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Eine Leiche

Jon mag keine Leichen, die im Manzanares treiben.

Es ist keine Frage der Ästhetik. Diese Leiche ist sehr unappetitlich (sie scheint schon eine ganze Weile im Wasser zu liegen), die blaugraue Haut voller violetter Flecken, die Hände fast abgetrennt von den Gelenken. Aber Empfindlichkeit ist hier fehl am Platze.

Die Nacht ist besonders dunkel, und die Laternen, die in sechs Meter Höhe die Welt der Lebenden beleuchten, lassen die Schatten nur noch dichter wirken. Der Wind entlockt dem Schilfrohr ein seltsames Murmeln, und das achtzig Zentimeter hohe Wasser ist ziemlich kalt. Schließlich befinden wir uns am Ufer des Manzanares in Madrid, es ist elf Uhr nachts, und der Februar fährt seine gräuliche Pfote aus.

Nichts von alledem stört Jon an Leichen im Manzanares, denn er ist an eiskaltes Wasser (er stammt aus Bilbao), an Gemurmel in der Dunkelheit (er ist schwul) und an leblose Körper (er ist bei der Polizei) gewöhnt.

Jon Gutiérrez widert es an, Wasserleichen selbst rausholen zu müssen.

Was bin ich doch für ein Idiot , denkt Jon. Das ist was für Anfänger. Aber natürlich schaffen das diese drei Kümmerlinge aus Madrid einfach nicht .

Nicht dass Jon dick wäre. Aber wenn du ein halbes Leben lang immer der Größte warst, entwickelst du Angewohnheiten, ob du es willst oder nicht. Die Schwäche, immer helfen zu wollen. Was besonders dringlich wird, wenn du siehst, wie drei Grünschnäbel, frisch von der Akademie, wie Enten im Schilf herumpaddeln beim Versuch, eine Leiche zu bergen. Und stattdessen fast selbst ertrinken.

Also schlüpft Jon in den weißen Plastikanzug, zieht die Gummistiefel an und stürzt sich mit einem WasfüreineScheißeaberauch ins Wasser, worauf die Frischlinge puterrot anlaufen.

Mit großen Schritten watet Inspector Gutiérrez durch den Fluss, wobei er sowohl Wasser als auch die jungen Polizisten verdrängt, zu der Insel aus Pflanzengestrüpp, in dem die Leiche hängen geblieben ist. Der Körper hat sich in ein paar Ästen verfangen und schaukelt leicht in der Strömung. Nur ein Teil des aufgequollenen Gesichts und ein Arm sind zu erkennen, weshalb es wirkt, als versuche das Opfer zu schwimmen, um seinem unvermeidlichen Schicksal zu entgehen.

Jon bekreuzigt sich in Gedanken und steckt beide Arme unter die Leiche. Die Berührung ist weich, und das Körperfett wabert unter der Haut wie ein Luftballon voller Wackelpudding. Der Inspector zieht. Mit all seiner Kraft eines harrijasotzaile, eines baskischen Steinehebers. An einem guten Tag schafft er dreihundert Kilo. Er sichert die Beine.

Diesen Frischlingen werde ich es zeigen .

Als er seine riesigen Arme anspannt, geschieht zweierlei.

Zweitens, die Leiche rührt sich keinen Zentimeter vom Fleck.

Erstens, der rechte Fuß des Inspectors versinkt im sandigen Untergrund, und er fällt rückwärts ins Wasser.

Jon ist kein wehleidiger Kerl, keiner von denen, die sich über alles beklagen. Aber das Gelächter der Frischlinge wird weder vom Rauschen der Strömung noch vom Murmeln des Schilfs oder seinem eigenen Fluchen übertönt. Also erlaubt sich Jon, mit verletztem Stolz und bis zu den Schultern unter Wasser, für einen Moment etwas ganz Menschliches: Er bedauert sich selbst und gibt anderen die Schuld.

Wo bist du, Antonia, verdammt noch mal?