Kapitel 15

Die vier Kinder steckten die Köpfe zusammen und überlegten, wie es nun mit Max weitergehen sollte. Nach irgendwelchen Spielen stand ihnen jetzt überhaupt nicht der Sinn.

»Er soll genau die gleiche Angst ausstehen wie Paul. Wir sperren ihn ebenfalls im Geräteraum ein und lassen ihn dort so lange schmoren, bis er klein mit Hut ist«, schlug Lukas vor.

»Und niemand wird ihn vorzeitig befreien«, fügte Philipp hinzu.

»Ich weiß nicht. Findet ihr das besonders einfallsreich?« Paul kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum.

»Wieso? Mein Vater sagt immer: Auge um Auge, Zahn um Zahn«, entgegnete Lukas.

»Aua!«, schrie Anna. »Jetzt hat mich schon wieder etwas gezwickt. Zuerst dachte ich, das wäre nur Einbildung. Aber schaut mal! Hier ist wirklich ein roter Quetschfleck an meinem Arm.«

Paul fuhr hoch und sah sich unauffällig um. Konnte es sein, dass Grusine schon die ganze Zeit hier bei ihnen herumlungerte, ihnen zuhörte und sich nun durch Zwicken bemerkbar machen wollte? »Grusine, bist du’s? Wenn du hier bist, klopfe doch bitte dreimal mit einem Stein auf einen anderen Stein!«

»Was ist denn das wieder für ein Blödsinn?«, regte Philipp sich auf. »Spricht neuerdings mit Tieren und jetzt auch mit Gespenstern!«

Kaum hatte er das gesagt, zwickte ihn das unsichtbare Wesen so heftig in den Arm, dass es schmerzte.

»Grusine! Halt! Hör auf damit! Meine Freunde wissen doch überhaupt nichts von dir. Sie können dich ja nicht sehen. Und ich übrigens ohne meine Mütze auch nicht. Ich hatte heute schon genug Ärger. Du stellst dich jetzt bitte ganz höflich mit drei Klopfzeichen vor, damit wir wissen, dass du da bist! Und dann werde ich meine Freunde in unser Geheimnis einweihen.«

Einen Moment herrschte Totenstille.

Philipp, Lukas und Anna blickten sich misstrauisch um.

Paul war nicht sicher, ob Grusine auf seinen Vorschlag eingehen würde. Vielleicht wollte sie nicht, dass seine Freunde von ihr und der Anderwelt erfuhren.

Zäkary sprang von Pauls Knie herunter, setzte sich auf die Hinterbeine und reckte neugierig seine Nase in die Luft.

Plötzlich ertönten drei helle Steinklänge. »Klick, klick!« Pause. »Klack!«

»Sie ist da! Sie ist’s wirklich!« Paul freute sich unheimlich. »Macht Platz, damit Grusine sich zu uns setzen kann!«

»Also, das ist dann wohl der Tag der tausend Geheimnisse und der Offenbarungen«, sagte Philipp und rückte ein Stück beiseite.

Pauls Freunde hielten den Atem an. Tatsächlich spürten sie eine schwache Luftbewegung. Auf dem weichen Gras entdeckten sie kleine Fußabdrücke, die zu einem Platz neben Paul führten. Paul und Anna saßen so weit auseinander, dass gerade noch eine Person dazwischen passte.

Und nun begann Paul zu erzählen. Der Reihe nach und von Anfang an. Vom Besuch bei Tante Hedwig, von der Strickmütze, die er zunächst grässlich gefunden hatte, und von den Ereignissen danach.

»Das klingt ja wie im Märchen!«, rief Anna.

»Ja, und keiner wird uns glauben.« Lukas starrte angestrengt in die Lücke zwischen Paul und Anna, wo Grusine angeblich saß.

»Ihr habt aber doch alle die Klopfzeichen gehört, oder? Grusine! Könntest du bitte noch mal klicken? Sonst denke ich am Ende, ich hätte alles nur geträumt.« Philipp vertraute nur nackten Tatsachen.

Wieder ertönten die drei hellen Steinsignale.

»Hmm! Paul! Vielleicht könntest du einmal die Amsel herbeipfeifen? Wenn das mit den Vögeln auch stimmt, dann besteht kein Zweifel mehr. Dann ist das die fantastischste Geschichte aller Zeiten, und wir sind mitten drin.«

Kaum hatte Philipp seine Bitte geäußert, pfiff Grusine die liebliche Amselmelodie so klar und rein, als würde sie auf einer Flöte spielen.

Im nächsten Moment schwirrte es in den Ästen. Ein schwarzer Vogel umkreiste einmal die Burg Wolfenstein und landete dann sachte auf Pauls Schulter.

»Jetzt schlägt’s dreizehn!«, sagte Philipp. Er war völlig platt. »Aber wie soll das jetzt mit uns weitergehen?«

»Wir brauchen alle solche Unsichtbarkeitsmützen«, schlug Anna vor, »damit auch wir Grusine sehen können.«

»Also müssen wir morgen gemeinsam Tante Hedwig besuchen«, beschloss Paul.