Ein Lied fürs Füchslein
FENJA WÄCHTER
Sidestory zur Fatum Corporation-Reihe
Es war scheiße kalt!
Auf längst tauben Füßen stapfte ich hinter Thomas’ Söldnereinheit her, deren Gestalten sich im Schein ihrer Taschenlampen vor mir in der Dunkelheit abzeichneten. Ihre Lichter glitten wie verirrte Glühwürmchen über die Schuttberge der einstigen Häuser.
Ruinen von Dörfern und Städten waren vier Generationen nach dem globalen Zusammenbruch keine Seltenheit und ich liebte sie. Die unzähligen Möglichkeiten, die sie boten, um sich vor den Söldnern zu verstecken oder ihnen zu entkommen.
Tja, Pablo, war einmal … jetzt war ich ein Wandler und ein Söldner noch dazu – weil es das eine nicht ohne das andere gab. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Glanzleistung, Enrique Pablo!
Schon seit Tagen durchforsteten wir das Gebiet nach Schmugglern, die Waffen vom weltbeherrschenden Konzern Fatum Corporation abknapsten und auf dem Schwarzmarkt vertickten. Erfolglos. Dafür bildeten Anspannung und Frust ein sonderliches Gemisch, welches die Luft vibrieren ließ. Ich spürte es, auch ganz ohne eine Wandlung in meine Fuchsgestalt. Thomas’ Einheit hatten die Schnauze voll, was keiner von ihnen zugeben würde. Genauso wenig, dass sie vermutlich ebenso durchgefroren waren wie ich.
Ich wollte zurück in meine Straßen. Wo auch immer das sein mochte. Sie hatten versucht, es mir zu erklären, aber ich war bereits an dem Punkt ausgestiegen, als sie gesagt hatten, beides
läge in ›Nordamerika‹. Denn die riesigen Bäume in der Gegend hatten nichts mit meiner Heimat gemeinsam. Ebenso wenig die Temperatur.
Ein eisiger Zug schlich sich unter meinen Parka, überwand mühelos die Schutzweste samt Pulli und T-Shirt und biss in meine Haut. Ich schauderte, was einen neuen Schwung an Kälte mit sich brachte. Ob ich als Fuchs genauso frieren würde? Nur wohin mit den Klamotten? Außerdem würde ich damit den Hass der anderen auf mich ziehen. Immerhin lief ich im Gegensatz zu ihnen in normaler Straßenkleidung herum und um nichts in der Welt wollte ich meine gefütterte Kapuze mit deren Helmen tauschen.
Mit einem leisen Seufzen kuschelte ich mich in meinen Parka und schob meine Fäuste tiefer in die Taschen. Ich wünschte mich in die Hotelbar mit einer schönen heißen Schokolade in meinen Händen, die mittlerweile einfach nur noch steif waren.
»Thomas?«, erklang Junes Stimme von vorne und tatsächlich trat sie auf unseren Einsatzleiter zu, der seinerseits stehen blieb und ihr zunickte. Ich mochte sie. Sie war nett zu mir und die Einzige in der Einheit – mit Ausnahme von Thomas – die mich nicht Kiki nannte. Es war mein allererster Fehler gewesen, ihnen meinen Rufnamen auf der Straße zu verraten: Kike, abgeleitet von Enrique. Nach dem schallenden Gelächter und der Umwandlung in Kiki, war ich klug genug, el Piojo – Floh – für mich zu behalten. Letzteren Namen hatte ich meinen knappen einssiebzig und einem knochigen Körper zu verdanken. Abgesehen davon lehnte das Unternehmen die alten Sprachen ab. Nur Ungeziefer, das auf der Straße lebte, verwendete sie noch. Menschen, die keinen Wert hatten.
»Meinst du nicht, es ist an der Zeit, die Mission abzubrechen?«, fragte June.
Oha. Die anderen reagierten nicht auf die Frage, durchkämmten in Zweierteams weiter die Gegend. Ich hielt
inne, spitzte meine Ohren. Wollte ich zurück zur Basis? Ja, klar, es war hier echt arschkalt und unsere Suche reine Zeitverschwendung, weil wir immer zu spät kamen, aber wenn Thomas jetzt aufgab, was würde dann aus uns werden?
»Man könnte ja fast meinen, du willst
nicht zurück«, fuhr June fort, als keine Antwort erfolgte.
Mein Herz setzte scheinbar aus, überschlug sich, nur um einen rasenden Takt aufzunehmen, der jegliche Kälte vertrieb. Sag ja, bitte!
, rief ich Thomas stumm zu.
»Ich hab ein Angebot für eine taktische Stelle bekommen.«
Ich stand da, starrte gegen die Schutzweste und damit verbunden seinen breiten Rücken, während sich ein Teil von mir weigerte, seine Aussage zu verstehen, und doch war es dafür längst zu spät. Die brüchigen Holzbalken der Brücke, die ich über den reißenden Fluss meines Lebens gebaut hatte, brachen unter der Last. Ich fiel, wurde mitgerissen und war nichts weiter als Treibgut, mit dem das launische Wasser spielte.
»Vermutlich erwarten sie nach dem Einsatz eine Antwort?«, mutmaßte June.
Thomas nickte.
War ich nur eine reine Ablenkung für ihn gewesen?
»Schon entschieden?«
»So ein Scheißbürojob ist nichts für –«
»Hier ist nix«, rief Hudson von der Seite, laut genug, dass alle es hörten, und ein gewisser Vorwurf klang heraus.
Thomas sah ihn an, nahm ihn wahr. Er nahm jeden seiner Einheit wahr. Nicht so wie mich, der immer irgendwie in der Dunkelheit stand.
