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Ian
Woche 5: Montagnachmittag
»Also, wie war’s?«
Ich wende den Blick nicht von meinem Computer ab. »Matt hat es schon vergeblich probiert. Das wird bei dir nicht anders sein.«
Matt grunzt von seinem Stuhl mir gegenüber. Er ist seit einer Viertelstunde damit beschäftigt, einen Baseball hochzuwerfen und wieder zu fangen.
Kennedy streckt die Hand aus, klaut den Ball und mustert ihn. »Was ist das?«
»Ich habe ihn bei dem Spiel am Samstag gefangen.«
Kennedy wirft ihn Matt wieder zu. »Wer hat gewonnen?«
Er braucht nicht zu fragen, um welches Spiel es sich gehandelt hat. Wir sind alle drei Fans der Mets, wobei Matt derjenige ist, der sich am häufigsten Zeit nimmt, um zu einem Spiel ins Citi Field zu fahren. Kennedy ist zu beschäftigt damit zu tun, was immer er tut (Museumsbesuche?), und ich bin zu beschäftigt mit Barhopping.
Jedenfalls war ich das bis jetzt.
»Hat sie ihn verärgert«, fragt Kennedy Matt wenig subtil und aus dem Mundwinkel.
»Schwer zu beurteilen«, sagt Matt und setzt sein Ballspiel fort. »Er ist irgendwie muffig, aber dann hat er plötzlich ein dämliches Lächeln auf dem Gesicht. Interessant.«
»Wisst ihr, was sonst noch interessant ist?«, schalte ich mich ein. »Euch zwei hinauszuwerfen, wenn ihr euch weiter wie Highschoolblödiane benehmt.«
Ohne ein Wort dreht Matt das Handgelenk und wirft Kennedy den Ball zu, der ohne mit der Wimper zu zucken oder den Kopf umzuwenden den Ball mühelos auffängt. Und ihn zurückwirft.
Das geht geschlagene drei Minuten so (die sich wie drei Stunden anfühlen), bevor das konstante, rhythmische Klatschen des Baseballs auf ihren Händen sein Ziel erfüllt.
Ich wende mich ihnen zu. »Okay, was wollt ihr?«
Matt hält den Ball fest und grinst siegreich. »Erzähl es uns.«
»Ihr wisst bereits Bescheid. Sie ist zu mir gekommen. Wir haben uns etwas liefern lassen.«
»Erzähl mir mehr.«
»Dies ist kein Grease-
Song. Ich bin nicht mit ihr Bowlen gegangen.«
»Ins Autokino?«, sagt Kennedy ungerührt.
Ich stoße ein ungläubiges Lachen aus. »Das hätte ich nicht gedacht. Ich dachte, du schaust dir nur so Scheiße an wie Citizen Kane
.«
»Grease
ist ein Klassiker. Ich mag klassische Dinge.«
»Du magst alte
Dinge«, wirft Matt ein.
»Stimmt. Deshalb bin ich auf dich auch nicht besonders scharf. Hast du dich überhaupt schon mal rasiert?«
Matt mustert Kennedy. »Weißt du, du würdest einen ziemlich guten Kenickie abgeben.«
Kennedy lächelt. »Ich weiß.«
»Und wir haben Danny Zuko hier, der uns nicht erzählen will, ob Sandy ihn auf den Docks rangelassen hat.«
»Unter den Docks, es heißt unter den Docks!«
»Ooh! Seid ihr länger als bis zehn geblieben?«, fragt Kate, die ins Büro kommt und die Tür hinter sich zuzieht.
Als sie meinen Blick sieht, wedelt sie mit der Hand. »Vergessen Sie es. Ich werde Sandy fragen. Ich meine, Lara. Darf ich Rizzo sein? Die finde ich am besten.«
»Nein«, lehnt Kennedy ab.
Sie funkelt ihn an. »Warum nicht?«
»Weil ich Kenickie bin.«
Sie schnaubt. »Ja, okay.«
Kennedys finstere Miene wird noch finsterer. »Was dachten Sie, wer ich sein würde?«
Sie schnippt mit den Fingern und tut so, als würde sie grübeln. »Wie heißt noch mal der Direktor?«
»Sie denken an den Sportlehrer«, bemerkt Matt. »Der Direktor ist eine Frau.«
»Ja, ja, ich weiß«, sagt Kate mit einem süßen Lächeln. »Ich habe definitiv an Kennedy als Direktor gedacht. Zugeknöpft, ein wenig prüde …«
Matt verbirgt den Mund hinter seiner Hand, und ich verdrehe die Augen zur Decke, um nicht zu lachen, was mir Kennedys ungebremsten Zorn einträgt.
