Jan, Jaan und eine Nacht in Amsterdam
BASTIAN SÜDEN
Na endlich! Ich kicke die Tür hinter mir zu, bugsiere den Trolley an die Wand und lasse mich in den durchgesessenen Lehnstuhl fallen, bei dem es sich um die einzige vernünftige Sitzgelegenheit in diesem Zimmer handelt. Zwar ist das Kissen unbequem, trotzdem fällt nun etwas Anspannung von mir ab. Seufzend strecke ich die Glieder von mir.
So ein anstrengender Tag! Wieder einmal …
Ich löse den Krawattenknoten und schnippe die obersten Hemdknöpfe auf. Ein herrlich kühler Luftzug streicht über meine Haut und mein Blick wandert über das übrige Mobiliar. Dieses besteht aus einem Bett auf einem filigranen Holzgestell, einem wackeligen Tischchen und einer Stehlampe mit angestaubtem Schirm. Die grünliche Blumentapete versetzt einen zurück in die 70er-Jahre und es gibt bloß ein einziges Fenster. Es steht auf Kipp. Ganz leise ist das Stimmengewirr zu hören, das von den Leuten herrührt, die ringsum die Straßen bevölkern.
Schließlich rapple ich mich doch auf und blicke hinaus. Ein dunkler Innenhof. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine Durchfahrt, durch die das rötliche Licht dringt, das über der ganzen Gegend liegt. Warum ich mich in einer Billigabsteige mitten im Amsterdamer Hurenviertel befinde, ist eine lange Geschichte.
Die Kurzfassung: Tagsüber war ich geschäftlich in Paris unterwegs. Antrittstermine bei unseren neuen Klienten. Der Chef schickte mich, da ich von uns allen das beste Französisch
spreche. Als hätte ich nicht schon genug um die Ohren! Morgen stehen die nächsten Termine in Berlin an und für die habe ich noch nicht einmal Präsentationen vorbereitet. Keine Ahnung, wann ich all das erledigen soll. Lieber nicht nachdenken.
Eigentlich würde ich mich gerade im Flugzeug nach Berlin befinden, hätten sich nicht die französischen Fluglotsen kurzerhand zu einem Streik entschlossen. Dazu kommen die unergründlichen Gedankengänge unserer Büroassistentin. Selbstverständlich gäbe es auch eine direkte Bahnverbindung zwischen den beiden Städten, aber nein, sie buchte ein Ticket über Amsterdam. Ich muss also nicht nur einen unnötigen Umweg machen, sondern auch noch einen Übernachtungsstopp einlegen und für diesen wählte sie die heruntergekommenste Bleibe, die im Internet nur aufzutreiben war.
Scharf ziehe ich die Luft ein. Lieber nicht ärgern. Das Einzige, was ich im Moment brauche, ist ohnehin bloß eine Mütze Schlaf, und diese wird ja hoffentlich auch in dieser Unterkunft zu bekommen sein.
Weil ich mir vorher aber noch etwas Frischluft gönnen möchte, öffne ich das Fenster und strecke mein Gesicht hinaus in die Nacht. Prompt strömt mir jener Duft in die Nase, für den Amsterdam in der ganzen Welt bekannt ist. Nach der Quelle suchend drehe ich meinen Kopf nach oben und werde rasch fündig. Von dem offenstehenden Fenster direkt über mir geht Licht aus. Ein Schatten verrät, dass eine Person auf dem Fensterbrett sitzt und man muss keine Spürnase sein, um zu bemerken, dass dieser jemand gerade an einem Joint zieht.
Tief sauge ich den Geruch ein. Wie lange es wohl her ist, dass ich zum letzten Mal gekifft habe? Auf alle Fälle war ich damals noch ein Student und seit meinem Uni-Abschluss sind mittlerweile fünf Jahre vergangen. Seitdem ich in der Agentur arbeite, bleibt mir schlicht keine Zeit dafür, mir abends mal gepflegt den Kopf wegzuballern. Ich bin ja ständig am Arbeiten.
Mein Leben besteht nur noch aus Meetings, Präsentationen und Kliententerminen.
Den Duft mag ich jedoch immer noch. Ich lasse ihn in meine Lunge strömen, schaue in die Dunkelheit und gönne mir ein paar Momente, in denen ich nicht an die Agentur denke. Geräusche und Schattenbewegungen verraten, dass der Joint gerade ausgedämpft wird. Schließlich klackert etwas und wenige Augenblicke später ertönt … ein Ton.
Er ist langgezogen und hört sich blechern an. Er stammt wohl aus einer Mundharmonika.
Plötzlich komme ich mir vor, als würde ich mich in einem Western befinden, denn die Melodie ist sehr bekannt. Spiel mir das Lied vom Tod
.
Während die nächsten Töne in meine Ohren dringen, schnippe ich die restlichen Knöpfe auf und streife das Hemd von meinen Schultern. Bald haben wir Juli und tagsüber war es brütend heiß. Die Nachtluft, die jetzt auf meine nackte Haut trifft, lässt mich erschaudern. Oder ist die morbide Melodie der Grund dafür?