Der stechende Geruch von menschlichen Hinterlassenschaften biss in meiner Nase, vermischte sich mit dem Duft eines herben Deos und eines penetranten Aftershaves. Wir hatten sie nur knapp verpasst, anderenfalls wäre der
Gestank bereits verflogen und ich wollte so sehr, dass er mich sah!
»Nicht mehr«, sagte ich, ohne darüber nachzudenken.
Thomas wandte sich mir nicht zu. Dafür landete der Lichtkegel von Hudsons Taschenlampe in meinem Gesicht. Ich kniff die Augen zusammen, wich minimal zurück, was ein Lachen zur Folge hatte.
»Ach, wirklich, Kiki?«, fragte Hudson. »Was würden wir bloß ohne unseren Quotenwandler machen!«
Weiteres Gelächter. Die Chefetagen des Unternehmens schätzten Menschen mit Veranlagung zum Wandler ungemein, weshalb sie den Eingriff in die DNA auch vornahmen. Für die meisten rein menschlichen Söldner stellten Wandler dagegen ein Ärgernis da. Denn entweder waren sie tatsächlich schneller, ausdauernder und stärker als sie oder sie waren eine Last. So wie ich.
Der Lichtkegel huschte von mir, über den Boden, hin zu einer Stelle unmittelbar vor Hudson und blieb an einer zusammengedrückten Dose hängen. Hudson bückte sich, hob sie auf. Noch ehe das Licht mich dieses Mal erwischte, kniff ich die Augen zusammen. Die Dose prallte gegen meine Brust und landete vor mir im Dreck.
»Klugscheißer!«
Mein Blick haftete an dem Müll. Ich sollte mich wehren. Aber alles, was mir einfiel, war das Ding zurückzuwerfen, was reichlich kindisch war und wahrscheinlich nur zu weiteren Problemen geführt hätte.
»Da können wir schon von Glück reden, dass wir bisher nichts gefunden haben, wenn wir so einen Anfänger mit rumschleppen müssen.«
Das Gelächter bohrte sich in meine Ohren, hallte nach und sackte tiefer.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten, bis sich die Fingernägel stechend in meine Haut gruben. Unweigerlich hob ich den Kopf, schaute zu Thomas. Unsere Blicke begegneten sich.
»Ey, Boss, warum haben wir nicht wenigstens etwas Brauchbares bekommen? Einen Bärenwandler oder so?«
»Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir überhaupt keinen Wandler in der Einheit!« Seine fast schon aggressiv geknurrten Worten waren ein Schlag ins Gesicht, unter dem ich zusammenzuckte. »Pablo!«
»Ja, Sir?«, sagte ich kleinlaut, fixierte wieder die zerdrückte Dose zu meinen Füßen, weil ich die Wut, die ihn umgab, nicht ertrug.
»Du bist hier um zu lernen. Also sieh zu und lass meine Männer ihren Job erledigen!«
Nichts erinnerte an den Mann, der für mich Klavier spielte und sang. Daran, wie sanft, beinahe liebevoll seine Stimme klingen konnte. Aber in diesen Momenten wollte er mich auch willig unter sich haben.
»Ja, Sir«, hauchte ich, was er sicherlich nicht hörte.
Es kümmerte ihn offenbar auch nicht. Denn er drehte sich um und setzte seinen Weg fort. Immerhin hielt Hudson seinen Mund und der Lichtkegel verschwand aus meinem Gesicht. Schützende Dunkelheit hüllte mich wieder ein und verbarg mich vor der Einheit.
»Mach dir nichts draus«, sagte Levi im Vorbeigehen. Keine Ahnung, wo der plötzlich hergekommen war. »Gäbe es dich nicht, müsste ich dran glauben.«
Ich sah seiner schlanken Gestalt hinterher. Wenigstens war er groß. Tja, und ich eben el Piojo.
»Sie sind uns immer einen Schritt voraus«, nahm ich beiläufig Junes Stimme wahr.
Thomas knurrte.
Sobald wir im Einsatz waren, war er wie ausgewechselt und nichts mehr von dem ausgeglichenen Klavierspieler übrig – Pianino, korrigierte ich mich. Klavier ist nur der Überbegriff,
hallte Thomas’ Erklärung in meinen Gedanken nach. Noch deutlich sah ich ihn vor mir, wie er da gesessen und gespielt hatte. Ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen, das selbst seine Augen erfasst hatte. Seine Stimme so warm und gefühlvoll. Dir gefällt es wohl, wenn ich spiele,
hatte er mir zugeraunt und ich einfallslos genickt, obwohl er mich überhaupt nicht angesehen hatte. Ein freudiges Schnauben seinerseits und ein flüchtiger Blick auf mich und dann hatte er angefangen zu singen. Nur für mich!
Das wohlige Kribbeln bei dem Gedanken daran gefror zunehmend. Bis unangenehme Leere zurückblieb. Vor mir lag die Dose im Dreck. Zerdrückt und wertlos. Müll. So fühlte ich mich und war es auch schon immer gewesen. Selbst dass Fatum Corporation einen Wandler aus mir gemacht hatte, hatte daran nichts geändert. Ich existierte die meiste Zeit nur irgendwo am Rande der Wahrnehmung von anderen.
»Pablo!« Ich zuckte unter Thomas’ schneidender Stimme zusammen, sah auf. Die Einheit war weitergezogen und ich Trottel stand immer noch auf der gleichen Stelle. »Beweg endlich deinen Arsch!«
Bis auf unsere Vorliebe für Männer hatten wir nichts gemeinsam. Aber das war offenbar genug, um mich seit Tagen auf mein Zimmer zu begleiten.
~*~*~*~
Nach dem Duschen wäre ich am liebsten auf meinem Hotelzimmer geblieben und hätte mich im Bett verkrochen, nur um den anderen nicht zu begegnen. Doch dem Luxus einer heißen Schokolade konnte ich beim besten Willen nicht widerstehen. Ich meinte schon die Süße auf meiner Zunge zu
schmecken und zu spüren, wie sich die Wärme wohlig in mir ausbreitete. Es war genau das, was ich jetzt brauchte.
