Die Melodie ist in dir
CHRIS P. ROLLS
Mit versonnenem Lächeln schirmte Jaro die Augen ab und blinzelte in das lauwarme Licht der Aprilsonne, lauschte angetan den vielen Vogelstimmen, die aus den erblühenden Sträuchern entlang des Gartens drangen. Zufrieden atmete er die frische Luft ein, ließ erst einmal die Ruhe der Kleingartensiedlung auf sich wirken. Ein kühler Wind strich ihm über die nackten Arme, erzeugte eine feine Gänsehaut. Vielleicht hätte er sich doch etwas Langärmeliges anziehen sollen, denn auch wenn die Sonne schon viel Kraft hatte, die Kälte der Nacht konnte sie so früh am Morgen noch nicht ganz vertreiben. Noch immer lungerte der Winter in den Ecken und Winkeln der Natur, wollte nur widerwillig weichen.
Mit einem Gähnen streckte Jaro die vom Autofahren steifen Muskeln und öffnete den Kofferraum seines Wagens, um die Sachen auszuladen, die er für die nächsten Wochen Auszeit im Häuschen brauchen würde.
»Du musst mal raus aus dem Trott hier. Du brauchst Ruhe und keinerlei Ablenkung«, hatte Fred gemeint, seit dem dritten Semester ein sehr guter Freund, mit dem er zwei Jahre in einer Wohngemeinschaft gelebt hatte. »Dann wird es auch was mit deiner Dissertation. So langsam solltest du echt mal in die Pötte kommen. Was brauchst du denn noch dafür?«
»Es ist eigentlich alles fertig, ich muss sie nur endlich fertig schreiben. Was ich brauche? Konzentration und einen deftigen Arschtritt«, hatte Jaro mit einem Seufzen gesagt, missmutig auf das Chaos in seiner kleinen Wohnung gestarrt. Auf dem Schreibtisch, Sideboard und dem Fußboden stapelten sich Papiere, Bücher, Stifte, Kaffeebecher und Ordner. Schon als
Student war er nicht der Ordentlichste gewesen, was ihm in ihrer Vierer-WG gelegentlich Ärger eingebracht hatte. Seit er allein lebte, musste er sich in regelmäßigen Abständen dazu zwingen, aufzuräumen, damit das Chaos nicht überhandnahm.
»Den Arschtritt kannst du gerne haben. Und das Wochenendhäuschen meiner Eltern. Liegt ziemlich idyllisch in einer Kleingartensiedlung am See«, meinte Fred, kickte mit dem Fuß einen von Jaros herumliegenden Schuhen zu dem passenden Gegenpart. »Keinerlei Luxus natürlich. Hat aber immerhin Strom und Wasser. Im Winter würdest du dir da ziemlich was abfrieren. Aber jetzt im Frühling sollte es gehen. Sogar Dagmar meint, dass es dir guttun würde.«
»Ist sie noch immer sauer auf mich?«
»Sauer ist sie nicht. Quatsch. Ich glaube einfach, es fällt ihr ziemlich schwer, damit klarzukommen, dass du …«, murmelte Fred, ließ sich mit einem übertriebenen Seufzen zwischen zwei Papierstapeln auf dem Sofa nieder.
»Dass ich schwul bin. Verstanden«, stieß Jaro genervt aus. Wieso taten sich manche Menschen noch immer so schwer damit? Viele aus seinem Bekanntenkreis hatten sich von ihm zurückgezogen, nachdem sie es erfahren hatten. Wenigstens seine Eltern hatten kein allzu großes Problem gehabt, als er es ihnen an seinem 24. Geburtstag mitgeteilt hatte.
Nachdem Fred seine neue Freundin Dagmar kennengelernt hatte, verstanden Jaro und sie sich durchaus gut. Ungefähr ein halbes Jahr lang. Vor zwei Wochen hatte Fred seiner Freundin dann einen Heiratsantrag gemacht und sie schmiedeten aktive Hochzeitspläne. Jaro war beim Gratulieren in ein megadickes Fettnäpfchen getreten, als er, unbedarft wie er manchmal war, durchblicken ließ, dass zwischen ihm und Fred früher mal was gelaufen war. Das Thema war für sie beide zwar längst abgehakt, sie waren einfach nur noch gute Freunde, für Dagmar jedoch
schien es weit dramatischer zu sein, denn seither behandelte sie Jaro distanziert, kühl und stets mit vagem Misstrauen.
»Nee, nicht dass du schwul bist. Sie hat eher Angst, dass du und ich was miteinander anfangen«, meinte Fred, verzog den Mund und verdrehte die Augen. »Das Schicksal eines bisexuellen Mannes. Sie denkt nun wohl, dass sie mir auf Dauer nicht genügt und wir beide nur deshalb so gut befreundet sind, weil ich dich für irgendwann warmhalten will. Komplizierte Sache. Aber sie wird da schon drüber weg kommen.«
Das hoffte Jaro allerdings auch, denn er mochte Dagmar und er wollte zukünftig ungern zwischen den beiden und vor allem Freds Glück im Weg stehen. Das war auch mit ein Grund, warum er das Angebot angenommen hatte, für vier Wochen in das Kleingartenhäuschen von Freds Eltern zu ziehen. Da war er aus dem Weg.
»Frische Luft, Ruhe und du bist ganz für dich. Wenn das deine Konzentration nicht verbessert«, hatte ihm Fred vorgeschwärmt. »Dauerhaft darf man da zwar nicht wohnen, es ist deswegen alles ein wenig bescheiden. Meine Eltern haben aber eine Komposttoilette eingebaut. Zum Kochen gibt es so eine Induktionsplatte und sogar einen Gaskocher. Wasser draußen aus dem Wasserhahn. Kommst du damit klar?«
Das hatte ihm Jaro versichert, ohne sich selbst sicher zu sein. Als Jugendlicher war er allerdings öfter mit seinen Eltern zum Campen gefahren und kannte leidlich die Grundprinzipien des Überlebens.
Das kleine Holzhaus lag gute vier Stunden Fahrt von seiner eigentlichen Wohnung entfernt und er war samstags extra zeitig vor Sonnenaufgang losgefahren, um alles einzuräumen und noch einkaufen zu können.
Pflichtgetreu quietschte das kleine Gartentor, als er es öffnete, die Tasche schulterte und die Kiste mit seinen Unterlagen sorgsam ausbalancierte. Unter den Füßen knirschte grauer Kies,
der schmale Weg führte zu einem dunkelbraun gestrichenen Blockhäuschen, dessen Fenster mit grünen Läden gesichert waren. Über den Winter benutzte es niemand, Freds Eltern sahen nur gelegentlich nach dem Rechten. Beide waren derzeit zudem auf einer Kreuzfahrt unterwegs und daher sehr froh gewesen, dass er vorübergehend dort einzog.
Ein leicht muffiger Geruch schlug ihm entgegen, weswegen er sofort alle Fenster öffnete, ehe er seine restlichen Sachen reinbrachte. Es gab lediglich zwei Räume, möbliert mit einem Tisch und Stühlen, daneben die Schlafgelegenheit, zudem eine kleine Kochnische mit Waschbecken. Zusätzlich ein mit Vorhang abgetrenntes winziges Abteil, welches sich Gartengeräte und Toilette teilten. Alles in allem einfach, jedoch behaglich eingerichtet.
