You raise me up
ELISA SCHWARZ
Mit den Fingerspitzen schwebte ich über den herrlich anmutenden, tiefschwarzen Flügel, der im großzügig geschnittenen Erker des Wohnzimmers seinen Platz gefunden hatte, und achtete penibel darauf, keine Abdrücke zu hinterlassen. Dieser Flügel war das Kostbarste, was in der eher schäbigen Altbauwohnung zu finden war. Er wurde gehegt und gepflegt, barg zahlreiche Erinnerungen. Ihm war es geschuldet, dass die Wohnung trotz der Enge als Zuhause auserkoren worden war. Denn ein Umzug war undenkbar – die gesamte Fensterfront war damals aufgebrochen worden, um ihn per Kran in den Erker des dritten Stockes hieven zu können. Die Kosten der Sanierung hatten über mehrere Jahre hinweg für ein großes Loch in der Haushaltskasse gesorgt.
Seufzend sah ich aus dem Fenster und ließ mich hinabziehen in meine Unruhe, mit der Traurigkeit einherging. Ich fühlte mich einsam und passend zu meiner Stimmung regnete es Bindfäden. Ein Blick auf das schwarz wirkende, schwimmende Kopfsteinpflaster weit unter mir bestätigte meine Vermutung: Niemand war unterwegs.
Die Welt außerhalb wie innerhalb dieser Mauern wirkte wie tot.
~*~*~*~
(5. Klasse)
Monatelang hatte ich auf diesen Tag, die Einschulung auf dem Gymnasium mit Musikschwerpunkt, hingefiebert. Die Aufregung hatte mich in der Nacht wachgehalten. Wie würden die Klassenkameraden sein? Welche
Lehrer würden wir bekommen? Fragen über Fragen hatten mich ruhelos umherwälzen lassen und mir Bauchweh beschert. Dennoch war ich tapfer aufgestanden und die Übelkeit war durch die Vorfreude in Vergessenheit geraten. Die ersten beiden Stunden hatte es eine Feier für uns, die neuen Fünftklässler, gegeben. Nun war die dritte und auch letzte Stunde dieses Tages eingeläutet worden. Erstmals fanden wir uns im neuen Klassenverband ein und lauschten dem Musikleiter der Schule.
»Ciril Blasic, wem darf ich diesen Namen zuordnen?« Rasch hob ich die Hand und im selben Moment kicherte jemand hinter mir und flüsterte hämisch: »Blasic … bläst gut.«
Ich spürte, wie ich rot anlief, und Tränen in meine Augen schossen. Hoffnungsvoll sah ich nach vorn, doch Herr Anton rief bereits den nächsten Namen auf und machte einen Haken hinter den meinen. Meine Hände begannen zu schwitzen, die halbe Klasse japste nach Luft vor Lachen und der Lehrer sah fragend auf. Ich sank in meinem Stuhl nach unten und schämte mich zutiefst.
Noch schlimmer wurde es für mich, als das einzige Instrument, das kein Blasinstrument war, an einen anderen Schüler vergeben wurde. Das einzige Instrument, für das ich gebrannt hatte und der einzige Grund war, warum ich mich überhaupt für die Bläserklasse interessierte. Nämlich das die Bläser begleitende Klavier. Seit meiner frühesten Kindheit saß ich vor den Tasten und ich hätte das Piano sicher zugewiesen bekommen, wenn der Musiklehrer uns im Alphabet der Reihe nach aufgerufen hätte. Dann hätte ich mich zuerst beweisen können. Ganz egal, ob es nach Vor- oder Nachnamen gegangen wäre. Doch Herr Anton ging die Klassenliste rückwärts durch und meine Chance war vorübergezogen.
Die Zeit wollte nicht mehr vergehen. Ein Schüler nach dem nächsten wurde an die übrigen Blechkörper gebeten. Ich war
zuletzt dran. »Ciril, uns fehlt eindeutig ein Euphoniumspieler. Magst du es bitte probieren?«
»Ein was?«
Herr Anton hielt mir das Instrument hin. Für mich sah das wie eine zu klein geratene Tuba aus. Doch trotz der geringeren Größe wirkte es unheimlich mächtig auf mich.
Eingeschüchtert nickte ich, eine Wahl hatte ich nicht. Meine feuchten Hände hinterließen Spuren auf dem goldenen Blechkörper. Mit hochrotem Kopf und erneutem Bauchweh setzte ich mich auf den Vorspielstuhl und vernahm erneut Kichern. Herr Anton schickte einen strengen Blick in diese Richtung, mehr nicht.
Der Frust nagte an mir und blähte sich wie eine gewaltige Bleikugel in mir auf. Ich blies so kräftig in das Mundstück, dass ein tiefer Ton aus dem Instrument kam. Beifall klatschend strahlte mich Herr Anton an. »Sehr gut, Ciril. Du hast dein Instrument gefunden. Somit seid ihr zu zweit. Meinen Glückwunsch. Du und …« Er sah auf seine Liste. »Du und Michael, ihr seid die Einzigen, die das Euphonium zum Leben erwecken konnten.«
Unbedacht hob ich den Blick und starrte in das hohlwangige Gesicht eines Jungen. Er grinste dreckig, ballte die Hand zur Faust und pustete Luft hindurch.
Nein! Ausgerechnet der hatte mich zu Beginn der Stunde zum Affen gemacht? Dieser blöde Junge, der sich den Platz auf der Klavierbank gesichert hatte. Mirco – so hieß er – hatte wirklich gut vorgespielt. Neidisch auf ihn versuchte ich das Euphonium, das mindestens genauso unhandlich wie imposant war, auf den Ständer zurückzustellen.
»Jetzt, wo wir wissen, in welcher Konstellation wir künftig spielen, bereite ich entsprechende Briefe vor, damit eure Eltern informiert sind. Ihr seid für die Instrumente verantwortlich. Es sind Leihgaben von der Schule, geht anständig damit
um und pflegt sie. Wer sich ein Zweitinstrument besorgt, kann die Schulinstrumente hier lassen. Ansonsten nehmt ihr sie bitte dreimal wöchentlich zum Üben mit nach Hause.« Der überdimensionale Kasten des Euphoniums schien mich auszulachen.
Das Ungetüm nach der letzten Stunde zwei Stockwerke nach unten zu transportieren, gestaltete sich schwierig. Zutiefst frustriert lehnte ich mich im ersten Obergeschoss gegen das Geländer und stützte die Hände auf die Oberschenkel, ließ die vielen Kinder an mir vorbeirennen, die ebenfalls ihren ersten Tag an diesem Gymnasium hinter sich hatten.
Wie sollte ich das künftig schaffen? Wenn ich nicht mal in der Lage dazu war, das Instrument aus dem Schulgebäude zu bringen, wie sollte ich es bis zum Bus transportiert bekommen? Zornig starrte ich den Kasten an, wünschte, er würde sich in Luft auflösen.
»Das kleine, fette Blashorn.« Die Stimme ließ mich erschrocken hochschauen und in diesem Moment bekam ich einen Stoß, segelte der Länge nach zu Boden.
Wütend schrie ich ihn an: »Du Penner!« Die anderen Kinder machten mit erschrockenen Gesichtern einen Bogen um uns.