Ich verließ das Treppenhaus, vorbei an den Aufzügen und durchquerte den Empfangsbereich hin zum Restaurant. Das Gebäude war mit keinem von Fatum Corporation zu vergleichen. Es war alt und niemals kernsaniert worden. Vermutlich stammte es noch aus Zeiten vor dem globalen Zusammenbruch. Die marmornen Bodenfliesen waren zerkratzt und matt, wiesen einige Macken auf. Nur an manchen Stellen am Rand ließ sich ihr vormaliger Glanz erahnen. Dafür achtete der Betreuer penibel auf Sauberkeit, denn seit wir hier waren, lag ein Zitrusduft in der Luft, der mir ständig in die Nase stach. Das Hotel war ein weiterer Ort, an dem ich mir wie ein Fremdkörper vorkam.
Thomas’ Einheit hatte sich in ihre übliche Ecke zurückgezogen und schob die Tische zusammen. Mit Ausnahme von Levi, der am Tresen auf einem Barhocker saß und gedankenverloren sein Glas drehte. Um die Theke eilte ein Kellner mit beschwingten Schritten und vollem Tablett in Richtung der anderen. Ich blieb stehen, um ihm nicht in die Quere zu kommen.
Er lächelte mir zu. »Ich bin sofort für Sie da«, sagte er im Vorbeigehen und ich schrumpfte unter der ungewollten Aufmerksamkeit zusammen.
»Uh, da ist Kiki ja.« Hudson.
Hastig wandte ich mich ab, zwang meine Beine Richtung Tresen und vorbei an dem Klavier, das mir zum Verhängnis geworden war. Es war das einzige Einrichtungsstück, das selbst so alt und heruntergekommen wie das Gebäude wirkte. Ganz anders als die restlichen Möbel, welche sich in einem einwandfreien Zustand befanden.
»Ich würde ja zu gerne wissen, wie ein Kitfuchs aussieht.«
»Wie ’nen Fuchs halt. Große Ohren, spitzes Gesicht und ’ne ziemlich durchmischte Fellfarbe, oder? Ey, June, du hattest das doch recherchiert.«
Warum haben wir nicht wenigstens etwas Brauchbares bekommen
, hallte ungebeten in meinen Erinnerungen nach. Niemand brauchte einen Fuchs …
»Habe ich. Denn im Gegensatz zu euch interessiere ich mich für meine Mitmenschen.«
… das war zumindest etwas …
»Uh, hört, hört.«
… nur um mich aufgrund der Reaktion auf Junes Worte noch schlechter zu fühlen.
»Die Fellfarbe ist passend zu den trockenen Gegenden in Nordamerika und jetzt haltet die Klappe«, zischte June. »Er kann euch hören.«
»Und?«, fragte Hudson.
»Und? Du verhältst dich ihm gegenüber wie das letzte Arschloch.«
Levi warf mir einen flüchtigen Blick zu, widmete sich wieder seinem Glas und ich blieb ratlos vor den freien Barhockern stehen. Sollte ich mich zu ihm setzen?
»Hallo«, sagte ich, bemühte mich um ein Lächeln, das allenfalls ein Zucken meiner Mundwinkel darstellte.
Er zog eine Augenbraue hoch und wieder folgte ein Seitenblick. Okay, er wollte nichts mit mir zu tun haben. Ich ließ einen Platz zwischen uns frei und hoffte, dass ich so seinen Wunsch nach Abstand genug respektierte.
Der Kellner kam zurück. »Wie üblich?«, fragte er lächelnd und begann die heiße Schokolade schon zuzubereiten, ohne meine Antwort abzuwarten.
Ich nickte dankbar.
»Heute mit Schuss«, klang Hudsons Stimme hinter mir.
Ich zuckte zusammen, da trafen mich bereits seine Pranken. Massierte er mir gerade etwas arg grob die Schultern? Und woher wusste er überhaupt, was ich trinken wollte? Zumindest so halb.
»Äh, ohne Schuss, bitte?«, stammelte ich.
»Mit Schuss«, sagte er. »Geht auf mich.«
Ich öffnete den Mund.
»Junge, du bist ein Wandler, dein Körper verbrennt das Zeug innerhalb von Sekunden.«
Hörbar klappten meine Zähne aufeinander und ich wandte mich hilfesuchend an den Kellner, der mit einer aufgedrehten Flasche Rum fragend dastand. Vielleicht war es keine gute Idee, Hudsons Angebot abzulehnen.
»Okay«, sagte ich leise und beobachtete mit Unbehagen, wie Rum in meiner heißen Schokolade landete.
Mit seinem üblichen Lächeln stellte der Kellner das Getränk auf den Tresen und schob es in meine Richtung. »Bitteschön.«
»Danke …« Da stand sie vor mir: eine heiße Schokolade mit Schuss.
Unter Hudsons erwartungsvollem Blick griff ich nach der Tasse, sog den leicht bitteren Duft ein, der nun von einer scharfen Nuance untermalt wurde. Ich nippte daran. Die heiße Flüssigkeit hinterließ ein sachtes Brennen in meinem Rachen. Mit einem ungewollten Schmatzen schmeckte ich dem Getränk nach.
»Na, siehst du, ist doch gar nicht so verkehrt, oder?«
Tatsächlich war es nicht sooo schlecht. Trotzdem hätte ich eine normale heiße Schokolade dieser hier vorgezogen.
Lächelnd nickte ich.