Gleich nachdem er seine Sachen verstaut hatte, fuhr Jaro in den nächstgelegenen Ort auf der Suche nach einem Supermarkt. Er fand sogar einen Bäcker, von dem er zur Feier seines Einzugs Kuchen mitnahm. Gut gelaunt fuhr er zurück und machte sich sogleich hoch motiviert an die Arbeit. Erst am späten Nachmittag lockte ihn die warme Sonne in den Garten und er gönnte sich eine Auszeit mit Kaffee und seinem Stück Kuchen.
Die Stille war wirklich angenehm, vor allem wenn man das stete Hintergrundrauschen in der Stadt gewohnt war. Vogelgezwitscher mischte sich mit dem Summen und Brummen von Bienen und Hummeln, nur gelegentlich schwebte das Geräusch eines verfrüht eingesetzten Rasenmähers heran. Ein paar Krokusse hatten sich schon hervorgewagt, das Gras hingegen schien noch im Winterschlaf zu verharren.
Zufrieden schloss Jaro die Lider, ließ die Ruhe und die zahlreichen Düfte in sich sinken. Es war lange her, dass er sich eine solche Auszeit gegönnt hatte. Ehrgeizig wie er war, hatte er das Ingenieursstudium neben einem Halbtagsjob konsequent, nur knapp über der Regelstudienzeit, durchgezogen. Drei Jahre
war er nun schon in einer renommierten Firma, die seine Promotion unterstützte und ihm eine weitere Karriere in Aussicht stellte. Das war wirklich Glück und er war sich der Verantwortung, die dadurch auf ihm lastete, durchaus bewusst. Vier Wochen hatte er sich daher selbst gesetzt, in denen er es endlich schaffen wollte, seine Dissertation zu Ende zu schreiben. Das war er seinem Arbeitgeber einfach schuldig.
Sich in Arbeit zu vergraben, bedeutet auch, sich nicht mit den typischen Problemen eines Beziehungsaufbaus befassen zu müssen. Auch wenn er sich gelegentlich nach jemandem sehnte, mit dem er Gedanken, laue Sommerabende und auch das Bett teilen konnte.
Ein eigentümlich nachhallendes Geräusch, eine kurze Abfolge von schwingenden Tönen, riss ihn aus seinen Gedanken. Rasch wandte er den Kopf, nicht sicher, woher das gekommen und was es gewesen war. Hatte da jemand aus Spaß gegen eine Tonne geschlagen? Es klang zumindest nach Blech, auf jeden Fall eine Art Metall und dennoch seltsam melodisch. Eine Glocke vielleicht? Aber nein, das hatte anders geklungen. Hallender, weicher, mystischer. Was war das nur?
Aufmerksam horchte er, die Kaffeetasse zwischen den Händen, vernahm gleich darauf eine rhythmische, getrommelt wirkende Melodie in derselben Art. Überrascht schaute er sich um, schritt den kleinen Garten ab, um herauszufinden, von welchem Grundstück diese eigenartige Musik kam. Hinter der üppigen Forsythie, die ihre Blüten noch in grünen Knospen versteckte, wurde er fündig. Direkt nebenan erklangen die Geräusche. Durch die nur spärlich begrünte Hecke konnte Jaro zudem einen Mann erkennen, der dort im Schneidersitz saß, eine unbekannte Art von Trommel auf den Knien, auf der er nur mit den Fingerspitzen spielte.
Verblüfft, aber äußerst angetan hörte Jaro ihm zu, ließ sich von den Klängen vereinnahmen. Etwas Ähnliches hatte
er noch nie gehört. Die Musik wirkte beruhigend, verzauberte ihn, ließ ihn alles ringsum vergessen, zog ihn ganz und gar in ihren Bann. Fasziniert folgte er dem Spiel der flinken Finger, die die merkwürdige Blechtrommel flüchtig, nahezu zärtlich streichelnd berührten. Hin und her huschten sie, trommelten in einem fesselnden Rhythmus auf das Metall, entlocktem ihm Töne, die sphärisch nachhallten, tief in Jaro etwas zum Schwingen brachten, was sich wie Wärme ausbreitete.
Barfuß saß der junge Mann dort inmitten des winterlich verwelkten gelbgrauen Grases, erster, mutiger Gänseblümchen und dem zarten Grün der ersten Grasspitzen. Die Sonne funkelte in pechschwarzen Haaren, die schulterlang sein konzentriertes Gesicht umrahmten. Die Züge wirkten markant und gleichsam fein, die Haut wies einen sanften Bronzeton auf. Schlanke, lange Beine steckten in einer Jeans im Distress Look. Dazu trug er nur ein schwarzes T-Shirt mit einem goldenen, verschnörkelten Symbol. Zwischen bunten und ledernen Bändern schimmerten an den Handgelenken mehrere dünne, silberne und goldene Armreifen. Die Augen hatte er halb geschlossen, wiegte sich zu der herrlichen Melodie, die er mit seinen Fingern erzeugte.
Was war das nur für eine unbekannte Trommel? Dergleichen hatte Jaro nie zuvor gesehen. Nun gehörte er auch nicht gerade zu den musikalischsten Menschen, hatte zwar als Kind ein paar Klavierstunden gehabt, sein Talent war jedoch nur mäßig ausgeprägt und er hat bald schon aufgegeben.
Eingehend musterte er den Trommler, der nicht in das übliche Klischee des bürgerlichen Schrebergartenbesitzer zu passen schien. Wie alt mochte er sein? Auf jeden Fall jünger als er selbst.
Mit vager Wehmut betrachtete Jaro ihn, spürte das zaghafte Ziehen von Sehnsucht. Der Musiker war wirklich ein Hingucker. Mehr als das, er war sexy. Seine Lippen sahen verführerisch
weich und küssenswert aus. Die Linie des schlanken Halses zur Schulter wirkte einladend, verlockte die Finger unwillkürlich zum Darüberstreicheln. Wie würde es sich wohl anfühlen, die flachen Hände über die Arme oder gar die Brust gleiten zu lassen? Wie warm mochte seine Haut sein, wie würde er duften, wenn man die Nase dagegen drückte?
Jaros Liebesleben lag seit vielen Jahren brach, sah man von gelegentlich halbherzigen Versuchen ab, in einer Bar oder auch mal online Kontakt zu einem anderen schwulen Mann aufzubauen. Weder war er beim Flirten begabt, noch entsprach er jemandem, den man auf Hochglanzcovern eingängiger Magazine fand. Ab und an hatte er sich zwar für Sex mit jemandem verabredet, meistens hinterließen diese Treffen jedoch einen schalen Geschmack und die Sehnsucht nach einem Mann, mit dem er mehr als Lust teilen konnte. Es war immer leichter gewesen, sich in die Arbeit zu verkriechen, als sich den Komplikationen menschlichen Interagierens auszusetzen.
Offenbar war Jaro bei dem Gedanken ein zu lautes Seufzen entkommen, denn der junge Mann unterbrach sein Spiel, hob ruckartig den Kopf und starrte zu ihm hin. Einen winzigen Moment lang überlegte Jaro ernsthaft, den Atem anzuhalten und so zu tun, als ob er gar nicht da wäre. Unsinnig, denn seine Silhouette würde sicher durch das dürftige Blattwerk zu erkennen sein.
»Lassen Sie sich nicht stören. Das klingt wirklich schön.« Mit einem Lächeln hob Jaro grüßend die Kaffeetasse an und nickte dem Trommler zu.