Mirco lachte, boxte einem anderen Jungen aus der Klasse leicht in die Seite und säuselte mir entgegen. »Heul doch, du Mädchen! Rosa T-Shirts sind voll schwul.«
»Lass ihn und komm lieber mit«, murrte der andere Junge, »unsere Eltern warten doch.« Schon rannten sie weg und ich kämpfte mit den Tränen. Energisch wischte ich mir über die Augen und rappelte mich auf. Bloß nicht weinen. Mit zitternden Fingern und Wut im Bauch zerrte ich den Koffer die nächsten Stufen hinab.
(6. Klasse)
In dem Kirchenschiff versammelte sich das Publikum und belegte die Bänke. Jedes Jahr zu Weihnachten
gaben die Musikklassen ein Konzert für die Eltern. Die Gespräche um mich herum wuchsen zu einem einzigen Summen an. Wir waren direkt nach der Sängerklasse dran und Michael und ich würden ein einminütiges Duett zum Einstimmen auf die Bläservorstellung spielen. Obwohl es frisch in dem Gebäude war, hatte ich das Gefühl, zu ersticken. Lampenfieber nannte man das. Mama war ein paar Mal deswegen mit mir zum Arzt gerannt. Mir wurde immer speiübel, wenn ich vor eine Gruppe treten musste.
Mein Blick kroch über die Reihen meiner Klassenkameraden und verweilte länger auf Mirco. Er starrte stur geradeaus, direkt auf das E-Piano der Schule, das auf der Bühne aufgebaut worden war. Konzentriert sah er aus, schaute nicht wie ich durch die Gegend, um Ablenkung bemüht. Warum auch? Mirco war saugut am Klavier. Ich hingegen hatte mit Micha hart geübt, um überhaupt ein Stück auf dem Euphonium spielen zu können. Wir konnten es einfach nicht gut. Und das war alles Mircos Schuld. Mit ihm in einem Raum fühlte ich mich wie ein Versager.
Es war auch seine Schuld, dass ich seit den Sommerferien mein Klavier nicht mehr angerührt hatte. Der Gedanke, wie enttäuscht meine Eltern von mir waren, zog mich noch weiter runter. Doch je mehr sie auf mich eingeredet hatten, umso heftiger hatte ich mich dagegen gesperrt. Noch während ich das Klavier zum Feind erklärt hatte, hatte ich meinem Euphonium einen Heiratsantrag gemacht. Ich war sicher, wenn ich besser werden würde, würde Mirco aufhören, mich zu schikanieren.
Seitdem übte ich jede freie Minute, damit ich als einer der Besten im Schulorchester aufgenommen würde. Die Plätze waren rar, die Auswahlkriterien, so sprach es sich herum, ultrahart. Ich hatte richtig Angst vor diesem Tag. Doch ich musste es schaffen. Ich wollte Mirco beweisen, dass ich gut war,
zudem wurde der Musikzweig nach der Sechsten aufgelöst. Was blieb mir dann noch?
Beifall setzte ein, der Chor verließ die Bühne und die Bläserklasse wurde aufgerufen. Gemeinsam betraten wir die Bühne und nahmen unsere Plätze ein. Michael legte eine Hand auf meine Schulter, drückte krampfhaft fest zu. »Ich verkack das bestimmt.«
»Quatsch.« Doch ich zitterte mittlerweile und warf ihm einen unsicheren Blick zu. »Wir haben total viel geübt.« Ein letztes Mal spähte ich zu Mirco, der soeben auf der Pianobank Platz nahm. Für den Bruchteil einer Sekunde hob er den Kopf und sah mir direkt ins Gesicht. Er grinste blöd und ploppte mit der Zunge an die Wange. Ich senkte beschämt den Kopf und sah an mir herunter, betrachtete den Grund seiner neuen Attacke. Mein neues Hemd, das meine Mutter extra für diesen Abend mit mir zusammen gekauft hatte, war fliederfarben.
Rasch nahm ich den Blick von ihm und hob energisch das Euphonium an. Micha machte es mir nach. Wie gebannt warteten wir auf das Startzeichen von Herrn Anton und stiegen unisono in das Stück ein.
(8. Klasse)
»Wer hat den Umschlag mit der Karte und dem Geld?«, fragte der Mathelehrer und eines der Mädchen meldete sich, schob den Umschlag, in den jeder Schüler zwei Euro gesteckt hatte, an den Rand des Tisches. Unsere Sportlehrerin hatte geheiratet und einer der Elternsprecher war auf die Idee gekommen, für ein Gemeinschaftsgeschenk zu sammeln.
»Heiraten ist out«, tönte einer der Jungs aus der hinteren Reihe.
»So?«, fragte Herr Zabel. »Wie kommst du darauf?«
»Sagen meine Eltern. Die wollen nicht heiraten.«
»Ah, okay. Natürlich muss man nicht heiraten, wenn man das nicht möchte. Aber manche Menschen möchten ihrer Liebe dadurch Ausdruck verleihen.«
»Sind Sie verheiratet?«
»Ja. Seit gut drei Jahren.«
»Echt?« Eines der Mädchen. »Sie sind doch viel zu jung.«
»Na ja.« Verlegen kratzte Herr Zabel sich am Nacken. »Was genau heißt denn: viel zu jung? Maja?«
»Sie sind …« Sie stockte und wurde anstandshalber rot. »Ach egal.«
Verhaltenes Lachen erklang und einer der Idioten aus Mircos Freundeskreis tönte: »Man muss ja nicht gleich Kinder kriegen, Biene Maja.«
»Das stimmt«, bestätigte Herr Zabel. »Mitschüler ärgern und beleidigen muss man aber auch nicht. Verstanden? Das hat mit Respekt zu tun. So, und jetzt holen wir alle unsere Bücher raus. Wir haben uns gestern das Kreisdiagramm angesehen. Wer hat denn die Hausaufgaben –«
»Wollen Sie und ihre Frau Kinder haben?«
Herr Zabel schenkte dem Störenfried einen raschen Blick und klappte das Buch in seiner Hand wieder zu. Tief durchatmend setzte er sich mit einer Pobacke auf das Lehrerpult. »Mein Mann und ich wollen keine Kinder, nein.«
Totenstille. Bis Mirco mich ansah. »Voll cool, Mann. Sie könnten Ciril Nachhilfe geben.«
»Wie bitte?« Herr Zabel kam auf die hinteren Reihen zu, visierte mich an. »Hast du Probleme mit dem Unterrichtsstoff? Wieso kommst du damit nicht zu mir? Wo hängt’s denn?«
»Nee!« Mirco gluckste. »Der kann nur nicht richtig blasen. Der bräuchte jemanden, der’s ihm beibringt.«
Unser Mathelehrer war einer von der netten Sorte. Er lachte mit uns, er kannte unseren Slang, er war total entspannt und
selten streng. In diesem Moment aber lief er hochrot an und ich rutschte auf dem Stuhl nach unten. Voll peinlich.
»Raus hier!«, brüllte er und deutete zornig funkelnd zu Mirco. »Du wirst dich sofort im Sekretariat melden und dort bis zum Ende der Stunde auf mich warten. Überleg dir schon mal, wie du dein Fehlverhalten dem Rektor erklären möchtest.«
Mirco verschwand und es wurde ruhig. Peinlich berührtes Schweigen legte sich für den Rest der Schulstunde über den Raum.