»Wiiiie dem auch sei«, fährt Kate fort und richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich, um Kennedys düsterem Stirnrunzeln auszuweichen. »Sie müssen uns irgendetwas verraten, Ian. Sie haben sich mit ihr am Freitag getroffen, und dann hat niemand von uns etwas von Ihnen gehört. Nicht einmal Sabrina.«
»Ich war beschäftigt.«
»Hat sie …«
»Keine weiteren Szenen aus Grease
mehr.« Ich zeige mit einem Finger auf Matt.
Er spielt zur Strafe wieder mit seinem Baseball herum.
»War es ein Date? Seid ihr jetzt zusammen?«, fragt Kennedy.
»Das ist ein sehr wichtiger Unterschied«, stimmt Kate zu, geht durch den Raum und setzt sich auf die Armlehne von Matts Stuhl.
»Ich will verdammt sein, wenn ich das weiß«, murre ich.
Lara hat meine Wohnung spät am vergangenen Abend verlassen, sehr zu meinem Missfallen, und ich habe den ganzen verdammten Tag nichts von ihr gehört. Zum ersten Mal in meinem Leben befinde ich mich auf der anderen Seite der Gleichung – bin derjenige, der am Telefon wartet, statt ihm auszuweichen.
Es gefällt mir nicht.
»Ach. Du. Meine. Güte«, sagt Kate. Sie hält sich den Mund in einem jämmerlichen Versuch zu, ihre Erheiterung über mich zu ersticken. »Sehen Sie sein Gesicht?«
»Durchgedreht«, sagt Matt bestätigend.
»Hingerissen«, pflichtet Kennedy ihm bei.
Kate zeigt mit dem Finger auf ihn. »Sehen Sie? Hingerissen.
Er ist wie die Direktorin in Grease.
Altmodisch und …«
»Oh, um Gottes willen, nur weil ich kein kindischer …« Er bricht ab.
Kate verschränkt die Arme vor der Brust und zieht die Brauen hoch. »Ja? Bitte
, Kennedy, beenden Sie unbedingt den Satz.«
Ich reibe mir das Gesicht. »Ich brauche Kaffee.«
»Ich habe Ihnen heute Morgen bereits einen Literbecher gebracht«, ruft Kate mir ins Gedächtnis.
»Okay, schön, ich brauche …«
Meine drei Freunde warten auf meine Antwort, ihre Mienen eine Mischung aus Erheiterung und Entsetzen. Denn wir alle wissen, was ich brauche. Oder zumindest, was ich will.
Lara.
Ich will wissen, was ich ihr bedeute, aber wie kann ich Klarheit von ihr erwarten, wenn ich nicht einmal weiß, wonach ich suche?
Ich mache so etwas nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich das will. Ich weiß, wie die Leute mich sehen. Ich weiß es, weil ich das Image bewusst kultiviert habe.
Der vollendete Playboy. Der in die Jahre gekommene Saufkumpel. Der Typ, der sagt: Ich bestelle den teuersten Champagner, einfach weil ich es kann.
Der am nächsten Tag niemals anruft.
Der bin ich. Und das ist auf keinen Fall der Typ Mann, den Lara McKenzie will oder braucht. Zumindest nicht auf lange Sicht.
»Wollt ihr heute Abend ausgehen?«, frage ich Matt und Kennedy. Die Einladung klingt selbst in meinen Ohren hohl und erzwungen.
»Ian«, sagt Kate enttäuscht.
Kennedy schüttelt den Kopf, und Matt sieht mich nur an.
»Na schön, ihr habt gewonnen«, sage ich und werfe die Hände hoch. »Ich weiß nicht, was zum Teufel ich da mache. Seid ihr jetzt glücklich?«
»Mögen Sie sie?«, fragt Kate.
»Offensichtlich«, wirft Kennedy ein.
»Ian weiß, was ich meine«, sagt Kate, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Ich nicke. »Ja. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihr sagen soll, dass ich es wirklich versuchen will. Ich weiß nicht einmal, wie das geht.«
»Geh zum Juwelier«, schlägt Kennedy vor.
»Nein«, widerspricht Matt. »Schmuck ist zu dick aufgetragen.