Ein unsicherer Ausdruck huschte über dessen Züge, dann lächelte er jedoch zurück, strich sich die Haare nach hinten und legte die Blechtrommel zur Seite. Grüßend hob er die Hand und erhob sich mit einer Geschmeidigkeit, die Jaro instinktiv neidisch machte.
»Ich wusste nicht, dass jemand da ist.« Eine dunkle Stimmlage, die Augen des Mannes schlugen Jaro augenblicklich in ihren Bann.
»Bin auch erst ein paar Stunden hier«, erklärte Jaro, beobachtete nicht ohne ein feines, sehnsüchtiges Ziehen irgendwo hinter dem Bauchnabel, wie der Musiker sich streckte und näher heran kam. Passend zu den dunklen Haaren schimmerten die Augen in einem tiefen Braun. »Hallo, Nachbar. Ich bin der neue Nachbar. Zumindest für die nächsten Wochen. Jaro Sternberg.«
»Hallo, ich bin Dinesh«, stellte sich der andere vor, wirkte ein wenig zurückhaltend, die Hände schienen nicht recht zu wissen, wohin. »Ich spiele nur ab und an. Ich werde Sie hoffentlich nicht groß damit belästigen.« Es klang halb nach einer Frage. Inzwischen war Dinesh bis zum Zaun gekommen, lächelte Jaro verlegen an.
»Wenn Sie weiterhin so wunderbar spielen, ist es alles andere als eine Belästigung. Von mir aus spielen Sie so oft und viel wie Sie wünschen. Dinesh? Das ist ein schöner Name. Ihr Künstlername?«
»Jein, es ist mein echter Name und ja, auch so etwas wie ein Künstlername, wenn man es so nennen kann. Meine Mutter kam aus Indien und wollte mir einen besonderen Namen geben. Es bedeutet: Sohn der Sonne«, erklärte Dinesh, dessen Lächeln Jaro noch mehr bezauberte.
»Wir sind dann ja die perfekten Nachbarn. Jaro ist nämlich altirisch und bedeutet: Licht in der Nacht. Nein, meine Eltern stammen aus Deutschland und nicht Irland.« Lachend hob Jaro die leere Kaffeetasse an, fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen und gab sich einen Ruck. »Möchten Sie vielleicht auch einen Kaffee, oder darf ich gar ... Du sagen?«
Für einen Augenblick schien Dinesh mit sich zu ringen, dann ließ er mit einem härteren Ausatmen die Schultern sinken. »Ja,
okay. Beides. Ich trinke selten Kaffee, aber wenn, dann schwarz ohne alles.« Er strich sich dabei prüfend über das Kinn. Sein verschmitztes Schmunzeln ließ Jaro lachen.
»Wie ich.« Grinsend, über sich selbst ein wenig verwundert, machte Jaro eine einladende Geste, während sein Herz schneller trommelte. Dinesh war ihm spontan überaus sympathisch.
»Na dann … Ich komme rüber, ich bringe eben nur das Hang rein.« Rasch wandte sich Dinesh um, nahm die Blechtrommel mit sich in das kleine Haus, welches halb hinter einem Fliederbusch verborgen lag.
Mit schneller schlagendem Herzen sah ihm Jaro nach, entließ den unwillkürlich angehaltenen Atem. Wow, dieser Mann kam wirklich rüber auf einen Kaffee. Hastig wischte er sich die leicht feuchten Finger an der Hose ab, während er zum Haus ging, sich daran machte, die Kaffeekanne und eine zweite Tasse zu holen. Es war doch nichts dabei, seinen Nachbarn zu einem Kaffee einzuladen, oder? Auch nicht, wenn er zufällig hübsch und jung war. Nein, da war doch gar nichts dabei. Er versuchte schließlich nur nett zu sein. Die allermeisten Männer spielten nun mal nicht in seiner schwulen Liga. Träumen durfte man durchaus, er hingegen verlor nie den Blick auf die harte Realität, die nun mal die allermeisten Männer hetero zur Welt brachte.
»Hang heißt also diese Trommel? Tolles Teil. So etwas habe ich noch nie gesehen und gehört«, eröffnete Jaro das Gespräch, als Dinesh zu ihm in den Garten kam, sich auf den freien Stuhl setzte und mit einem Dankeschön den Kaffeebecher nahm »Wenn du nur ab und an spielst, bist du aber ziemlich gut darin. Glaube ich. Ich hab nicht so wirklich Ahnung.« Verlegen schluckte Jaro. Hoffentlich wirkte er nicht so unbeholfen, wie er sich gerade fühlte.
»Also eigentlich spiele ich sogar recht viel Hang. Eigentlich jeden Tag. Also ... eigentlich ... bin ich sogar Vollblutmusiker und es ist es ein Teil von mir. Und auch ein Job. Einer
davon«, brachte Dinesh stockend heraus, schmunzelte Jaro über den Tassenrand hinweg an. »Und es ist keine Trommel im eigentlichen Sinne. Es gibt die Zungentrommel, die wird mit Schlägeln gespielt und die Steel pan. Das sind Trommeln. Das Hang hingegen spielt man mit den Fingern, den Handballen oder auch der ganzen Hand. Es sind keine Schläge, eher ein feines Klopfen, oder auch ein Tippen, man streicht und berührt und regt die Töne an, sich zu entfalten.« Seine Stimme klang ein wenig schwärmerisch, die Augen funkelten, als ob Feuer in ihnen glimmen würde.
»Ein wunderbarer Klang. Ich habe es sehr genossen. Wirklich, du spielst das professionell?«, hakte Jaro überrascht nach. Unauffällig sog er den feinherben Duft ein, der von Dinesh ausging. Ein erdiges Aroma, das ihn an Natur und Sommer erinnerte. Versuchung pur.
»Professionell … Ja. Ist wohl so. Ich mache Musik, ja. Ich spiele oft auf Festivals und gebe auch Unterricht. Da man davon aber nicht alleine leben kann, bin ich meistens als Yogalehrer unterwegs.« Dinesh schien ein wenig skeptisch Jaros Reaktion abzuwarten, ehe er mit einem Zucken um die Mundwinkel ergänzte: »Yoga und noch ein bisschen Spirituelles.«
»Klingt nach einer spannenden Kombination. Von all dem habe ich so gar keine Ahnung. Ich bin wohl eher die Sorte unmusikalische, uninspirierte Couchpotato«, erklärte Jaro, nicht ohne ein gewisses Bedauern darüber, dass er sicher niemals in das Beuteschema dieses fitnessbewussten Mannes passen würde, selbst wenn sie am selben Ufer fischen würden. Sah man von typischen Fitnessgurus ab, die vor allem ihre Nahrungsergänzungsprodukte und Workouts verkaufen wollten. So einer schien Dinesh allerdings nicht zu sein. Dennoch musste er in dessen Augen noch weniger attraktiv wirken als sonst schon. Es war frustrierend.