»Geht es dir gut?« Natürlich hielt mich Herr Zabel später auf, wartete, bis alle anderen gegangen waren. »Möchtest du mit mir reden, Ciril?«
Ich schluckte und schaffte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. »Nein, danke.«
»Mirco hat dir ziemlich zugesetzt. Das musst du dir nicht gefallen lassen. Probleme schaffen wir lieber aus der Welt. Wenn du das Bedürfnis hast, über irgendetwas zu reden, kommst du zu mir. Du weißt, dass ich Vertrauenslehrer an diesem Gymnasium bin.«
»Ja, ich weiß, aber …« Schüchtern blickte ich auf. »Darf ich jetzt gehen?«
Die Tage danach wurde die gleichgeschlechtliche Liebe von sämtlichen Lehrern in sämtlichen Unterrichtsstunden thematisiert. So lange, bis es uns zu den Ohren rauslief.
(Wochen später)
»Blasfertigkeiten verbessert?«, flüsterte auf einmal jemand hinter mir, als ich die Tür zu unserem Musikzimmer öffnen wollte, um das Euphonium an seinen Platz zu stellen. Erschrocken drehte ich mich herum und machte einen Ausfallschritt nach hinten, so dicht stand Mirco vor mir. Der Türgriff drückte sich in meinen Rücken, die Luft wurde dünn. Ich schielte nach links und rechts, niemand war weit und breit zu sehen. Wer auch? Es war später Freitagnachmittag,
die meisten Schüler und Lehrkräfte bereits ins Wochenende geflüchtet. Nur die Mitglieder des Orchesters waren noch im Gebäude, denn von dort war ich gerade gekommen. Die Probe war großartig gewesen, ich war als einer der führenden Bläser eingesetzt worden. Hartes, stundenlanges Training in den letzten Monaten hatte mir diesen Platz eingebracht. Ich war stolz.
Mirco jedoch starrte mich regelrecht nieder und in mir wuchsen Wut und Angst gleichermaßen an, verdrängten die Euphorie.
»Lass mich in Ruhe.«
»Sonst was?«
»Ich sag’s dem Lehrer.«
»Echt? Welchem?« Er drehte, wie ich zuvor, den Kopf nach links und rechts, grinste. »Ich seh keinen.«
»Mann«, platzte es aus mir heraus, »ich hasse dich.«
»Ja, schon blöd, dass du mich nun auch freitagnachmittags bei den Orchesterproben an der Backe hast. Armes Blashorn.«
»Der andere Pianospieler war viel besser als du.«
Mirco zuckte unbekümmert die Schultern. Wusste genau, dass er gnadenlos talentiert war. »Tja nun, er hat sein Abi gemacht und ist jetzt weg. Sie mussten mich also nehmen.«
»Du bist ein blödes Arschloch.«
»Ist das alles, was du drauf hast?« Er lachte, beugte sich zu mir, sodass ich seine Lippen an meinem Ohrläppchen spürte. »Im Verteidigen bist du eine Niete. Aber immerhin war dein Solo heute ziemlich cool.«
Wütend, in einem Anfall von Mut, stieß ich ihm gegen die Brust und trat nach ihm, doch ich traf ihn nicht mehr, er taumelte bereits rückwärts. »Hör auf damit.«
»Heulst du etwa?«
Meine Augen brannten, mein Blickfeld verschwamm. »Wieso lässt du mich nicht in Ruhe?«
»Mir ist langweilig und du lässt dich eben gut ärgern.« Wiederholt zuckte er mit den Schultern. »Ist so. Ich hasse diese Schule, ich hasse das Lernen. Das Einzige, was ich will, ist Klavier spielen. In einer Band oder sonst wo. Ich will Musik machen, auf alles andere hab ich keinen Bock.«
Ich schniefte und presste mich enger gegen die Tür. »Ich hab dir nichts getan. Ich will nur in Ruhe zur Schule gehen.«
Er rollte mit den Augen und lehnte sich mir gegenüber an die dreckige Wand. »Ich hatte mal einen Freund, der sah so aus wie du.«
Energisch wischte ich mir über die nassen Wangen. »Mir egal.«
»Er ist weggezogen. Wir hatten uns geschworen, alles gemeinsam zu machen, und dann zieht der weg. Du erinnerst mich an ihn.« Mit diesen Worten drückte er sich von der Wand ab, schulterte seinen Rucksack und lief den Flur hinauf. Während ich Mirco hinterher starrte, gingen mir Herrn Zabels Worte durch den Kopf. Ich muss mir das nicht gefallen lassen!
(12. Klasse, erstes Halbjahr)
Freudestrahlend verbeugten wir uns vor dem riesigen Publikum. Sogar der Ortsvorsteher und zwei weitere hohe Tiere der Stadt hatten unserem Freiluftkonzert beigewohnt. Herr Anton, den wir im Kreis des Orchesters liebevoll Pünktchen nannten, stand grinsend in unserer Mitte. Das hier war sein Verdienst. Er hatte uns so weit gebracht. Niemals zuvor war das Schulorchester hochoffiziell aufgetreten – wir standen auf der Bühne des Weihnachtsmarktes. Mir klopfte das Herz vor Aufregung bis in den Hals. Ich hielt mein Euphonium wie eine Trophäe in die Luft, wollte am liebsten die ganze Welt umarmen. Bis in die zwölfte Klasse hatte ich kommen müssen, um das hier zu erleben.
Voller Euphorie ließ ich den Blick über unsere Gruppe schweifen und blieb an Mirco hängen. Er saß am E-Piano. Den Kopf gesenkt, wirkte er in Gedanken versunken. Freude war ihm nicht anzumerken. Überhaupt: Er war ruhig geworden. Verschlossener und in sich gekehrter, beinahe unsichtbar. Als ich vor gut vier Jahren begonnen hatte, mich halbherzig zu wehren, hatten seine Angriffe abgenommen und ein paar Monate später sogar aufgehört. Ab diesem Moment war ich aufgeblüht, hatte neben Michael weitere Freunde gefunden und meine durchschnittlichen Noten ein wenig verbessert.
Mit der Wahl meiner Leistungsfächer für die Oberstufe hatte ich die Distanz zu Mirco ausbauen können und seit er kurz nach Beginn der Elften das Orchester verlassen hatte, sahen wir uns kaum noch. Sein Ausstieg aus unserer Gruppe hatte allerdings eine klaffende Lücke hinterlassen und war zu unser aller Erstaunen unvorhergesehen gekommen. Den Posten am Klavier neu zu besetzen, war schwer gewesen. Der Neue aus der Unterstufe war nur halb so gut und zu allem Überfluss seit einigen Tagen krank gemeldet. Mit mir hadernd und zaudernd, als mittlerweile einer der führenden Musiker unseres Orchesters, war ich vor wenigen Tagen mit einer befreundeten Geigerin losgezogen, um Mirco zu bitten, als Ersatzspieler einzuspringen. Das war der erste Kontakt seit Monaten zu ihm gewesen.
Entschlossen drückte ich mich zwischen den Musikern hindurch und blieb direkt neben der Pianobank stehen. »Ich möchte mich bei dir bedanken. Wenn du nicht für Gian eingesprungen wärst, wären wir im Chaos versunken.«
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe, er schüttelte den Kopf. »Nicht der Rede wert. Du bist der Star dieses Orchesters.« Sein Lächeln wirkte täuschend echt. »Hat dein Freund zugehört?«
Natürlich zuckte ich zusammen. Dabei war es bekannt, dass ich mit Mädchen tatsächlich nichts anfangen konnte – niemand hatte sich bisher daran gestört. Eigentlich ein Wunder, dass Mirco mein Outing nie kommentiert hatte.
