Bruno Bärtschi hörte Schritte. Er war in einen winzigen Aufenthaltsraum eingeschlossen worden, wo er auf seinen Anwalt warten konnte. Er hatte Xavier Lehmann angerufen, der ihn schon in der leidigen Affäre wegen der angeblichen Vergewaltigung verteidigt hatte und weil er schlicht keinen anderen Anwalt kannte. Bärtschi hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Lehmann war da. Er hatte weniger als eine Stunde gebraucht. Der Anwalt trat ein, der Polizist, der ihn hergebracht hatte, zog die Tür von außen wieder zu. Bärtschi stand auf und schüttelte dankbar Lehmanns Hand.
»Danke, dass Sie so schnell kommen konnten.«
Lehmann nickte nur und machte sich gleich daran, seine Mappe zu öffnen und seine Unterlagen hervorzunehmen.
»Ich habe gehört, es handelt sich hier um eine ernstere Sache.«
»Was wirft man mir denn vor?«, fragte Bärtschi.
»Noch gar nichts. Aber offenbar wird auf Ihrem Grundstück nach einer Leiche gesucht. Möchten Sie mir etwas erzählen, Herr Bärtschi?«
Bärtschi hatte seinem Anwalt beim letzten Mal nicht die ganze Wahrheit erzählt. Und er hatte damals, während des Prozesses, das Gefühl gehabt, dass Lehmann der Prostituierten mehr Glauben schenkte als ihm, seinem eigenen Klienten. Die Art und Weise, wie Lehmann ihn nun anblickte, der Tonfall, in dem er diese Frage gestellt hatte, gefielen Bärtschi ganz und gar nicht. Der denkt, dass ich was mit dem Tod der Nutten zu tun habe, glaubte Bärtschi. Er musste sich vor dem Anwalt in Acht nehmen. Er würde ihm in dieser Sache ganz bestimmt nicht mehr sagen, als die Polizei erfahren sollte.
»Hol die beiden herein«, sagte Lisa Kunz zum Polizisten, der Bärtschis Anwalt zu seinem Klienten geführt hatte. »Sie hatten genug Zeit, um sich abzusprechen. Ich will den Kerl knacken, bevor unsere Vierundzwanzigstundenfrist vorbei ist.«
»Wenn es denn etwas zu knacken gibt«, wandte Max Hugentobler ein.
»Wir werden sehen.«
Einer der Beamten hatte im Befragungsraum einen vierten Stuhl hingestellt. Bärtschi und sein Anwalt nahmen auf der einen, Hugentobler und Lisa Kunz auf der anderen Seite des Tisches Platz. Lisa Kunz wies nochmals auf Bärtschis Rechte hin und dass das Gespräch aufgezeichnet werde, dann schaltete sie die beiden Geräte wieder ein. Sie begann bewusst noch einmal von vorne, zeigte Bärtschi erneut zunächst die Bilder von Karin Wälti, der Prostituierten, die vor fünf Jahren ermordet worden war, und danach Aufnahmen von der vermissten Renate Berger. Bärtschis Aussagen blieben unverändert.
»Herr Bärtschi. Wir haben in Ihrer Scheune ein regelrechtes Liebesnest entdeckt. Eine Matratze für Schäferstündchen, die Sie offensichtlich rege benutzt haben.« Lisa Kunz legte eine Spannungspause ein, und dann setzte sie in ernstem Tonfall zu einem Bluff an, der in seiner Kühnheit sogar sie selbst überraschte. »Es sieht danach aus, als hätten Sie nicht gerade ordentlich aufgeräumt. Unter dem Sofa haben wir einen Gegenstand gefunden, der Renate Berger gehört.«
Einen Moment lang blieb es still. Sehr still. Einzig das Tonbandgerät und die Kamera surrten leise vor sich hin. Lisa Kunz sah Bruno Bärtschi an, dass ihr Bluff saß. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Einzig die Äderchen auf seinen Wangen behielten ihre Röte und hoben sich noch stärker ab als sonst. Auch seine Körperhaltung hatte sich verändert; sein Hals schien zwischen den beiden Schultern einzusinken, der ganze Mann wirkte plötzlich kleiner.
Noch immer sprach niemand ein Wort. Bärtschi saß da wie versteinert. Schließlich brach er mit einem lauten Räuspern das Schweigen und sagte: »Das muss der Messerli gewesen sein.«