»Musik ist in uns. Sie fließt, wenn man sie lässt und Inspiration findet man überall. Beim Yoga kommt es vor allem auf Körperbeherrschung an. Die Beweglichkeit gewinnt man beim Üben. Keine Sorge, ich bin kein Missionar. Ich motiviere lediglich. Ich sehe mich eher als Motivationstrainer«, fügte Dinesh rasch hinzu, machte eine beschwichtigende Geste. »Was machst du denn beruflich, wenn ich fragen darf?«
»Aktuell mache ich meinen Doktor. In Ingenieurswissenschaften. Genauer gesagt: Umweltingenieurswissenschaft. Ich schreibe meine Dissertation über das Thema: Vergleichende Ökobilanzierung semi-zentraler Hauswärmebereitstellung aus Holzreststoffen.«
»Das klingt … ziemlich kompliziert.« Abermals lächelte Dinesh, die Augen blitzten schelmisch. »Muss wohl so sein, wenn man Doktor werden will. Ist das ein ungeschriebenes Gesetz?«
»Natürlich. Das ist sogar Pflicht. Schließlich soll es schwer verständlich und vor allem anspruchsvoller klingen, als es eigentlich ist.« Jaro musste lachen, fühlte sich in Dineshs Gegenwart weit wohler und lockerer als gewöhnlich. »Ich bin hier, weil ich ziemlich viele langweilige Daten in einen interessanten Kontext bringen will, der sich nicht nur mir erschließt. Mit ein bisschen Glück und Wohlwollen rechtfertigt das am Ende dann einen Doktor. Die Ruhe und Abgeschiedenheit wurden mir von meinem besten Freund verordnet. Spirituelle Motivation kann ich folglich sicher zwischendrin immer gut gebrauchen.«
»Dann nervt es dich doch bestimmt beim Arbeiten, wenn ich andauernd spiele. Ich kann auch woanders hingehen. In den Wald oder Park«, warf Dinesh hastig ein, die feingliedrigen Finger schlossen sich enger um die Tasse. »Die anderen Gartenbesitzer sind meist nur an den Wochenenden da, dann
spiele ich besser nicht. Damit ich keinen davon störe. Ich will keinen Ärger haben.«
»Nun, mich stört es sicher gar nicht. Ich werde es eher als Motivationsmusik sehen«, erwiderte Jaro erheitert. Wieso sollte sich jemand von dieser wunderbaren Musik gestört fühlen? Hatte Dinesh deswegen Probleme bekommen? Das war doch einfach lächerlich.
»Ich bin das erste Mal in einer Kleingartensiedlung. Regt sich wirklich jemand darüber auf? Wie lange bist du denn hier? Machst du gerade Urlaub?«
Augenblicklich spannte Dinesh sich an, schluckte hart, die Züge wirkten mit einem Mal sehr sorgenvoll.
»Entschuldige. War das eine unangemessene Frage?«, hakte Jaro betroffen nach, spürte eine unangenehme Kälte im Magen. Hatte er ihn verletzt? »Ich dachte nur … Freds Eltern meinten, unter der Woche sei hier so gut wie nie jemand, die meisten kämen nur für das Wochenende. Ich kenne mich mit den Schrebergartengepflogenheiten allerdings absolut gar nicht aus.« Bedrückt musterte er Dinesh, dessen Blick unstet über sein Gesicht glitt und der offenbar ein wenig mit sich rang. Was für ein Fettnäpfchen hatte er aus Versehen erwischt?
Kurz sog Dinesh die Luft ein, entließ sie hart. »Nein, kein Urlaub. Ich … bin länger hier. Länger als … die meisten.« Noch einmal sog er die Lippen ein, lächelte ein wenig gequält wirkend. »Genaugenommen … wohne ich gerade hier. Also fest. Ja, ich weiß, dass es nicht erlaubt ist. Es ist auch nur … vorübergehend.« Ein weiteres Seufzen, ein beinahe flehender Blick brachten Jaros Herz zum Schmelzen, verlockten die Finger, sich an die Wange zu legen, die Lippen zu einem Kuss … Nein, keine gute Idee. Definitiv nicht.
»Sehe ich etwa wie das Ordnungsamt aus?« Beschwichtigend hob Jaro die Hände. »Ich bin sicher nicht hier, um irgendwen irgendwo zu verpfeifen. Genaugenommen kann ich nicht mal
pfeifen. Ich bin wie gesagt ziemlich unmusikalisch. Ich höre nur gerne gute Musik. So wie deine. Wenn ich zufriedenstellend mit meiner Arbeit voran komme, darf ich dir dann eine Weile lauschen?«, fragte Jaro, lachte verhalten und lächelte Dinesh an, in dem Versuch, die bedrückte Stimmung aufzuhellen.
»Wenn es dir nichts ausmacht.« Noch immer wirkte Dinesh ein wenig misstrauisch und Jaro fragte sich, welche Geschichte dahintersteckte und ob er nachfragen sollte. Besser nicht. Sie kannten einander ja kaum. Dinesh würde schon berechtigte Gründe haben, in ein Haus zu ziehen, das weder von der Größe dem gewöhnlichen Standard, noch von Komfort oder Isolierung den üblichen Anforderungen an einen festen Wohnsitz entsprach. Ja, sicher kannte sich Jaro im gültigen Recht aus. Wen kümmerte es? Niemandem schadete es, wenn Dinesh dauerhaft in einem winzigen Haus wohnte.
»Bestimmt nicht.« Unsicher, ob er nicht mit den nächsten Worten eine unsichtbare Grenze überschreiten würde, rutschte Jaro auf dem Stuhl nach vorne. Sollte man nicht mutig das Herz voraus werfen, wenn man etwas erreichen wollte? Wollte er etwas erreichen? Ja, sicher, er wollte zumindest versuchen, Dinesh näher kennenzulernen. Enttäuschung inbegriffen. Wer nichts wagt, kann nichts gewinnen. »Vielleicht … kann ich ja mal eine Stunde bei dir nehmen und es ebenfalls lernen? Ich warne dich vor, ich bin wohl eher untalentiert. Hat mein früherer Klavierlehrer zumindest behauptet.«
Über Dineshs Züge huschte ein Lächeln, die Zungenspitze blitzte hervor, als er sich die Lippen hastig befeuchtete. Die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen und das ließ Jaros Puls prompt ansteigen.
»Ich bringe dir gerne bei, wie man Hang spielt. Inspirierende Motivation für angehende Doktoren sind mein neues Spezialangebot. Für jeden Fortschritt bei deiner Doktorarbeit darfst du ein wenig Hang bei mir lernen. Deal?«
»Der perfekte Deal!« Lachend tranken sie noch eine weitere Tasse zusammen, verbrachten weit mehr als eine Stunde im Gespräch. Es fiel Jaro einerseits schwer, danach wieder an die Arbeit zu gehen, die Gedanken kreisten immer wieder um Dinesh. Andererseits fühlte er sich beschwingt und leicht wie schon lange nicht mehr.
~*~*~*~
In den nächsten Tagen trafen sie sich häufiger. Oft wechselten sie nur ein paar Worte über den Zaun, ab und an tranken sie einen Kaffee oder Tee zusammen. Es kostete Jaro letztlich doch ein wenig Überwindung, Dinesh auf sein Angebot anzusprechen. Doch als sie gemeinsam im Garten in der warmen Sonne im Gras saßen und Dinesh ihm zeigte, wie er das Hang halten sollte, stand die Neugierde auf dieses seltsame Musikinstrument im Vordergrund.
»Früher hab ich auch mal Steel Pan gespielt, die hat im Gegensatz zum Hang ein konkaves Profil. Das Hang ist übrigens kein exotisches Musikinstrument eines lange ausgestorbenen mystischen Volkes. Es stammt aus der modernen Schweiz und ist im Grunde genommen eine große Stahllinse mit eingehämmerten Kuhlen. Jedes dieser Felder hat ein eigenes Tonfeld. Tippe mal dagegen, dann hörst du es«, erklärte Dinesh, der ihm im Schneidersitz gegenübersaß und eine auffordernde Geste machte. Die Haare hatte er heute zu einem Man Bun gebunden, der ihm sehr gut stand. Im Unterschied zu Jaro, dem es noch zu frisch war, trug Dinesh nur Shorts und T-Shirt. Dass es es liebte, überwiegend barfuß herum zu laufen, hatte Jaro durchaus schon bewundernd bemerkt. Ein Naturbursche durch und durch.
