19
Ian
Woche 4: Montagmorgen
Bei dem Klopfen an meiner Tür schaue ich auf, und obwohl ich Kate Henley liebe wie eine Schwester, durchzuckt mich ein Stich der Enttäuschung darüber, dass es nicht Lara ist. Und weil sie wie eine Schwester ist, redet sie auch so mit mir.
»Ich hab’s gesehen«, sagt sie und droht mir mit dem Zeigefinger, als sie eintritt. »Sie haben geschmollt.«
»Ich schmolle nicht.«
»Für gewöhnlich nicht, nein. Nur anscheinend immer dann, wenn Ihr Schwarm nicht hier ist.«
»Ist dieses Gespräch nötig?«, murre ich und wende mich wieder meinem Computerbildschirm zu.
Sie setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber. »Sie schmollen und sind mürrisch. Das ist normalerweise Kennedys Art.«
»Ich bin nicht mürrisch.«
»Ein ganz klein wenig«, antwortet sie und hebt die Finger.
»Sie wissen, dass ich Sie feuern kann, oder?«
»Nicht ohne Matts und Kennedys Zustimmung.« Sie lächelt honigsüß, schlägt die Beine übereinander und macht es sich bequem. »Also, erzählen Sie Kate aaaaalles, was Ihnen zu schaffen macht. Beziehungsprobleme?«
»Gehen Sie.«
»Stimmt ja«, überlegt sie laut, als hätte ich gar nichts gesagt. »Sie haben keine Beziehungen.«
Ich sehe sie an. »Ich habe durchaus Beziehungen.«
»Ähm, nein. Matt hat manchmal welche. Sie niemals. In Kennedys Fall fürchte ich, dass er nicht einmal weiß, was ein Date ist.« Sie legt die Stirn in Falten.
»Das ist Schwachsinn. Ich hatte schon feste Freundinnen.« Eine. So mehr oder weniger .
»Sie denken an Anne? Das war vor vier Jahren. Und es hat, wie lange, zwei Wochen gedauert? Das zählt ja wohl kaum.« Sie schaut auf ihre hellrosa Maniküre hinab. »Also, zu Lara …«
Mein Blick wird schärfer. »Seit wann nennen sie sich beim Vornamen? Sie haben sie wochenlang als ›die SEC‹ bezeichnet.«
Sie tut diesen Einwand ab. »›Sei deinen Freunden nah, doch deinen Feinden noch näher‹ und so. Außerdem ist sie eine der wenigen Frauen hier, und Eierstöcke verbünden sich mit Eierstöcken.«
»Kommt nicht infrage. Raus mit Ihnen«, sage ich und zeige auf die Tür.
Kate bewegt sich keinen Millimeter. »Denken Sie bloß nicht dran, sie zu verführen.«
Ich lehne mich zurück und gestatte mir, die Frage laut auszusprechen, die mich das ganze Wochenende beschäftigt hat. »Warum nicht?«
»Weil sie nicht so ist wie eine Ihrer üblichen Frauen«, sagt sie ungläubig. »Sie ist nicht irgendein Partymädchen für eine schnelle Nummer. Verdammt, Ian, sie ist überhaupt nicht auf Nummer aus. Nicht mit Ihnen. Nicht, solange sie Nachforschungen über Sie anstellt.«
Genau das, was ich brauche, noch jemand, der mich daran erinnert, dass Lara tabu ist.
»Gibt es irgendetwas, das Sie von mir brauchen, oder sind Sie nur hergekommen, um mir einen Vortrag zu halten?«, frage ich mit einer Spur mehr Schärfe als gewöhnlich.
»Nächste Woche ist Daves Geburtstag. Soll ich ihm etwas kaufen? Einen Ersatzfernseher?«
»Nein, stellen Sie fest, ob Sie Saisontickets für die Flyers bekommen können. Die besten Plätze, die Sie finden können.«
»Ich dachte, er mag Baseball«, wendet Kate ein, während sie sich eine Notiz auf ihrem Handy macht.
»Er mag alles, was zu Gebrüll, Bier und Junkfood taugt.«
»Dann also Eishockey.« Sie tippt noch einige Worte ein. »Nächste Woche hat auch Lara Geburtstag«, bemerkt sie, ohne von ihrem Handy aufzuschauen.
Ich bin sofort ganz bei der Sache. »Ach ja?«
Sie schaut auf und grinst. »Ich habe keine Ahnung. Ich wollte nur sehen, ob ich richtigliege, was Ihr Interesse an ihr betrifft, und ich liege total richtig. Laden Sie sie doch mal ein.«
Ich schließe die Augen. »Kate. Wenn Sie so weitermachen, kriege ich noch ein Schleudertrauma. Sie haben gerade gesagt, dass ich sie nicht einladen dürfe.«
»Das habe ich gesagt, als ich dachte, Sie wollten nur mit ihr schlafen. Jetzt weiß ich, dass Sie sie mögen.«
»Oh Mann«, murmele ich und fahre mir mit beiden Händen durchs Haar.