Plötzlich verstummt sie. Jetzt wäre ich aber in Stimmung für etwas Musik, also fange ich an, eine Melodie zu pfeifen. Ich nehme die erstbeste, die mir in den Sinn kommt. Sie ist zumindest ein kleines Bisschen fröhlicher. Bruder Jakob
– ding dang dong, ding dang dong …
Mittendrin setzt plötzlich die Mundharmonika wieder ein. Sie nimmt meine Melodie auf und spielt das Lied weiter. Okay, die Person da oben hat mich also gehört. Ist ja lustig. Ich schmunzle.
Als das Instrument wieder verstummt, überlege ich mir die nächste Melodie. Keine Ahnung, wie ich ausgerechnet auf die Europahymne komme. Vielleicht, weil sie sich leicht pfeifen lässt. Ich forme meine Lippen und lege los. Auch diesmal steigt die Mundharmonika ein und spielt die Ode an die Freude
zu Ende.
Ist ja ein nettes Spiel, trotzdem sollte ich endlich ins Bett. Nicht nur, weil ich hundemüde bin, sondern auch, weil ich morgen bereits um vier wieder aus den Federn muss. Die Bahn geht extrem früh und ich sollte zumindest ein paar Stunden Schlaf bekommen, denn auf dem Weg nach Berlin muss ich die Präsentationen vorbereiten und am Nachmittag stehen bereits die Termine an.
Eine Gute-Nacht-Zigarette könnte ich mir aber trotzdem noch genehmigen.
Da ich im Gegensatz zu meinem musikalischen Nachbarn Rauchverbote beachte, schlüpfe ich also noch einmal in mein Hemd und bewege mich hinunter in die Lobby und schließlich hinaus auf die quirlige Straße.
~*~*~*~
Erschlagen von den vielen Eindrücken lehne ich mich an die Hausmauer und zünde mir die Kippe an. Ein laut plappernder Menschenstrom zieht vorbei. Es sind vorwiegend Kerle, die allermeisten sind angeheitert.
Das Hotel befindet sich eben im Zentrum des Rotlichtviertels. Mein Blick fällt auf die gegenüberliegende Häuserzeile, in der sich jene Schaufenster aneinanderreihen, für die Amsterdam ebenfalls berühmt ist. Sie verströmen das rötliche Licht. Bei manchen sind Gardinen vorgezogen, in den andern rekeln sich langbeinige Frauen in Spitzenunterwäsche auf Barhockern – Prostituierte. Immer wieder springt eine auf und klopft von innen gegen die Scheibe, um den vorbeigehenden Kerlen zu bedeuten, dass sie doch nähertreten sollen.
Wäre ich hetero, würde ich diese Szenerie vielleicht aufregend finden. Gerade überfordert mich die Situation aber, also nehme ich hastig die nächsten Züge und in Gedanken bin ich bereits wieder oben auf meinem Zimmer.
Direkt neben mir befindet sich die automatische Schiebetür, die in die Lobby führt. Diese geht auf und ein schluderig gekleideter Typ mit blonden Dreadlocks tritt heraus. Aus irgendeinem Grund zieht er meine Aufmerksamkeit auf sich.
Mit dem Holzkettchen an seinem Hals spielend blickt er sich um. Offenbar, weil er nicht weiß, in welche Richtung er lieber losstarten soll. Schließlich macht er aber bloß zwei Schritte auf mich und den Aschenbecher zu und zündet sich ebenfalls eine Zigarette an.
Er postiert sich direkt vor mir. Automatisch geht mein Blick hoch, denn er überragt mich um ein paar Zentimeter, und das, obwohl ich mit meinen eins zweiundachtzig auch nicht gerade ein Zwerg bin. Mich trifft ein herausfordernder Blick, von dem ich nicht weiß, was er zu bedeuten hat.
»Hey«, sagt der Fremde.
Ich nicke und rauche weiter.
Es kommen weitere Worte aus seinem Mund. Nur verstehe ich kein einziges, denn sie sind auf Niederländisch. Zwar kann man sich bei dieser Sprache manchmal zusammenreimen, was gemeint ist, diesmal gelingt es mir aber nicht, also zucke ich bloß mit den Schultern.
Er lächelt mich an und mir fällt das sympathische Muttermal neben seiner Nase auf. »Sprichst du Deutsch?«
Ich nicke und sein Lächeln geht in die Breite. Da ist auf einmal ein komisches Gefühl in meinem Bauch.
»Gehst du heute noch auf die Jagd?«, will er in fast akzentfreiem Deutsch wissen.
»Wie bitte?«
»Na, hier …« Er macht eine allumfassende Geste in Richtung der Schaufenster.
»O nein!«, schießt es aus meinem Mund. Verlegen lachend winke ich ab. »Nein, ich übernachte bloß hier. Es ist reiner Zufall, dass ich in diesem Hotel wohne.« Im Grunde könnte es
mir egal sein, trotzdem will ich nicht, dass er mich für einen Freier hält.