Hudson zwinkerte mir zu, tätschelte erneut meine Schulter und ging. Ich schaute ihm nach. Das hatte er noch nie getan …
Neben mir lachte Levi vor sich hin. »Hinterfrag es nicht und nimm es einfach an.« Ganz minimal krauste er die Nase
und verzog missbilligend seine Mundwinkel. »Das ist die Art von diesen Neandertalern, sich zu entschuldigen.« Mit einem Schluck leerte er sein Glas, stellte es ab und stand auf. »Du solltest dir nicht immer alles gefallen lassen.« Er schnappte seine Lederjacke von der Stuhllehne und ich blieb allein am Tresen zurück.
Keine Ahnung, was ich davon halten sollte. Es war wie mein absurder Traum dazuzugehören. Nur einmal. Wenn jetzt auch noch Thomas hier auftauchte und wieder für mich spielte, dann –
»Schon auf dem Sprung?« Thomas’ dunkle, warme Stimme stellte mir sämtliche Härchen auf. Er musste Levi auf dem Gang getroffen haben. Denn der antwortete: »Hab noch was zu erledigen.«
»Alles klar, schönen Abend dir.«
Und dann tauchte er im Durchgang auf, sah zielstrebig mich an. Er lächelte, was weitere Fältchen auf sein Gesicht zauberte. Ich mochte das viel zu gern. Vor allem, wenn ich der Grund dafür war. Thomas machte sich auf den Weg in Richtung seiner Einheit, zwinkerte mir noch einmal kurz zu. Er würde für mich spielen. So wie er es jeden Abend tat, ehe er mich auf mein Zimmer begleitete. Mein Puls beschleunigte sich. Es war genau das, was ich wollte. Oder?
Thomas blieb vor dem Tisch stehen und unterhielt sich mit seinen Leuten. Seine Worte kamen nicht bei mir an. Dafür sehr wohl das befreite Gelächter. Es musste schön sein, einer von ihnen zu sein. Sie waren eine geschlossene Einheit, in deren Welt ich nicht gehörte. Ganz gleich, was ich tat, ich konnte mich im Einsatz artig an Befehle halten und sie vermutlich genauso ignorieren. In ihren Augen machte das keinen Unterschied und es würde immer bei der Entschuldigungsschokolade mit Schuss bleiben. Selbst dass ich für Thomas hinhielt, hatte nichts an
meiner Situation geändert. Nur dass ich genau das tat, was ich niemals gewollt hatte: mich verkaufen.
Auf der Straße hätte ich Geld bekommen, er spielte für mich. So oder so, am Ende war ich nur ein Stück Fleisch. Auch wenn Thomas nie rücksichtslos mit mir umging.
Jäh wandte ich mich ab, klammerte mich an meiner heißen Schokolade fest, während meine Augen verdächtig brannten. Ich blinzelte dagegen an, trank hastig einen Schluck, würgte ihn durch einen plötzlich viel zu engen Hals hinunter. Sie löste sich doch: eine vereinzelte Träne.
Der nette Kellner nahm davon keine Notiz, wischte über den Tresen und behielt die Einheit im Blick. Ich glitt vom Barhocker, floh vorbei an dem Klavier und raus aus dem Raum, wollte mich nur noch in meinem Bett verkriechen.
Ich rannte das Treppenhaus hoch und zog die Zutrittskarte für das Zimmer aus meiner Jeans. Unter meinem verschwommenen Blick entsperrte ich die Tür, öffnete sie mit bebenden Fingern und gab ihr einen Stoß, nachdem ich drinnen war. Knallend schlug sie hinter mir zu und ich warf mich auf das Bett, vergrub das Gesicht im Kopfkissen und schluchzte hinein.
Das Leben auf der Straße war hart gewesen, aber doch erträglicher als das hier. Dort war ich nie allein gewesen. Nie ein Verstoßener, obwohl jeder selbst für sein Überleben gesorgt hatte.
Ich zog die Nase hoch, holte aus meiner Tasche mein Smartphone. Sie hatten mir erklärt, was man alles damit anfangen konnte, aber ich war froh, wenn ich die grundsätzlichen Dinge hinbekam. Mit dem Finger entsperren. Die unzähligen Kästchen lachten mich wie üblich aus, zeigten sie mir einmal mehr, dass es nicht meine Welt war. Anrufen konnte ich und die Aufnahme von Videos hatte ich vor ein paar Tagen gefunden … leider erst mitten in seinem Spiel …
Mit einem Tippen auf das Display öffnete ich sie. Thomas’ dunkle Stimme untermalt mit den hellen, klaren Tönen des Pianinos erfüllten das Zimmer, hüllten mich in ihrer Wärme ein. Ich legte das Smartphone auf meine Brust, hielt es fest an mich gedrückt und schloss meine Augen, um dem melodischen Lied zu lauschen.
Das Klacken der Tür ertönte und ich schrak hoch. Das Smartphone rutschte aus meiner Hand. Hektisch griff ich noch danach. Doch es landete polternd auf dem Boden.
Es war ohnehin zu spät.
Längst hatte Thomas die Tür hinter sich geschlossen und schlenderte mit einem matten Grinsen auf mich zu. Vor meinem Bett ging er in die Hocke, hob das Smartphone auf und reichte es mir im Aufstehen. »Du hast also eine Aufnahme.«
Hallo? Als ob dass das einzig Schräge war, was hier gerade stattfand!
Ich sprang auf und riss ihm das Smartphone aus der Hand. »Du kannst nicht einfach ungefragt in mein Zimmer reinplatzen!«, zischte ich, entsperrte das Display und drückte auf ›Stopp‹.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Tja, was soll ich sagen?« Er zuckte mit den Schultern. »Kannst ja die Dienstaufsicht darüber in Kenntnis setzen, dass dein Vorgesetzter seine Funktion schamlos ausnutzt. Oder du erzählst mir, warum du eben abgehauen bist.«
»Warum nicht?«, erwiderte ich bissig.
