»Donnerwetter!«, rief Zäkary. »Diese Frau ist eine Wucht! So eine Großmutter habe ich mir immer gewünscht. Auf jeden Fall werde ich bei ihren Ifosas mitarbeiten. Für diese Aufgabe bin ich bestens gerüstet. Meinen Augen und meinem hervorragenden Spürsinn entgeht nichts. Ihr werdet schon sehen. In null Komma nix kann ich euch sagen, was mit Grusine los ist.«
»Haben Ratten auch Großmütter?«, fragte Paul.
Aber er bekam keine Antwort von Zack, weil Quädefyn eine niedrige Holztür öffnete und die Kinder in einen Raum schob, in dem es vollkommen dunkel war.
Chädewyn hantierte mit irgendwelchen Gerätschaften, und nach kurzer Zeit flammte ein Licht in einer kleinen Laterne auf. Chädewyn zündete noch drei weitere Laternen an und drückte jedem Kind eine in die Hand.
Im schummrigen Dunkel entdeckten Paul und seine Freunde vier Betten, die an einer Wand aufgereiht standen. Sie waren aus hellem Holz gefertigt, mit gedrechselten Füßen und hübsch geschnitzten Betthäuptern. Als die Kinder näher traten, sahen sie, dass die Schnitzereien ganz unterschiedlich gestaltet waren. Da gab es ineinander verschlungene Zweige mit Blättern, kleine Tiere, Käfer, Bienen und Schmetterlinge. Alles war auf das Zierlichste geformt und ganz naturgetreu angefertigt. In den Betten lagen dicke Federkissen und Decken mit rot karierten Bezügen. Die Schlafgelegenheiten waren gerade so lang, dass ein Junge wie Philipp oder ein Lyndorier sich darin ausstrecken konnte.
»Und wo schlafe ich?«, krähte Zäkary, als er mitkriegte, dass es nur vier Betten gab.
Allerdings stand in einer Ecke noch eine Wiege, auch kunstvoll mit Schnitzereien verziert. Quädefyn zeigte stumm zu diesem Kinderbettchen hinüber.
»Was? Da drin soll ich schlafen?«, empörte sich Zäkary. »Ich bin doch kein Baby. Da werde ich ja vor lauter Wackelei kein Auge zutun können.«
Quädefyn schaute ratlos in die Runde.
Anna redete beschwichtigend auf Zäkary ein. »Es ist doch wunderhübsch hier. Das musst du zugeben! Wir werden uns sehr wohlfühlen. Für dich finden wir auch noch eine Lösung.«
Die Kinder bewunderten auch die restliche Einrichtung. Alles sah aus wie in einem etwas zu groß geratenen Puppenhaus. Für Erwachsene aus der Menschenwelt wären alle Möbelstücke viel zu klein gewesen. Aber für Kinder von neun Jahren hatten die Einrichtungsgegenstände genau die richtige Größe. Es gab zwei wundervoll bemalte Schränke, eine Kommode, vier Nachtkästchen, einen runden Tisch, vier Stühle. Das Prachtstück war aber ein Großvatersessel, bezogen mit weichem Samtstoff in einem Blümchenmuster.
»Hier lässt sich’s aushalten«, sagte Paul anerkennend. »Und das soll alles uns alleine gehören?«
»Ja, solange ihr in Lyndoria bleibt, ist das euer Quartier«, antwortete Quädefyn. »Hier werdet ihr schlafen. Und hierher könnt ihr euch zurückziehen, wenn ihr mal alleine sein wollt. Wir verlassen euch jetzt für eine Weile, damit ihr euch eingewöhnen könnt. Inzwischen überlegt ihr euch, an welchem Arbeitsplatz ihr gerne mithelfen möchtet.«
»Bis später!«, rief Chädewyn fröhlich.
Und schon waren ihre beiden Begleiter verschwunden.
Schweigend sahen die Kinder sich an.
»Ich muss mich setzen. Das war alles zu viel für mich«, ächzte Lukas plötzlich und ließ sich in den Lehnstuhl fallen.
»Ja, für mich auch. Kneif mich mal in den Arm! Vielleicht ist das alles nur ein irrwitziger Traum. So etwas passiert einem doch nicht in Wirklichkeit.« Philipp, der Vernünftige, blickte ratlos in die Runde.
Paul tat ihm den Gefallen und zwickte ihn vorsichtig. »An so ein Abenteuer habe ich nicht gedacht, als wir Hedwig wegen der Mützen besuchten. Wer weiß, was noch alles auf uns zukommt.«
»Also, mir gefällt es hier«, mischte Zäkary sich ein. »Die Lyndorier sind doch total in Ordnung. Außer, dass sie mir eine Babywiege zum Schlafen angeboten haben.«
»Wir sollten das Beste draus machen«, überlegte Anna. »Habt ihr euch schon für eine Arbeit entschieden?«
»Ich schon. Ich geh zum Spähtrupp. Das habe ich ja bereits erwähnt«, tat sich Zäkary hervor.
»Mich interessiert vor allem, welche Arzneien die Lyndorier herstellen. Ich schlage aber vor, dass nicht jeder von uns etwas ganz anderes macht. Es sollten immer zwei von uns zusammenbleiben. Man kann nie wissen.«
Die Kinder fanden den Vorschlag von Philipp vernünftig. Nach einigem Hin und Her beschlossen sie, dass Lukas mit Philipp in die Kräuterabteilung gehen sollte. Anna dagegen wollte Quädefyn fragen, ob es so etwas wie eine Bücherei in Lyndoria gäbe. Wenn ja, würde sie am liebsten dort mit Paul zusammen arbeiten.
Ungeduldig warteten sie auf die Rückkehr von Quädefyn und Chädewyn.
Die beiden ließen nicht lange auf sich warten.
Es klopfte.
Mit einem munteren »Macht uns bitte jemand auf? Wir haben keine Hände frei!« betraten sie den Raum.
Auf den ausgebreiteten Armen trugen sie Kittelchen, Hosen, Schürzen und allerlei Utensilien.
»Wir haben euch Kleidung gebracht. Arbeitskleidung und Schlafkleidung. Nur Schuhe haben wir keine. Wie ihr seht, gehen wir Lyndorier barfuß. Da müsst ihr halt eure eigenen anbehalten. Schnell! Zieht euch um, damit wir euch an eure Arbeitsplätze führen können!« Mit flinken Fingern breitete Quädefyn die Klamotten auf den Betten aus.
Rasch schlüpften die Kinder aus ihren Kleidern und zogen die Kittelchen und bequemen Hosen über. Die Sachen rochen frisch. Ein Duft nach Wiesenblumen stieg ihnen in die Nase.
»So bequemes Zeug hatte ich noch nie an«, lobte Paul.
Quädefyn und Chädewyn halfen ihnen, die ledernen Schürzen umzubinden.
»Jetzt seht ihr fast wie echte Lyndorier aus. Los geht’s! Wohin sollen wir euch bringen?«, fragte Chädewyn gut gelaunt.