»Ach so«, kommt es von dem Fremden zurück.
Die nächsten Momente verbringe ich damit, ihn zu mustern. Keine Frage, er ist eine interessante Erscheinung – recht sportlich gebaut und schon allein aufgrund seiner Körpergröße ein Blickfang. Dazu kommen die langen Dreadlocks, die von einem roten Band zusammengehalten werden, und ein jugendlich glattes Gesicht. Bekleidet ist er mit einem bunten Batik-Shirt und einer braunen Cordhose, die so locker auf seinen Hüften sitzt, dass sie ihm jeden Moment hinunterrutschen könnte.
»Ich auch nicht«, behauptet er nun.
»Ach, also bist du auch bloß zufällig hier?«
»Könnte man so sagen, ja.« Seine leuchtend grünen Augen taxieren mich. »Weißt du, ich hatte einen Workshop in der Stadt. Deshalb bin ich hier, aber auch nicht … nein, nein, nicht deswegen.« Erneut wedelt er in Richtung der Schaufenster. Dabei lacht er auf und es bilden sich niedliche Grübchen in seinen Wangen.
»Ah, okay. Na gut …« Ich dämpfe die Zigarette aus und wende mich dem Gehen zu. Ich sollte hinauf und schlafen, allerdings schaffe ich es nicht einmal bis in die Lobby, denn er redet einfach weiter.
»Der Workshop war toll«, berichtet er begeistert. »Du musst wissen, ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit Textilmalerei. Ist eine großartige Sache.«
»Ach ja?«
Anscheinend hat er ein kaum zu stillendes Sprechbedürfnis. Ohne, dass ich danach gefragt hätte, erfahre ich nun, dass er immer wieder mal für ein paar Tage nach Amsterdam kommt, weil dies ja so eine großartige Stadt sei. Dann informiert er
mich darüber, dass er eigentlich in Groningen im Norden der Niederlande wohnt.
»Ich studiere an der Universität von Groningen. Ethnologie«, berichtet er stolz.
»Aha, da geht es um die Völker der Welt, richtig?«
»Ja, richtig!«
Ich verkneife mir jeden weiteren Kommentar. Ethnologiestudenten waren mir schon während meiner Studienzeit höchst suspekt. Und ehrlich gestanden sieht er genauso wie einer aus: schluderig und ein bisschen verpeilt. Mich würde es nicht wundern, wenn er noch dazu Veganer wäre und regelmäßig für den Weltfrieden demonstrieren würde. Lieber frage ich nicht nach. Es würde ja nur einen neuen Redeschwall auslösen.
Doch auch ganz ohne Zwischenfrage quasselt er weiter. Thematisch kehrt er nun zu seinem Textilworkshop zurück und berichtet von den großartigen Leuten, die er dort kennengelernt hat. Begeisterung liegt in seinem Gesicht. Da es doch irgendwie faszinierend ist, ihn beim Erzählen zu beobachten, zünde ich mir eine weitere Zigarette an und lausche seinen Ausführungen.
Es dauert eine Weile, bis er eine Sprechpause macht. Diese nutze ich und frage: »Wie heißt du eigentlich?«
»Jaan«, kommt es zurück.
»Ach, ist ja witzig. Ich auch«, erkläre ich. »Ich heiße auch Jan. – Jan Reisinger, Unternehmensberater.« Kurz muss ich schmunzeln. Keine Ahnung, warum ich mich gerade so vorstelle, als würde es sich hierbei um eine berufliche Begegnung handeln.
»Nicht Jan«, betont er. »Jaan.«
»Ach so … Jaan?« Ich ziehe das A übertrieben in die Länge.
»Ja, richtig«, meint er. Nun liegt ein lockeres Lächeln auf seinen Lippen und es fällt mir immer schwerer, meinen Blick von ihm zu lösen. Er hat eine Wahnsinnsaura und strahlt
ein unglaubliches Gefühl der Leichtigkeit aus, das auf mich übergeht. Wohlige Wärme steigt in mir auf.
Schließlich reiße ich meinen Blick aber doch los und richte ihn in die Lobby, konkret auf die Wanduhr hinter der Rezeption. Verdammt, es ist schon dreiundzwanzig Uhr vorbei. In nicht einmal fünf Stunden muss ich schon wieder aufstehen. Ich sollte wirklich schleunigst ins Bett.
Als ich ansetze, um mich zu verabschieden, bewegt er sich auf den Aschenbecher zu und schlenkert seine Hose cool an den Hüften. Da erhasche ich einen Blick auf seine Kehrseite. Dass er einen Knackarsch besitzt, ist trotz des lockeren Schnitts zu erkennen. Aber auch ein anderes Detail zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. In der linken Hintertasche steckt ein längliches Ding – eine Mundharmonika.