»Wow«, quittierte Jaro das erste vorsichtige Antippen. Der Hall des Tons klang weich und wunderschön. Nacheinander
berührte er alle Tonfelder und dann gleich noch einmal, um jedem Ton zu lauschen. Das war unglaublich schön.
»Und im Prinzip ist es das auch schon«, meinte Dinesh grinsend. »Du spielst, du probierst. Tippe, klopfe, streiche, reibe. Die Melodien entstehen in dir und deine Finger übertragen sie auf das Hang. Schau einfach mal, welche Reihenfolge der Töne dir intuitiv gefällt.« Während Jaro dem eifrig nachkam, testete, welchen Klang er mit den Fingerkuppen, den Knöcheln, dem Handballen oder gar der ganzen Hand hervorlocken konnte und welche Intensität die Töne beeinflusste, ergänzte Dinesh sein Spiel auf einem weiteren Hang. Es dauerte nicht lange und es gelang Jaro, die vorgespielten Töne nachzuspielen. Lächelnd ermunterte ihn Dinesh, sie zu Melodien zu kombinieren, spielte diese vor und lobte Jaro, wenn er es schaffte. Eifrig machte Jaro mit, überrascht, wie leicht es war, wie vielfältig und vor allem wie wunderbar die Töne in ihm nachhallten. Mit jedem davon schien etwas Schweres von ihm abzufallen, ließ ihn immer leichter werden. Beinahe schwebend fühlte er sich.
Jaro hätte ewig weitermachen können, nach gut einer Stunde unterbrach Dinesh jedoch mit einem bedauernden Seufzen ihr Spiel, entschuldigte sich damit, dass er noch einen Yoga-Termin wahrnehmen müsse. Bedauernd gab ihm Jaro das Hang zurück und bedankte sich.
»Immer gerne wieder. Wenn du dein Pensum an Arbeit geschafft hast«, gab Dinesh Jaro zum Abschied mit. Gesagt getan. Voller Ehrgeiz und mit Disziplin absolvierte Jaro sein täglich gesetztes Ziel bei der Dissertation, nur um sich alle zwei Tage mit einer Musikstunde bei Dinesh zu belohnen. Immer öfter dehnte sich ihre Lehrstunden länger als geplant aus. Wenn Dinesh keine Termine hatte, saßen sie danach noch gerne im Gespräch zusammen, tranken Tee oder ließen die Nacht mit einem Glas Rotwein herankommen und meistens war es
spät, wenn sie sich wieder trennten. Gesprächsstoff fanden sie intuitiv. Selten hatte Jaro sich so wunderbar locker mit einem anderen Mann unterhalten können.
Jaro erfuhr, dass Dinesh schon als Jugendlicher mit seinen Eltern in einem zum Camper ausgebauten LKW durch die Welt gereist war, viele wundervolle Orte gesehen und einiges erlebt hatte. Seine Berichte von einem gänzlich anderen, alternativen Leben faszinierten Jaro sehr, dessen eigener Lebenslauf ihm mit jeder Anekdote mehr viel zu fade und geradlinig erschien. Wie aufregend es sein mochte, einfach drauflos zu fahren, nicht zu wissen, wo man nächste Nacht schlief, wohin es einen verschlagen würde, Menschen und Orte zu sehen, sich treiben zu lassen. Für so etwas hatte er nie Zeit oder gar den Mut gehabt.
»Es war immer der Wunsch meiner Mutter, im Alter nach Indien zurückzukehren und dort zu bleiben«, erzählte Dinesh ihm, während sie der Sonne beim Untergehen hinter den hohen Buchen zusahen, die Flammen in der kleinen Feuerschale zwischen ihnen knisternd über die Holzscheite tanzten. Jaro hatte ihn zum Essen eingeladen, sie hatten gemeinsam gekocht, sich geneckt und so viel gelacht, dass er glaubte, Muskelkater in den Bauchmuskeln zu spüren. Ein herrlicher Abend voller Leichtigkeit und guter Laune.
»Ich mag das Land sehr, aber ich möchte nicht dauerhaft dort leben. Also bin ich allein, überwiegend zu Fuß und per Anhalter nach Deutschland zurück gereist.«
»Respekt. Aber warum nach Deutschland?«, hakte Jaro interessiert nach, lauschte zufrieden den Vogelstimmen, dem einzigen Geräusch in der leeren Schrebergartensiedlung. Ab und an kam auch jemand unter der Woche her, das war jedoch eher die Ausnahme und sie konnten diese Ruhe bis zum Wochenende genießen. »Warum nicht irgendwo, wo es wärmer, schöner und weniger bürokratisch ist?«
»Weil ich müde vom Reisen bin. Zu lange unterwegs. Ich war nirgends daheim, immer nur kurzes Zwischenspiel und dann ging es weiter. Weil ich mich nach einem Ort sehnte, an dem ich zur Ruhe kommen und ein wenig Stabilität finden könnte.« Dineshs Blick ging durch Jaro hindurch in die Ferne. Sehnsucht lag darin, die Jaro tief berührte und seine eigene ansprach. »So schön dieses Leben war, es war auch hart, immer wieder Freunde zurück zu lassen. Liebgewonnene Orte und ja, auch schnöde materielle Dinge. In Deutschland sollte ich von einem Freund die Wohnung übernehmen, als Yogalehrer arbeiten, mir was Festes aufbauen.« Nachdenklich rieb Dinesh sich über das Kinn, strich über das Hang, das an seinem Stuhl lehnte. Seufzend verzog er den Mund zu einem missmutigen Lächeln. »Das Leben ist das, was passiert, während man andere Pläne schmiedet, nicht wahr?«
»Aber du bist doch Yogalehrer geworden?«, warf Jaro ein, verspürte den drängenden Wunsch, näher an Dinesh heranzurücken, der eine seltsame Aura von Traurigkeit ausstrahlte. Das war ein ziemliches Risiko, wenn man nicht exakt wusste, wie der andere Mann tickte. Jaro hatte noch nie ein gutes Gespür dafür gehabt, wer am selben Ufer fischte und schon einige leidvolle Erfahrungen gemacht, wenn er die Initiative ergriffen hatte. Bei Dinesh wollte er um keinen Preis einen voreiligen Fehler machen, den er bereuen würde.
»Das bin ich. Aber leider erwies sich der Job, den mein Freund mir eigentlich offeriert hatte, als nicht ganz das, was ich mir vorgestellt hatte. Und dann gab es auch noch massiven Ärger mit der Wohnung und ich verlor sie nach einem halben Jahr. Unter anderem, weil sich die Nachbarn über mich und den Lärm beschwert haben. Es ist verdammt schwer, beinahe unmöglich, mit nicht-weißer Hautfarbe, ohne sicheren Job und in dieser Gegend eine bezahlbare Wohnung zu finden. Deswegen … bin ich jetzt eben hier. Das Häuschen
gehört einer Freundin, die gerade durch Südamerika reist. Ich kann mir aktuell auch gar nichts anderes leisten. Zumindest für die nächsten vier Monate kann ich noch bleiben. Illegal.« Hart entließ Dinesh den Atem, versuchte zu lächeln, zuckte entschuldigend die Schultern. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht volljammern. Ich komme gut klar.«
O Mann, das klang dennoch reichlich resigniert und Jaro wollte nicht recht einfallen, was er sagen sollte, um Dinesh aufzumuntern, ihm Mut zuzusprechen. Verdammte Vorurteile. Wieso beurteilten Menschen andere so oft aufgrund ihrer Hautfarbe, ohne das Geringste über sie zu wissen?
