Paul saß in seinem unfreiwilligen Gefängnis und wartete bangen Herzens darauf, dass Zäkarys Plan aufgehen würde.
Der schlaue Rattenmann war durch einen Gully verschwunden, von dem Paul bis zum heutigen Tag gar nichts geahnt hatte. Von dort aus wollte er durch das unterirdische Kanalsystem bis unter den Schulhof flitzen, um dann durch einen anderen Gully wieder ins Freie zu klettern. Diese Tour hatte er schon über hundertmal gemacht. In den Abwasserkanälen kannte er sich aus wie in seiner Westentasche. Danach musste Zäkary nur noch den Hausmeister aufspüren.
Ab da begann der gefährliche Teil der Unternehmung. Um Herrn Schröder, so hieß der Hausmeister, dazu zu bringen, sich schleunigst zu der Gerätekammer zu begeben, in der Paul festsaß, musste die Ratte vor den Füßen des Hausmeisters herumwuseln, ohne von diesem erwischt zu werden. Zäkary wusste, dass er dabei mit seinem Leben spielte.
Ratten auf dem Schulgelände?
Die mussten bekämpft werden!
Um jeden Preis.
Wenn nötig, mit drastischen Mitteln.
Aber für einen Freund in Not gab Zack alles.
Es kam, wie es kommen musste.
Der Hausmeister fegte gerade mit seinem großen Besen den Eingang, der vom Pausenhof in das Schulgebäude führte. Da entdeckte er Zäkary. »Eine Ratte?«, schrie er. »Nicht in dieser Schule! Na warte!« Voller Wut schlug er mit dem Besen nach Zack.
Dieser hatte das vorhergesehen, machte einen Schlenker und raste zur offenen Tür hinein. Der Hausmeister guckte verblüfft, dann rannte er mit dem Besen in der Hand hinterher, den Flur entlang. Zäkary drosselte sein Tempo immer gerade so viel, dass ihn sein Verfolger noch sehen, aber nicht erwischen konnte.
Als sie den Geräteraum schon beinahe erreicht hatten, hörte man dort unheimliche Klopfgeräusche und Rufe.
Das hatte Zäkary Paul eingeimpft: »Du zählst zweimal langsam bis sechzig, dann klopfst du an die Tür und schreist, so laut du kannst!«
»Um Himmels willen! Da ist ja jemand eingesperrt!« Der Hausmeister ließ den Besen fallen und nestelte an seinem dicken Schlüsselbund.
Seine Hand zitterte so sehr, dass es gefühlte Stunden dauerte, bis er den passenden Schlüssel gefunden hatte und die Tür aufschließen konnte.
Paul fiel dem Mann beinahe in die Arme. Er sah noch, wie Zäkary um die Ecke huschte.
Herr Schröder dachte keinen Augenblick mehr an die Ratte. »Du armer Kerl! Wer hat dich denn hier eingesperrt?«
»Keine Ahnung«, nuschelte Paul. »Gut, dass Sie gekommen sind. Ich muss jetzt sofort nach Hause. Meine Mutter macht sich sonst Sorgen. Danke noch mal!«
Paul lief zu seinem Klassenzimmer, schnappte sich seinen Rucksack und machte sich auf den Heimweg.
In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander.
Diesmal war Max zu weit gegangen. Das stand fest.
Aber auf diese Weise hatte er Zäkary kennengelernt. Der war zwar nur eine Ratte. Nur eine Ratte?
Seit Paul diese Unsichtbarkeitsmütze besaß und Grusine aus der Anderwelt kannte, gab es nichts, was es nicht gab.
Grusine sprach mit Tieren und fand das ganz normal. Und nun hatte ihn ein Tier aus einer unmöglichen Lage befreit, als ob es sein bester Freund wäre … Nicht wäre, sondern war.
Paul musste sich um Zäkary kümmern.
Nun, da der Hausmeister Schröder wusste, dass es im Schulhaus eine Ratte gab, würde er alles daran setzen, sie zu vernichten. Mit Fallen. Oder womöglich mit Gift?
Das durfte nicht sein.
Paul kehrte um. So schnell er konnte, rannte er zum Schulhaus zurück. Er lief kreuz und quer durch den Hof und rief leise nach Zäkary.
Aber nirgends eine Spur von ihm.
Da kam Paul die Idee, er könnte mal hinter den Verschlag spitzen, wo die riesigen Mülltonnen standen.
Und tatsächlich!
Wer saß dort entspannt auf seinen Hinterpfoten und knabberte genüsslich an einem Stück Salami?
Der pfiffige Rattenmann.
»Hallo! Schön, dass du dich noch mal bei mir blicken lässt. Das hat ja prima geklappt mit meiner Befreiungsaktion. Findest du nicht? Ich musste mich natürlich sofort aus dem Staub machen. Und da dachte ich, dass erst einmal eine kleine Zwischenmahlzeit fällig wäre. Und du? Wieso treibst du dich noch hier herum?« Zäkary putzte sich die Schnurrhaare und schielte spitzbübisch zu Paul herüber.
»Ich hatte Angst um dich«, sagte Paul. »Der Hausmeister wird keine Ruhe geben, bevor er dich nicht erlegt hat. Willst du nicht erst mal für ein paar Tage bei mir wohnen? Ich wollte immer schon ein Haustier haben. Dabei dachte ich natürlich nie an eine Ratte. Aber jetzt, wo wir befreundet sind …«
»Keine schlechte Idee. Wenn ich’s mir recht überlege, brauche ich sowieso mal wieder eine Luftveränderung. Aber nur vorübergehend, bis sich der ganze Aufruhr gelegt hat. Denn am wichtigsten ist mir meine Freiheit. Also los! Ab nach Hause! Am besten wird sein, du setzt mich auf deine Schulter. Sonst verlaufe ich mich am Ende. Ha, ha!«