22
Lara
Woche 4: Donnerstagabend
Ich gestehe, dass ich, als ich mich heute Morgen angezogen habe, fand, dass ich ziemlich gut aussah. Das ärmellose blaue Rollkragentop passt zu meinen Augen, der graue Bleistiftrock verbirgt recht gut das Stressessen der vergangenen Wochen. Die hautfarbenen Pumps sind sowohl klassisch als auch sexy.
Dachte ich jedenfalls.
Als ich Ians Wohnung betrete, fühle ich mich wie eine Vogelscheuche.
Wer sind
diese Leute, die um sechs Uhr abends an einem Donnerstag besser aussehen als ich, wenn ich mich für eine piekfeine Hochzeit in Schale geworfen habe?
Die Männer in teuren Anzügen sind mir nicht neu, daran bin ich gewöhnt. Es sind die Frauen, die mich ein wenig umhauen. Die hochhackigen Riemchensandalen, die kurzen Cocktailkleider, das tadellose Make-up.
Es ist eine gute Erinnerung, dass dies
Ian Bradleys Welt ist – glamourös, teuer und elitär. Eine Welt, in die ich nicht hineingehöre und niemals hineingehören werde.
Das hat mich noch nie zuvor gestört. Ich weiß gar nicht, ob es mich jetzt stört. Mir gefällt, wer ich bin. Mir gefällt es, dass ich mehr Hosenanzüge als Cocktailkleider besitze und dass ich hart in einem Beruf arbeite, an den ich glaube.
Es ist in Ordnung für mich, nicht hierher zu passen. Was weniger in Ordnung ist, ist das, was es für Ian und mich bedeutet.
»Lara, hi. Ich war mir nicht sicher, ob Sie wirklich kommen würden«, sagt Kate, als ich an der improvisierten Bar einen Drink bestelle.
»Ich mir auch nicht. Ich hätte beinahe gekniffen«, gebe ich zu und drehe mich zu ihr um. Ich schaue mich schnell im Raum um, aber er ist von Wand zu Wand voller Leute, und ich entdecke Ian nirgends. »Ist er hier?«
Sie lächelt schwach. »Es ist seine Wohnung. Ich hoffe doch, dass er hier ist.«
»In Ordnung. Ich werde es anders formulieren. Weiß er, dass ich
hier bin?«
Sie schaut weg und antwortet nicht, und es ist das erste Mal, dass ich Kate nicht vollkommen offen erlebe.
Mir wird flau im Magen. »Vielleicht war das doch keine gute Idee.«
»Nein. Sie bleiben«, sagt sie entschlossen. »Die Anzahl an Orten, an denen er sich verstecken kann, ist begrenzt.«
»Denken Sie, irgendjemand wird wissen, wer ich bin?«
»Wahrscheinlich«, entgegnet sie. »Die Leute werden zumindest wissen, was
Sie sind. Die anderen Frauen tragen alle High Heels von Prada, und Sie sehen aus wie eine Regierungsangestellte.«
»Ähm, autsch«, murmele ich, obwohl ich weiß, dass sie recht hat.
»Vergessen Sie einfach nicht, warum Sie hier sind.«
Dann wirft sie mir einen neugierigen Blick zu. »Warum sind Sie eigentlich hier? Sie haben nie gesagt, warum Sie kommen wollten.«
Ich sehe sie fest an. »Nein, das habe ich nicht.«
»Ein kleiner Tipp?«
»Kate«, sage ich milde. »Wenn ich etwas ausrufen lassen wollte, hätte ich das bereits getan.«
Sie seufzt. »Na schön. Sie können einer Frau keinen Vorwurf daraus machen, dass sie es versucht. Also gut, hören Sie. Er ist ein wenig sauer auf mich, weil ich Ihnen von der Party erzählt habe, und er ist ein wenig sauer auf Sie, weil … nun, den Grund kenne ich nicht. Wir müssen einen Weg finden, dafür zu sorgen, dass Sie zwei allein sein können.« Sie knabbert an ihrer Unterlippe. »Ich weiß nur noch nicht genau, wie ich das einfädeln soll. Er ist nicht mehr so leicht zu manipulieren wie früher.«
»Früher?«, frage ich und nehme einen großen Schluck Wein.