»Völlig okay. Muss sagen, mein Leben klingt reichlich spießig und total langweilig dagegen. Ich war nie mutig genug, die gewohnten Bahnen zu verlassen. Schule, Studium, Job, meinen Doktor machen. Ich bin den Weg immer geradeaus gelaufen und hab viel zu wenig nach links und rechts geschaut. Vielleicht ist mir einiges dabei entgangen, was sehenswert gewesen wäre. Wenn ich so deinen Schilderungen lausche … beschleicht mich ein nicht gerade geringer Neid«, gab Jaro ehrlich zu, konnte den Blick nicht von Dineshs Finger nehmen, die über das Metall des Hangs strichen.
»Neid? Glaub mir, ich habe vieles gesehen, was ich lieber nicht gesehen hätte.« Dinesh verzog den Mund, sein Lächeln wirkte ein wenig scheu. »Es gibt viele wundervolle Orte auf der Welt und einige, die für manche Menschen eine Hölle sein können. Besonders jene, die … anders sind.«
Wieder traf Jaro ein leicht fragend wirkender Blick und Dinesh seufzte kaum merklich. Prompt breitete sich in Jaros Nacken ein Kribbeln aus, floss über die Nackenwirbel, zog sich die Wirbelsäule hinab. War das etwa eine Andeutung, auf die er reagieren sollte? Oder pures Wunschdenken?
»Anders … Ist nicht jeder von uns ein Individuum?«, brachte Jaro heraus, unsicher, wie er sich herantasten sollte. »Und damit anders als andere?«
Dinesh schwieg, die Finger strichen über das blau schimmernde Metall des Hangs, die Fingerkuppen glitten wie in einer Liebkosung durch die Kuhlen.
»Bist du anders?«, fragte er Jaro unerwartet, sah ihn direkt an, das Lächeln wirkte ein wenig verkrampft. Augenblicklich schnellte Jaros Puls in die Höhe, die Hände wurden feucht und es war schwer, ruhig zu atmen, Worte zu finden.
»Ich bin ein Mann, der selten ein Risiko eingeht, immer der sicheren, ausgebauten, geraden Straße gefolgt ist. Ich brauche eine feste Grundlage, ich baue gerne etwas auf einem absolut soliden Fundament«, erwiderte er zögernd, versuchte Augenkontakt zu halten, auch wenn es schwer fiel und er ahnte, dass Dinesh ihm seine Nervosität ansehen würde. Was mochte er denken? Wie sollte er reagieren? War es Zeit für die Wahrheit oder ein weiteres Maskenspiel? Dinesh vertraute ihm, hatte ihm weit mehr von sich erzählt, als er selbst. Selbst wenn Dinesh hetero war, würde er ihn dennoch als schwul akzeptieren oder hörte dort seine Weltoffenheit und Toleranz auf?
Vorsichtig atmete Jaro aus, sammelte jedes bisschen Wagemut, das in ihm war. Nicht gerade viel, er musste ganz schön suchen. Langsam senkte er den Blick, der auf das Hang fiel, welches er vorhin noch gespielt hatte. Es hatte sich so gut angefühlt, neben Dinesh zu sitzen, eine Einheit, verbunden durch die Musik, die sphärischen Töne zu erzeugen, die ihm wie greifbares Glück erschienen waren. Für jenen Moment hatte er sich völlig frei und ganz in sich ruhend gefühlt. Ganz so, als ob er etwas gefunden hätte, nachdem er die ganzen Jahre rastlos gesucht hatte. Es konnte sein, dass Dinesh des Reisens müde geworden war, er hingegen war es leid, immer der bekannten Straße zu folgen, nie abzuweichen.
»Für die meisten Menschen bin ich wahrscheinlich ein total langweiliger Typ, der weder besonders attraktiv noch sonst wie interessant ist. Ich würde mich selbst nicht mal als besonders interessant ansehen. Nein, in der Hinsicht bin ich nicht anders oder besonders.« Kurz biss sich Jaro in die Unterlippe, schluckte die Nervosität hinunter, nahm das Hang hoch und legte es sich auf den Schoß. Die Finger strichen über die gehämmerte Oberfläche, er spürte die Vibrationen, die darinnen verborgen lagen, hörte Töne, die längst verflogen waren und die noch gespielt werden wollten. »Die Musik ist in dir«, hatte ihm Dinesh gesagt. »Jede Melodie ist ein Teil von dir, der darauf wartet, freigelassen zu werden. Du musst nur dir selbst zuhören und die Töne in dir wahr werden lassen.«
»Anders würden mich nur jene nennen, die … Nun ja, ich bin wohl keiner, der Frau und Kind und Reihenhaus haben wollen würde, um glücklich zu sein. Eher ein Haus, das ich entworfen und gebaut habe … einen … Mann an meiner Seite.« Da war es raus, schwebte in der Luft, vibrierte wie ein zarter, vielleicht doch etwas zu schriller Ton, den er auf dem Hang gespielt hatte. Eine Melodie, die in ihm ruhte und nur für jeden sichtbar in der Luft schwebte. Ein falscher Ton? Eine falsche Melodie?
Mit angehaltenem Atem lauschte Jaro, wagte es nicht, den Blick von den eigenen Fingern zu nehmen, horchte auf die Worte, die sich ständig zu wiederholen schienen, lauter wurden, vielleicht zukünftig eine Mauer zwischen ihnen bilden würden. Es gab kein Zurück mehr.
Eine federleichte Berührung ließ ihn zusammenfahren. Vertraute Finger legten sich direkt neben die seinen auf das Hang. Warmer Atem streifte seine Wange, Dineshs Präsenz umfing ihn wie ein wundervoller Sommerhauch voller Würze und blumiger Düfte.
»Sagte ich dir nicht, dass das Hang jede deiner Melodien zu spielen vermag?« Raunend klang Dineshs Stimme, so nahe, mit
einem hörbaren Lächeln gesprochen. »Ich habe sie vernommen noch ehe du sie gespielt hast. Sie herauslassen oder spielen konntest. Ich kenne sie. Macht dir das Angst?«
»Nein. Nicht wirklich«, erwiderte Jaro hastig, nicht ganz sicher, ob er das richtig verstanden hatte. Seine Melodie? Sein Herz hüpfte, donnerte gegen die Rippen, ließ das Blut in den Ohren rauschen. Dinesh hatte es geahnt? Hieß das …? War er womöglich auch …? Flüchtig benetzte Jaro sich die Lippen, wandte langsam den Kopf, sich Dineshs Nähe absolut bewusst, des Armes, der den seinen berührte, der Schulter, die gegen seine drückte.
Oh, so ein warmes Lächeln. Und dieses Funkeln in den Augen, die überraschend warme Art und Weise, wie Dinesh ihn ansah. Zärtlich, voller Stolz und … vagem Begehren.