Ich straffte die Schultern, atmete tief durch. Wir hielten uns inmitten meiner Freunde auf. Das gab mir Kraft. »Ist das wichtig für dich?«
Abwehrend hob er die Hände. »War nur ’ne Frage.« Er stand auf und drückte den Off-Knopf am Piano. »An seiner Stelle hätte ich es mir nicht entgehen lassen, dem neuen Stern am Musikhimmel zu lauschen. Er sollte stolz auf dich sein.«
Für einen Moment wurde es still zwischen uns, mit einem solchen Lob, ausgerechnet aus seinem Mund, konnte ich nicht umgehen. Nervös krampfte ich die Finger um mein Euphonium. »Der Applaus galt uns allen. Auch dir. Also danke noch mal, dass du eingesprungen bist. Ohne Klavierbegleitung wären wir aufgeschmissen gewesen.«
»Ist angekommen«, antwortete er gedehnt. »Nächste Woche ist noch ein Auftritt, braucht ihr mich dafür?«
»Wenn Gian bis dahin wieder fit ist, eher nicht.«
»Ciril.« Mein Name wurde gerufen, wir drehten uns beide um. Natürlich grinste ich wie blöd los, als Ben auf uns zukam. Ohne Federlesen drückte er mir einen Kuss auf die Lippen. »Mega! Du bist der Wahnsinn.«
»Das ist er!« Mircos Worte bescherten mir eine Gänsehaut. »Ciril wird es als Musiker weit bringen.« Er räusperte sich, musterte meinen Freund daraufhin abschätzig. »Er wird nicht so leicht austauschbar sein.«
»Werd nicht unfair«, presste ich unsicher hervor. »Du bist freiwillig aus dem Orchester ausgetreten, niemand hat dich darum gebeten, geschweige denn rausgeschmissen. Ganz im Gegenteil …« Ich hob mein Instrument auf die Schulter, suchte Halt an Bens Seite. »Wir vermissen dich in unserem Ensemble
und wollten dich ganz sicher nicht austauschen. Beschwer dich also nicht, wenn du nur vertretungsweise gebraucht wirst.«
»Hab ich das?«
»Ja, schon.«
»Du musst dringend zum Ohrenarzt. Ein Musiker, der nicht richtig hört …«
Auf dem Absatz machte er kehrt und ließ mich mit einem Fragezeichen auf der Stirn zurück.
(13. Klasse, erstes Halbjahr)
Wie stets an einem Freitagnachmittag schlenderte ich den Gang im oberen Stockwerk des Gebäudes entlang, um mein Euphonium nach der Probe zum Schließfach zu bringen. Schon lange hatte ich ein eigenes, hochwertiges für die Schule angeschafft.
Ich kam am Musikzimmer vorbei und staunte nicht schlecht, dass um diese Uhrzeit jemand darin spielte. Gediegene Klaviertöne schallten durch die Tür, ein trauriges Stück war angestimmt worden. Ich kannte es. Spielte es oft genug selbst. Ich lehnte mich gegen die Wand, schloss die Augen, ließ die Melodie in mich fließen und fühlte sie. Die Anschläge waren flüssig, kein Stocken, kein Zögern. Keinerlei Patzer. Sekunden später war mir klar, dass das nur Mirco sein konnte. Ich vermisste sein Klavierspiel. Hatte ihm viel zu lange nicht mehr lauschen können. Sein an mich gerichtetes Lob – obwohl bereits ein Jahr vergangen war – war immer noch präsent. Ich dachte oft daran, wenn wir per Zufall in einem der Flure aneinander vorbeiliefen und uns kaum mehr als einen Blick schenkten. Genauso oft wie sein Lob in meinen Gedanken auftauchte, dachte ich auch an die Worte, die er damals zu mir gesagt hatte: »Du erinnerst mich an einen Freund.« Nicht erst einmal hatte ich mir die Frage gestellt, ob er mich deswegen so sehr gehasst hatte, bevor ich Luft für ihn wurde.
Aus einem Impuls heraus schlich ich in den Raum und hielt den Atem an. Er saß mit dem Rücken zu mir, vollkommen auf das Klavierspiel konzentriert. Sein dunkles Nackenhaar kringelte sich am Ansatz seines Pullovers, der so eng saß, dass er den Blick auf ein wohlgeformtes Kreuz und hübsch definierte Schultern freigab. Die Ärmel hatte er hochgeschoben, wie immer, wenn er spielte. Auch wie stets trug er zerschlissene Jeans und abgetretene Sneaker. Trotz der in die Jahre gekommenen Klamotten hatte Mirco sich gemacht. Er war ein gut aussehender Typ. Einer, dem man unweigerlich einen Blick hinterherschickte, wenn er an einem vorbeilief.
Ich fasste mir ein Herz. Wir waren reifer geworden, erwachsener, sollte man meinen. Das letzte Jahr, seit dem Weihnachtsmarktkonzert, war schnell wie ein Wimpernschlag vergangen. Kein einziges Wort hatten wir seitdem gewechselt.
Leise stellte ich mein Instrument ab und schob mich neben ihn auf die Pianobank. Aus seinem Fluss gerissen hielt er inne und blickte mich an. Ein wehmütiges Lächeln legte sich auf seine Lippen. »Ciril? Der Herr
wünscht?«
Die Anspielung auf meinen Vornamen verursachte mir Gänsehaut. Ich blinzelte verwirrt. »Woher weißt du?«
»Ich habe für ein Referat Namensforschung betrieben und konnte nicht widerstehen, Ciril in die Suche einzugeben.«
»Wow! Ich … bin sprachlos.« Vor allem, dass er die Herkunft meines Namens nicht als Beleidigung gegen mich verwendete. Mit hart klopfendem Herzen wechselte ich das Thema. »Wieso bist du hier? Es ist Wochenende.«
»Ich spiele nicht mehr.«
»Das klang eben anders.«
»Nein, du verstehst nicht. Ich habe das Spielen aufgegeben. Ich übe nicht mehr.«
»Oh!« Erstaunt sah ich auf seine Hände, die langsam von der Klaviatur auf seine Oberschenkel rutschten. »Du kannst doch
nicht einfach aufhören. Ich meine, du bist brillant und du hattest Träume. Ich bin fest davon ausgegangen, dass du mittlerweile in einer Band spielst und dich deswegen vom Orchester getrennt hast.«
»Nichts ist einfach. Vor allem ist nichts so, wie es scheint. Derzeit konzentriere ich mich aufs Abi und werde danach im Studium abtauchen, damit ich mir irgendwann eine anständige Wohnung leisten kann.«
»Was hat die Musik damit zu tun? Du liebst das Spielen. Außerdem wohnst du gar nicht mehr zu Hause, du hast doch eine eigene Bude.«
»Da weiß ja einer Bescheid, hm?«
»Es hat sich rumgesprochen. Die coolsten Partys an den Wochenenden finden bei Mirco statt.«
Nachdenklich senkte er den Kopf. »Sie sind wirklich cool, wieso warst du noch nie da?«
»Weil der Mieter der Wohnung mich hasst?«
»Ach Ciril.« Flüsternd kamen diese Worte bei mir an, bevor er den Blick wieder anhob und mir fest entgegensah. »Ich kann nicht rückgängig machen, was passiert ist.« Er haderte kurz, redete dann entschlossen weiter. »Ich hab viel um die Ohren, Musik passt nicht mehr in mein Leben. Das Dach über dem Kopf zahle ich zur Hälfte selbst, dafür gehe ich neben der Schule arbeiten, den Rest schießt meine Großmutter dazu. Willst du wissen, warum? Meine Eltern haben mich rausgeschmissen, als ich mich geoutet habe. Wir nehmen dir den Flügel weg, bis du zur Besinnung kommst.
