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Lara
Woche 1: Montagnachmittag
Ist es falsch von mir, dass ich das so sehr genossen habe? Vielleicht.
Ist es richtig, dass ich es mit Champagner feiern will?
Jedenfalls nicht, wenn ich ihn nicht allein trinke.
Ich hole mein Handy hervor und schreibe meine beste Freundin/Mitbewohnerin an, die nicht nur immer Lust auf Champagner hat, sondern deren Zeitplan als Freelancerin bedeutet, dass mindestens eine Fifty-fifty-Chance besteht, dass sie um halb vier an einem Montag Zeit hat.
Happy Hour?
Ich füge obendrein das Champagner-Emoji hinzu.
Gabby reagiert sofort.
Wer sind Sie, und wie haben Sie meiner besten Freundin das Handy gestohlen?
Ich verdrehe die Augen.
Ich bin’s, Gab.
Beweis es. Wie haben wir uns kennengelernt?
Unter der Wand der Toilettenkabine im Boca durchgereichter Tampon.
Super oder Mini?
OMG, willst du nun was trinken oder nicht?
Heute ist das erste MAL, dass du mir JEMALS eine Nachricht geschickt hast, um vor sechs Uhr abends etwas zu trinken. Du verstehst meine Skepsis.
Sie hat nicht ganz unrecht. Mein Job als Ermittlerin für die SEC bringt nicht gerade flexible Arbeitszeiten mit sich oder Drinks tagsüber.
Tatsächlich ist es, wenn ich ehrlich bin, durchaus möglich, dass meiner der am wenigsten erotische Job auf dem Planeten ist. Aber ich bin gut darin, und es ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu meinem großen Ziel:
Das FBI.
Das FBI liegt mir im Blut – Dad ist Agent, Mom ist Agentin.
Ich werde
eines Tages Agentin sein, sobald ich meine Zeit bei der SEC abgeleistet habe. Und obwohl Dad bei der National Security ist und Mom in der Abteilung für Wissenschaft und Technologie, ist keiner von ihnen besonders hilfreich, was meine eigenen Karriereambitionen betrifft.
Ich will in die Abteilung für Wirtschaftskriminalität. Ich will mich um Kunstdiebstahl und Schneeballsysteme kümmern und um diese aalglatten Verbrecher, die jeden Tag Tausende von Menschenleben auf den Kopf stellen, ohne auch nur den Hauch eines schlechten Gewissens.
Aber … ich will mir meine Eintrittskarte dafür verdienen
– nicht meine Eltern ein Telefongespräch machen lassen. Meine Zeit bei der SEC abzuarbeiten, ist eine ebenso gute Eintrittskarte. Ich brauche lediglich meinen einen großen Fall, um die Aufmerksamkeit von Quantico zu erregen.
Und Gerüchten in der SEC zufolge wird der Ian-Bradley-Fall derjenige sein, der alles ändert.
Daher der Champagner.
Gabby und ich verabreden uns in einer halben Stunde in einem Weinlokal um die Ecke unserer Wohnung in der Lower East Side.
Ich lasse mein Handy zurück in meine Handtasche gleiten und lächele immer noch über den unerwarteten Bonus, Ian Bradleys
Gesicht sehen zu dürfen, als er von der Neuigkeit erfahren hat. Ich weiß, das klingt schrecklich, jemandes Oh-Scheiße-Moment
zu genießen, aber die Sache ist die: Diese Wall-Street-Typen … es ist, als … ich weiß nicht einmal, wie ich es erklären soll.
Es ist, als seien sie nicht real.
Objektiv gesehen weiß ich natürlich, dass sie Luft atmen und rotes Blut durch ihre Adern fließt (obwohl es mich nicht überraschen würde, wenn einige von denen, die ich an einem Freitagabend kennengelernt habe, statt Blut Single-Malt-Scotch da drin hätten). Sie sind einfach so verdammt selbstbewusst, so fest davon überzeugt, dass sie auf einem anderen Planeten leben als der Rest der Welt.
