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Lara
Woche 3: Freitagabend
»Wie wäre es damit?«, sage ich und halte ein blaues Top hoch.
Gabby, die mit einer Hand in meinem Kleiderschrank wühlt und in der anderen ein Glas Wein hält, schaut auf. Sie rümpft die Nase. »Was ist das? Ein Poncho?«
»Es ist fließendes Top«, entgegne ich, halte es vor mich und sehe in den bodentiefen Spiegel. »Es passt zu meinen Augen.«
»Perfekt, du kannst es zur Geburtstagsfeier meiner Tante nächste Woche tragen. Sie wird es wunderschön finden, aber heute Abend ziehst du es nicht an.« Sie hält ein winziges Tanktop hoch. »Wie wär’s damit?«
»Du bist in meiner Pyjama-Schublade. Ich schlafe darin.«
»Ja, und wenn du es heute Abend anziehst, wirst du nicht allein schlafen«, sagt sie und wedelt verführerisch mit dem Shirt durch die Luft.
»Wir sind nicht alle Models mit straffer, perfekter Haut«, protestiere ich. Ich nehme einen Schluck von meinem eigenen Wein und hole ein Kleid aus dem Schrank. »Und das hier? Es bedeckt meine Arme.«
»Oh, also ist es perfekt für einen Klub!«, bemerkt sie sarkastisch. Sie deutet auf das Bett. »Setz dich. Du ziehst an, was ich dir sage.«
Ich gehorche, hauptsächlich weil ich zu durcheinander bin, um auch nur die einfache Aufgabe zu bewältigen, ein Outfit auszusuchen. Sie betrachtet mein fast leeres Weinglas, schnalzt mit der Zunge und geht dann in die Küche, um mit der Flasche Sauvignon Blanc zurückzukommen.
»Okay, wie sieht es mit der Auswahl an Kleinen Schwarzen aus?«, fragt sie, nachdem sie mein Glas wieder aufgefüllt hat.
Ich seufze und nippe an dem Wein. »Ganz rechts hängen zwei.«
Sie holt beide hervor und wirft mir dann einen entnervten Blick zu. »Das sind Beerdigungskleider.«
»Sind sie nicht!«, setze ich mich zur Wehr. »Nun, okay, das linke schon. Aber das Spitzenkleid habe ich in meinem ersten Jahr zu einer Feier getragen, das war die Party bei …«
»Liebes, lass. Ich meine, sie sehen schön aus an dir, wenn du ein Kleid für eine Regierungsparty brauchst, mit diesen langen Ärmeln und dem ausgestellten Rock, aber …«
»Moment mal, es hat hinten einen V-Ausschnitt!«
»Nein. Zu beiden Kleidern«, verkündet Gab entschieden und hängt sie zurück in den Schrank. »Da hat ja Jackie O freizügigere Kleider getragen, und ich geh mit dir ins Pearl, was bedeutet, dass du ein wenig Haut zeigen musst.«
Ich stöhne und stelle meinen Wein auf den Nachttisch, bevor ich mich auf mein Bett plumpsen lasse.
Sie wirft mir einen neugierigen Blick über die Schulter zu. »Es war deine Idee, heute Abend auszugehen.«
»Ich weiß«, gebe ich zu und lege mir die Arme über die Augen, um das hässliche Deckenlicht auszublenden. »Aber so langsam kommen mir Zweifel.«
»Nun, das ist nicht nötig«, sagt sie, setzt sich neben mich und tätschelt mir das Knie. »Du hattest einen beschissenen Tag, und es ist richtig, ihn vergessen zu wollen.«
»Du warst nicht dabei«, murmele ich in meine Arme und durchlebe noch einmal die Peinlichkeit in Ians Büro. »Ich fühle mich gedemütigt.«
»Nun, nach dem, was du mir erzählt hast, hat er sich wie ein Arschloch benommen.«
»Ja, aber er hatte recht«, entgegne ich und lasse entnervt die Arme an die Seiten fallen. »Ich habe mich benommen wie eine schrullige, eifersüchtige feste Freundin. Ich hätte meine Hausaufgaben machen sollen, bevor ich da hineingeplatzt bin. Ich hätte diese Frau zuerst fragen sollen, ob sie Ian kennt.«
Gabby schenkt mir ein mitfühlendes Lächeln. »Sie hat sich bei dir gemeldet?«
Ich starre zur Decke empor und seufze. »Ja. Sie kann sich auch nicht an diesen Abend erinnern. Anscheinend war es der Geburtstag ihrer besten Freundin, und sie haben Martinis getrunken, bevor sie überhaupt zu dieser Party gefahren sind. Ich habe ihr das Foto gezeigt, und sie hat gesagt: ›Heiß. Wer ist der Mann?‹«
»Also nicht seine Quelle«, fasst Gabby zusammen.