»Kein Wunder, dass Sie schlechte Laune haben«, fährt sie fort und beugt sich vor. »Haben Sie sie schon geküsst?«
»Bye, Kate«, antworte ich und deute auf die Tür.
Sie mustert mich. »Hatten Sie überhaupt jemals ein Date, Ian?«
»Natürlich hatte ich schon mal ein Date. Ich habe ständig Dates.«
»Wirklich.« Sie lehnt sich zurück und streckt die Beine aus. »Wann und wo war denn Ihr letztes Date?«
Ich gehe im Geiste meine jüngeren Begegnungen mit Frauen durch. Die letzte war … nun, verdammt. Jetzt, da ich darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich tatsächlich seit Wochen keinen Sex mehr hatte.
Das kann nicht stimmen.
»Und ich rede nicht von Sex«, schwadroniert Kate weiter. Sie liest meine Gedanken wie so oft. »Ich rede von Abendessen. Drinks. Gesprächen. Einem Date, das nicht nur ein Trittstein für Sex war.«
Ich denke nach. Und denke nach. Und erkenne, dass seit Jahren das letzte Treffen, das auch nur ansatzweise Ähnlichkeit mit einem Date hatte, in diesem Restaurant mit Lara war, nachdem sie versetzt worden war. Und dann wieder im Klub.
Ich sehe Kate an. »Wollen Sie mit mir zum Abendessen ausgehen?«
Sie lacht. »Nein. Ich gehe nicht mit meinen Bossen aus.«
Das ist definitiv wahr. Kennedy, Matt und ich haben vor Jahren einen Pakt geschlossen, dass Kate tabu ist, Kleine-Schwestern-Territorium. Nicht weil sie so viel jünger ist als wir, sondern weil wir ihr zu Füßen liegen.
Wir alle drei wissen, dass sie etwas Besseres verdient als alles, was wir zu bieten haben.
Trotzdem … ich werfe ihr einen spielerischen Blick zu. »Aber wenn Sie mit Ihren Bossen ausgehen würden, dann nicht mit mir, nicht wahr?«
Ihr Lachen erstirbt, und sie wirft mir einen warnenden Blick zu. »Was soll das heißen?«
Wie aufs Stichwort kommt Kennedy in mein Büro geschlendert und hält kurz inne, als er Kates Hinterkopf sieht. »Störe ich?«
»Ja, und Gott sei gedankt dafür«, sagt Kate mit einem letzten warnenden Blick in meine Richtung.
Kennedy geht auf meinen Schreibtisch zu und lässt sich auf den Stuhl neben Kate fallen. »Worüber reden wir?«
Kate beugt sich zu ihm hinüber und flüstert lautstark: »Ian versucht, sich an das letzte Mal zu erinnern, als er ein echtes Date hatte.«
»Also niemals«, sagt Kennedy ohne jedes Zögern.
Kate nickt. »Genau.«
»Leute, mein Liebesleben steht nicht zur Diskussion.«
»Du hast kein Liebesleben«, entgegnet Kennedy und scrollt auf seinem Handy seine E-Mails durch.
»Nun, du auch nicht«, stelle ich fest. Ich habe endgültig die Nase voll von dem Thema.
Er schaut nicht von seinem Handy auf. »Ich hatte feste Beziehungen.«
Ich sehe, wie Kate sich bei dieser Feststellung leicht versteift, wobei Kennedy es nicht zu bemerken scheint. Andererseits scheint er überhaupt nicht viel zu bemerken, was Kate betrifft. Es ist, als hätte er einen blinden Fleck. Er legt ihr gegenüber einen leidenschaftlichen Beschützerinstinkt an den Tag – das tun wir alle –, aber er hält sie auch um Armeslänge von sich weg, beinahe so, als hätte er ein wenig Angst vor ihr. Und ich vermute, das ärgert sie.
»Welche festen Beziehungen?«, frage ich ihn.
Er zuckt die Achseln. »Ich gehe mit Frauen aus meinen gesellschaftlichen Kreisen aus.«
Kate klappt der Unterkiefer herunter. »Ihren gesellschaftlichen Kreisen
»Sie wissen schon, was ich meine«, antwortet er, immer noch abgelenkt von seinem Handy.
»Eigentlich nicht«, sagt sie.
»Leute …« Er wedelt mit der Hand. »Ich gehe mit Leuten aus, mit denen ich aufgewachsen bin. Leuten, die ich über meine Eltern kenne und aus meiner Ausbildung.«
Ich halte mir eine Hand vor den Mund, um mein Gekichere über das Wort Ausbildung zu verbergen.
