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Lara
Woche 2: Freitagabend
Meine beste Freundin hat eine Menge guter Eigenschaften und ein paar ziemlich nützliche Talente.
Ihre Fähigkeiten als Kupplerin?
Eher mäßig.
Ich hole mein Handy aus meiner Handtasche und schaue wieder auf die Uhrzeit.
Neunzehn Uhr zwanzig.
Entweder kommt mein Blind Date zwanzig Minuten zu spät, oder es hat mich versetzt.
Und ich nehme an, es sagt eine Menge über mich aus, dass ich mich nicht entscheiden kann, was schlimmer ist: die Aussicht darauf, ein mieses Date zu ertragen, oder überhaupt kein Date.
Mein Liebesleben ist nicht gerade das, was man üppig nennen würde. Meine letzte Beziehung hatte ich im vergangenen Jahr, sie hat fünf Monate gedauert und hat ungefähr genauso aufregend geendet, wie sie begonnen hat, was nicht viel heißen will.
Sagen wir einfach, das Leben als SEC-Agentin scheint an der romantischen Front nicht besonders viel Sprengkraft zu haben. Selbst wenn es mir gelingt, einmal nicht an die Arbeit zu denken, habe ich das Gefühl, dass Männer den Workaholic an mir riechen.
Soweit ich das feststellen kann, wollen Männer das witzige Partygirl oder das sanfte Mädchen, das man gut heiraten kann. Ich bin keins von beidem. Ich bin wohl nicht mal die »heiße Karrierefrau«, denn die sollte immerhin wissen, wie man sich am Ende des Abends entspannt und, tja … das kriege ich eben nicht hin.
Die meiste Zeit ist das in Ordnung für mich. Ich habe gelernt, dass ich mich in diesem Stadium meines Lebens nur auf Karriere oder Männer konzentrieren kann, nicht auf beides.
Beweis: meine eingegangenen Orchideen.
Ich winde mich innerlich und ärgere mich immer noch, dass ich mir Ians Seitenhieb neulich unter die Haut habe gehen lassen. Es sind Blumen, um Gottes willen. Es ist einfach … wenn ich nicht einmal eine Blume am Leben erhalten kann, wie zum Kuckuck soll ich dann wissen, wie man langfristig eine Beziehung führt?
Ein Kellner nähert sich, und Gott segne ihn dafür, dass er seinen vorurteilsfreien Gesichtsausdruck perfektioniert hat, während ich allein an einem Tisch sitze, der für zwei Personen gedeckt ist. »Möchten Sie irgendetwas von der Bar, während Sie warten?«
Ich lächele, dankbar dafür, dass wir beide so tun, als sei dies nicht das zweite Mal, dass er fragt. »Ja, bitte.« Irgendetwas. »Ich nehme ein Glas Weißwein. Etwas Frisches, nicht zu süß. Überraschen Sie mich.«
Er nickt. »Ich weiß genau das Richtige für Sie.«
Wenn es mit Alkohol ist, ist es garantiert in Ordnung.
Ich schicke Gabby eine Nachricht.
Keine Spur von deinem Typen. Hat er irgendwas gesagt?
Der Kellner bringt meinen Weißwein, und ich lächele ihm dankend zu, als eine weitere Textnachricht durchkommt, diesmal von meiner Mutter.
Hey, Süße, hast du morgen Lust zu telefonieren? Tut mir leid, dass ich so beschäftigt war.
Ich antworte sofort.
Kein Problem. Hier ist es auch total verrückt zugegangen. Wäre dir die Mittagspause recht?
Ich habe mittags einen Termin mit meinem Team. Wie wäre es um fünf? Ich rufe dich an.
Klingt toll.
Eigentlich ist das vielleicht etwas gewagt. Ist sieben okay?
Ich nippe an meinem Wein und versuche, es mir nicht zu Herzen zu nehmen, dass meine über fünfzigjährige Mutter mehr um die Ohren hat als ich.
Klar.
Perfekt. Wie läuft es bei dir?
Oh, puh, wie es läuft? Mal sehen …
Ich sitze bei dem ersten Date, das ich seit Monaten habe – allein.
Ich bin einer Aufnahme beim FBI so nah wie nie zuvor, aber der Fall, der mir helfen sollte, einen Fuß in die Tür zu bekommen, ist ein Blindgänger, weil ich keinen einzigen Beweis finden kann – nach fast zweiwöchiger Suche.
Und ich lasse hobbymäßig Blumen eingehen.
Ich schreibe ihr zurück.
Alles läuft super!
