21
Ian
Woche 4: Donnerstagabend
»Sitzen meine Brüste schief? Der neue BH und das enge Kleid scheinen sich nicht miteinander zu vertragen. Ian?«
»Vergiss es«, antworte ich und weigere mich, auf das Dekolleté meiner Freundin hinabzuschauen. »Wie oft soll ich es dir noch sagen – ich lehne es ab, deine Brüste zu analysieren.«
Sabrina schnaubt und wendet sich an Matt. »Na schön. Cannon, da Ian so prüde ist und ich nicht weiß, wohin Kate und Kennedy sich verkrümelt haben, musst du mir helfen.«
Anders als ich ziert sich Matt kein bisschen und nimmt sich Zeit, Sabrinas Oberkörper zu mustern. »Die rechte Brust sitzt einen Hauch zu hoch. Ich hoffe, du hast deinem Schönheitschirurgen nicht zu viel bezahlt.«
Sabrina gibt sich nicht damit ab, gekränkt zu sein, sondern reicht ihm ihre Champagnerflöte, damit er sie festhält, wendet sich von der Menge ab und rückt ihren Busen zurecht. »Die hier sind zu hundert Prozent ich«, informiert sie Matt kühl. »Ich würde dir ja anbieten, es selbst herauszufinden, aber, oh, Moment … das haben wir bereits getan. Schnarch
Ich zucke zusammen und leere mein Glas. »Es wird nicht darüber gesprochen, was immer ihr zwei zusammen getan habt, erinnert ihr euch?« Ich habe es jahrelang geschafft, nicht mit den Details belästigt zu werden. Ich hätte gern, dass das so bleibt.
»Aber …«
»Nichts da«, unterbreche ich Sabrina. »Meine Party, meine Regeln.«
»Es ist eine mordsmäßige Party«, wirft Matt ein.
Er hat vermutlich recht. An der Wall Street gibt es eine unausgesprochene Regel, nach der eine Party keine Party ist, es sei denn, sie ist übertrieben extravagant. Kaviar. Dom Perignon. Foie gras. Nur das Beste vom Besten.
Nicht dass ich mich persönlich um irgendetwas von alldem kümmere. Ich habe Kate einige Telefonanrufe machen lassen, und Stunden später ist meine Wohnung wie verwandelt. Eine Ecke meines Wohnzimmers ist eine Bar, ich habe einen smokingtragenden Kellner für jeweils fünf Gäste und die besten Caterer New Yorks.
Es ist eine Szenerie, mit der ich im Laufe der Jahre reichlich vertraut geworden bin, aber heute Abend fühlt es sich … anders an. Schal.
Und doch notwendig.
Wer immer es eingefädelt hat, dass ich die Zeche für eine imaginäre J-Conn-Verbindung zahle, ist jemand aus meiner Welt. Dieser Welt. Vielleicht nicht jemand, der heute Abend hier ist, aber irgendjemand muss irgendjemanden kennen, und ich bin fest entschlossen, es herauszufinden.
Zumindest ist das der Plan.
Sobald bei Sabrinas Dekolleté die Symmetrie wiederhergestellt ist, nimmt sie Matt ihren Champagner ab und dreht sich zu den Partygästen um. »Es widerstrebt mir, ihm zuzustimmen, aber dies ist für eine Einladung auf die letzte Minute eine beeindruckende Anzahl Leute.«
Das ist es. Noch vor wenigen Wochen wäre ich begeistert gewesen und halb betrunken, sowohl vom Alkohol als auch von der Macht, die mein Name einer Einladung verleiht. Jetzt jedoch fühlt sich es sich irgendwie falsch an. Genau wie im Pearl in der letzten Woche habe ich das Gefühl, das Leben eines anderen zu betrachten, und es ist kein Mensch, den ich besonders beneide.