»Ist es auch deine Melodie?«, brachte Jaro mit viel zu rauer Stimme heraus, spürte den drängenden Wunsch, Dineshs Lippen zu berühren, die Finger über die Hand zu legen. Dieser Mann war so wundervoll, er wagte nicht zu hoffen, dass es das war, wonach es klang.
»Du bist die Melodie, die in mir klingt, seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Jedes Mal, wenn wir uns getroffen haben, wurde sie stärker, schwingt gewaltiger, wächst und will endlich hinaus.« Bis zu einem Flüstern hatte Dinesh seine Stimme gesenkt, die Finger schoben sich über Jaros und zugleich stieg ein warmer, weicher Ton aus dem Hang auf. Das Metall fühlte sich mit einem Mal ebenfalls warm an, die Vibration schien in ihnen und dem Instrument zugleich zu sein. Ihre Finger glitten über die gehämmerte Oberfläche und ließen sie summen.
»Konkret heißt das? O Mann, ich will ja nicht auf der Leitung stehen, aber gerade habe ich furchtbare Angst, etwas falsch zu verstehen oder zu machen«, stieß Jaro aus, blinzelte, konnte Dineshs Nähe kaum ertragen, so sehr verzehrte er sich danach,
ihn in die Arme zu schließen und zu küssen. War es so? Konnte er derart viel Glück haben?
»Dass wir beide dasselbe empfinden und gesucht haben. Einen Mann, der dieselbe Melodie spielt, der die innere Musik hören und verstehen kann. Vielleicht ist das deutlicher.« Unvermittelt legten sich Lippen auf Jaros, presste sich Dineshs Mund auf den seinen. Ein Kuss. Unmissverständlich ein Kuss.
Überrascht und reichlich perplex öffnete Jaro die Lippen, erwiderte instinktiv die Liebkosung, kostete die warmen, weichen Lippen, sich nur am Rande bewusst, dass seine Finger sich an Dineshs Wange legten. Dieser Duft, diese Nähe. Es war himmlisch, brachte Herz und Kopf zum Wirbeln, sandte die Sinne auf eine Achterbahnfahrt ins Glück.
»Das war deutlich genug«, murmelte Jaro ergriffen, die Lippen noch immer in direktem Kontakt, glitten über Dineshs. Mutig küsste er zurück, nahm seinen Mund immer stärker ein, küsste verlangender, ließ seine Gefühle in die Liebkosung gleiten, sich ganz von ihnen führen. Wann hatte er das zum letzten Mal getan? Wann sich so in einem Kuss hingegeben? Es schien so einfach und völlig selbstverständlich und dennoch stand ein Teil von ihm staunend daneben und wagte nicht, es als real anzusehen.
Weitere hallende, sphärische Töne schwebten um sie herum, ihre Finger glitten immer wieder über das Hang, erzeugten streichelnde Klänge, die zart und leise ihre Zuneigung untermalten. Als ob das Hang selbst zu ihnen sprechen würde. Oder das Universum.
»Spüre mich. Erlebe es mit mir«, raunte Dinesh ihm zu, küsste sein Kinn, ließ die Zunge kurz dagegen stupsen. Nur kurz ließ er von Jaro ab, rückte seinen Stuhl heran, sodass sie mit dem Hang zwischen ihrer beider Beine sitzen konnten. Noch ein Kuss, noch einmal gab sich Jaro hin, genoss den Kuss, saugte an den Lippen, wollte und konnte kaum noch ablassen.
»Leg beide Hände auf das Hang.« Dineshs Stimme war wie ein Flüstern im Wind. Ohne zu wissen, was er vorhatte, folgte Jaro der Anweisung, fühlte gleich darauf, wie Dinesh die gespreizte Hand über seine legte, sodass ihre Finger alle auf dem Hang lagen.
»Lass uns unsere Melodie finden.« Wieder küsste Dinesh ihn, seine Oberschenkel rieben an Jaros, sandten erregende Schauder durch die Lenden. In sanften, streichelnden Bewegungen glitten ihre Finger über das Metall. Führte Dinesh ihn? Oder er Dinesh? Oder eine ganz andere Kraft? Jaro vermochte es nicht zu sagen, fühlte sich schwebend, von Lust und Leidenschaft erfüllt, voller Zärtlichkeit und unfassbarem Glück. Ihre gemeinsamen Finger erzeugten Töne, die tief in sein Innersten drangen, ihn Wärme und Geborgenheit fühlen ließen. Lust, in heißen Wellen. Ein Zittern auf der Haut, ein Trommeln in der Brust. Jeder Ton schien mit seinem und Dineshs Körper verbunden zu sein. Als ob sie wirklich ein Teil einer seltsam anderen Melodie wären.
Himmel, das war verdammt erotisch und etwas, was Jaro nie zuvor erlebt oder für möglich gehalten hatte. Längst flog sein Atem, war ihm heiß, funkelten Schweißperlen auf Dineshs Stirn.
»Sei zärtlich, sei hart. Streichle und fordere. Teste alles aus. Mit mir. Mit dir. Sei du selbst«, flüsterte ihm Dinesh zu, lächelte, leckte sich über die so begehrenswerten Lippen.
»Wenn ich gerade ich selbst sein soll, dann würde ich dich hier im Gras flachlegen«, murmelte Jaro, ein wenig bestürzt darüber, wie sehr das Verlangen von ihm Besitz ergriffen hatte. O Mann, so gut kannte er Dinesh doch noch immer nicht. Sollten sie sich nicht ein wenig mehr Zeit lassen? Ein dunkler Ton entstieg dem Hang und er wusste, dass er es war, der ihn gespielt hatte.
»Genau das ist die Melodie, die ich fühle. Und wenn wir nicht Gefahr laufen würden, von neugierigen Augen beobachtet zu
werden, glaub mir, ich läge schneller im Gras, als du schauen kannst.« Glucksend lachte Dinesh, lehnte die Stirn gegen Jaros. »Zu dir oder zu mir?«
»Wer hat das größere Bett?«, fragte Jaro atemlos, schluckte hart, versuchte seiner Erregung Herr zu werden. Verdammt. Scheiß auf Vernunft und gerade Wege. Her mit Spontanität.
»Ich glaube du.«
»Dann los.« Entschlossen packte er das Hang, legte es zur Seite, umschloss Dineshs Hände und zog ihn energisch zu sich heran. Wie in Trance umfingen seine Finger die Wangen und für einen Moment hielt er das Gesicht einfach nur fest, verlor sich in dem Lächeln der Augen und des Mundes. War es richtig? Jeder andere Mann hätte wahrscheinlich die Gelegenheit ergriffen und sich sofort in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang gestürzt. Nur er war immer so vorsichtig, hatte Sorge, zu stolpern, den falschen Weg einzuschlagen. Einen unbekannten.
»Ich sehe, wie du zweifelst«, sagte Dinesh, legte die Hände fest und zuversichtlich auf Jaros Schultern. »Wenn man nicht dem Klang der Melodie folgt, dann erklingen die Misstöne der Zweifel immer lauter und übertönen die feine Musik im Herzen. Höre auf dein Herz.«
»Ich zweifle ja, ob es das Herz und nicht eher mein Schwanz ist, der sich gerade Gehör verschaffen will«, gab Jaro betreten zu, genoss nichtsdestotrotz das erregende Ziehen, das Gefühl der Spannung, die Erektion, die gegen den Stoff seiner Jeans drückte, die vage Vorfreude auf nackte, feuchte Haut unter den Lippen, intensiven Duft, das Gefühl der stetig steigenden Ekstase.