Das war ihre Reaktion darauf.«
Rein aus Reflex fasste ich an seinen Unterarm. Die ungeheuerliche Botschaft sickerte wie Gift in mich. »Du?«
»Ausgesucht hab ich’s mir nicht.« Seine Kiefer pressten sich aufeinander, als er auf unsere Verbindung herunter schielte. Ich spürte, dass er leicht bebte, doch er zog den Arm nicht zurück.
»Mirco, wieso hast du nicht –«
»Willst du jetzt etwa fragen, wieso ich mich damit nicht vertrauensvoll an dich gewendet habe?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich hab den Spieß umgedreht, gesagt, dass ich nie wieder spielen werde, wenn sie nicht akzeptieren, dass ich bin, wie ich bin. Zwei Wochen später bin ich ausgezogen. Ich befürchte, sie haben meinen Flügel mittlerweile entsorgt. Ich war seitdem nicht mehr dort.«
Bewegt streichelte ich über seinen nackten Unterarm. »Ich hab eben draußen gestanden und zugehört. Es hat nicht lange gedauert, bis ich ahnte, dass nur du hier sitzen kannst.«
»Ich bin empört, du hast mein Spiel nicht sofort erkannt?«
»Es tut mir furchtbar leid, großer Meister. Das wird nicht mehr vorkommen.« Mirco lachte auf und die Stimmung änderte sich urplötzlich, wurde lockerer. »Spiel weiter, hm? Ich möchte gern bleiben, wenn es dich nicht stört.«
Er wendete sich den Tasten zu. »Ich hab Pünktchen mit Peanut Butter M&Ms bestochen, damit er mir einen Schlüssel für diesen Raum überlässt. Ab und zu zieht es mich eben doch an einen Flügel.« Bedauernd huschte sein Blick über das abgegriffene Klavier. »Besser als nichts.«
»Pünktchen ist schon ein toller Typ. Aber er ist alt geworden.«
»Er erträgt uns seit der Fünften. Wer wird da nicht alt?«
»Bei dir musste er nichts ertragen. Du warst von Anfang an sein Lieblingsmusikschüler. Er konnte dir am Klavier nichts mehr beibringen.«
»Stimmt. Die grauen Haare hat er von dir. Daran ist er selbst schuld. Immerhin hat er dich ans Euphonium gezwungen.« Mirco schmunzelte, als ich die Augen verdrehte. »Sagen Sie mir, der Herr
, welches Blasinstrument hätten Sie denn eigentlich gewählt, wenn Sie die freie Wahl gehabt hätten?«
»Keines«, wisperte ich und legte meine linke Hand auf der Klaviatur auf.
Mit offenem Mund starrte Mirco mich an. »Okay«, murmelte er lang gezogen. »Das ist mir neu. Zeig mir, was du drauf hast, lass uns spielen.«
»Nein, ich … kann das nicht mehr. Ich bräuchte Noten und bin total eingerostet.« Beschämt wollte ich die Hand wegziehen, doch Mirco hielt mich zurück, streichelte über meine ausgestreckten Finger und untermauerte damit die Unbefangenheit dieses Gesprächs. Es war das erste Mal, dass wir uns auf Augenhöhe unterhielten, und mein Herzrasen wurde verdrängt von dem warmen Gefühl, das in mir Einzug hielt.
»Noten hab ich keine hier. Nenn den ersten Song, der dir einfällt. Du bist nicht eingerostet, du entlockst dem goldenen Ungetüm die sanftesten Töne, das geht nur, wenn die Finger wie geschmiert funktionieren. Also los. Was hast du früher gern am Piano gespielt?«
»My heart will go on
.«
Er schenkte mir ein feines Lächeln. »Sehr schön. Ein Klassiker für Fortgeschrittene. Du stimmst an, ich folge dir.«
Ich bekam einen Schweißausbruch, schielte verlegen auf die Tasten. »Kannst du nicht …?«
»Natürlich«, murmelte er und schlug tatsächlich die ersten Töne des Stücks an. Holprig fand ich mich in die Melodie ein und erinnerte mich entfernt an die Noten. Mirco war ein begnadeter Spieler, er war es, der uns sicher durch die Strophen brachte, mich mit sich zog und Patzern von mir keinen Raum ließ. Bei jeder falschen Taste, die ich traf, zuckte er zwar zusammen, bekräftigte mich aber stets mit einem Schmunzeln und einem auffordernden Blick. Ich wurde selbstsicherer, während uns die Melodie mit jeder vergehenden Minute weiter verband. Erst, als die letzten Anschläge verklungen waren, wir einen Moment brauchten, um wieder in der Realität anzukommen, rieb er verlegen beide Hände über seine Jeans.
»Ich hatte keine Ahnung, Ciril. Es tut mir wahnsinnig leid, dass du meinetwegen auf das Klavier verzichten musstest.«
»Niemand wusste das«, erwiderte ich rau. »Und es muss dir auch nicht leidtun. Ich mag das Euphonium mittlerweile sehr gern.«
Abermals lachte Mirco auf und ich konnte kaum den Blick von seinem Gesicht, vor allem aber von seinen Lippen reißen. Er sah umwerfend aus, wenn er ausgelassen und fröhlich war. Noch nie hatte ich das an ihm beobachtet. »Du bist unfassbar gut, meinst du wohl. Wenn du konstant hart übst, kannst du es weit bringen. Trotzdem tut es mir leid, wir hätten uns den Platz am Klavier teilen können.«
Ich schnaubte belustigt und Mirco sah mich entschuldigend an. »Okay, nein. Natürlich hätte ich nicht mit dir geteilt.«
»Das will ich meinen. Ich war das kleine, dickliche Blastier, schon vergessen?«
Tief durchatmend legte er den Kopf in den Nacken. Eine Entschuldigung erwartete ich nicht. Das war irgendwie geklärt. Vor allem aber waren die Wunden geschlagen, die Narben vorhanden – mit den Jahren würden sie etwas verblassen. Keine Entschuldigung der Welt würde sie wegzaubern können.
Klein und dick war ich nicht mehr. Dafür war ich in die Höhe geschossen und hatte das zu viel an Gewicht in die Länge gezogen. Ich sah aus wie ein Lauch mit aufgeblähten Armen, dem Euphonium geschuldet, dass ich stets wuchten musste.