Oha, er ist also derjenige, der vorhin oben am Fenster …
Mein Vorhaben, zurück auf mein Zimmer zu gehen, schiebe ich ein weiteres Mal auf, denn plötzlich verspüre ich das Bedürfnis, unser Spielchen fortzuführen, also forme ich meinen Mund und fange zu pfeifen an. Bruder Jakob, ding dang dong …
Wieder ist das Lächeln da und das Wärmegefühl zieht sich plötzlich hoch bis zu meinem Herzen.
Da holt er das Instrument aus der Hosentasche, führt es zum Mund und fängt zu spielen an. Sinnlich bewegen sich seine Lippen und die Wärme in meiner Brust verwandelt sich in Hitze, die in meinen Kopf aufsteigt. Ich atme durch, doch das Gefühl bleibt. Keine Ahnung, was gerade mit mir passiert.
Als der letzte Ton verstummt, sammle ich mich und schlage pfeifend eine andere Melodie vor. Mozarts Kleine Nachtmusik.
Auch diese spielt er auf der Mundharmonika, die Augen stets auf mich gerichtet tritt er dabei zwei Schritte näher an mich heran. Nur noch ein paar Zentimeter liegen jetzt zwischen uns. Ich muss nach Luft schnappen. Himmel, warum fängt mein Herz jetzt auch noch zu hüpfen an? Es kann doch nicht sein,
dass ich wegen eines mundharmonikaspielenden Ökostudenten in bunten Schlabberklamotten um meine Fassung ringen muss.
Fest steht: Es ist höchste Eisenbahn, endlich ins Bett zu kommen! Ich straffe mich und versuche, diese Gefühle zu verjagen – nur gelingt mir das nicht.
Aufgeregt lausche ich den letzten Tönen, dann nimmt er das Instrument von seinem Mund.
»Hast du vielleicht Lust auf einen Spaziergang?«, fragt er.
»Äh, was?«
Locker lächelt er mich an. »Na, wir könnten ein wenig durch die Straßen laufen und das Stadtviertel erkunden.«
»Es ist das Rotlichtviertel.«
»Ich weiß. Bestimmt gibt es da interessante Sachen zu entdecken, hm?«
Es gibt nur eine logische Antwort auf diese Frage und diese lautet: nein. Es ist ohnehin schon viel zu spät. Gleich halb zwölf. Nur noch viereinhalb Stunden.
Andererseits bin ich plötzlich so hibbelig, dass ich ohnehin nicht einschlafen könnte.
»Gut, tun wir das«, kommt es also aus meinem Mund.
»Großartig! Na, dann los!«
»Ähm, ja, okay.«
Cool marschiert er voran und ich folge ihm. Wir reihen uns in den Menschenstrom ein und erreichen eine andere Straße. Diese ist viel breiter und liegt direkt an einer Gracht. An dutzenden Schaufenstern schieben wir uns vorbei und an manchen Stellen wird das rote Licht von bunt blinkenden Reklametafeln überstrahlt. Sex-Shops, Peep-Shows und Gogo-Bars. Hier brummt das Geschäft.
Während ich umherblicke, geht ein neuer Redeschwall auf mich nieder. Jaan erzählt nun eine Geschichte von seiner allerersten Reise nach Amsterdam. Er war damals fünfzehn und ging noch zur Schule. Normalerweise finde ich Leute, die
pausenlos reden, anstrengend, aber das ist bei Jaan nicht der Fall. Ihm höre ich gerne zu. Auf eine merkwürdige Art tut es verdammt gut, seiner Stimme zu lauschen.
»Wie lange ist das her?«, stelle ich schließlich eine Zwischenfrage.
»Fünf Jahre.«
»Vor fünf Jahren warst du fünfzehn, also bist du jetzt … zwanzig?«
»Du kannst gut Kopfrechnen.« Er grinst. »Und du?«
»Viel, viel älter. Dreißig.«
»Ist doch großartig!«
Keine Ahnung, was an meinem Alter so großartig
sein soll, aber bitte. Ich schmunzle und schließlich erblicke ich eine Stelle, an der wir uns aus der Menschenmenge lösen können.
»Schau, dort vorne ist mehr Platz!«
Er nickt und ich lotse ihn zu einer Litfaßsäule, die sich direkt an der Gracht befindet. Als wir sie erreichen, zünden wir uns Zigaretten an und betrachten die vorbeiziehenden Menschen. Obwohl es bereits nach Mitternacht sein dürfte, sind immer noch unglaublich viele Leute unterwegs.
Ich beschließe, nicht mehr nachzurechnen, wie viele Stunden mir noch bleiben. Lieber schaue ich Jaan beim Rauchen zu. Seine Art, den Qualm auszupusten, ist sexy. Ich verliere mich darin, seinen Mund zu betrachten.
Plötzlich stößt er mich flapsig von der Seite an. »Na, noch immer kein Interesse?« Er weist auf ein Schaufenster, hinter dem eine grazile Blondine ihre Hüften schwingt.