»Weil du das nie tust.«
Ich schnaubte, reckte herausfordernd mein Kinn. »Vielleicht hab ich es satt, immer da zu sitzen und darauf zu warten, ob ich für dich hinhalten darf.«
Ihm das zu sagen, war alle Male besser, als ihm zu beichten, wie sehr es mich verletzte, dass er mich verabscheute, für das,
was ich war. Und ich genau deshalb, weil ich ein Wandler war, nie zu ihnen gehören würde.
Sein mattes Lächeln erstarb. Dafür vertieften sich die feinen Linien auf seiner Stirn, die sein Alter ohnehin dort hinterlassen hatte. »Klingt fast so, als sei ich der einzige Nutznießer davon.«
Mit offenem Mund starrte ich ihn an, während das Wort durch meinen Kopf hallte. Wieder und wieder.
Nutznießer
.
Es war erschreckend, wie gut es unsere Beziehung
beschrieb. Er suchte jemand Willigen zum Ficken und ich brauchte Nähe. Nur einmal keine Ablehnung spüren, egal wie fadenscheinig das auch sein mochte.
»Nein«, sagte ich und meine Stimme blieb mir beinahe im Hals stecken. »Wohin willst du? Dusche? Bett?« Mein eigenes Angebot schmeckte fad. So oft hatte ich mich ihm hingegeben und hatte es genossen, weil es sich echt angefühlt hatte. Zumindest für den Moment, in dem er meinen Körper liebte. Es war eine Illusion gewesen, die zerplatzt war.
»Weder noch. Ich möchte wissen, was mit dir los ist.«
»Warum?« Es schnürte mir die Kehle zu. »Du willst mich genauso wenig in deiner Einheit haben wie deine Männer.«
»Möglich. Aber ich kann Privat und Beruf trennen. Solltest du auch versuchen.«
»Falls es dir entgangen sein sollte, ich bin immer
ein Wandler!«
Um seinen Mund trat ein harter Zug und sein Blick wurde stechender. »Ja, das bist du und ein ziemlich mieser dazu.«
Seine Worte trafen mich nicht. Ich fühle mich weder schlecht noch verletzt. Vermutlich, weil es die Wahrheit war und ich genauso gewusst hatte, was er über mich dachte.
Ich schluckte hart und schaute fort.
»Es tut mir leid, aber du bist ein unfähiger Söldner. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass dich das Unternehmen dazu befähigt hat, dich zu wandeln.«
»Mag sein«, sagte ich leise. »Glaubst du, ich wollte das? Jeden Tag eure Feindseligkeiten zu spüren bekommen? Bis mich Söldner aufgegriffen haben, war ich glücklich damit gewesen, meine Mülltonnen zu durchwühlen. Weißt du, was deine Kameraden
da gemacht haben? Sie haben die Straße von Ungeziefer
gesäubert und ich hatte eine Scheißangst! Mir ist halt nichts Besseres eingefallen, als zu behaupten, dass ich ein Wandler bin. Konnte ja nicht ahnen, dass sie mich wirklich testen würden, anstatt mich laufen zu lassen!«
Thomas zog eine Augenbraue hoch. Ja schön, vielleicht wäre es ihm klar gewesen. Mir nicht!
Wieder lösten sich stummen Tränen, rannen mir über die Wangen und ließen mich nur noch lächerlicher wirken, weil sie seine Worte bestätigten.
»Pablo«, sagte er sanft und streckte seine Hand nach mir aus.
Ich wich vor ihm zurück, schlang meine Arme um mich. »Geh jetzt bitte.«
Er ließ seinen Arm sinken, stand noch einen Moment vor mir, ehe er sich wortlos umdrehte und ging. Ich blieb allein zurück. Das Smartphone lag schwer in meiner Hand, erinnerte mich an Aufzeichnungen, die ich nicht mehr länger hören wollte. In meinem Kopf hörte ich nur Thomas’ Worte, wieder und wieder. Ich war ein unfähiger Söldner, aber ich war nicht nutzlos. Ich wollte es nicht sein. Nicht in seinen Augen. Morgen würde der Einsatz vorbei sein und er und seine Einheit mit leeren Händen dastehen. Außer, ich schaffte etwas, wozu sie nicht im Stande gewesen waren, und fand die Schmuggler … Immerhin war ich ein Wandler!
~*~*~*~
Die Zunge hing mir gefühlt bis zum Boden – was in Fuchsgestalt auch nicht wirklich schwer war – und das Smartphone, das ich in einer Tasche um den Hals geschlungen hatte, zog meinen Kopf zusätzlich tiefer. Jeder Schritt brannte in meinen Pfoten. Trotzdem trabte ich weiter durch den Wald, klapperte mit zunehmender Verzweiflung die verwaisten Dörfer ab. Irgendwo musste etwas sein! Ich wollte nicht aufgeben und doch zeichneten sich am Himmel bereits die ersten helleren Streifen ab. Thomas würde stinksauer auf mich sein, ebenso wie der Rest der Einheit, die sich sicherlich darauf gefreut hatten, endlich hier wegzukommen.
Wem machte ich eigentlich etwas vor? Warum versuchte ich krampfhaft, jemand zu sein, der ich nicht war? Nicht zum ersten Mal stellte ich mir diese Frage, obwohl ich die Antwort kannte. Ich wollte Thomas beeindrucken. Ich wollte, dass er mich wahrnahm. Nicht nur als Zeitvertreib. Ich wollte geschätzt werden. Dazugehören. Einen Platz im Leben haben.
Das Brummen eines Motors hallte durch den Wald. Jäh blieb ich stehen und lauschte. Das Geräusch war nicht weit entfernt. Ich rannte los, sprang über einen Baumstamm hinweg und drückte mich unter einem anderen hindurch. Scheinwerfer tauchten die Umgebung in kaltes Licht. Auf der verwilderten Straße bahnte sich einer unserer Jeeps den Weg.