Angereichert mit Mut fasste ich ihm an die Schulter, streichelte darüber. »Ich habe heute über die Schule das Angebot erhalten, beim nächsten Auftritt des Stadtorchesters ein Solo zu spielen, sozusagen als Vorband. Auch unser gesamtes Ensemble würde eine Viertelstunde im Anschluss an mein Solo bekommen. Es wäre unser allerletzter Auftritt in dieser Konstellation. Danach stehen die Klausuren an und die Abiturienten werden in die Welt entlassen.«
»Großartig. Was für eine mega Chance. Das könnte dein Sprung ins Stadtorchester sein.« Seine Augen glänzten und ich nahm ihm ab, dass er sich wirklich für mich freute. Zu meinem Erstaunen griff er nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger, drückte zuversichtlich zu. »Du wirst das rocken. Weißt du schon, was du spielen möchtest?«
»Was Schnelles vielleicht. Pirates of the carribean
oder so. Gian wird mich auf dem Klavier begleiten.«
»Ciril? Hast du Lust, mit mir was trinken zu gehen?«
»Ich …« Wow! Das kam unerwartet. »Keine Ahnung. Vielleicht?«
»Hat dein Freund was dagegen?«
Rasch schüttelte ich den Kopf, merkte, wie ich rot wurde. »Es gibt da keinen derzeit.«
Mirco legte den Kopf leicht schief. »Du tauschst deine Freunde ziemlich oft aus.«
»Was?« Ich riss die Augen auf, erwartete beinahe sofort einen Angriff. »Wie kommst du darauf?«
»Eine Vermutung«, erwiderte er allerdings mit ruhiger Stimme, ohne dabei fies oder beleidigend zu klingen. »Mir ist nur aufgefallen, dass ich dich selten mit ein und demselben Jungen mehrmals gesehen habe.«
Mir wurde noch heißer. »Das liegt an mir«, erwiderte ich matt. »Ich bin zu langweilig. Niemand hält es lange mit mir aus.«
»Ciril?« Die gesenkte Stimme ließ mich schüchtern aufblicken. »Du bist nicht langweilig. Ganz im Gegenteil. Du magst eher der stille Typ sein, aber auf der Bühne strahlst du und ziehst alle in deinen Bann. Vermutlich waren deine Freunde einfach feige und hatten Angst, irgendwann in deinem Schatten zu stehen.« Er zwinkerte frech. »Wenn ich dir verspreche, nicht wegzulaufen, gibst du mir die Chance, dich kennenzulernen? Umtauschrecht ausgeschlossen.«
(13. Klasse, zweites Halbjahr)
Die Orchesterprobe war längst vorbei, doch Gian, Pünktchen und ich saßen im Scheinwerferlicht unserer schuleigenen Bühne und übten. War ich sicher im Spiel, patzte Gian. War Gian einigermaßen klar, brach ich aus unerfindlichen Gründen ab. Der Wurm war drin. Vollends wurde ich aus dem Konzept gerissen, als Mirco sich durch die Saaltüren schlich.
»Der verloren gegangene, große Pianist«, tönte Pünktchen und winkte Mirco zu. »Schön, dass du uns besuchen kommst. Nur leider etwas zu spät, wir haben vor einer Viertelstunde Feierabend gemacht.«
»Ich möchte Ciril zuhören«, erklärte Mirco und platzierte sich in der ersten Reihe. Er lächelte etwas schief und ich war, wie so häufig in letzter Zeit, fasziniert von dem einen Grübchen, das sich immer zeigte, wenn er den Kopf beim Lachen in eine bestimmte Richtung neigte. »Seid ihr schon durch?«
Die Frage hallte zu mir herüber. »Es will nicht klappen. Wir hängen uns in der Mitte des Songs immer an einer anderen Stelle auf.«
Pünktchen ließ sich neben Mirco nieder. »Zwei Paar Ohren hören besser als ein Paar. Gut, dass du da bist. Die beiden treiben sich selbst in den Wahnsinn.«
»Na, dann mal los«, forderte Mirco uns auf. »Lasst mal hören.«
Schon nach den ersten angespielten Tönen verzog er das Gesicht. Im Visier hatte er Gian. »Ey, du bist nur die Klavierbegleitung, klar? Halt dich im Hintergrund. Wenn du weiter auf die Tasten einschlägst, reißen die Saiten.«
Ich kicherte, bedeutete Gian, dass er nichts auf Mircos Sprüche geben sollte und wir stimmten erneut an. Doch auch die nächsten Versuche scheiterten. Entschuldigend stellte ich das Euphonium zur Seite. »Tut mir leid, ich bin durch für heute.«
»Und jetzt?« Mirco kam zum Bühnenrand und sah zu mir hoch.
»Jetzt gehen wir ein Bier trinken und stoßen auf das Wochenende an.« Diese Worte hörten sich für mich immer noch merkwürdig an. Kaum zu glauben, dass wir so etwas wie Freunde waren. So sehr ich damit gerechnet hatte, dass er sich nur aus einer Laune heraus mit mir abgab, umso mehr zeugten unsere Treffen vom Gegenteil. Ich fühlte mich wohl und irgendwie auch sicher in seiner Gegenwart.
»Ja, später«, wiegelte er ab. »Ihr könnt nicht ohne Erfolgserlebnis von der Bühne.«
»Es klappt heute nicht.«
Pünktchen gesellte sich dazu. »Seit du weißt, dass du ein Solo spielst, klappt es nicht mehr. Ich verzweifle bald mit euch beiden.«
»Es tut mir leid, vielleicht sollte ich lieber absagen. Ich mache mir vor Angst in die Hose, wenn ich nur daran denke, allein irgendwo auf der Bühne zu stehen und zahlendes Publikum vor mir zu haben.«
»Bist du verrückt? Hier wird nichts abgesagt.« Mit einem Satz war Mirco oben. »Ich sag dir was, es ist das falsche Stück.« Er zog einen Zettel aus der Hosentasche und entfaltete ihn, hielt ihn mir vor die Nase. »Das hier solltest du spielen.«
Ich las den Titel, überflog die ersten Notenzeilen. »Das ist ja noch schwerer.«
»Papperlapapp. Das ist genau dein Stück. Das möchte ich von dir hören, nichts anderes.« Er hielt auch Gian den Zettel hin, der räusperte sich verhalten.
»Sorry, aber da bin ich raus. Hab ich noch nie gespielt.«
»Autsch! Du kennst als Pianist You raise me up
nicht? Das ist hart.« Er zauberte einen zweiten Zettel aus der Hosentasche und strich ihn glatt. »Klaviernoten! Damit du üben kannst.
Glaubt mir, es wird großartig klingen, wenn ihr aufeinander abgestimmt seid.«
Himmel, Mirco war herrlich erfrischend, wenn er in seinem Element der Musik badete. Ich wagte nicht, ihm zu widersprechen. Wenn Mirco von seiner Idee überzeugt war und selbst Pünktchen keine Einwände erhob, musste es einfach gut werden.
»Lass uns anfangen«, befahl er mit einem breiten Grinsen, zog seine Jacke aus, schob die Ärmel des Pullovers nach oben und nahm links von Gian Platz, während ich mein Instrument wieder aufnahm.
Kurz diskutierten sie flüsternd miteinander, bis Pünktchen ein Zeichen gab. »Bist du bereit, Ciril?«
Ich nickte stumm, sah zu den beiden Jungs am Klavier. Mircos Lippen bewegten sich, vermutlich zählte er einen Takt für Gian vor und dann begann er, das Lied anzustimmen, es Gian vorzuspielen.
(Wochen später)
Es war bereits tiefdunkle Nacht, als ich wie ein Wahnsinniger auf den Klingelknopf drückte und gegen die untere Eingangstür wummerte. Die Sprechanlage knackte, Mircos verschlafene Stimme brummte mir entgegen. »Wer stört?«
»Mach mal auf. Es regnet.«
»Bist du verrückt geworden? Es ist zwölf Uhr durch.«
»Als würdest du schon schlafen.« Im selben Moment ertönte der Türmechanismus und ich stürmte drei Stockwerke mit Euphonium auf dem Rücken nach oben.