»Nein.«
»Hast du es ihm erzählt?«
Ich werfe ihr einen Blick zu. »Ich war noch nicht ganz bereit für den Ich-hab’s-dir-ja-gesagt- Vortrag.«
»Nun, dafür wird es Montag immer noch früh genug sein«, befindet sie, klatscht in die Hände und steht wieder auf. »Heute Abend dreht sich unsere Agenda einzig um Wodka und Flirts.«
»Du hast leicht reden«, murre ich. Gabby ist eine dieser mühelos charmanten Frauen, die jedem Mann das Gefühl geben, das Zentrum ihres Universums zu sein, wenn sie mit ihm reden. Es schadet auch nicht, dass sie eins achtzig groß ist mit perfekten Proportionen und Wangenknochen, mit denen man ein Steak schneiden könnte.
Sie holt eine Jeans hervor. »Die ist eng anliegend, stimmt’s?«
Ich bedenke die Hose mit einem skeptischen Blick. »Ja.«
Sie schleudert sie mir an die Brust. »Zieh sie an. Und wo ist dieses aufreizende Trägertop, das du manchmal trägst?«
»Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas Aufreizendes besitze.«
»Doch, tust du. Du trägst es nur für gewöhnlich unter einem dieser hässlichen, kastenförmigen Dinger.«
»Du meinst einen Blazer?«
»Was auch immer.« Sie wedelt mit der Hand. »Es ist gelb, und du siehst heiß darin aus.«
»Du denkst an mein gelbes Seidenhemd, das definitiv dazu gedacht ist, es unter irgendetwas anderem zu tragen.«
»Nicht heute Abend. Sag mir, dass es nicht in der Reinigung ist.«
»Ist es nicht«, antworte ich. Aber sobald sie es aus dem Schrank holt, wünschte ich, ich hätte gelogen, denn auf keinen Fall werde ich dieses Hemd in der Öffentlichkeit tragen. Es hat Spaghettiträger und einen Spitzenstreifen sowohl am oberen als auch am unteren Saum. Es ist nicht unbedingt eng anliegend, aber es ist unübersehbar tief ausgeschnitten. Man bemerkt es nicht so sehr, wenn man es mit einem Blazer und einer langen Hose kombiniert, aber …
»Anziehen. Sofort.«
Es ist sinnlos, mit Gabby zu streiten, wenn sie in den Gluckenmodus schaltet, daher gehorche ich. Ich breite die Arme aus und erwarte, dass sie sieht, dass ich recht habe.
Stattdessen grinst sie. »Perfekt. Beinahe.«
Sie kommt auf mich zu und zieht mir sanft das Band aus dem Haar. »Tut dir nicht der Kopf weh, wenn du ständig all dieses schwere Haar in einem Pferdeschwanz trägst?«
»Besser als es im Gesicht zu haben.«
»Es ist das Schönste an dir«, behauptet sie und schüttelt mein Haar ein wenig auf. »So, lass uns über Schuhe reden. Das ist der Vorteil daran, dass du all diese Zeit in schnieken Firmenbüros verbringst. Du hast fast so viele hochhackige Schuhe wie ich.«
Das stimmt. Ich habe tatsächlich eine hübsche Ansammlung von Stilettos. Ich kleide mich konservativ, aber High Heels sind ein Gebiet, auf dem sich sexy Outfits und elegante Business-Looks prima überlappen.
Sie wählt ein Paar silberner Riemchensandalen aus und ringt mich dann praktisch auf einen Stuhl nieder, wo sie mir ein komplettes Make-up mit Smokey Eyes verpasst.
Gabby dreht mich zum Spiegel. »Nun?«
Ich rümpfe die Nase. »Ich sehe überhaupt nicht aus wie ich selbst.«
»Und ob. Du erkennst diese Version nur nicht, weil sie aussieht, als wolle sie Spaß haben.«
»Ich habe Spaß«, protestiere ich.
Sie tätschelt meine Wange und schlüpft dann in ihre eigenen Plateau-Heels. »Nein, Süße, hast du nicht. Aber heute Abend wirst du welchen haben.«