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Ian
Woche 2: Mittwochnachmittag
Vanessa Louis ist Beyoncé wie aus dem Gesicht geschnitten, hat das dazugehörige Selbstbewusstsein und ist daher die heißeste Frau, die ich kenne.
Und eine, die ich niemals anmachen werde.
Warum nicht? Man macht seine Anwältin nicht an. Selbst ich weiß das.
Außerdem ist nicht sie diejenige, die ich will.
»Ian. Hören Sie mir zu?«
Ich verkneife es mir, weiter mit den Fingern auf das Mahagoniholz meines Schreibtisches zu klopfen, als mir klar wird, dass ich sie die ganze Zeit mit leerem Blick angestarrt habe, während sie gesprochen hat. Es ist unser zweites Meeting. Das am Montag diente dazu, die Rahmenbedingungen zu klären – ein Gespräch über das Honorar, Gegenzeichnen ihres Vorschusses und so weiter. Bei diesem Meeting geht es um meinen Fall, und ich … passe nicht auf.
»Entschuldigung.« Ich setze mich aufrechter hin. »Was?«
Ihre braunen Augen werden eine Spur schmaler, und sie schürzt ihre vollen Lippen, während sie sich auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs zurücklehnt und mich mustert.
»Ian«, sagt sie schließlich. »Was wissen Sie über mich?«
»Ähm …« Mein Gehirn gerät ins Trudeln. Ist das eine Fangfrage? Es fühlt sich wie eine Fangfrage an.
»Was denken Sie, warum ich Ihren Fall übernommen habe?«, hakt sie genauer nach, weil sie meine Panik anscheinend bemerkt.
Ich entspanne mich. Das kann ich. »Weil Sie mich für unschuldig halten.«
Das ist der andere Grund, warum ich verdammt beeindruckt bin
von der Frau. Neben ihrer fast makellosen Bilanz hat sie etwas, das noch seltener ist als ihr anständiger Ruf: Integrität.
Es ist eine interessante Eigenheit, die ihr ebenso viel Verachtung wie Bewunderung eingetragen hat.
Ich falle in letztere Kategorie.
Natürlich ist es meine oberste Priorität, von allen Anschuldigungen reingewaschen zu werden, aber ich will nicht, dass das unter den Händen irgendeiner Schlange geschieht, der gleichgültig ist, ob ich ein krimineller Arsch bin oder nicht.
»Ich halte Sie tatsächlich für unschuldig«, bestätigt Vanessa und lenkt meine Aufmerksamkeit erneut auf sich. »Und ich bin froh, dass ich Ihren Fall übernehmen konnte. Aber genauso, wie ich erwarte, dass meine Mandanten ehrlich zu mir sind, halte ich viel davon, auch meinerseits ehrlich zu ihnen zu sein.«
»Und?«
»Ihr Fall sieht nicht gut aus, Ian.«
Ich verkrampfe mich, und meine Finger nehmen ihr Geklopfe auf dem Schreibtisch wieder auf.
»Das wissen Sie bereits.« Sie zieht eine Schulter hoch. »Ich muss natürlich noch weitere Recherchen anstellen. Aber Folgendes macht mir zu schaffen … Wenn die SEC irgendeinen Tipp wegen Insidergeschäften bekommt, strengt sie für gewöhnlich eine informelle Untersuchung an, um ihrer Quelle auf den Zahn zu fühlen und die potenzielle Legitimität der Anklage festzustellen. Was geschehen ist. Aber was ich bisher in den Akten gefunden habe, die die SEC gesichtet hat, ist nicht viel. Es gibt null Verbindungen zwischen Ihnen und J-Conn, die ich finden konnte, was bedeutet, dass die Ermittler auch nichts gefunden haben.«
Ich versuche ihr zu folgen. »Ist das nicht etwas Gutes?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nicht einmal ein klitzekleines bisschen. Aufgrund des Mangels an konkreten Beweisen, den ich sehe, hätte Lara McKenzie inzwischen ihre Taschen packen sollen. Stattdessen campiert sie immer noch im Konferenzraum und schiebt Papiere von links nach rechts.«
»Was bedeutet?«
»Was immer sie für einen Tipp bekommen haben, welche Beweise sie glauben, finden zu können, sie sind sich verdammt sicher, dass
sie damit gewinnen können«, verkündet sie sachlich.