»Oh, ich verstehe.« Kate nickt. »Leute, mit denen Sie die Sommer verbracht haben.«
Mein Lachen entschlüpft mir im selben Moment, in dem Kennedy sagt: »Ja, genau …« Er bricht ab und schaut zu Kate hinüber, dann zu mir. »Ihr macht euch über mich lustig.«
»Ein klein wenig, Gatsby«, bestätige ich.
Er schaltet sein Handy aus und sieht mich an. »Warum reden wir überhaupt über Beziehungen?«
»Ian hat es schwer erwischt. Lara.«
»Dessen bin ich mir bewusst. Was hat das mit Dates zu tun?«
»Das meine ich mit ›schwer erwischt‹«, erklärt Kate selbstgefällig. »Er will mit ihr ausgehen, nicht nur sie nageln.«
Ich ziehe die Brauen hoch. »Sie nageln
Sie zuckt die Achseln. »Oder was auch immer. Fügen Sie das Verb Ihrer Wahl ein.«
Ich verkneife mir klugerweise die Mitteilung, dass ich viele Verben im Sinn habe, wenn es um Lara geht, eins schmutziger als das andere. Stattdessen sage ich: »Ich will nicht mit ihr ausgehen.« Die Worte kommen automatisch, aber ich bezweifle stark, dass sie der Wahrheit entsprechen. Zeit mit Lara zu verbringen ist anders als mit jeder anderen Frau, bei denen es mir nie um mehr als eine einzige Nacht ging.
Lara McKenzie ist keine Frau nur für eine einzige Nacht. Sie ist eine Frau für alle Nächte.
Überraschenderweise macht der Gedanke mich nicht annähernd so panisch, wie er das sollte.
Die Frage ist – wie zum Teufel überzeuge ich jemanden, der in einem Klub nicht mit mir gesehen werden will, mir eine gottverdammte Chance zu geben?
Ich muss nicht weiter darüber nachdenken, da in diesem Moment Sabrina und Matt auftauchen, zusammen mit der Woge sexueller Spannung, die sie immer zu umgeben scheint.
»Siehst du«, erklärt Sabrina selbstgefällig, als sie in mein Büro stolziert kommt und auf Kennedy, Kate und mich deutet. »Ich habe gesagt, dass sie hier sein würden.«
Matt verdreht die Augen. »Ich habe nie behauptet, ich sei anderer Meinung. Ich habe gesagt: Was zur Hölle machst du hier?«
»Und ich habe gesagt, dass ich nach Ian und Kate suche«, versetzt Sabrina kühl.
Ich habe nur zwei Stühle für Gäste, daher steht Kennedy auf, um Sabrina seinen Platz anzubieten. »Hallo, meine Liebe«, murmelt er und küsst sie auf die Wange.
Sie tätschelt voller Zuneigung sein Kinn. »Hey, Süßer.«
Kennedy und Sabrina haben sich seit dem ersten Tag gut miteinander verstanden. Sie stehen sich nicht so nah wie Sabrina und ich – sie haben nicht unsere Geschichte. Aber so wie in unserem Fall besitzt ihre Freundschaft eine gewisse Leichtigkeit, dank eines vollkommenen Mangels an Chemie, der es ihnen erlaubt, einander wie normale Menschen zu begegnen.
»Na dann …« Sabrina stellt ihre Handtasche auf den Boden. »Worum geht es gerade? Ich spüre, dass hier interessante Themen gewälzt werden.«
»Ian will mit der SEC ausgehen«, sagt Kate, wieder in diesem überlauten Flüsterton.
»Oh, also das ist interessant!«, stellt Sabrina fest.
Mein Nettoeinkommen für eine Pistole. Bitte.
»Interessant oder nicht, er kann nicht mit ihr ausgehen«, entscheidet Matt, geht zum Fenster und schiebt die Hände in seine Taschen.
»Warum nicht?«, will Sabrina wissen.
»Er kann noch nicht mit ihr ausgehen«, verdeutlicht Kate. »Nicht bis der Fall erledigt ist.«
Sie haben recht. Lara ist ihre Karriere viel zu wichtig, um mit dem Mann auszugehen, der der Gegenstand ihrer Untersuchung ist. Oder um mit ihm zu schlafen.
Ian will mit der SEC ausgehen …
Kates Worte hallen in meinem Kopf wider. Sie hat es neckend gemeint, aber auch … auf den Punkt gebracht.
Ich will tatsächlich mit der SEC ausgehen. Ich will ein Date mit Lara.
Und wenn ich irgendetwas bei meinem langen Weg aus den Slums von Philly bis hierher gelernt habe, dann dies: Ich weiß, wie man ein Spiel von langer Hand aufbaut – wie man kleine, aber entscheidende Schritte macht, um zu bekommen, was man will.
Und ich will Lara McKenzie.