Suchten sie mich bereits? Aber warum hielten sie dann nicht an? Ganz im Gegenteil, das Fahrzeug entfernte sich in Richtung der nächsten Ortschaft. Ich hastete ihnen hinterher, rief nach ihnen, nur um festzustellen, dass das seltsame Bellen von mir stammte.
Plötzlichen waren da Stimmen, Rufe, die zu mir klangen. Der Jeep unserer Einheit hielt am Straßenrand. Ich nahm es nur beiläufig wahr, trappelte weiter, bis ich von einem Hang
hinunter das Dorf sehen konnte. Mein Fuchsherz machte einen freudigen Hüpfer. Da waren sie!
Da waren sie wirklich! Ich hatte sie gefunden!
Aber irgendjemand aus Thomas’ Einheit war auch schon hier …
Von einem Laster aus verteilten die Schmuggler Kisten auf drei weitere Fahrzeuge.
… wenn ich es Thomas nicht sofort meldete, würde ich wieder nur derjenige sein, der eben irgendwie da gewesen war. Schlimmer noch, sie würden mich auslachen, für meine wunden Füße, die ich mir dabei geholt hatte.
Eilig schlüpfte ich aus dem Henkel des Beutels, wandelte mich. Die Finger brannten, als ich das Smartphone herauszog, entsperrte und auf Thomas’ Namen in der Anruferliste tippte. Ich trat von einem Fuß auf den anderen, ignorierte die beißende Kälte. Es klingelte einmal. Er nahm ab.
»Ich hab sie gefunden!«, sagte ich, bevor er auch nur zu Wort kommen konnte.
Ein scharfer Atemzug folgte seinerseits. »Wo bist du?«
»Ich bin die Route abgelaufen und –«
»Verschwinde!«
Hinter mir raschelte Laub und ich drehte mich um. Levi stand dort.
»Wir haben sie gefunden!«, sagte ich und strahlte ihn an, weil wir keine Versager waren.
»Sofort!«, zischte Thomas und irgendwie klang in seiner Stimme eine andere Anspannung mit als sonst.
Warum freute Levi sich nicht?
»Aber –«
»Pablo!« Beinahe hätte ich meinen können, dass Thomas verzweifelt klang. Mein Blick glitt über Levi, den Arm hinunter, hin zu der 9mm in seiner Hand. Von ganz alleine sank meine Hand mit dem Smartphone herunter.
»Du hast gesagt, der Wandler würde kein Problem darstellen.«
Oh! Da war ja noch jemand. Ein großer, hagerer Kerl. Mit Wandler war wohl ich gemeint. Warum sollte ich ein Problem sein? Trug der Kerl nicht die gleiche Kleidung wie die Schmuggler?
Levi schloss seine Augen. Nur ganz kurz, ehe er den Kopf schüttelte. Es wirkte vorwurfsvoll. Er atmete tief durch und hob den Arm, den Lauf der Waffe auf mich gerichtet.
»Warum?«, hauchte ich verständnislos, während sich das Puzzle in meinem Kopf zusammensetze.
Ich wirbelte herum, wandelte mich. Das Smartphone fiel. Ein Schuss dröhnte in meinen Ohren. Der Treffer riss mich zu Boden.
»Pablo!« Thomas’ Ausruf aus dem Smartphone klang fern.
Noch ein harter Ruck, der mich traf und endlich fand ich mich in meiner Fuchsgestalt wieder. Ich sprintete los, schlug Haken und flog förmlich über den Baumstamm hinweg. Keine weiteren Schüsse. Flüchtig warf ich einen Blick zurück. Keine Verfolger. Ein scharfes Brennen zuckte durch meine Schulter. Ich japste, stürzte und überschlug mich. In meinem Adern brodelte es. Beißende Schmerzen, die sich durch meinen Körper fraßen. Auf der Straße Scheinwerfer. Motorengeräusche. Ich presste alle viere in den Waldboden, stemmte mich hoch und brach doch wieder gepeinigt zusammen.
»Pablo!«
Thomas war hier?
Ich wimmerte. Im Grau der Morgendämmerung zeichnete sich Thomas’ große Gestalt zwischen den Bäumen ab.
»Ich brauche einen Verletztentransport. Sofort!«
Neben mir stürzte er nieder, griff nach mir. Seine Hände ätzten sich in meine Haut. Ich jaulte auf.
»Sch.« Er zog mich auf seinen Schoß und an sich, hob mich hoch.
Von ganz allein wandelte sich mein Körper und mein Blick verschwamm.
»Scheiße!«, zischte Thomas, sank mit mir zurück auf den Boden, um mich neu zu greifen. »Halt durch, hörst du?!«
»Hab … gefunden …«
»Das hast du«, flüsterte Thomas und ich fiel in Dunkelheit.
~*~*~*~
Melodische Töne durchdrangen die Schwärze, führten und lockten mich. Sie waren so vertraut und doch fremd, hatten ihre fröhliche Leichtigkeit verloren und klangen wehmütiger, trauriger, dunkler.
Ich blinzelte, fand mich mittig in einem riesigen Bett wieder, an dessen Ränder ich mich hätte rollen müssen, um es zu verlassen. Nur dass mir so überhaupt nicht nach Rollen zumute war. Jeder Knochen wog Tonnen und allein den Kopf zu drehen, um mich umzusehen, forderte ein anschließendes Innehalten mit Durchatmen.
Der Tag war neblig trüb, erhellte den Raum und die unzähligen Umzugskartons in einem gespenstischen Licht, was durch den sterilen Grauton der Wände nur noch verstärkt wurde.
In meinen Gedanken herrschte eine seltsame Stille, untermalt mit dem Spiel des Klaviers – Pianinos. Thomas’ herber Duft nach Sandelholz war hier überall. Das Einzige vertraute.