Kate tätschelt meinen Arm. »Bevor Sie aufgetaucht sind.«
Ich rucke mit dem Kopf nach vorn und starre sie mit
hämmerndem Herzen an. »Bevor ich gekommen bin. Was soll das heißen?«
Kate lächelt nur rätselhaft und sieht sich suchend im Raum um, dann zeigt sie auf die gläsernen Schiebetüren am gegenüberliegenden Ende des Wohnzimmers. Sie führen auf einen Balkon hinaus. »Warten Sie dort draußen, nur bis ich mir sicher sein kann, dass er keine Szene machen wird.«
Ich lache. »Ich werde nach draußen geschickt? Wie ein Hund, der ein Kissen kaputt gebissen hat?«
»Ja, aber ich werde Ihnen vorher Nachschub besorgen«, sagt sie, nimmt mir mein Weinglas aus der Hand und hält es dem Barkeeper hin. Dann gibt sie es mir zurück und spreizt die Hände. »Zehn Minuten. Maximal.«
Ich tue wie geheißen, größtenteils weil der Gedanke, auf dem Balkon zu stehen, mir erheblich attraktiver erscheint, als hier drinnen Small Talk zu machen. Niemand beachtet mich bisher. Aber das wird sich ändern, sobald ich zu der Was-machen-Sie-beruflich-Frage
komme und die Nachricht sich wie ein Waldbrand verbreitet, dass sie den Feind in ihrer Mitte haben.
»Trüffel-Arancini?« Eine schlanke Frau in einer schwarz-weißen Kellneruniform hält mir ein Tablett vors Gesicht.
»Nein, danke«, antworte ich mit einem Lächeln.
Sie vollführt eine Drehung und präsentiert das Tablett in ihrer anderen Hand. »Hummer auf Toast?«
Verdammt.
So feiert also die andere Seite.
»Nein, vielen Dank. Ich brauche nichts.«
Sie geht mit ihren luxuriösen Snacks weiter, und ich trete auf den Balkon hinaus. Auf dem Weg hierher war es sonnig, aber dank eines nahenden Sommergewitters hat es angefangen, sich zuzuziehen, daher habe ich den ganzen Balkon für mich allein. Nicht dass er besonders groß wäre. Es ist keiner, auf dem man grillt und sich ein Bier genehmigt. Aber er ist hübsch.
Wem mache ich etwas vor, er ist mehr als hübsch. Der Bursche lebt im fünfundfünfzigsten Stockwerk eines eleganten Hochhauses mit Blick auf die Freiheitsstatue.
Ich nippe an meinem Wein und versuche die Aussicht zu genießen, ohne darüber nachzudenken, wie sehr es mich trifft, dass
Ian nicht einmal hergekommen ist, um Hallo zu sagen. Vor wenigen Tagen hat er mich noch geküsst. Jetzt will er mich nicht einmal ansehen, nimmt meine Anrufe nicht an, stimmt keinem Treffen zu.
Klar, das kapiere ich schon. Er braucht etwas, das ich ihm nicht zugestehen kann. Nicht zu diesem Zeitpunkt, nicht bis ich den Fall ganz bis zum Ende durchgearbeitet habe.
Aber jetzt kann ich nachgeben. Das ist der Grund, warum ich hier bin.
»Darf ich mich zu Ihnen gesellen?«
Ich drehe mich um und stutze, als ich die Frau erkenne, die auf den Balkon hinaustritt. Sie ist die Frau, die ich vor einigen Wochen beim Mittagessen mit Ian gesehen habe, und sie ist aus der Nähe noch zauberhafter. Sie hat langes, dickes schwarzes Haar, das ihr fast bis zur Taille reicht, durchdringende blaue Augen, ein kantiges, aber atemberaubendes Gesicht und, wenn ich ganz ehrlich bin … einen spektakulären Busen.
»Natürlich«, sage ich und widerstehe dem Drang, mein Haar aus seinem Pferdeschwanz zu befreien, damit ich mich weniger wie ein Teenager fühle.
Sie schenkt mir ein kühles Lächeln und streckt die Hand aus. »Sabrina Cross.«
»Lara McKenzie.«
Ihr Lächeln kühlt noch weiter ab. »Ich weiß.«
Ich nehme einen Schluck von meinem Wein und frage mich, was zum Kuckuck das bedeutet. Was weiß sie? Hat Ian ihr von dem Kuss erzählt? »Also, Sie wissen auch …«, fische ich im Trüben.
»Dass Sie die SEC-Ermittlerin sind, die Ian überprüft? Yep.« Sie legt den Kopf schräg und mustert mich. »Aber Sie sind nicht das, was ich erwartet habe.«
»Sie haben mich schon mal gesehen. Neulich beim Mittagessen in dem Restaurant.«
»Stimmt«, gibt sie zu und nippt an ihrem Champagner. »Aber an dem Tag habe ich mich mehr für Ians Reaktion auf Sie interessiert als für Sie selbst.«
Das ist ein Köder, aber ich schlucke ihn nicht, sosehr ich es auch möchte.