»Und wenn beide dasselbe wollen?«
»Verdammt, du machst es mir schwer, vernünftig zu bleiben, weißt du das?« Sehnsuchtsvoll stöhnte Jaro, presste die Lider zusammen. Er wollte es, er wollte die Nacht mit Dinesh verbringen, er wollte ihn küssen, ihn liebkosen, ihn erkunden,
gemeinsam Lust erfahren. Und dann? In gut einer Woche würden sich ihre Wege wieder trennen. War es fair? War es in Ordnung?
»Das weiß ich und … Scheiß drauf. Wenn ich eins gelernt habe, dann den Moment zu genießen, der uns geschenkt wird. Und ich werde ihn genießen und dich genießen lassen. Du ahnst noch nicht einmal, was ich so alles auf meinen Reisen gelernt habe.« Verschwörerisch zwinkerte ihm Dinesh zu, biss weich in die Unterlippe. Gierig zog er daran, besänftigte sie mit einem neuen, leidenschaftlichen Kuss, der Jaros Widerstand augenblicklich brach.
Stolpernd, einander immer wieder küssend, schafften sie es zum Häuschen, stürzten hinein und auf das Bett, entledigten sich so schnell gegenseitig ihrer Kleidung, dass es Jaro schwindelte. Endlich glitten seine Fingerkuppen über die samtige Haut, sog er den herben Duft ein, vergrub die Nase in krausen Haaren, ließ die Zunge über Dineshs Erektion gleiten, kostete klebrige Lust. Irgendwann wollte er noch fragen, wie Dinesh es mochte, doch dann war es wie beim Spielen des Hangs: Seine Finger, seine Sinne, sein Körper wussten es, fanden jene Stellen, die Dinesh stöhnen, sich ekstatisch winden ließen. Die Töne ihrer Leidenschaft entstiegen ihnen mit ebensolcher Leichtigkeit, wie beim gemeinsamen Spielen. Hitze erfüllte Jaro, entzündete jeden Nerv, raste mit Funkenflug durch ihn. Stöhnend vor Lust warf er den Kopf zurück, drückte den Rücken durch, stieß in Dineshs Mund, die Finger in feste Muskeln gegraben. Doch das war noch nicht der Moment, in dem er sich dem Orgasmus ergeben durfte. Immer wieder trieb ihn Dinesh an die Grenze, wusste sie auszudehnen, wusste exakt, wie er ihn in den Strudel aus Ekstase und Leidenschaft immer höher mitreißen konnte, der sie beide taumelnd in einen gemeinsamen, nie gekannten Orgasmus trieb.
Außer Atem, durchgeschwitzt, jeder Muskel ermattet, als ob er sich stundenlang ausgepowert hätte und zugleich erfüllt von einem wundervoll satten, wohligen Gefühl seliger Zufriedenheit, lagen sie auf- und nebeneinander, ließen die Leidenschaft in Mattigkeit übergehen, nicht ohne sich immer wieder träge zu küssen.
»Wow«, raunte Dinesh, die Stimme leise und träge. »Wenn dies der Anfang ist, freue ich mich schon sehr auf mehr.«
»Wow«, erwiderte Jaro mit einem Lächeln, strich ihm über die Stirn, verlor sich im Anblick des schönen, schweißfeuchten Gesichts. Sein Herzschlag hatte sich beruhigt und dennoch spürte er ein feines, unruhiges Flattern, die Rückkehr der zaghaften Zweifel, die sich Realismus nannten. Dies war zu schön, um wahr zu sein. Noch eine, vielleicht anderthalb Wochen und seine Dissertation war fertig. Ihre Wege würden sich trennen. Sie waren zu verschieden. Oder?
»Ich habe Angst«, wisperte er plötzlich, schluckte, ein fester, erstickender Kloß im Hals. »Angst, dass dieser Weg eine Sackgasse ist, zu schwierig, zu abweichend, ich am Ende an einen unüberwindbaren Abgrund komme oder gar stürze. Oder dich enttäusche.«
»Jeder Weg im Leben ist anders, jeder kann dich in die Irre oder ins Glück führen. Aber wenn du ihn nicht gehst, wenn du nicht einen Fuß vor den anderen setzt, ins Licht siehst und einfach voranschreitest, wirst du es nie erfahren«, erwiderte Dinesh. »Dies wird eine neue Reise. Für mich, für dich. Wir können gemeinsam gehen. Wenn du es möchtest. Vielleicht trennen sich unsere Wege. Vielleicht bleiben wir Weggefährten. Vielleicht sind wir mehr als das.«
»Ich … ich weiß nicht. Wie passt das zusammen?«, hakte Jaro nach, sah sich daheim in seinem Job, in der Wohnung, die ihm nun viel zu kalt und ungemütlich, viel zu weit weg von der Natur
schien. Wie hatte er darin leben können, ohne die tägliche, frische Luft, die Geräusche, die Gerüche eines Gartens?
»Vielleicht wächst es zusammen? Wenn du gehst, gehst du ja nicht weit weg. Und ich, ich werde noch einige Zeit hier sein«, erklärte Dinesh, klang dabei nicht so zuversichtlich wie seine Worte.
»Wenn ich heimfahre, wird es sich nicht mehr wie mein Heim anfühlen. Das tut es jetzt schon nicht. Die Zeit hier … sie hat mich verändert. Du, die Musik, haben mich verändert.«
»Nein. Du bist du selbst. Nichts hat sich verändert, du lernst nur, deine eigene Melodie zu hören«, meinte Dinesh, lächelte ihn offen an. »Halte mich für esoterisch abgehoben, wenn ich daran ganz fest glaube, dass wir einander nicht ohne Grund begegnet sind. Du wirst mich wiederfinden, wenn du es willst.«
»Ich will dich nicht wiederfinden, ich will dich gar nicht erst verlieren. Willst du nicht mit mir kommen? Ich könnte uns etwas finden, worin wir beide unsere Reise beginnen könnten. Etwas, was für uns beide funktioniert?«, wagte Jaro hoffnungsvoll vorzuschlagen. War es nicht zu viel verlangt? Aber er wünschte es sich sehr.
»Ich werde dir folgen, wenn du es möchtest. Nicht sofort. Finde erst mal deinen Weg. Erreiche dein Ziel und dann geh weiter. Ich bin da und warte. Ich habe ein Smartphone, du kannst mich immer erreichen.«
»Wer von uns beiden klingt jetzt vernünftig?«, warf Jaro ein, musste lachen, küsste Dinesh, zog ihn in seine Arme. »Versprochen. Ich werde wiederkommen. Alleine um noch besser zu lernen, besser auf dem Hang spielen zu lernen. Um dich besser kennenzulernen. Und ich werde uns ein Häuschen bauen. Irgendwann. Irgendwo. Ich glaube, ich werde diese Reise gerne antreten.«
»Ich werde gerne dein williger Lehrer sein«, sagte Dinesh, grinste verschwörerisch, biss sich in die Wange, drückte Jaro auf
den Rücken und schob sich über ihn. »In weit mehr Dingen. Bist du schon bereit für eine weitere Motivationslektion?«
»Wird sie so gut wie die erste?«
»Besser«, versprach ihm Dinesh und ja, er hielt Wort. So wie Jaro.
Ihre Wege mochten gänzlich verschieden gewesen sein. Fortan war es ein gemeinsamer Pfad und er führte sie ins Glück.