»Dieses Thema hatten wir doch schon.«
»Ach ja, richtig.« Er reibt sich das Kinn, sieht dabei aus, als würde er etwas ausbrüten, ehe ein neckischer Ausdruck in seine Augen tritt und er den Kopf schieflegt. »Sag bloß, es wäre dir lieber, wenn sich hinter der Scheibe ein heißer Typ in knappem Höschen präsentieren würde?«
Ich grinse ihn an. »Du hast mich wohl durchschaut.«
»Oha.« Seine Augenbrauen gehen hoch.
Aus meinem Schwulsein habe ich noch nie ein Geheimnis gemacht und auch jetzt gibt es keinen Grund, es zu tun. Eigentlich kam mir die Frage ganz recht, denn schon seit einer ganzen Weile verspüre ich aus irgendeinem Grund den Drang, ihm meine sexuelle Orientierung mitzuteilen.
Bilde ich es mir nur ein oder werden seine Blicke nun noch intensiver?
Er sagt aber nichts mehr in diese Richtung, sondern meint bloß: »Komm, lass uns weitergehen.«
»Klar.«
Er marschiert voran und ich folge ihm. Während wir uns vorhin treiben ließen, ist er plötzlich viel zielstrebiger unterwegs. An den Leuten vorbei steuert er eine Gasse an, in der sich die Menge lichtet und das Blinken weniger wird.
»Wohin gehen wir?«
Mich trifft ein vielsagender Seitenblick. »Wohin, wo es ruhiger ist.«
»Ach ja?«
Wir biegen um eine Ecke und auf einmal stehen wir in einer Allee, in deren Mitte eine Gracht verläuft. Es ist so, als wären wir in eine andere Welt geschlüpft. Außer uns ist niemand hier. Es gibt auch keine Schaufenster und keine Sex-Shops.
»Setzen wir uns«, sagt er und steuert eine beschauliche Sitzbank unter einem Kastanienbaum an.
»Klar.«
Wir lassen uns nieder und wieder erzählt er eine Geschichte, der ich allerdings nur schwer folgen kann, da ich immerfort damit beschäftigt bin, die sinnlichen Bewegungen seiner Lippen zu beobachten. Plötzlich hört er jedoch zu sprechen auf, holt seine Mundharmonika wieder heraus und fängt zu spielen an. Es
ist eine Melodie, die mir nichts sagt. Sie ist aber wunderschön. Etwas kitzelt in meinem Bauch.
Mein Blick gleitet über die hohen, schmalen Backsteinhäuser, die uns umgeben. Als ich wieder Jaan betrachte, verstärkt sich das Kitzeln und vermischt sich mit der Wärme in meiner Brust. Weiter bläst er in das Instrument und ein spezieller Glanz liegt in seinen Augen.
Himmel, was ist nur los mit mir? Okay, er ist ein sympathischer Typ, aber warum spielt plötzlich alles in mir verrückt? Dreadlocktypen in Batik-Shirts fielen doch noch nie in mein Beuteschema. Bislang habe ich solche Leute bloß belächelt.
Jetzt lächle ich nicht, sondern grinse wie ein Idiot. Erst nach einer Kraftanstrengung schaffe ich es, wieder einen normalen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Dass die Zeit dahinrinnt, ist mir inzwischen völlig egal. Wenn ich dürfte, würde ich ihm beim Spielen zuhören, bis es wieder hell ist – oder vielleicht auch noch aufregendere Dinge mit ihm tun.
Ein erregender Gedanke! Während sich dieser in meinem Kopf ausbreitet, beendet er das Lied und legt die Mundharmonika in seinen Schoß. Mein Blick ist auf ihn gerichtet und es juckt mich in den Fingern. Wie gerne ich die Dreadlocks anfassen würde! Wie die sich wohl anfühlen? Ich muss um meine Beherrschung kämpfen.
»Hm?« Er hebt die Augenbrauen und auf einmal klingt seine Stimme viel rauer als gerade eben noch. Dies treibt meinen Puls weiter an und nun rückt auch noch sein Gesicht näher. Es nimmt mein gesamtes Sichtfeld ein und heißer Atem trifft auf meine Haut.
Ich presse die Lippen aufeinander und versuche zu begreifen, was gerade passiert.
Da berühren sich unsere Münder.
Mein Herz schlägt bis zum Hals. Eigentlich sollte ich in meinem Alter schon etwas abgebrühter sein. Gerade komme
ich mir aber vor wie ein Teenager, der zum allerersten Mal in seinem Leben geküsst wird.
Und was das für ein Kuss ist! Sanft bewegen sich Jaans Lippen auf meinen und in jedem einzelnen meiner Nervenstränge bricht ein lautes Knistern aus. Ich öffne die Lippen. Unsere Zungen stippen gegeneinander und verwickeln sich in ein aufregendes Spiel.
»Alles gut?«, fragt er, als wir uns wieder voneinander lösen.
Ich schlucke. Der Kuss schmeckt herrlich nach und mehr als ein heiseres Stöhnen und ein Nicken bringe ich nicht hervor. Er lacht, sodass seine Dreadlocks wippen, was ich fasziniert betrachte.