»Ich habe mir SEC-Angestellte immer in kastigen braunen
Anzügen und Clogs vorgestellt.«
»Tja, alle meine kastigen Anzüge waren schmutzig, und in Clogs tun mir die Fußballen weh.«
Sie lacht, ein tiefer, erotischer Laut, wie ich es vermutet hatte, als ich sie mit Ian in dem Restaurant hatte lachen sehen. »Ich verstehe, warum er Sie mag.«
»Ja, Männer lieben meine Kombination aus Direktheit und Unbeholfenheit einfach.«
»Männer lieben die Kombination aus witzig und klug«, korrigiert sie mich.
»Angenommen, dass das ein Kompliment sein sollte, vielen Dank.«
»Gern geschehen.« Sie nippt an ihrem Drink und beobachtet mich einen Moment. »Warum sind Sie hier?«
Ich ziehe angesichts der unverblümten Frage die Brauen hoch, aber sie zuckt nur die Achseln. »Ich habe einen stark ausgeprägten Beschützerinstinkt, was Ian betrifft.«
»Ian hat mir erzählt, dass Sie beide sich sehr nahestehen.«
»Ach ja?«, erwidert Sabrina nachdenklich. »Interessant. Er spricht nicht oft über unsere Freundschaft. Eigentlich mit niemandem. Aber ja, wir stehen uns sehr nah. So nah sich zwei Menschen kommen können, die sich wie Geschwister fühlen, ohne die selben Eltern zu haben.«
Geschwister. Ich kann nicht leugnen, dass mir bei ihrer Wortwahl ein Stein vom Herzen fällt, dass die Beziehung so platonisch ist, wie er behauptet hat.
»Stehen Sie auch Matt und Kennedy so nah?«, frage ich, gleichzeitig neugierig und entschlossen, nicht den Eindruck zu erwecken, als würde ich mich speziell für Ian interessieren.
»Klar. Kennedy ist ein guter Kerl. Ein wenig zugeknöpft, aber so loyal, wie man es sich nur wünschen kann. Was Matt betrifft …« Sie unterstreicht seinen Namen mit einem Feixen. »Wir haben … eine Vorgeschichte.«
»Ist er ein Ex?«
»Hm, eher so etwas wie …« Sie schüttelt ihr Champagnerglas auf der Suche nach dem richtigen Wort. »Eine frühere Affäre. Das Ganze hat kein gutes Ende genommen, und ich wünsche ihm regelmäßig die
Pest an den Hals, genau wie er mir.«
»Klingt wunderbar
erwachsen«, antworte ich und lächele, um den Sarkasmus abzumildern.
Sie lacht. »Es amüsiert uns.«
»Was ist mit Ian?«
Sabrina blinzelt. »Was soll mit ihm sein?«
»Stört es ihn, dass zwei seiner besten Freunde sich ständig in den Haaren liegen?«
»Möglicherweise. Er lässt uns schon spüren, dass wir ihm auf die Nerven gehen.« Dann runzelt sie die Stirn. »Aber ich fürchte, ich habe nie darüber nachgedacht, ob es ihn wirklich stört.« Sabrina legt den Kopf schräg und mustert mich, bevor sie fortfährt: »Ich habe nie darüber nachgedacht, aber Sie scheinen es getan zu haben. Er bedeutet Ihnen etwas.«
Ich nehme einen Schluck Wein und hüte mich, etwas zu sagen.
Sie dagegen redet weiter. »Ian und ich haben nie miteinander geschlafen.«
Ich kann mit knapper Not verhindern, dass ich mich an meinem Wein verschlucke. »Danach habe ich nicht gefragt.«
Ihr Lächeln ist hinterhältig. »Aber Sie wollten es wissen.«
Ganz eindeutig.
»Sind Sie zusammen aufgewachsen?«, hake ich nach und beschließe, den Spieß umzudrehen. Ians älteste Freundin hat mich offensichtlich im Moment unter einem Mikroskop liegen und will wissen, wer oder was ich für Ian bin. Aber der Austausch von Informationen kann in beide Richtungen laufen. Und ich bin ziemlich neugierig, was Sabrinas und Ians Geschichte betrifft.
»Ja. Wir haben aufeinander aufgepasst.« Sie wendet sich um, um die langsam untergehende Sonne zu beobachten. »Keiner von uns hatte es besonders gut zu Hause, aber wir hatten einander.«
Ich will mehr wissen, doch ich habe kein Recht, danach zu fragen, daher trinke ich nur einen Schluck von meinem Wein.
