts zu beherzigen. Es ist Ihr Buch. Wir sind da, um es zu befördern.
Natürlich werde ich beherzigen, was sie mir sagen in diesem renommierten Verlag, ist doch gar keine Frage, jubelte ich, ein Drittel, ein Drittel, ein Drittel, so prägnant und interessant war für mich jene auf Erfahrung beruhende Einteilung des Lektors, daß ich mich erst nach Stunden erinnerte, was er noch gesagt hatte und was doch, wenn ich’s mir mal in Ruhe durchdachte, noch viel wertvoller war: Es ist Ihr Buch. Meines ist es. Mein Text. Er gehört, bis er gedruckt ist, nur mir. Niemand sonst hat die Verfügungsgewalt. Das ist in diesem Verlag hier also eine Selbstverständlichkeit. In dem Moment begriff ich, daß es in der Zeitung nicht so ist. Jeder Redakteur darf einen Text, den ein Autor geschrieben hat, nach seinem Willen verändern, es gibt nichts, was üblicher wäre. Manchmal ist es zum Vorteil des Textes, manchmal zum Nachteil, immer ist es eine Art Enteignung. Ich hattte schlicht Glück wegen meiner Urkunden, daß meine Texte vorsichtiger behandelt wurden als andere, es brauchte einen Text, in dem ich ein Tabu brach, damit man ihn mir, sanft und doch bestimmt, entwendete. Ich will das nicht mehr, sagte ich mir am Abend jenes ersten Besuches in meinem Verlag. Ich gehe nicht mehr zurück. Allein der Gedanke, mich noch einmal diesem unabänderlichen Mechanismus zu unterwerfen, ist ein beklemmender. Ich mag mich nicht beengen lassen, und ich darf auch nicht, ich muß auch vorbauen, ich habe jetzt den ersten Band fertig und will ohne Bedrängnis weiterschreiben, ich begriff das alles und schrieb die Kündigung.
Und jetzt ist er erschienen, jener Band. Jede Menge Rezensionen, positive wie negative, erscheinen, nur die ­Zeitung, die einmal meine gewesen ist, bringt keine. Sie bringt eine Diffamierung. Sag ich was dazu? Nein, rät Handke für solche Fälle, verteidige nie, was du schon wortwörtlich gemacht hast; und das ist weise von ihm, das Buch verteidigt sich doch alleine, es bleibt ja in der Welt; wir alle, ich weiß gar nicht, wer nun das gesagt hat, wir alle kommen in die große Schriftsteller-Lotterie, und in 50 Jahren mag sich herausstellen, welches Los ­ge­zogen wird.
Außerdem erklärt die Chefredaktion, es habe nicht in ihrer Absicht gelegen, daß sowas in der Zeitung stünde. Sie erklärt es einem Freund von mir, einem eigentlich ruhigen Zeitgenossen, der richtig erzürnt ist nach jenem Erguß, mein Chefredakteur übrigens ist mittlerweile im Ruhestand, hat die lange Leine, über die wir lose verbunden gewesen waren, an den Nagel gehängt, Chefredakteur ist sein früherer Stellvertreter geworden, der jetzt natürlich auch wieder einen Stellvertreter hat, und dieser jetzige Stellvertreter des einstigen Stellvertreters, um es vielleicht ein wenig bürokratisch, aber auf jeden Fall korrekt wiederzugeben, erklärt meinem wohl laut gewordenen Freund, es sei keine Absicht gewesen, er möge mir das ausrichten. Glaube ich ihm sofort. Weiß ich doch selber. Keine Chefredaktion ordnet sowas an. Ein Einzelner hat es von sich aus geschrieben, und sie hat es auch erst gelesen, als es in der Zeitung stand – und Punkt.