Vollkommen überfordert stoße ich aus: »Spiel mir noch ein Lied! Oder nein … küss mich noch einmal. Ja, küss mich noch mal.«
Amüsiert funkeln seine Augen. »Okay, okay. Eines nach dem anderen …«
Er nimmt die Mundharmonika und entlockt ihr wieder diese wunderschöne Melodie.
Sie hat eine Wahnsinnswirkung. Verlangen flammt in mir hoch. Keinen Moment länger schaffe ich es, mich zu gedulden, also lege ich meine Hände in seinen Nacken und ziehe ihn an mich heran.
Er muss das Lied abbrechen. »Hey, hey, hey …«
Wir versinken im nächsten Kuss, der wilder und hungriger als der vorige ausfällt. Nicht nur mein Herz trommelt, auch an anderen Körperstellen reagiere ich heftig.
Gleichzeitig berührt er mich. Seine Hand gleitet über den Hemdstoff und erreicht schließlich den Hosenbund. Neugierig tastend bewegen sich seine Finger in meinen Schritt. Hart ziehe ich Luft ein und etwas Schelmisches blitzt in seinen Augen auf.
»Sag, wollen wir zurück ins Hotel gehen?«
Mein Mund klappt auf und geht wieder zu, ohne dass Worte herauskommen. Ich sammle mich und bringe schließlich doch ein paar Laute hervor. »Ja, äh … o ja.«
Wir setzen uns in Bewegung. Die Straßen sind nun leerer als vorhin, denn mittlerweile ist es tief in der Nacht. Allein würde ich nie und nimmer zurück ins Hotel finden, aber Jaan scheint sich in der Gegend ein wenig auszukennen.
Als wir vor dem Eingang eintreffen, legt er seine Hände auf meine Schultern. »Und?«
»Hm?«
»Na, zu mir oder zu dir?«
»Äh …« Überfordert zucke ich mit den Schultern.
»Komm!« Er gibt mir einen Wink und keine zwei Minuten später befinden wir uns in seinem Zimmer.
Es ist ähnlich möbliert wie meines, nur ist der Boden voller Klamotten und auch ein Reiserucksack dient als Stolperfalle. Geschickt bewegen wir uns hindurch und erreichen das Bett. Er wendet sich mir zu und mir entkommt ein erregtes Seufzen, als ich seine Hand in meinem Schritt spüre.
»Geil?«, fragt er rau.
Mir auf die Lippe beißend nicke ich.
»Großartig.«
Er fängt an, mein Hemd aufzuknöpfen und streift es mir über die Schultern. Seine Hände streichen über meine Haut und das Kribbeln wird so intensiv, dass es kaum noch auszuhalten ist. Als nächstes klackert mein Gürtel und meine Anzughose rutscht in meine Kniekehlen.
Sein Blick richtet sich in die Tiefe, konkret auf die Beule in meinen Pants, und das Leuchten in seinen Augen verstärkt sich. Heiß erschaudere ich, als er meine Erektion durch den Stoff umfasst und seine Finger zu massieren beginnen.
Sex hatte ich schon seit einer Ewigkeit keinen mehr. Eine Beziehung führe ich nicht und wegen all dem Stress in der Agentur hatte ich in den letzten Monaten nicht einmal Zeit für ein schnelles Abenteuer. Wie denn? Wann denn? Normalerweise arbeite ich ja quasi rund um die Uhr.
Diese Gedanken lösen sich nun aber in Luft auf. Viel zu neugierig bin ich, Jaans Körper zu erkunden. Meine Hände schlüpfen unter sein Shirt und ich bekomme knackiges Fleisch zwischen meine Finger. Er streckt die Arme hoch und ich schiebe ihm das bunte Kleidungsstück über den Kopf.
Fasziniert betrachte ich seinen drahtigen Oberkörper, der nun nur noch mit dem Holzkettchen bekleidet ist. Die Brust ist fein behaart und vom Bauchnabel zieht sich ein dunkler Flaum in den Schritt.
Als nächstes knöpfe ich seine Cordhose auf, die so weit geschnitten ist, dass sie augenblicklich zu seinen Knöcheln saust. Karierte Boxershorts kommen zum Vorschein und seine Erregung ist in Form einer zeltförmigen Erhebung zu sehen. Meine Hand schlüpft unter den Gummibund und ich bekomme seinen harten Schwanz zu fassen, den ich ans Tageslicht befördere, während sich unsere Blicke treffen.
Vorhin hat er ja noch ohne Unterbrechung gequasselt, plötzlich sagt er aber kein Wort mehr. Bloß ein Zucken in seinen Mundwinkeln ist auszumachen, und ein listiges Funkeln in seinen Augen. Da bekomme ich einen Schubs und im nächsten Moment sitze ich auf dem Bett. Seine Latte wippt vor meinem Gesicht.