Ich hole tief Luft und habe leichte Gewissensbisse wegen der Lüge, weiß aber, dass meine Mutter, wenn ich ihr mein Herz ausschütten würde, keine Ahnung hätte, was sie damit anfangen soll. Ich liebe meine Mom – ich himmele meine beiden Eltern an –, aber sie sind keine Eltern, die viel davon halten, die besten Freunde ihrer Kinder zu sein. Was in Ordnung ist, es ist einfach …
Ich wünschte, sie hätten bemerkt, dass niemand mein bester Freund sein wollte. Ich meine, jetzt habe ich Gabby, aber bis ich das Glück hatte, sie als Mitbewohnerin zu bekommen, war mein Freundschaftsleben ungefähr so erfüllt wie mein Liebesleben.
Die Menschen respektieren mich. Die meisten mögen mich sogar. Aber es ist alles oberflächlich. Ich bin nie diejenige, die jemand mitten in der Nacht mit Männerproblemen anruft. Und in der Folge habe ich niemanden, den ich mit meinen Männerproblemen anrufen kann. Nicht dass ich jemals lange genug eine Beziehung gehabt hätte, um überhaupt ein Problem mit einem Mann zu haben …
Ich lasse den Blick abermals durch den Raum schweifen und halte Ausschau nach dem Mann, den Gabby mir beschrieben hat. Rötlich-braunes Haar, tolles Kinn, Brille. Nicht super groß, aber auch nicht peinlich klein.
Ich sehe niemanden, auf den diese Beschreibung passt.
Wissen Sie, wen ich sehe?
Ian Bradley.
Zuerst denke ich, es sei ein Traum. Tut mir leid, habe ich Traum gesagt? Ich meinte Albtraum.
Warum passiert ausgerechnet mir so was? Ich sitze allein an einem Tisch und bin offensichtlich versetzt worden, während die einzige Person, die nichts lieber täte, als mich dabei zu beobachten, an der Theke sitzt und einen Cocktail schlürft.
Entweder ist dies ein grässlicher Zufall oder …
Genau in dem Moment schaut er herüber, und sein Blick kollidiert so bewusst und entschlossen mit meinem, dass ich sofort weiß, dass dies keine Zufallsbegegnung ist.
Es ist Rache für letzte Woche, als ich ihm gefolgt bin.
Ich schließe einen Moment die Augen und öffne sie erst, als mein Telefon den Ton für eine hereinkommende Nachricht von sich gibt. Es ist Gabby.
Tut mir so leid, Babe. Sein Boss hat ihm für heute Abend Eintrittskarten für die Yankees angeboten. Er ist ein riesiger Baseballfan und hat das Date total vergessen.
Fannn-tastisch.
Ich schreibe ihr zurück, da fällt ein Schatten über meinen Tisch.
Nachdem ich mich gewappnet habe, sehe ich auf und halte meine Miene regungslos. »Hallo, Mr Bradley.«
Sein Blick wandert über mich hinweg, um auf dem Tisch zu landen. »Ms McKenzie. Genießen Sie Ihren Abend?«
»Sehr.«
Sein Grinsen verrät mir, dass er mich durchschaut.
»Wollen Sie hier zu Abend essen?«, frage ich, und mein Tonfall ist unerschütterlich höflich, auch wenn mein Nacken heiß vor Verlegenheit darüber ist, in einem verletzlichen Augenblick erwischt worden zu sein.
»Nein, ich wollte nur auf dem Heimweg schnell etwas trinken.«
»Dieses Lokal liegt weder in der Nähe Ihrer Wohnung noch in der Nähe Ihres Büros.«
Das Grinsen verschwindet, und seine Augen werden schmal. »Woher wissen Sie, wo ich wohne?«
»Ich weiß alles«, antworte ich und sehe keinen Grund, die Tatsache zu verbergen, dass ich so ziemlich jedes denkbare Detail über Ian weiß, das öffentlich zugänglich ist.
»Ach ja? Was macht die Beweissammlung?«, fragt er, sein Tonfall trügerisch lässig.
Ich bin nicht in der Stimmung, Spielchen zu spielen, daher ignoriere ich seine Frage und komme zum Kern der Sache. »Haben Sie gewusst, dass ich hier sein würde?«
»Kate könnte mitgehört haben, dass Sie sich mit Ihrem Date verabredet haben«, antwortet er mit einem vielsagenden Blick auf den leeren Stuhl.