Tatsächlich blinzelte Mirco mir verschlafen entgegen und gähnte demonstrativ. »Ich hoffe, es ist wichtig.«
»Freunden macht man auch mitten in der Nacht auf.«
Mirco seufzte, ließ sich auf einen der beiden Stühle im Erker fallen und rieb sich über die Augen. In der Altbauwohnung roch
es nach Rauch, das war aber auch die einzige Beanstandung. Mirco war der ordentlichste Mensch, den ich kannte. Alles war penibel aufgeräumt und sauber. Lediglich auf dem Tisch stapelten sich Unmengen von Papieren und Büchern – Vorbereitungen für die Abschlussklausuren. Ich legte das Instrument ab und fläzte mich unweit von ihm auf die Couch.
»Du arbeitest noch? Ich dachte, ich hätte dich geweckt.«
»Beides. Bin auf dem Stuhl eingeschlafen.«
»Was paukst du?«
»Mathe.«
Ich lachte. »Du warst immer Klassenbester, auch in Mathe. Sag nicht, daran hat sich in der Oberstufe etwas geändert. Wozu lernst du überhaupt?«
»Ich will die fünfzehn Punkte.«
»Die fliegen dir doch eh zu. Ich wär schon froh, wenn ich nicht durchfalle.«
»Nicht dein Ernst, Ciril.« Perplex starrte er mich an. »Ich dachte, du hast dich etwas gefangen und deine Noten verbessert?«
»Na ja …«
»Okay, Stop. Wir werden lernen – gemeinsam. Ich erwarte in jedem Prüfungsfach mindestens sieben Punkte von dir, sonst hau ich dir die Ergebnisse um die Ohren.«
»Aber ich bin wirklich, wirklich schlecht.«
»Das ist keine Ausrede, dann musst du mehr üben.« Er lehnte sich erschöpft zurück und musterte mich. »Warum bist du eigentlich hier? Sicher nicht, um mit mir über Prüfungsstoff zu quatschen. Also, der Herr
, wo kommen Sie um die Uhrzeit her und was kann ich für Sie tun?«
»Wir haben geprobt. Bei Gian zu Hause. Es will nicht klappen. Wir können es durchspielen, aber irgendwo hakt es immer. Das ist zum Verrücktwerden.«
»Dabei ist es so ein starkes und zugleich zartes Stück. Am Piano und mit Blasinstrument ganz wundervoll in Kombination anzuhören. Ich kann die Woche gern noch mal bei einer Probe vorbeischauen.«
»Ich befürchte, einer von uns beiden wirft bald das Handtuch.« Ausgepowert legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. »Mirco?«
»Hm?«
»Begleite mich.«
Er gluckste. »Wo lebst du denn? Glaubst du ernsthaft, ich lasse mir diesen Auftritt entgehen? Das wird der erste Meilenstein deiner Karriere.«
»Du bist ein Spinner. Ich meinte eigentlich, begleite mich am Klavier.«
»Ach fuck, Ciril.« Beidhändig rieb er sich über das Gesicht und durch das dichte braune Haar. »Ich bin raus, das weißt du.«
»Du redest Müll. Mirco, bitte … für mich?«
Ich klimperte mit den Wimpern und entlockte ihm einen Lacher. »Dein Welpenblick zieht nicht.« Dennoch hob er seine müden Knochen vom Stuhl, setzte sich vor mir auf den Boden und lehnte sein Kinn an meinen Oberschenkel. »Und Gian bekommt dann was von dir gesagt?«
Den Jubel verkniff ich mir, zog stattdessen mit geschlossenen Augen die Unterlippe zwischen die Zähne, um mein breites Grinsen zu vertuschen, und tastete blind nach seiner Hand. Gemächlich umfasste er die meine, begann, irgendwie verträumt, mit meinen Fingern zu spielen, und Wärme flutete mich. Das war neu. Eine solche Nähe zu Mirco hatte es seit Beginn unserer Freundschaft nie gegeben. Verrückterweise flatterte in mir eine Horde Schmetterlinge los.
In meinem Hals bildete sich ein Klumpen, ich krächzte beinahe. »Ich sage ihm, dass ich das Stück nur mit meinem
Freund spielen möchte. Er wird den Platz dankend an dich abgeben.«
Irre Stille folgte. Ich hörte ihn tief Luft holen und spürte, wie er den Mund auf meine Jeans presste. Sein heißer Atem drang durch den Stoff und keine zwei Handbreit davon entfernt beulte sich die Hose unter meiner aufkommenden Erregung aus. Sachte zog er unsere verschränkten Finger in diese Richtung und strich mit seinem Handrücken bedächtig über die Wölbung. In dem Moment fluteten mich längst verdrängte Bilder unschöner Begegnungen. Ruckartig richtete ich mich auf. »Ich glaube, ich muss jetzt gehen.«
Über Mircos Gesicht huschte ein Schatten. Er zog sich zurück und nickte. »Ich werde für dich spielen, versprochen. Und Ciril? Wir werden jede gottverdammte, freie Minute üben. Sowohl das Stück als auch den Stoff für deine Prüfungsfächer. Richte dich darauf ein.«
»Es tut mir leid«, wisperte ich und schulterte mein Instrument.
»Mir erst«, entgegnete er ebenso leise. »Jetzt geh und schlaf dich aus, denn ab morgen werde ich dich quälen. Solange, bis du keine Noten mehr brauchst und alles andere auswendig kannst.«
(Kurz vor dem Abschluss)
Während die letzten Töne verklangen und sich eine geisterhafte Stille über den Konzertsaal legte, begann meine Nervosität wieder anzuwachsen. War das gut gewesen? Wieso starrten mich alle an?
Verhalten begann ein Klatschen in den hinteren Reihen, Sekunden später brandete ein phänomenaler Applaus auf. Ich begann zu zittern, sah mich hilflos nach Mirco um. Er lächelte schief, verneigte sich leicht in meine Richtung, erhob sich daraufhin und kam mit ausgestrecktem Arm auf mich zu. Fest
nahm er meine Hand in die seine und richtete mich zum Publikum aus. Gemeinsam verbeugten wir uns tief.
Wahnsinn – ich hatte es tatsächlich geschafft. Wir hatten es geschafft!
Mirco lehnte sich zu mir. »Meinen aufrichtigen Glückwunsch, Ciril Blasic. Deine Karriere kann beginnen.«
Die ganze angestaute Angst entlud sich und plötzlich liefen mir Tränen über die Wangen. Ich fiel Mirco um den Hals und vergrub mein Gesicht an seiner Haut und bebte vor mich hin. Die Erwiderung seiner Umarmung tat verdammt gut. Er zog mich eng an sich, genau so, wie ich es in diesem Moment brauchte, um Halt zu finden und nicht abzuheben.