Sah so das Jenseits aus?
Ein gruseliger Ort, der einen daran erinnerte, was man am meisten geliebt hatte? Aber was machten die ganzen Umzugskisten hier? So viel Zeug besaß ich nicht.
»Tho–« Meine Stimme kratzte im Hals. Ich räusperte mich, hustete und das Spiel verstummte abrupt.
Das Reiben von Jeansstoff und schnelle Schritte. Thomas tauchte in der Tür auf, verharrte. Er war blass und um seine Augen lag ein dunkler Schatten. War er etwa auch … tot?
»Du bist wach!« Seiner Stimme wohnte nicht ihre übliche Kraft inne, sie war brüchig. Mit wenigen Schritten war er bei mir, lehnte sich zu mir hin und streckte seine Hand nach meiner Wange aus. Seine rauen Finger zitterten sachte und ein Lächeln huschte über seine Lippen, während sein Blick unruhig über mein Gesicht glitt. »Wie –« Er schluckte hörbar. »Wie fühlst du dich?«
Also lebten wir doch noch? »Okay?«
Thomas lachte rau, zog die Augenbrauen hoch. »Okay?« Unablässig streichelte er meine Wange. »Okay ist gut.«
»Wir –« Irgendwie empfand ich es als unhöflich, ihn zu fragen, ob er noch lebte. »Bin ich nicht tot?«
»Gott, nein!« Nur zwei Worte, aus denen seine Erleichterung klang. »Hast du Durst?«, fragte er, griff schon nach einer Wasserflasche, die wohl neben dem Bett gestanden hatte, und schenkte mir ein Glas ein.
Ich nickte. Das war zu schön, um echt zu sein. Wie er sich um mich kümmerte und sich sorgte, als ob ihm wirklich etwas an mir liegen würde.
Eindeutig tot!
Ich stemmte meine Hände in die Matratze und drückte mich hoch.
»Warte!«
Ich hielt inne. Da fühlte sich etwas komisch an … an meinem Hintern …
»Ich helfe dir.«
… genauer genommen darüber. Als ob ich …
Thomas griff mir unter die Arme. Keine Ahnung, wo das Glas oder die Flasche waren. Mir aber auch egal. Ich riss die Decke zur Seite, während er mich hochzog. Meine Finger krampften
sich in den Stoff. Da lag er neben meinem nackten linken Oberschenkel.
Sanft schob Thomas meine Schultern zurück. »Lehn dich an.«
Seine Stimme war plötzlich Eis in meinen Adern. Hastig drückte ich meine Hand nieder, versteckte meinen Fuchsschwanz wieder unter der Decke. Mein Brustkorb hob und senkte sich unter meinem rasenden Atem. Konzentrieren …
»Pablo?«
Ich zuckte zusammen, sah zu ihm auf.
»Lass es einfach, wie es ist.« Er hielt mir das Glas Wasser hin. »Trink lieber etwas.«
»Aber … du hasst meine … Tiergestalt …« Meine Stimme versagte. Wenn das das Jenseits war, dann war ich in der Hölle gelandet!
Hörbar atmete er durch, stellte das Glas auf den breiten Holzrand, der die Matratze einfasste. Thomas selbst schob sich weiter aufs Bett, stützte sich mit seiner rechten Hand neben mir ab. Seine linke wanderte in meinen Nacken, hielt mich fest. Er lehnte sich vor, drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
»Ich werde mich schon daran gewöhnen, in Ordnung?«
»Gewöhnen …?«
»Es war verdammt knapp für dich«, sagte er mit belegter Stimme. »Dein Körper hat keine volle Wandlung mehr geschafft und deine Wandler-DNA wurden vom Gift beschädigt. Vielleicht wird es wieder heilen oder auch nicht. Aber aktuell ist eine Wandlung viel zu riskant.«
Jedes seiner Worte ätzte sich tiefer. Ich schluckte hart, blinzelte gegen das Brennen in meinen Augen an und doch entkam mir ein Schluchzer.
»Komm her«, raunte Thomas mir zu, zog mich an sich und hielt mich. Ich vergrub meinen Kopf an seiner Halsbeuge, krallte meine Finger in sein T-Shirt und weinte leise vor mich hin.
Liebevoll streichelte er über meinen Rücken. »Die Hauptsache ist, dass du lebst. Den Rest bekommen wir schon hin.«
»Hinbekommen? Die anderen werden mich auslachen!«, stieß ich erstickt hervor.
»Nein, werden sie nicht. Sie fragen jeden Tag nach dir und außerdem … sind da nur noch du und ich.«
Ich löste mich von ihm, schaute schniefend zu ihm auf. »Ich verstehe nicht?«
Thomas deutete auf die Umzugskisten. »Ich habe die taktische Stelle angenommen und dich mitgenommen.«
»Mitgenommen? Warum …? Ich meine …«, stammelte ich. »Du wolltest die Stelle überhaupt nicht annehmen!«
Thomas schwieg einen langen, zähen Moment. »Ich hatte Levi bereits überwachen lassen. Unser vermeintlicher Abzug war nur ein Köder für ihn gewesen. Du wärst fast draufgegangen, weil ich dich nicht als ein Teil meines Teams gesehen habe. Schlimmer noch, ich habe dich bewusst außen vor gelassen, weil ich dich nicht in Gefahr bringen wollte. So ist es für uns beide besser. Für ein Uns … Wenn du das auch möchtest?«
Er lebte für seine Arbeit und nun hatte er sie aufgegeben, für mich. Plötzlich waren meine Hände schrecklich verschwitzt. Thomas liebte mich! Ich grub meine Finger noch tiefer in sein T-Shirt, wollte mich an ihn ziehen und doch gerieten meine Gedanken ins Stolpern. In die kribbelige Aufregung in meinem Bauch mischte sich ein Stechen, als mit jedem Schlag meines Herzens ein Wort in mir widerhallte: Nutznießer.