Ich seufze und lasse den Blick über die Menge schweifen. »Vermutlich ist die Hälfte dieser Leute nur hier, um damit zu prahlen zu können. Sie wollen zu den Letzten gehören, die meine Wohnung sehen, bevor mein neues Zuhause eine Gefängniszelle ist.«
»Du gehst nicht ins Gefängnis«, sagt Sabrina und hakt mich unter. »Ist das nicht der Grund, warum wir diese Party feiern? Um die Wall-Street-Elite nach Informationen auszuhorchen?«
Matt fängt meinen Blick über ihren Kopf auf und nickt mir zu. Den Plan für die Party hat er mit ausgeheckt, eine allerletzte Anstrengung herauszufinden, wer zur Hölle versucht, mich zu torpedieren. Ich habe fünfundzwanzig Gäste eingeladen – ungefähr so viele, wie bequem in meine kleine Wohnung passen. Stattdessen habe ich fast fünfzig gezählt. Es ist eng hier, auch wenn sich einige auf meinen Balkon begeben haben und andere in meinem Büro miteinander plaudern. Viele der Leute kenne ich nicht einmal. Es war nur halb im Scherz, als ich Sabrina gesagt hatte, sie seien hier, um mich zu verabschieden, bevor ich zwei bis fünf Jahre wegen Insidergeschäften absitze.
Zum Teufel mit der SEC.
Zum Teufel mit Lara McKenzie und ihrer Prozedur und ihrem süßen kleinen Mund.
Und zum Teufel mit mir, dass mir das so viel bedeutet. Dass es mich so trifft, dass sie nicht an mich glaubt. Dass das, was immer zwischen uns ist, ihr nicht genügt, um sich über ihre starren Regeln und ihre blinde Gläubigkeit an ein System hinwegzusetzen, das offensichtlich nicht funktioniert.
Sie brauchte Zeit, und das verstehe ich – zumindest habe ich versucht, es zu verstehen. Ich habe sie an diesem Abend in ihrer Wohnung bombardiert, und ich habe versucht zu respektieren, dass sie einen Moment brauchte, um sich Klarheit über die Dinge zu verschaffen, aber das ist jetzt Tage her. Jede Menge Zeit, meine Unschuld zu akzeptieren.
Ich bin gekränkt, ja. Aber auch … stinksauer.
Kennedy schlängelt sich durch die Menge, zwei Drinks in der Hand – einen Manhattan für sich selbst, einen Negroni für mich. »Kate hat gesehen, dass dein Glas leer ist.«
Ich nehme den Drink dankbar entgegen. »Wir bezahlen ihr definitiv nicht genug. Wo ist sie überhaupt?«
»Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie mit einem der Junioranwälte von Morris & Keale geplaudert.«
»Ich kenne keine Junioranwälte von M & K.«
Er zuckt die Achseln. »Seit wann spielt das eine Rolle? Du weißt doch, wie das läuft. Sie fangen ein Wispern über kostenlosen Alk und große Namen auf …«
»Ja, schon kapiert«, brumme ich. »Verdammt, so war ich auch mal.«
Er wirft mir einen genervten Blick zu. »Ian, so warst du noch vor ein paar Wochen.«
Ich grunze. Er hat recht, und wir wissen beide, was mich verändert hat. Wer mich verändert hat.
Ich reibe mir den Nacken. »Wann haben wir angefangen, zu alt für so etwas zu sein?«
»Sprich für dich selbst«, antwortet Matt.
»Wirklich?«, sagt Sabrina zu ihm. »Ich sehe nicht, dass du dich unter die jungen Dinger mischst. Du bist genau wie wir alten Knacker ein Mauerblümchen.«
»Wir sind keine Mauerblümchen, weil wir alt sind. Wir sind einfach …« Ich sehe Kennedy und Matt Hilfe suchend an. »Was zum Teufel tun wir hier in der Ecke?«
»Jedenfalls kommen wir der Frage nicht näher, wer sich bei der SEC das Maul über dich zerrissen hat, so viel steht fest«, bemerkt Matt.
Sabrina seufzt. »Die Hölle ist zugefroren, denn ich muss ihm schon wieder zustimmen. Unser Wunderknabe hat recht. Wir haben die Crème der Wall Street an einem Ort versammelt, alle kurz davor, betrunken zu sein.« Sie leert ihr Glas. »Unterbrechen wir das hier, um uns unters Volk zu mischen?«
»Fantastisch. Wie ich Small Talk liebe«, brummt Kennedy.
»Tu es für Ian«, sagt Sabrina und tätschelt ihm den Arm.