Hier ist ein Beispiel:
Letzte Woche ist Gabby mit einem Broker nach Hause gegangen, der im Wohnzimmer seines Penthouses einen Konzertflügel von Steinway hatte. Als Gabby ihn gefragt hat, ob er Klavier spiele, sagte er, er habe die Tasten niemals auch nur berührt. Seine Innenarchitektin habe den Flügel als Statussymbol empfohlen.
Tut mir leid, aber können wir darüber für eine Sekunde nachdenken?
Es gibt Menschen in meiner eigenen Stadt, deren Statussymbole mehr als das Doppelte meines Jahreseinkommens kosten.
Ich kapiere, dass das Snobismus nur andersherum ist, aber bitte.
Wie dem auch sei.
Ich fange mit meinen Ermittlungen offiziell
erst später in dieser Woche an, aber statistisch gesprochen ist Ian wahrscheinlich genau so schuldig an Insidergeschäften, wie unsere Quelle es behauptet. Er ist so ziemlich die wichtigste Person in einer der größten Firmen. Das bedeutet, er macht das meiste Geld. Das meiste Geld bedeutet, dass man das meiste zu verlieren hat … und das meiste zu gewinnen. Was wiederum die größte Versuchung liefert, um zu betrügen.
Ian ist außerdem ein Abbild dessen, was ich erwartet hatte. Das Bild des Mannes auf der Firmenwebsite ist so ziemlich das klassische Äquivalent eines Wall-Street-Brokers – teurer Haarschnitt, teure Zähne, teurer Anzug, teure Bräune.
In der persönlichen Begegnung war er noch mehr …
Nun, er war einfach … zu viel. Zu groß. Zu charmant. Zu maskulin.
Außerdem … zum Anbeißen. Wirklich, ein irrwitziger Augenschmaus.
Aber er weiß es.
Selbst wenn ich nicht gegen den Kerl ermitteln würde, wäre ich seinen Anmachsprüchen ausgewichen. Männer wie er sind einfach nichts für mich. Ich habe nicht die Geduld für ihre Protzerei, Effekthascherei und das sich Brüsten, und sie haben keine Zeit für meine Regeln und meine Strukturiertheit.
Also, ist Ian Bradley heiß? Ja. Sehr heiß. Aber ich brauche nichts Heißes. Ich würde mich mit jemandem zufriedengeben, der ein wenig reizlos ist, sogar ein wenig langweilig, solange er nur loyal ist. Jemand, dem es nichts ausmacht, wenn ich über einen neuen Fall bei der Arbeit fachsimple oder meine Samstage damit verbringe, meine Bewerbung für Quantico auf den neuesten Stand zu bringen.
Berufsleben an erster Stelle, Privatleben danach. Es ist ein kleiner Pakt, den ich mit mir selbst geschlossen habe, seit ich weiß, dass ich anscheinend nicht in der Lage bin, mit beidem zu jonglieren.
Ich mache gerade die ersten Schritte in Richtung U-Bahn, als ich eine Männerstimme meinen Namen rufen höre.
Ich wende mich um und sehe Ian durch die Drehtüren von Wolfe Investments treten und direkt auf mich zukommen. Ich presse die Lippen aufeinander und finde den Stich, den es mir überraschenderweise versetzt und der mich erstarren lässt anstatt weiterzugehen, nicht so toll.
Ich mag keine Überraschungen.
Im Allgemeinen gehen mir die Menschen, gegen die ich ermittle, um jeden Preis aus dem Weg. Die Tatsache, dass er bereits die Regeln bricht, bedeutet nichts Gutes für den berechenbaren Fortgang der Ermittlungen.
Und ich mag
Berechenbarkeit.
Trotzdem, Job ist Job, also setze ich ein professionelles Lächeln auf, auch wenn ich ein seltsames Flackern meiner Wahrnehmung verspüre, als er näher kommt. Der Ian Bradley im Büro war ganz auf Witzelei und Anmache aus gewesen, voll oberflächlichen Charmes und Playboy-Selbstbewusstseins. Doch dieser Ian … sagen wir einfach, ich kann verstehen, warum Ian Bradley und seine Crew von Wolfe Investments den Spitznamen »Wolfes of Wall Street« tragen –
sie sind superheiß, irrsinnig reich und dafür bekannt, genau das zu bekommen, was sie wollen, und zum Teufel mit den Konsequenzen.