Aber gerade hat sich etwas ereignet, was doch nicht untern Tisch fallen sollte: Es war doch so gewesen, daß der Feuilletonist nichtmal den Plot unfallfrei hat wiedergeben können, um keine Kleinigkeit hatte es sich da gehandelt, sondern um was Substantielles, und jetzt, jetzt eben stand in der großen Wochenzeitung eine Rezension, und da hat sich doch erstaunlicherweise genau derselbe Unfall ereignet! Der ist tatsächlich Eins zu Eins wiederholt worden, wie abgepaust. Und es steht doch auf hunderten Seiten anders im Buch! Entweder hat der Angestellte des Wochenblattes das Buch nicht gelesen und hat der Einfachheit halber von seinem Kollegen abgeschrieben, oder er hat es gelesen und hat unwissentlich abgeschrieben, dann nicht der Einfachheit halber? Aber doch! Das ist doch das Interessante! Es fesselt mich geradezu, wie er, ob so oder so, im Kopf seinem Vorarbeiter gefolgt ist. Wie wenig Gedanken er selber darin gehabt haben muß. Und wie schwach ausgeprägte. Wie bereitwillig er nachgeplappert hat. Der Wochenblattautor mit seiner Nichtdenkweise und seiner Anschlußfreude interessiert mich wirklich, nicht als Person, sondern als Anwender einer Mechanik; wozu mein Buch doch nütze ist, Leitmedien, den Begriff hatte ich nie hinterfragt, und jetzt denke ich mir, der Folgsame ist doch Teil der Leitmedien, und sein Kollege ist es auch, einer leitet den anderen, und zusammen leiten sie die Leser und nehmen sie mit in ihre ­verdrehte Welt, ist das der Inhalt des Begriffs?
Was bin ich garstig. Was denke ich negativ. Es hat sich so ergeben, und es gefällt mir nicht. Werd bloß nicht zynisch, sage ich mir, du warst doch nie zynisch und hast dich immer abgewendet von denen, die so sind. Und paß auch auf, daß du nicht in ein Klagen verfällst, fang, wenn du Fremde oder Halbfremde triffst, gar nicht erst an herumzuerzählen, was du gerade alles im Sinn hast, denn zu lang was Negatives erzählt, wird doch fast zwangsläufig ein Lamento draus, und Lamentierer magst du genauso wenig wie Zyniker, also halt dich zurück. Halt die Klappe.
Tu ich. It’s Partytime. Ein Verlag feiert Jubiläum, und ich stehe und trinke mit einer mir flüchtig bekannten Feuilletonredakteurin, die keine Redakteurin mehr ist, weil ihre Zeitung wie jede sparen muß und ihr eine Abfindung angeboten hat, die sie genommen hat, eben hat sie mir davon erzählt, und nun fragt sie, und du? Bist du noch bei deiner Zeitung? Nö. Gar nicht mehr? Gar nicht mehr. Wegen des Bücherschreibens, was? Kann man so sagen. Ist eine völlig andere Ebene des ­Schreibens, hat was Orgiastisches, also an manchen Tagen, an manchen Tagen nur, die möchte ich immer wieder haben. Aber während ich so wahrheitsgemäß schwärme, steigt Trotz in mir auf: Was erzählst du hier nur die eine Hälfte der Wahrheit. Was schonst du die Zeitung. Gibt keinen Grund dafür, komm schon, schenk’s der nicht, ich räuspere mich und sage, da ist schon noch was, was auch noch ein Grund ist. Fast in Stichpunkten berichte ich ihr, hübsch sachlich, so war’s, weißt du, so hat sich’s zugetragen, wie nimmt sie es auf? Wie guckt sie denn? Wie jemand, der sich Mühe gibt, nicht skeptisch zu gucken. Plötzlich wirft sie ein wenig theatralisch den Kopf in den Nacken und ruft mit auch etwas übertriebenem Entsetzen, ich faß es nicht, meine Lieblingszeitung, und das in meiner Lieblingszeitung, und als sie den Kopf wieder runter nimmt, lächelt sie entschuldigend, aber schon auch ein bißchen keck, hinreißend ist das, ein bezaubernder Schlußstrich, hinter dem weiterzureden ganz närrisch wäre, wir prosten uns zu.