»Deshalb bin ich hier. Aber ich ziehe die Grenze bei Gesprächen über das Wetter«, erklärt er und hält einen Daumen an sein Hinterteil. Die Geste ist kurz, aber vielsagend.
Ich will den Mund öffnen, um ihm zu danken. Um ihnen allen zu danken, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Kennedy schenkt mir kurz ein Lächeln, was selten geschieht. »Du würdest das Gleiche für mich tun.«
»Verdammt richtig«, antworte ich und bin dankbar, dass er versteht, was ich nicht in Worte fassen kann. »Aber ich würde für dich auch übers Wetter reden!«, rufe ich meinem entschwindenden Freund nach.
Sabrina und Matt verziehen sich ebenfalls, Sabrina, um einen Referenten von einer konkurrierenden Firma zu bezirzen, Matt, um mit einer Gruppe von Frauen zu flirten, die alle fast identische schwarze Kleider tragen. Ich will mich gerade Matt und den Frauen anschließen, weil ich denke, dass ein wenig weibliche Interaktion mit jemandem, der keine SEC-Ermittlerin ist, vermutlich genau das ist, was ich brauche, als jemand mir eine Hand auf die Schulter legt.
»Ian, Mann!« Ich drehe mich um und schüttele jemandem die Hände. Es ist … Scheiße, wie heißt er noch gleich? Ein Geschäftsführer von Green Garrison … Jacob. Jacob Houghton.
Ich glaube nicht, dass Kate ihn eingeladen hat, aber das ist mir jetzt wirklich egal. Vielleicht werde ich meinem Plan für den Abend ein neues Element hinzufügen: Trinken, bis ich aufhöre, an Lara zu denken. Allerdings sind meine Chancen, sie aus dem Kopf zu bekommen, gering. Sie ist alles, woran ich denken kann.
»Schön, Sie zu sehen«, zwinge ich mich, den Mann zu begrüßen. »Es freut mich, dass Sie es einrichten konnten.«
»Wie geht’s Ihnen?«, fragt Jacob und nimmt einen Schluck von seinem Whiskey-Soda.
Ich zwinge mich zu einem Lachen. »War schon besser.«
Er zuckt sichtlich zusammen. »Ja, ich hab’s gehört. Harte Zeit, Mann.«
»He, die SEC muss irgendwie die Rechnungen für ihre Angestellten bezahlen, oder?«
»Natürlich, natürlich.« Jacob sieht mich kaum an, sondern vielmehr den Hintern der Rothaarigen hinter mir. »Meinen Sie, die haben etwas gegen Sie in der Hand?«
»Es gibt nichts zu finden.« In meiner Stimme schwingt nur ein Hauch von Schärfe mit, jedenfalls scheint er es nicht zu bemerken.
»Schön für Sie«, sagt er geistesabwesend, als ein Kellner mit einem Tablett voller Krabbenschnittchen vorbeikommt. Er richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf mich und beugt sich leicht vor. »Ich habe gehört, dass Vanessa Louis Sie vertritt. Sie müssen verdammt gut mit Worten umgehen können, wenn Sie sie hinters Licht geführt haben.«
Bevor ich diesem Mistkerl etwas antworten kann, das absolut nicht angemessen für eine Cocktailparty ist, erscheint Kate an meiner Seite.
»He, Ian! Darf ich mir Sie für eine Sekunde ausborgen?«
Ich schaue auf sie hinab und sehe, dass ihr Lächeln breit und strahlend ist, aber es liegt auch eine gewisse Nervosität darin. Zuerst denke ich, der Grund sei, dass sie das Gespräch mit Jacob mit angehört hat und denkt, ich würde eine Szene machen, aber einen Moment später begreife ich, dass sie wegen etwas ganz anderem nervös ist.
»Das haben Sie nicht getan«, stoße ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor und funkele meine Assistentin an.
»Seien Sie nicht sauer.« Kate legt mir eine Hand auf den Arm und sieht mich durchdringend an. »Was immer diese Sache ist, Ian, Sie müssen sich ihr stellen.«
Kate hat recht, sie hat meistens recht, aber ich höre sie kaum.
Denn mein Gehirn – und mein Herz – kommen nicht ganz dahinter, was sie mit der Tatsache machen sollen, dass Lara McKenzie in meinem Wohnzimmer steht.