Ian setzt eine Sonnenbrille auf und versteckt Augen, von denen ich weiß, dass sie durchdringend blau sind. Er bleibt vor mir stehen, um Haaresbreite näher als üblich, aber ich denke nicht daran zurückzutreten.
Gott, er riecht gut. Männlich und teuer. Wie ärgerlich.
»Noch mal hallo«, sage ich ihm und schenke ihm mein aufrichtigstes »SEC-Lächeln«.
Er erwidert das Lächeln nicht, und trotz der Sonnenbrille vor seinen Augen weiß ich todsicher, dass ich es mit einer ganz anderen Version von Ian Bradley zu tun habe als der, die ich vor zehn Minuten kennengelernt habe. Es ist eine gefährlichere Version.
»Fanden Sie das gut?«, fragt er mit leiser Stimme.
Mein Lächeln erstirbt. »Wie bitte?«
»Ihr kleines Spiel dort drinnen.« Er deutet mit dem Kopf auf das Bürohaus. »Amüsiert Sie so was?«
»Durchaus, ja«, bestätige ich und hebe trotzig das Kinn.
Er tritt näher, und ich spüre den Zorn, den er verströmt. »Warum haben Sie mich angemacht? Sie kommen in mein Büro, flirten …«
»Flirten?«, unterbreche ich ihn wütend. »Ich
habe lediglich versucht, einen blöden Kaffee zu bekommen. Sie
sind derjenige, der sich wie ein verdammter Don Juan aufgeführt hat.«
»Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, eine attraktive Frau auf einen Kaffee eingeladen zu haben«, blafft er mich an.
Ich schnaube. »Sparen Sie sich die Schmeicheleien für jemanden, der daran interessiert ist.«
Er schüttelt den Kopf. »Sie haben ein trauriges Liebesleben, wenn Sie denken, das sei Schmeichelei gewesen, Ms McKenzie.«
Sein Widerhaken trifft ein wenig zu sehr ins Schwarze, aber ich ignoriere den Stachel und trete näher an ihn heran. »Lassen Sie uns eins klarstellen, Mr Bradley, um unser beider willen. Glauben Sie, Sie seien der erste Anzugträger der Wall Street, der denkt, breite Schultern und ein guter Spruch würden mich dermaßen umhauen, dass ich meinen kleinen weiblichen Kopf verliere und jedwedes Unrecht übersehe? Glauben Sie, Sie seien der Erste, der denkt, dies sei ein Spiel, das man mit schleimiger Verführung gewinnen kann?«
Ihm klappt der Unterkiefer herunter. »Was zum …? Schleimige Verführung, dass ich nicht lache!«
Ich ignoriere seinen Protest und setze meine Tirade fort. »Es ist nicht einfach, in der heutigen Welt eine Frau zu sein, und eine Frau in der SEC zu sein, ist noch viel schwerer. Aber ich möchte, dass Sie sich Folgendes ganz genau anhören, Mr Bradley. Ich schätze es, für eine Agentur zu arbeiten, die Gerechtigkeit sucht. Ich schätze die Tatsache, dass niemand über dem Gesetz steht, wenn es um die Welt von Handel, Aktien und Geld geht. Keine verdammte Martha Stewart, und ganz eindeutig nicht Sie.«
Er tritt einen kleinen Schritt zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. »Schuldig bis zum Beweis der Unschuld, funktioniert das so?« Ich kann seine Augen durch die dunklen Gläser nicht sehen, aber ich spüre den Zorn seines Blicks.