Was war ich wirklich für Thomas? Ich sollte ihm die Frage stellen, aber ich fürchtete seine Antwort.
Die Umklammerung meiner Finger löste sich und sie rutschten ab. Er fing sie auf, hielt sie in seinen rauen Händen.
Mit der Zunge fuhr er sich über die Lippen. Sie waren ungewöhnlich spröde und an zwei Stellen aufgerissen. »Mir ist
bewusst, dass ich dir diese Situation hier aufgezwungen habe.« Er lachte freudlos auf und die Unruhe, die ihn umgab, raubte mir die Luft zum Atem. »Aber ich musste eine Entscheidung treffen und du warst nicht bei Bewusstsein und ich konnte nicht … Ich wollte dich nicht alleine lassen. Nicht bei irgendwelchen Leuten, denen du nichts bedeutest. Ich –« Ihm versagte die Stimme und er ließ mich los, griff nach der Wasserflasche und trank einen großen Schluck daraus.
Klar, seine Stimme war heiser und brüchig, und doch wirkte es wie ein Zeitschinden, in der er sich sammelte. Er sah mich nicht wieder an und nahm auch nicht wieder meine Hand, hielt sich stattdessen an der Flasche und ihrem Deckel fest.
»Ich bin selten mit jemandem auf Augenhöhe. Entweder ich bekomme Befehle oder ich gebe sie, und noch viel weniger bin ich es gewohnt, eine Beziehung zu führen.« Thomas sah auf, suchte den Blickkontakt mit mir. »Ich mag dich, Pablo. Ich mag dich wirklich sehr. Du bist so viel mehr für mich als nur …« Er beendete den Satz nicht, schüttelte traurig den Kopf und schaute doch wieder fort. »Es tut mir leid, dass ich dir das Gefühl gegeben habe«, sagte er leise.
Jedes einzelne seiner Worte berührte mich, weil ich die Aufrichtigkeit dahinter spürte, fühlte, wie sehr er mit sich rang, sie auszusprechen.
»Ich würde sehr gerne irgendwo hingehören. Zu jemandem. Ein Zuhause haben. Aber kannst du mich wirklich so annehmen, wie ich bin?« Ich schlug die Decke zur Seite, unter der ich nach wie vor meinen Fuchsschwanz versteckt gehalten hatte.
»Pablo …« Er schraubte die Flasche zu, warf sie achtlos neben uns auf das Bett und beugte sich über mich, küsste mich so sanft und gefühlvoll. Ich hatte vergessen gehabt, wie ehrlich sich das immer angefühlt hatte. Niemals gierig. Niemals rücksichtlos. Selbst in seiner Begierde hatte er mich immer im Blick behalten
und sich zurückgenommen, wenn es mir zu heftig geworden war.
Thomas löste sich von mir, lehnte seine Stirn an meine und streichelte über meinen Rippenbogen, hin zur Hüfte und über meinen Fuchsschwanz. »Jeden Abend nach dem Einsatz warst du da und ich durfte für dich spielen. Zu jemandem nach Hause zu kommen, ist das Gefühl, das du mir gibst, und ich würde es dir gerne zurückgeben. Ich weiß nur nicht wie. Außer für dich zu spielen und zu singen.« Hilflos deutete er nach nebenan.
Ich lachte erstickt auf, floh in seine starken Arme. Er schloss sie um mich, zog mich an sich und vergrub seine Nase in meinen Haaren.
»Ich schätze, das bedeutet, dass wir es versuchen?«, nuschelte er.
Ich nickte energisch, wollte es so gerne.
»Du, Thomas?«
»Hm?«
»Ich kann hier nicht den ganzen Tag einfach rumsitzen!«
Er brummte zustimmend. »Und zusammenarbeiten können wir auch nicht. Das funktioniert nicht, wie wir beide gemerkt haben. Aber vielleicht wärst du bei der psychologischen Betreuung ganz gut aufgehoben.«
Ich löste mich so weit von ihm, dass ich ihn ansehen konnte. »Ich? Jemanden betreuen?«
»Mhm. Du müsstest zwar noch mal eine Ausbildung machen, aber ich denke, es fällt vor allem Wandlern leichter, wenn ihnen jemand gegenübersitzt, der auch wirklich weiß, mit welchen Problemen sie sich rumzuschlagen haben.«
Da saß ich nun. In den Armen meines ehemaligen Befehlshabers, der mich in Einsätzen und damit verbunden in einem nicht unerheblichen Teil seines Lebens nicht wahrgenommen hatte. Es nicht gekonnt hatte, weil ich in seinen Augen kein richtiger Söldner, sondern eine Belastung gewesen
war. Der nun sein ganzes Leben umgekrempelt hatte, damit wir eine Chance hatten, zusammen sein zu können. Der sich um mich kümmerte und Gedanken machte, als genau das: seinen Partner.
Ich konnte nicht anders, lächelte ihn glücklich an. »Das klingt toll«, flüsterte ich und küsste ihn. Erst tastend, dann immer länger und gefühlvoller. In jedem einzelnen lag ein Versprechen, das die wohlige Wärme in mir anfachte. Mit einem sehnsüchtigen Seufzen löste ich mich von ihm. Er lehnte seine Stirn an meine und streichelte mich unablässig, während er mich aufmerksam beobachtete.
»Würdest du noch einmal für mich spielen?« Meine Bitte nur ein Hauch.
Thomas lachte leise auf und ein Lächeln blieb auf seinen Lippen zurück. »So oft und so lange du willst«, raunte er mir zu und seine Worte erfüllten mich mit einer tiefen Zufriedenheit, die ich noch nie zuvor in meinem Leben gespürt hatte.
Hier bei ihm war ich endlich angekommen.