Halt dich an Handtaschen. Frauen lieben gute Handtaschen. Louis Vuitton.«
»Oh mein Gott«, sagt Kate entnervt. »Kein Wunder, dass Sie alle Singles sind. Moment mal.« Sie verlässt mein Büro, kommt eine Minute später zurück und klatscht eine Visitenkarte vor mich hin. »Rufen Sie diese Nummer an. Nein, ich werde nicht für Sie anrufen. Ein paar Dinge sollte ein Mann schon selbst machen.«
Ich greife nach der Karte. »Blumen?«
Sie nickt. »Sie sind hübsch. Frauen mögen sie. Und sie sind für die erste Woche einer Beziehung passender als eine Tausenddollar-Handtasche oder Diamanten.« Kate versetzt sowohl Matt als auch Kennedy einen Klaps auf den Hinterkopf, als sie das sagt.
»Na ja, eigentlich war es nur ein Wochenende, aber wir hatten irgendwie schon länger etwas miteinander«, sage ich und klopfe mit der Karte auf meine Handfläche.
»Also kaufen Sie einen richtig großen Strauß.« Kate schaut auf ihre Armbanduhr. »Es ist fast eins. Kennedy, Matt, sie haben beide Termine mit Investoren. Ian, Sie haben eine Stunde frei, aber Sie sollten Vanessa Louis anrufen, um ihr mitzuteilen, dass Sie ihre Dienste nicht länger benötigen werden und …«
Ein Klopfen an der Tür unterbricht sie. Kate geht hin, um sie zu öffnen. Matt und Kennedy stehen auf, ihre Aufmerksamkeit bereits auf ihre Handys gerichtet, während sie sich im Geiste auf ihre bevorstehenden Meetings vorbereiten.
Es überrascht mich, unseren Boss in der Tür zu sehen. Zusammen mit seinen Bossen, den beiden Sams. Den Mann, der sie begleitet, kenne ich nicht, aber er ist der Einzige in der Truppe, der glücklich zu sein scheint.
»Ian, haben Sie eine Minute?«, fragt Joe leise.
Kate wirft mir einen erschrockenen Blick zu, und Matt und Kennedy verlassen mit versteinerten Mienen mein Büro. Keinem von ihnen gefällt das hier.
Ich stehe auf und knöpfe mein Jackett zu. »Natürlich. Was liegt an?«
Der Mann, den ich nicht kenne, kommt auf mich zu, ein Hohngrinsen als Lächeln getarnt. »Ian Bradley, ich bin Steve Ennis von der SEC. Ich glaube, Sie kennen meine Angestellte, Lara
McKenzie.«
Ich bringe ein Nicken zustande, und mein Herz hämmert.
»Sie werden von jetzt an mit mir arbeiten«, fügt Steve hinzu und hält mir einen Umschlag hin.
»Arbeiten, woran?« Ich sehe meine Bosse an, aber ihre Gesichter verraten nichts. Ich schaue auf den Umschlag hinab und ziehe das Papier heraus.
Ich lese nur den ersten Satz, als der SEC-Mistkerl die Sache für mich zusammenfasst.
»Ian Bradley, Sie stehen im Verdacht, einen Insidertipp bezüglich der Auflösung von J-Conn bekommen zu haben. Dies ist eine Zwangsvorladung, die Sie über eine offizielle Ermittlung wegen Insidergeschäften in Kenntnis setzt.«
Ich reiße den Kopf hoch. »Was? Das ist Blödsinn. Lara hat festgestellt …«
»Lara?«
Er zieht die Brauen hoch. »Ja, nun, Ms McKenzie bearbeitet diesen Fall nicht mehr.«
Ich trete einen Schritt vor, und Höhlenmenschinstinkte, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie habe, erwachen brüllend zum Leben. »Ich schwöre bei Gott, wenn Sie sie gefeuert haben …«
Steve stößt ein ungläubiges Lachen aus. »Sie gefeuert. Warum sollte ich das tun? Sie gehört zu meinen besten Leuten.« Er zwinkert mir hinterhältig zu und senkt die Stimme. Gerüchten zufolge ist sie auf dem Abflug zum FBI.«
Erst als sie alle wenig später aus meinem Büro marschieren mit einer energischen Warnung, die Stadt nicht zu verlassen, begreife ich, was Steve Ennis gerade angedeutet hat.
Lara hat mich verkauft, um ihren Traumjob zu bekommen.