Als ich noch Zeit für sexuelle Abenteuer hatte, betätigte ich mich nahezu ausschließlich als Top. Normalerweise gebe ich auch keine Blowjobs, sondern empfange sie nur. Auch das ist plötzlich anders. Ich klappe den Mund auf und umschließe seinen Schaft mit meinen Lippen.
Als ich mich ans Werk mache, linse ich hoch. Mit im Nacken verschränkten Händen streckt er sich und richtet den Kopf zur Decke. So sieht er noch größer aus, als er ohnehin schon ist. Ein zufriedenes Seufzen dringt in meine Ohren.
»Hey, du bläst echt gut.«
Bereits kurz darauf erhalte ich den nächsten Schubs. Diesmal lande ich mit dem Rücken auf der Matratze. Ich hebe den Hintern an, damit er mir die Pants zu den Knöcheln ziehen kann. Gemeinsam mit Hose und Schuhen schiebt er sie mir über die Füße. Meine Beine werden hochgestemmt und ich stütze mich auf den Ellenbogen auf und schaue ihn aufgeregt an.
»Hast du etwas dabei?«
»Immer doch.« Er lässt von mir ab und wühlt im Klamottenhaufen, um einen Augenblick später triumphierend zwei glitzernde Päckchen hervorzuzaubern.
Er beißt sie auf. Das Kondom rollt er sich über den Ständer, und als er das Gleitgel verteilt und sein Finger den Weg zu meinem Eingang findet, sinke ich heiser stöhnend zurück auf die Matratze.
Gerade ist es so, als würde sich die Welt um mich herum abschalten.
Heftig pocht es in meinem Inneren. Meine Knie werden zu meinem Brustkorb hochgedrückt. Da entkommt mir ein aufgeregtes Wimmern.
Ich schlage die Augen wieder auf. Jaan befindet sich jetzt in Position und in der Zwischenzeit hat er das Band aus seinem Haar gelöst. Die Dreadlocks fallen offen zu seinen Schultern und verleihen ihm ein verwildertes Aussehen. Bis auf wenige Zentimeter rückt sein Gesicht an mich heran. Tiefgrün leuchten seine Augen mich an.
»Jaan, Jaan …« Ich keuche tief, als er mit den Stößen beginnt.
Die nächsten sorgen dafür, dass ich vollends der Welt entrinne.
Hektisch ziehe ich ein Kissen an mich heran. Tief vergrabe ich meine Finger darin. Ich fahre wieder hoch, bewege mich in seinem Rhythmus und sinke wieder zurück in die Matratze.
Mein Kopf, in dem normalerweise so viele Gedanken an meine Arbeit herumschwirren, ist nur noch ein einziger luftleerer Raum – und das fühlt sich fantastisch an. Ich quelle über vor heißen Gefühlen.
Wieder rapple ich mich hoch. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich seinen versonnen lächelnden Mund an. Ich falle wieder, stöhne, schreie …
Und irgendwann hat er mich so weit.
»O Gott, Jaan, Jaan … »
Diesmal muss er mich nicht darauf hinweisen, wie man seinen Namen ausspricht. Die Laute kommen ohnehin äußerst langgezogen aus meinem Mund. Dann überwältigt mich der Orgasmus.
»Jaan …« Ich zucke heiß. »Jaan, Jaan …«
Weiter bewegen sich seine Hüften und es dauert noch ein paar Momente, bis auch sein Lächeln von einem verbissenen Gesichtsausdruck abgelöst wird. Ich genieße noch die Erlösung, da bäumt er sich auf und drückt den Rücken durch. Wuchtig überkommt es ihn. Die Dreadlocks wirbeln nur so durch die Luft.
Danach sinkt er über mir nieder und hievt sich zur Seite. Geplättet bleiben wir nebeneinander liegen und unser beider Atem geht heftig.
Eine ganze Weile vergeht, in der nach wie vor bloß diese angenehme Leere in meinem Kopf vorherrscht. Nur langsam geraten meine Gedanken wieder in Bewegung. Doch dann überkommt mich ein merkwürdiges Gefühl.
Viele Stunden habe ich nun mit Jaan verbracht und in all dieser Zeit habe ich nicht einen einzigen Gedanken der Tatsache gewidmet, dass er genauso schnell, wie er aufgetaucht ist, aus
meinem Leben auch wieder verschwinden wird. Es ist eine bittere Wahrheit, die sich jetzt in mein Bewusstsein schiebt. Nun ja, so ist es leider nun mal bei schnellen Abenteuern.
Während ich nachdenke, ertönt auf einmal die Mundharmonika und ich drehe meinen Kopf zur Seite. Jaan befindet sich im Schneidersitz. Sinnlich bewegen sich seine Lippen und er spielt jene Melodie, mit der er mich schon vorhin an der Gracht verzaubert hat.
Die Musik rieselt auf mich nieder. Erneut breitet sich die wohlige Wärme in mir aus und für ein paar Momente vertreibt sie die unschönen Gedanken. Als das Lied zu Ende ist, kehren diese jedoch zurück.
»Wie spät ist es denn?«, frage ich bedrückt.
