Am nächsten Tag trödelte Paul nicht wie sonst beim Frühstück herum. Im Gegenteil! Er beeilte sich unheimlich, weil er so schnell wie möglich in die Schule aufbrechen wollte. Von heute an würde alles anders werden. Das spürte er. Die Mütze von Tante Hedwig steckte unten in seinem Rucksack. Gleich in der großen Pause wollte er das mit dem Unsichtbarwerden einmal ausprobieren. Vor den Gemeinheiten von Max und seiner Clique fürchtete er sich nicht mehr die Bohne.
Allerdings lag Max schon auf der Lauer, als Paul in den Schulhof einbog. Er hatte natürlich seine Getreuen um sich geschart. Alexander, Julian und Simon.
»Da kommt er ja, der kleine Hosenscheißer!«, rief Max mit hämischem Grinsen und stellte sich Paul in den Weg.
Der lächelte freundlich, schlug einen Haken und schoss an Max vorbei. Verblüfft starrten die vier Unruhestifter ihm nach.
»Feigling!«, japste Max und kickte zornig einen Stein weg.
Der knallte einem kleinen Mädchen aus der ersten Klasse ans Bein. Das Mädchen schrie vor Schmerz auf. Dann entdeckte es, wie rotes Blut durch den rosa Kniestrumpf sickerte, und fing an zu heulen.
Sofort rannten ein paar Mädchen zu Max hinüber und beschimpften ihn lautstark.
»Du spinnst wohl! Du kannst doch hier nicht mit Steinen schießen. Das sagen wir sofort unserer Lehrerin, der Frau Sonnenschmitt.«
Sie nahmen das verletzte Kind an der Hand und führten es in sein Klassenzimmer.
Wegen dieses Vorfalls fing die erste Stunde verspätet an, denn Max wurde ins Lehrerzimmer gerufen und dort von Frau Sonnenschmitt und Lehrer Jablonski zum Hergang des Unfalls befragt. Verstockt schwieg er und starrte trotzig auf seine Füße.
»Da gab es doch gestern schon diese Rauferei auf dem Schulhof. An der warst du auch beteiligt. Von jetzt an solltest du dich in Acht nehmen! Ich werde ein Auge auf dich haben.« Lehrer Jablonski hob mahnend den Zeigefinger.
Max sagte nichts. Doch in seinen Augen loderte Wut auf.
Paul wartete ungeduldig auf den Beginn des Unterrichts. Mit einem Ohr hörte er, wie sich Philipp, Lukas und Anna über ihre Erlebnisse im Schwimmbad unterhielten.
Wenn ihr wüsstet, was ich erlebt habe, dachte er.
Die Stunden bis zur großen Pause vergingen im Nu. Paul war mit Feuereifer bei der Sache, denn ihm gefiel es in der Schule.
Als die Pausenglocke läutete, flitzte er aus dem Unterrichtszimmer, damit er als einer der Ersten auf die Toilette gehen konnte. Vorher kramte er aber noch unauffällig die Mütze aus seinem Rucksack und klemmte sie unter seinem T-Shirt in den Hosenbund.
Natürlich herrschte schon wieder ein heilloses Gedränge auf dem Jungenklo. Paul schloss sich in einer Kabine ein, setzte sich rasch die Mütze auf den Kopf und wollte schon die Tür öffnen, da fiel ihm im letzten Moment ein, dass es besser wäre abzuwarten, bis alle das stille Örtchen verlassen hatten.
Er presste sein Ohr an die Klotür. Stimmengewirr und Gelächter drangen zu ihm herein. Allmählich verebbten die Geräusche.
Nun öffnete Paul die Tür einen Spalt. Die Luft war rein. Er huschte hinaus und schlenderte gemächlich den langen Korridor entlang. Ein größerer Junge aus der vierten Klasse rannte ihm entgegen. Eigentlich war Rennen im Schulhaus verboten. Paul stellte sich ihm in den Weg. Ungebremst prallte der Junge gegen ihn. Paul konnte die Wucht des Aufpralls nur dadurch abfangen, dass er den Jungen an den Schultern packte und sich an ihm festhielt.
Der wurde vor Schreck ganz steif. Dann fing er lauthals zu schreien an: »Hilfe, Hilfe! Ein Gespenst! Es hat mich überfallen und umklammert mich.«
Paul ließ das schreiende und zappelnde Häufchen Elend los und machte, dass er wegkam. Als er noch einmal nach hinten blickte, sah er den Jungen mit hängenden Schultern mitten im Flur stehen. Wahrscheinlich konnte sich der Ärmste nicht erklären, was gerade passiert war. Wie festgenagelt stand er am Platz und traute sich keinen Schritt mehr vorwärts zu machen.
Paul rieb sich sein schmerzendes Knie. Zusammenstöße waren demnach wirklich gefährlich und mussten vermieden werden.
Aber eines stand fest: Mithilfe der Mütze wurde er zum Unsichtbaren. Also auf ins Pausengetümmel! Mal sehen, was Max in diesem Augenblick so trieb.