Ich öffne den Mund zu einer Erwiderung, doch seine Bemerkung bohrt sich in mein Gewissen wie ein ganz feiner Splitter. Er hat vielleicht ein klein bisschen recht. Meiner Erfahrung nach sind Gerüchte über Insidergeschäfte fast immer zutreffend, aber das bedeutet nicht, dass ich ihn vorverurteilen darf.
»Mein Job ist es, die Wahrheit aufzudecken«, sage ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Und was ist, wenn die Wahrheit nicht das ist, was Sie hören wollen?«
»Was da wäre?«
Er beugt sich zu mir vor, und ich sehe den Hauch eines Bartschattens auf seiner entschieden halsstarrigen Kinnpartie.«
Verdammt, er riecht wirklich gut. Was ist das, Sandelholz? Zeder? George-Clooney-Schweiß?
»Nun, ich denke, dass Sie wollen, dass ich schuldig bin«, sagt er mit einem leisen Knurren.
»Warum sollte ich das wollen?«
»Sie haben einen Heldenkomplex«, fährt er fort. »Sie sind entschlossen, die Welt zu retten, selbst wenn Sie Ihre eigenen Schurken erfinden müssen.«
Ich lache spöttisch. »Das ist lächerlich.«
»Ist es das?«
Ist es das?
Ich kenne diesen Mann ganze drei Minuten, und irgendwie hat er mich zweimal dazu gebracht, an mir selbst zu zweifeln. Das Gefühl ist fremd und überaus ärgerlich.
Genau wie der Mann vor mir.
Ich bedenke ihn mit einem kühlen, geringschätzigen Lächeln. »Ah. Ich verstehe. Es hat nicht funktioniert, mich auf einen Kaffee einzuladen, also versuchen Sie jetzt, den Spieß umzudrehen. Und mein Denken zu beeinflussen.«
Zu meiner Überraschung grinst er, und alle Spuren seiner sturen Willenskraft lösen sich in Luft auf. »Funktioniert es?«
»Mein Denken zu beeinflussen? Nein.«
»Sind Sie in Versuchung geraten?«
Ich strecke die Arme zur Seite aus und widerstehe dem Drang, die Augen zu verdrehen. »Noch einmal, Flirt ist Fehlanzeige. Mutmaßliche Verbrecher sind nicht mein Typ.«
Ich erwarte, dass er mich anknurrt, aber sein Lächeln wird nur noch breiter, obwohl eine gewisse Schärfe darin liegt. »Dann freue ich mich auf den Tag, an dem Sie mir in die Augen sehen und mir sagen müssen, dass ich unschuldig bin.«
»Falls Sie unschuldig sind, werde ich das gewiss tun«, versichere ich ihm.
»Aber Sie glauben nicht, dass ich es bin.«
»Ich habe es Ihnen gesagt, es ist mein Job, das herauszufinden.«
»Wunderbar. Wenn diese Sache sich also zu meinen Gunsten entwickelt, dürfen Sie vielleicht mir
einen Drink spendieren.«
»Oh, natürlich«, antworte ich und gebe mir keine Mühe, meinen Sarkasmus zu verbergen.
Er reibt sich das Kinn und mustert mich, dann schüttelt er den Kopf und wendet sich ab. »Man sieht sich, Ms McKenzie.«
Ich werde es bis zum Tag meines Todes abstreiten, sogar mir selbst gegenüber, aber ich bin enttäuscht, dass er sich nicht noch einmal umdreht und zu mir herüberschaut, denn ich scheine außerstande zu sein, den Blick von seinem entschwindenden Rücken abzuwenden.
Einem Rücken, der zu breit ist, zu muskulös, zu …
Gah!
Ich wirbele auf dem Absatz herum und marschiere davon, und
ich brauche diesen Champagner jetzt dringender denn je.
Ein Drink mit Ian Bradley, in der Tat. Können Sie sich das vorstellen?
Selbst wenn er nicht schuldig ist, wird das nicht passieren.
Und wenn er schuldig ist …
Sagen wir einfach, ich werde ihn ganz bestimmt nicht im Gefängnis besuchen, obwohl ich weiß, dass er in einem orangefarbenen Overall wirklich
gut aussehen würde.