Kapitel 12

Erschöpft vom vielen Rufen und Schreien ließ Paul sich nach einer Weile auf den Boden sinken.

Was nützten ihm nun Mut und Tapferkeit?

Gar nichts! Oder doch?

Er bemühte sich, seine Aufregung niederzukämpfen. Schwierig genug.

In dem engen Abstellraum war es beinahe stockfinster. Der Lichtschalter befand sich draußen auf dem Gang. Nur durch eine winzige, vergitterte Luke an der Außenwand, ganz oben, drang wenig Tageslicht herein.

Paul beruhigte sich allmählich und überlegte, was er tun konnte. Er hatte bisher noch nie darüber nachgedacht, ob der Hausmeister normalerweise am Nachmittag Geräte aus diesem Raum holte. Hoffentlich! Mindestens bis dahin wäre er hier drin gefangen. Sein Magen begann zu knurren.

Oje, meine Mutter!, fuhr es ihm durch den Kopf. Sie wird sich Sorgen machen, wenn ich nicht zum Mittagessen nach Hause komme.

Bestimmt würde seine Mutter sofort telefonieren und bei seinen Freunden nachfragen. Und die würden sagen, dass Paul, wie so oft in letzter Zeit, von einem Moment zum anderen wie vom Erdboden verschluckt war.

Heute wollten sie sich doch endlich mal wieder im Räuberwäldchen treffen!

Grusine! Sie war seine letzte Rettung. Sie hatte doch gesagt, er solle die Amsel rufen, wenn er einmal Hilfe brauchen würde.

Aber erstens hatte er seine Unsichtbarkeitsmütze nicht auf dem Kopf, und zweitens: Wie sollte die Amsel zu ihm kommen? Etwa durch das vergitterte, winzige Fenster? Das würde nicht klappen.

Mutlos ließ Paul den Kopf hängen. Schon kullerten ein paar Tränen seine Wangen hinab, da spürte er winzige Füße mit spitzen Krallen über seinen Fuß trippeln. Er fasste nach unten und schrie angeekelt auf. Seine Hand hatte ein ziemlich dickes, pelziges Tier ertastet. Gab es hier etwa Ratten?

»Hör auf zu schreien! Ich bin weder giftig noch werde ich dich beißen. Brauchst du nun Hilfe oder nicht?«

Paul glaubte sich verhört zu haben. Aber das pelzige Ding sprach wirklich.

»Wieso haben nur alle Menschen Angst vor Ratten? Natürlich. Ich weiß es ja. Weil wir eben schlauer sind als sie. Kannst du mich jetzt bitte mal auf dein Knie heben?«

Ratte!

Knie?

Paul fasste sich an die Stirn. Vielleicht hatte er wegen des Schocks über sein Missgeschick Wahnvorstellungen bekommen.

»Trödel nicht herum! Ich sage dir jetzt, was wir tun müssen, um dich aus deiner beschi … na ja, bescheuerten Lage zu befreien.«

Nun bestand kein Zweifel mehr: Diese Ratte sprach, und Paul verstand, was das Tier sagte.

»Wieso kann ich dich verstehen?«, fragte er völlig verdattert.

»Wieso, wieso, wieso! Wieso weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass du einer bist, der in der Anderwelt herumgeistert und sich jetzt in einer äußerst unangenehmen Lage befindet.«

»Ja, das stimmt«, bestätigte Paul kleinlaut. Es kostete ihn einige Überwindung, nach unten zu greifen und das pelzige Tier anzufassen.

Aber eigentlich fühlte es sich warm, weich und kuschelig an. Also hob er es hoch und setzte es auf sein Knie.

»Na, also. Das wäre geschafft. Ich bin übrigens Zäkary Rattus. Meine Freunde nennen mich Zack. Denn ich bin total auf Zack, das kannst du mir glauben.«

»Ja, aber wieso kennst du mich?«, wollte Paul wissen.

»Was glaubst du denn? Ich kenne hier im Schulhaus jeden Einzelnen. Kinder, Lehrer, Hausmeister, Putzfrauen. Hier ist mein bevorzugter Wirkungskreis. Erstens entspricht dieser Ort meinem Intelligenzquotienten, und außerdem gibt es leckeres Essen in Hülle und Fülle. Was diese verwöhnten Kinder so alles wegwerfen! Gut für mich. Und natürlich weiß ich auch, was dieser Max für ein Ekelpaket ist. Der setzt dir ganz schön zu in letzter Zeit. Stimmt’s? Hab ich recht?«

»War er es wohl, der mich hier eingesperrt hat?«

»Na klar! Wer denn sonst? Und deshalb bin nun ich dran. Einer muss dich ja hier wieder rausholen.«

»Und wie willst du das anstellen?« Paul wunderte sich schon über gar nichts mehr. Jedenfalls nicht darüber, dass er so vertraulich mit einer Ratte plauderte.

»Also, hör zu, was ich mir überlegt habe!«