Er zuckt nur mit den Schultern. »Spät.« Dann dreht er seinen Oberkörper aus dem Bett und sucht im Klamottenhaufen offenbar nach seinem Handy. »Vier Uhr vorbei«, berichtet er.
»Vier am Morgen!«, rufe ich und springe in einem Satz aus dem Bett. »Mein Gott, ich muss los! Ich darf die Bahn doch nicht verpassen.«
Hektisch suche ich meine Klamotten zusammen, ziehe mich an und verschwinde aufs WC.
Als ich zurückkehre, hat auch er das Bett verlassen und trägt wieder seine Boxershorts. Lächelnd schreitet er auf mich zu. Wieder wollen diese Gefühle in mir hochkommen. Mit aller Kraft unterdrücke ich sie. Ich kann sie überhaupt nicht gebrauchen. Ich muss doch los!
Plötzlich ploppt aber eine Idee in meinem Kopf auf.
Soll ich ihn fragen, ob wir vielleicht in Kontakt bleiben wollen? Sagt doch niemand, dass dies unsere einzige Nacht gewesen sein muss, oder?
Fahrig wische ich mir durchs Haar und räuspere mich. »Hör mal, Jaan, ähm …«
Im selben Augenblick verstumme ich wieder und verwerfe die Idee. Ach, bitte, wir sind doch nur zwei Reisende, deren Wege sich für eine Nacht kreuzten. Mehr aber auch nicht. Wir wohnen hunderte Kilometer voneinander entfernt. Es wäre Unsinn, mich in irgendetwas hineinzusteigern.
Es war ein One-Night-Stand und dieser ist nun vorbei.
Er umschließt mich mit seinen Armen. »Hey, hab eine gute Fahrt«, sagt er rau in mein Ohr, während seine Hände ein weiteres Mal den Weg zu meinem Hintern suchen.
Heiß und kalt läuft es mir über den Rücken. Am liebsten würde ich mich nie wieder aus dieser Umarmung lösen.
»Danke. Die Nacht war echt schön«, murmle ich an seiner Schulter.
»Finde ich auch.«
Irgendwann löst er die Umarmung und das fühlt sich unangenehm an.
So eine Scheiß-Situation! Um sie nicht noch weiter in die Länge zu ziehen, wende ich mich rasch der Tür zu und schreite hinaus in den Flur.
Hastig gehe ich ein Stockwerk hinunter. Als ich mein eigenes Zimmer erreiche, werfe ich die Klamotten wieder ab und springe unter die Dusche. Zwar drängt die Zeit noch nicht so sehr, die Hektik hilft mir aber, nicht daran denken zu müssen, dass ich Jaan nie mehr wiedersehen werde.
Ich verlasse das Badezimmer, ziehe mich wieder an, packe meine Sachen und mache mich auf den Weg zum Bahnhof.
Dieser liegt fußläufig nur ein paar Minuten entfernt. Über den Gassen der Stadt liegt die graue Morgendämmerung, als ich den Trolley über den Asphalt ziehe. Die Melodie der Mundharmonika hallt in meinen Ohren nach und das bittere Gefühl will nicht nachlassen. Ganz im Gegenteil.
Viel zu früh erreiche ich die Centraal Station
, den Amsterdamer Hauptbahnhof. Ich betrete den mächtigen Backsteinbau und durchschreite eine fast menschenleere Halle.
Hoch geht es zum Bahnsteig. Die Anzeigetafel verrät mir, dass der ICE nach Berlin erst in gut zwanzig Minuten erwartet wird. Ich sinke auf eine Wartebank. Obwohl ich todmüde bin, fangen meine Gedanken wieder zu rasen an und umkreisen selbstverständlich nur ein einziges Thema.
Jaan.
Mich überfällt das ungute Gefühl, alles verkehrt gemacht zu haben. Hätte ich ihn doch fragen sollen?
Jetzt ist es aber ohnehin zu spät. Verdammt …
Das Einzige, was nun hilft, ist Ablenkung. Ich könnte meine E-Mails checken. Vielleicht ist ja etwas Wichtiges reingekommen. Also schiebe ich meine Hand in die Hosentasche und taste nach meinem Handy. Ich bekomme nicht nur das Gerät in die Finger, sondern auch ein Stück Papier. Dieses ziehe ich mit heraus und falte es auf.
Zahlen. Viele Zahlen. Eine Telefonnummer. Und ein paar Worte.
Ich würde mich freuen, wenn du dich meldest. Jaan.
Augenblicklich fängt mein Herz zu hüpfen an. Jaan muss mir den Zettel vorhin bei der Umarmung zugesteckt haben. Meine Mundwinkel gehen hoch. Vermutlich grinse ich jetzt wieder wie ein Idiot.
Es ist mir egal. Genauso wie die Firmenmails, die Präsentation und alles andere, was mit der Agentur zu tun hat.
Aufgeregt gebe ich Jaans Nummer in mein Handy ein und fange an, ihm eine Nachricht zu schreiben.