Nach einem Moment des Schweigens dreht sie sich zu mir um. »Er versteht sich gut mit seinem Pflegevater – mit dem letzten, dem anständigen. Aber ich glaube, es verletzt ihn noch immer, dass Dave ihn nie adoptiert hat.«
Ich werfe ihr einen argwöhnischen Blick zu. »Ich glaube nicht,
dass er übermäßig begeistert wäre, dass Sie mit mir darüber sprechen.«
»Oh, auf keinen Fall.« Sie stößt ein kurzes Lachen aus. »Aber das ist verdammtes Pech. Für Sie beide.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Ian mag Sie«, sagt sie und wendet sich mir zur Gänze zu. »Er mag Sie auf eine Weise, wie ich sie seit … eigentlich hat er sich meines Wissens noch nie so benommen.«
»Was, dass er mich vollkommen ignoriert?« Ich deute mit dem Kopf auf die Party.
»Was haben Sie erwartet?«, fragt sie. »Sie haben ihn verletzt.«
Mein Herz krampft sich ein wenig zusammen. »Wie kann ich ihn verletzt haben? Ich kenne ihn nicht einmal.«
»Ich denke, Sie kennen ihn durchaus«, versetzt sie leise.
Bevor ich antworten kann, wird die Balkontür geöffnet, und Kennedy Dawson und Matt Cannon gesellen sich zu uns.
Sabrina seufzt. »Macht es euch etwas aus, Jungs? Das ist ein Frauengespräch.«
Matt legt ihr einen Arm um die Schulter und drückt die Lippen auf ihr Ohr. »Erzählst du ihr, dass du immer noch versuchst, über mich hinwegzukommen?«
»Nun«, sagt Sabrina und benutzt die Fingernägel, um seine Hand von ihrer Schulter zu heben, als sei sie ein Stück Müll, »ich erinnere mich definitiv daran, über dich hinweg zu sein. Ich war bisher nie mit jemandem zusammen, der gar so zufrieden damit war, einfach auf dem Rücken zu liegen.«
Kennedy beugt sich leicht zu mir vor. »Keine Sorge, irgendwann gewöhnen Sie sich an die beiden.«
Ich lächele, ein wenig aus dem Konzept gebracht, weil ich von Ians innerstem Kreis umringt bin. Ich habe im Laufe der Ermittlungen sowohl mit Matt als auch mit Kennedy gesprochen, aber unsere Begegnungen waren immer so förmlich, dass es ans Frostige grenzte. Nicht dass sie mir jetzt ein Wonnegefühl vermitteln. In Wahrheit beobachten sie mich alle drei. Sie funkeln mich nicht direkt an, aber ich habe das deutliche Gefühl, dass sie versuchen herauszufinden, was zum Teufel ich hier tue.
Ich mache ihnen keinen Vorwurf daraus. Dies ist nicht meine
Szenerie – ganz und gar nicht. Nicht nur das, ich habe immer bewusst mein professionelles Leben von meinem Privatleben separiert, Arbeitszeit und Feierabend getrennt. Vor diesem Fall habe ich diese Grenzen nie verwischt, kein einziges Mal. Aber wie bei allem, was mit Ian Bradley zu tun hat, breche ich meine Regeln. Alle, welche auch immer.
Ich hoffe, das ist es wert.
Ich lasse den Blick über den Balkon wandern und sehe allen dreien in die Augen, um sie wissen zu lassen, dass ich zwar nicht der Feind bin, aber auch nicht so leicht unterzukriegen. »Ich bin hier, um mit Ian zu reden.«
»Auf seiner Cocktailparty«, sagt Matt zweifelnd.
»Tja, wenn Ihr Freund nicht beschlossen hätte, drei Tage hintereinander das Spiel Vermeiden-wir-die-SEC
zu spielen, hätte ich vielleicht nicht in seine Party hineinplatzen müssen.«
»Ist es wichtig?«, fragt Matt.
Ich nicke. »Ja.«
»Sie halten ihn für unschuldig.«
Das kommt von Kennedy, und es ist keine Frage. Es liefert mir einen guten Hinweis darauf, warum er so hervorragend in dem ist, was er tut. Ian macht sich Witz und Sturheit zunutze, Matt Lächeln und Schmeichelei, aber Kennedy bekommt, was er will, mit stiller Befehlsgewohnheit und Kompetenz.