Doch irgendwann löste er sich von mir und zog mich von der Bühne. In dem Raum, in dem wir unsere privaten Sachen deponiert hatten, sah er mich fragend an. »Gehen wir was trinken? Anstoßen auf deinen Erfolg?«
»Ich muss noch bleiben, das Schulorchester …«
»Stimmt ja. Ich warte hier auf dich.«
All meinen Mut zusammennehmend trat ich dicht vor ihn und forschte in seinem Gesicht nach irgendeinem Zeichen der Ablehnung. Doch er sah mich verträumt an, mit leicht geöffneten Lippen, geröteten Wangen. Sein Atem streifte meine Haut und mein Herz klopfte wilder – diesmal nicht dem Auftritt geschuldet. »Danke, Mirco. Danke, dass du das für mich getan hast.« Zurückhaltend legte ich die Hand an seine Wange und lehnte mich vor. Er war es, der die letzte Distanz überbrückte, die Lippen erst zart, dann unfassbar hungrig auf meine presste und dabei murmelte: »You raise me up …«
~*~*~*~
Mitternacht war durch, noch immer hielt ich mich im Erkerzimmer auf. In wenigen Stunden kam das Taxi, um mich zum Flughafen zu bringen. Die nächsten drei Wochen würde
ich asiatischen Boden unter den Füßen haben. Wie stets vor einer Tournee war ich angespannt und kämpfte gegen Übelkeit an, nicht in der Lage, zu ruhen und die Reise gelassen anzutreten. Diese bedrückende Stille in der Wohnung hatte mir zudem zugesetzt.
Zum wiederholten Mal klappte ich die Klaviatur des Flügels auf und ließ mich auf der Pianobank nieder. Ein paar Lieder stimmte ich an, kam aber nie über die holprige erste Strophe hinaus. Ich war kein Pianist. Nie gewesen. Meine Kindheitserinnerungen waren offensichtlich sehr trüb. Ich hatte mir stets eingeredet, gut gewesen zu sein.
Seufzend startete ich das Tablet und öffnete den Browser. Zu meinem Verdruss gab es keinerlei Klaviernoten in dieser Wohnung – ich suchte sie mir daher im Netz. Fündig geworden, stellte ich das Gerät auf den Körper des Flügels und schlug die ersten Töne an. Mehrfach. Wiederholend. Erst dann ließ auch ein Teil der inneren Anspannung nach und ich konnte mich in das Stück hineinfühlen. Verhalten summte ich mit, während die exakt gestimmten Saiten ihre filigranen Töne durch die Wohnung schickten.
~*~*~*~
Abgehetzt und erschöpft von der Reise kam Mirco im dritten Stock an und staunte nicht schlecht, dass Töne seines Flügels aus der Wohnung in den Hausflur drangen. Ein fettes Grinsen eroberte sein Gesicht, kannte und liebte er doch das Stück. Vor allem aber liebte er denjenigen, der es gerade spielte. Geräuschlos betrat er die Wohnung und ging direkt ins Erkerzimmer durch.
Da saß Ciril, sein Mann, sein Gegenpol, sein Liebster, und blickte auf das Tablet. War bemüht darum, die Geschwindigkeit des Stückes zu halten. Dabei summte er die Melodie und sah zum Niederknien aus. Mirco schlich zu ihm, drückte einen
federleichten Kuss auf den freien Nacken und lächelte ihn an, als er ihm den Kopf zuwandte.
»Oh, Gott sei Dank, du bist da!«, stieß Ciril verzweifelt aus. »Ich habe wirklich geglaubt, du schaffst es nicht.«
»Tief durchatmen«, antwortete er sanft und drückte einen weiteren Kuss auf Cirils Mund. »Niemals würde ich dich reisen lassen, ohne dich vorher zu erden. Ich weiß doch, dass du dich sonst bis zum Nervenzusammenbruch aufreibst.« Er schob sich neben seinen Mann auf die Bank, wischte mit dem Ärmel einen Fleck, der ihm ins Auge stach, von der polierten Fläche und nahm Ciril in den Arm. »Du spielst unser Lied? Seit wann sitzt du wieder am Flügel?«
»Ab und zu in den letzten Monaten. Aber ich höre lieber dir zu.« Müde lehnte er sich gegen ihn. »Ich kann es ohnehin nicht mehr.«
»So schlecht klang das gar nicht. Komm, schieb deinen sexy Hintern ein Stück nach links, wir probieren es vierhändig.«
»Bist du nicht auch todmüde?«, antwortete Ciril und unterdrückte ein Gähnen. »Lass uns die paar Stunden, bis das Taxi kommt, im Bett verbringen.«
»Hat mein Bläser etwa Sehnsucht?«
»Wie verrückt«, erwiderte Ciril postwendend und fasste ihm in den Schritt. »Vergiss, dass ich ohne fahre, jetzt, wo du hier bist.«
»Euphoniumspieler kommt zu spät zu seinem Konzert, weil er dringende, sexuelle Bedürfnisse stillen musste. Ich sehe die Skandalschlagzeile bereits vor mir.«
»Matheprof verantwortlich für die Absage eines Konzerts in ausgebuchter Philharmonie, da er nicht rechtzeitig von der Uni München nach Hamburg reiste, um seinen Mann gebührend zu verabschieden. Wer wird für den Schaden aufkommen?«
Er lächelte Ciril liebevoll an, der vor Aufregung rote Flecken im Gesicht hatte und platzierte sich anständig vor der Klaviatur.
Wartete, bis sein Liebster es ihm seufzend gleichtat. Die Noten rief er aus dem Gedächtnis ab, stimmte das Stück an und wenig später, als er den Takt gefunden hatte, stieg Ciril mit ein. Trotz mehrerer Jahre gemeinsamen Spielens musste er jedes Mal perplex blinzeln, wenn Ciril den Ton nicht traf. Zu seinem Glück waren diese Missgeschicke aber ausschließlich auf das Pianospielen begrenzt. Mit dem Euphonium war sein Herzblatt mittlerweile unter den Top Zwanzig in der Weltrangliste angekommen.
Mirco wunderte sich nicht, als Ciril erst eine Hand und wenig später auch die zweite Hand von den Tasten stahl und ihn allein weiterspielen ließ. Dafür bekam er großes Kino und seine Aufmerksamkeit galt nicht mehr nur dem Klavier, sondern zu gleichen Teilen Ciril, der sich von der Kleidung befreite und ihm anschließend die Hose öffnete. Sich köstlich amüsierte, als dann doch auch bei seinem Spiel der ein oder andere schlechte Ton dazwischenfunkte, während er verwöhnt wurde.
Ciril summte ihr Lied und knabberte sich von seinem Ohrläppchen über die Wange, leckte genussvoll über seinen Mundwinkel. »Gib mir meine Dosis Kraft«, wisperte er und kniete sich auf die schmale Bank. Mirco entkam ein Knurren. Nun vollends aus dem Takt gebracht, unterbrach er das Spielen. Neckend und sanft zugleich strich er zwischen den Pobacken seines Mannes entlang und war nicht erstaunt, dass er bereits vorbereitet war.
Das war Ciril. Der treueste, liebevollste und ruhigste Mensch, den er kannte. Ein Mann, dessen Schuldenkonto rein war, der verzeihen konnte, einer, der seine Ziele verfolgte und sich nicht unterkriegen ließ. Seit Ciril sich ihm damals geöffnet hatte, hatte er jedes einzelne Zeitfenster dazu genutzt, sie beide bis obenhin mit Liebe vollzustopfen. Obendrein war Ciril wohl der hingebungsvollste Bettgefährte, den Mirco sich jemals hätte wünschen können.
»Bereit?« Er schwang sein Bein über die Bank und presste sich an den Hintern seines Liebsten, streichelte über die warme Haut. »You raise me up
«, murmelte er und als Ciril nickte, füllte er ihn aus.