Scheiße.
»Es erfüllt mich auch nicht gerade mit Begeisterung, dass es Lara McKenzie ist, die an Ihrem Fall arbeitet«, fährt Vanessa fort. »Sie sieht aus wie ein Lamm, denkt aber wie ein Fuchs. Was ist Ihr Eindruck von ihr?«
Nun, Hölle. Ich kann ihr nicht die Wahrheit sagen – dass Lara und ihre heiße Brille in meinen schmutzigsten Fantasien auf Endlosschleife laufen. Unter mir, über mir, vor mir, über meinen Schreibtisch gebeugt …
Aber ich kann sie auch nicht belügen. Oder vielmehr könnte ich es, aber Vanessa hat bei unserer ersten Begegnung klargestellt, dass sie, wenn sie jemals herausfinden sollte, dass ich gelogen habe, meinen Fall schneller fallen lassen würde als eine verdorbene Auster. Ihre Worte.
»Sie scheint lehrbuchmäßig vorzugehen«, meine ich ausweichend. »Sie befolgt die Regeln.«
Vanessa nickt. »Genau deshalb ist sie so gut, und ich fürchte, genau
deshalb hat man sie auf Ihren Fall angesetzt. McKenzies Ruf ist fast so gut wie meiner. Sie beteiligt sich nicht an Machtspielen, betreibt keine Effekthascherei. Sie sammelt und rezitiert Fakten, und die Richter schätzen sie deswegen.«
»Aber sie kann keine Fakten rezitieren, die sie nicht hat. Also, solange sie sie nicht erfindet …«
»Okay, lassen Sie uns einen Schritt zurückgehen«, unterbricht Vanessa mich, und ihr Ton wird wieder besänftigend. »Wir müssen herausfinden, warum Sie in ihr Fadenkreuz geraten sind. Die SEC ist hier, weil sie einen Tipp bekommen hat, aber wir wissen nicht, wer Sie beschuldigt hat, Insidergeschäfte gemacht zu haben, oder warum.«
»Ich habe Ihnen doch bereits gesagt …«
»Ich weiß, ich weiß, keine Todfeinde, keinen Erzrivalen, der darauf aus ist, Sie zur Strecke zu bringen«, unterbricht sie mich. »Aber hören Sie, Ian, das hier ist kein Kinofilm. Die Person, die hinter dieser Sache steckt, lauert nicht am Rand Ihres Gesichtsfeldes und spricht keine offenkundigen Drohungen mit einem finsteren Lachen aus. Die Antwort wird irgendwo versteckt sein, im Subtilen.«
»Ich mache nichts subtil«, erwidere ich aufrichtig. »Nie.«
Sie unterbricht mich mit einem Lachen. »Das habe ich gehört. Aber es ist an der Zeit, damit anzufangen, zumindest in diesem Fall.«
Vanessa steht auf und schiebt mir einen leeren gelben Notizblock über den Schreibtisch. »Ich will, dass Sie eine Liste von sämtlichen Personen machen, die im vergangenen Jahr Ihren Weg gekreuzt haben. Hölle, machen Sie daraus die letzten beiden Jahre. Jeder, der eifersüchtig sein könnte, der einen Groll gegen Sie hegen könnte, der sauer sein könnte. Schreiben Sie die Namen auf. Vernachlässigen Sie nicht Leute, die Sie für Freunde halten. Von allen, mit denen Sie angesäuselt bei einem Glas Pappy aneinandergeraten sind, schreiben Sie die Namen auf.«
»Ich trinke keinen Bourbon«, murmele ich.
»Dann eben Negronis, was auch immer.«
Ich schaue auf, überrascht, dass sie meinen Lieblingsdrink kennt.«
Sie zieht die Brauen hoch. »Ich habe Ihnen gesagt, dass ich meine Hausaufgaben mache. Wenn wir diese Sache gewinnen wollen, muss ich jedes kleine Detail über Sie erfahren. Ich muss jedes Geheimnis kennen, jedes Muttermal auf Ihren Eiern …«
Ich halte einen Finger hoch. »Davon habe ich keine.« Glaube ich jedenfalls.