»Oh, um Gottes willen, lasst sie mit ihm reden«, schaltet Sabrina sich ein und gibt den beiden Männern ein Zeichen.
»Das klingt ja, als machtest du als Wachhund Pause«, blafft Matt.
»Sie hält ihn für unschuldig«, beharrt Sabrina.
»Um bei den Fakten zu bleiben«, werfe ich ein, »hat sie
nur gesagt, dass sie mit ihm sprechen müsse.«
Matt wirft mir mit seinen blauen Augen einen schnellen Blick zu. Sie sind dunkler als die von Ian und im Allgemeinen freundlicher, obwohl ich den Verdacht hege, dass das ein vorsätzlicher Effekt ist. Der Mann hat die Wall Street nicht mit Anfang zwanzig im Sturm erobert, einfach indem er süß war.
Obwohl er das ist. Sehr sogar.
»Also schön«, sagt Kennedy und öffnet die Tür. »Matt, das ist dein Part.«
»Na dann.«
Matt reicht Sabrina sein Cocktailglas, die es entgegennimmt und die Augen verdreht, bevor sie in Ians Wohnzimmer zurückkehrt.
»Also schön, alle miteinander, Zeit zu verschwinden«, sagt er im Befehlston.
Das lärmende Geplapper einer erfolgreichen Cocktailparty gerät leicht ins Stocken, als ihn alle ansehen und versuchen festzustellen, ob es sein Ernst ist. »Ihr habt den Mann gehört«, sagt Sabrina und rauscht in den Raum hinein. »Wir verlegen diese Party anderswohin.«
»Wie wär’s mit deiner Wohnung, Darling – Party für zwei? Oder drei, ich bin auf jeden Fall mit von der Partie.«
Ein betrunkener, wie ein Vollidiot aussehender Mann lacht, als er das sagt, und sieht Sabrina lüstern an.
Am Rand meines Gesichtsfelds nehme ich wahr, dass Ian vortritt, seine Augen eisblau und mordlustig, als er Ausschau nach dem Sprecher hält.
Sabrina hebt eine Hand, um ihren Freund aufzuhalten, dann schlägt sie Matt mit der anderen auf die Brust. Er ist ebenfalls vorgetreten. »Wie heißt du, Süßer?«, schnurrt sie den betrunkenen Mann an.
»Sean.«
»Sean …?«
»Galen.«
»Freut mich sehr, dich kennenzulernen«, sagt Sabrina mit einem warmen Lächeln. Dann klatscht sie in die Hände wie eine Mom bei einer Fußballparty. »Okay, Jungs und Mädels, wir verlegen diese Party in die Brandy Library. Die Drinks gehen auf Sean Galen. Bestellt euch unbedingt alles, was ihr wollt; Sean ist heute Abend sehr
großzügig.«
»Hey!«, ruft der Mann, gerade nüchtern genug, um zu begreifen, was geschieht. »Du kannst nicht einfach …«
»Oh, das tut mir ja so leid.« Sabrina greift sich an die Brust, als sei sie entsetzt über ihren Fehltritt. »Kannst du es dir nicht leisten?«
Ich presse die Lippen aufeinander, um mein Gelächter zu unterdrücken. Es ist gut gespielt. Die Brandy Library ist eine irrwitzig teure Cocktailbar, mit jedem Edelgesöff, von dem ein
Spirituosensnob nur träumen kann.
Die Rechnung wird unvorstellbar sein.
Aber nicht so unvorstellbar wie ein Aufschneider, der zugeben muss, dass er nicht zahlen kann.
Er schluckt und zwingt sich zu einem Lächeln. »Kein Problem. Amüsiert euch alle. Die Rechnung geht auf mich.«
Sabrina tätschelt ihm herablassend die Schulter, und Kate schwirrt durch den Raum, pflückt Gläser aus Händen und führt alle zur Tür, während Kennedy bündelweise Geldscheine an Kellner und Barkeeper verteilt und sie ebenfalls wegschickt.
Er fängt meinen Blick auf und zwinkert mir zu.
Das alles vollzieht sich so schnell, dass ich kaum registriere, wie gründlich die Situation geregelt worden ist, bis Kennedy und Kate in der Tür der jetzt leeren Wohnung innehalten.
Kate sieht Ian an. »Kommen Sie klar?«
Er funkelt sie nur an.
Kennedy nickt, legt Kate eine Hand auf den Rücken und schiebt sie in den Flur. »Ja, er kommt klar.«
Einen Moment später schließt sich die Tür.
Und dann sind da nur noch ich, ein Haufen leerer Gläser und ein sehr sauer dreinschauender Ian Bradley.