Ich seufze. »Wusste ich’s doch. Dies ist tatsächlich die Rache für letzte Woche.«
»Rache ist ein starkes Wort, Ms McKenzie. Nennen wir es einfach eine Lektion.«
»Eine Lektion worin? Stalking?«
»Sie wollen über Stalking reden?« Er lässt sich auf den freien Stuhl mir gegenüber fallen, einen intensiven Ausdruck in seinen blauen Augen. »Da versucht man, ein zwangloses Mittagessen mit seiner ältesten Freundin zu organisieren, um sich von ihr wegen des Shitstorms beraten zu lassen, der über einen hereingebrochen ist, und dann folgt einem genau die Frau, die den Shitstorm losgetreten hat.«
Ein Hauch von Gewissensbissen regt sich in mir. »Es ist nichts Persönliches, Mr Bradley.«
»Schwachsinn«, blafft er. »Fühlt dieser Augenblick sich für Sie persönlich an, wenn Sie diejenige sind, der jemand folgt?«
»Ja, aber Sie …«
»Ich habe Ihr Date gesprengt? Ihr Leben infiltriert? Fühlt es sich persönlich an, Ms McKenzie?«
Wir sind beide in Rage, und ich nippe an meinem Wein, um meinen Zorn abzukühlen. »Sie versuchen, mir Schuldgefühle einzujagen, weil ich meinen Job mache.«
»Nein, ich versuche, Ihnen zu zeigen, dass die Auswirkungen Ihres Jobs nicht so sauber und unpersönlich sind, wie Sie vorgeben.«
»Schön«, sage ich gelassen. »Ist vermerkt.«
»Sagen Sie das, weil Sie sich mies fühlen, dass Sie neulich in mein Lunch hineingeplatzt sind, oder weil Sie wollen, dass ich gehe?«
»Beides?«
Er mustert mich einen Moment lang, dann nickt er. »Also schön, Entschuldigung angenommen.«
»Ich weiß nicht, ob das eine Entschuldigung war.«
Er zieht die Brauen hoch.
Ich seufze. »Okay, meinetwegen. Es tut mir leid, dass ich das Restaurant nicht verlassen habe, nachdem mir klar geworden war, dass Sie mit einer persönlichen Angelegenheit beschäftigt waren. Gehen Sie jetzt
Er überrascht mich mit einem Grinsen. »Nein.« Er zwinkert mir zu, greift nach meinem Weinglas und hebt es fragend hoch. »Was trinken wir?«
»Wir trinken gar nichts. Ich genehmige mir ein Glas Weißwein. Sie wollten gerade gehen.«
Er schaut auf seine Armbanduhr und nimmt einen Schluck von dem Wein – meinem Wein. »Sieben Uhr vierunddreißig. Ihr Date kommt vier Minuten zu spät.«
In Wirklichkeit betrüge die Verspätung jetzt vierunddreißig Minuten, jedenfalls wenn er tatsächlich kommen würde, was nicht passieren wird.
Das spreche ich natürlich nicht aus. Auf keinen Fall darf ich mich auch nur ein kleines bisschen verwundbar zeigen vor jemandem, dem nichts lieber wäre, als mich zu demütigen.
»Ja, er wird bestimmt jeden Moment eintreffen, wenn Sie also nichts dagegen haben …«, erwidere ich und mache eine Bewegung mit den Fingern, als wollte ich ihn wegscheuchen.
Ian stellt mein Weinglas vor mich hin.
Ich versuche, ob der Erleichterung, dass er gehen wird, nicht zusammenzusacken. Seine kleine Demonstration ist offensichtlich vorüber. »Noch viel Spaß heute Abend, Mr Bradley – Moment mal, was machen Sie da?«, frage ich panisch, als er die säuberlich gefaltete Serviette ergreift und sie auf seinen Schoß legt.
»Ich esse mit Ihnen zu Abend.«
»Aber …«
»Ihr Date wird nicht kommen, Ms McKenzie. Haben Sie nicht meine Assistentin genervt, um einen Termin bei mir zu bekommen?«
»Ja, aber sie kämpft mit harten Bandagen und will mir vor nächster Woche keinen Termin bei Ihnen geben. Ich habe einige Fragen, auf die ich vorher schon Antworten brauche …«
»Sicher J-Conn betreffend. Und ich werde Ihnen diese Antworten geben, aber nur, wenn Sie mir Ihrerseits etwas geben.« Sein Blick fällt auf meinen Mund, nur ganz kurz.
Ich kneife die Augen zusammen. »Ich werde nicht mit Ihnen schlafen.«
Sein Lächeln ist träge und höllisch dreist. »Berühmte letzte Worte. Aber das ist eigentlich nicht das, worauf ich aus war. Ich habe mir gedacht, eine Frage für eine Frage: Für jede Frage, die ich beantworte, beantworten Sie eine Frage von mir.«
»So läuft das nicht, Mr Bradley.«
Er zuckt die Achseln und legt seine Serviette wieder auf den Tisch. »Viel Glück bei Ihrem Versuch, eine Vorladung zu bekommen, denn das ist die einzige andere Möglichkeit …«
»Na schön«, unterbreche ich ihn ein wenig verzweifelt. »Eine Frage für eine Frage.«
Er grinst und lässt die Serviette wieder auf seinen Schoß fallen. »Perfekt. Aber eins nach dem anderen … Wir brauchen noch ein paar Drinks.«