Sie tippt mit einem korallenfarben lackierten Fingernagel auf den Block. »Namen, Ian. Schreiben Sie sie auf, und tun Sie es heute. Die Zeit ist in diesem Fall gegen uns. Wegen ihrer Beharrlichkeit nehme ich an, dass diese SEC-Leute verdammt entschlossen sind, dies in eine offizielle Untersuchung zu verwandeln, und wenn sie das tun, haben wir kaum noch Chancen zu gewinnen.«
Ich schlucke, erheblich weniger zuversichtlich jetzt, als ich es zu Anfang des Meetings war.
Sie steht auf und nickt mir flüchtig zu. »Ich melde mich«, sagt sie und tippt bereits etwas in ihr Telefon.
Ich greife nach einem Stift, als Vanessa zur Tür hinausschlendert, ihr Handy bereits fest am Ohr.
Ich drehe mich auf meinem Stuhl um, um in den bewölkten Nachmittag zu schauen, und tippe mit meinem Stift auf den Block. Ich weiß, ich sollte an mich selbst denken und versuchen
herauszufinden, wer darauf aus sein könnte, mich zu Fall zu bringen, aber ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, dass Lara und ich wahrscheinlich genau derselben Sache auf der Spur sind: Was zur Hölle mich mit J-Conn verbindet.
Die Ironie ist, dass ich keinen verdammten Schimmer habe.
Ich habe gerade die Prozedur begonnen, alle Mistkerle an der Wall Street namentlich aufzuführen, als Matt mein Büro betritt, ohne anzuklopfen.
»Wie ist es mit der Anwältin gelaufen?«
Ich schaue auf und bin dankbar für die Ablenkung. »Die gute Neuigkeit ist, dass sie mich für unschuldig hält.«
»Und die schlechte?«
Ich lasse meinen Stift fallen und fahre mir mit beiden Händen durchs Haar. »Die SEC nicht.«
Er stößt ein Ächzen aus und wirft sich auf den Stuhl mir gegenüber. »Wir sind uns immer noch sicher, dass es die J-Conn-Pleite ist, der sie hinterherschnüffeln?«
Ich zucke die Achseln. »Lara hat es mehr oder weniger bestätigt.«
Seine Augenbrauen schnellen in die Höhe. »Lara?«
»Ms McKenzie. Was auch immer.« Ich wedele mit der Hand. »Wir müssen herausfinden, wer die SEC in Bezug auf mich belogen hat, und warum.«
Matt betrachtet den Block auf meinem Schreibtisch. »Ist das deine Liste?«
»Der Anfang davon. Weißt du jemanden?«
»Scheiß auf die Liste. Es ist ein Schuss ins Blaue. Wenn du wissen willst, wer die SEC kontaktiert hat, musst du direkt zur Quelle gehen.«
Ich schüttele den Kopf. »Das habe ich schon versucht, erinnerst du dich? Sie sagt kein Sterbenswörtchen.«
»Das war letzte Woche. Versuch es noch einmal.«
»Was soll ich deiner Meinung nach tun? Sie verhören?«
»Was immer nötig ist, Mann. Dein Charme hat bisher nichts bewirkt, also benutze das andere Ass, das du im Ärmel hast.«
»Ich bin besser mit dem Ass in meiner Hose.«
Er verdreht die Augen. »Lass den Reißverschluss oben. Ich
meinte, du sollst sie zermürben. Sonst bist du immer gnadenlos, um zu bekommen, was du willst, aber bei ihr bist du irgendwie gehemmt. Warum?«
Ich werfe einen Blick auf den Notizblock. Er hat recht. Ich ärgere mich, dass er recht hat. Ärgere mich noch mehr, dass ich keine Antwort darauf habe. Jedenfalls keine, die ich laut zugeben würde.
»Sie hat keine Hemmungen, was dich betrifft«, sagt Matt leise. »Sie ist dir neulich gefolgt, um an die Informationen heranzukommen, die sie wollte.«
»Und?«
»Und vielleicht ist es an der Zeit, dass du ihr ein wenig von ihrer eigenen Medizin zu schmecken gibst.«