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Ian
Woche 5: Dienstagmorgen
Ich mag nicht viel über Beziehungen wissen, aber ich kenne diese Frau.
Ich weiß, dass der Verlust ihres Jobs ihr viel mehr zusetzt, als sie sich anmerken lässt.
Ich weiß außerdem, dass sie sich, wenn ich sie deswegen bedränge, herauswinden wird.
Ich bemühe mich um Geduld – wirklich, das tue ich –, aber Geduld war nie meine Stärke. Ich kämpfe um das, was ich will, erinnern Sie sich? Und ich will, dass Lara ihren Job zurückbekommt. Hölle, ich will, dass sie einen beim FBI kriegt, aber ich würde mich mit allem begnügen, was die Schatten in ihren Augen vertreibt.
»Vielleicht sollten wir deine Anwältin darauf ansetzen«, schlägt Lara vor und greift nach ihrer Kaffeetasse. Sie trägt wieder mein T-Shirt und dazu knappe Shorts, und es ist erschreckend, wie sehr ich den Anblick zu lieben gelernt habe.
Konzentriere dich, Ian.
Es ist acht Uhr am Morgen des Tages, nachdem sie ihren Job gekündigt hat und an dem ich meine Zwangsvorladung bekommen habe, und Lara und ich sind der Frage nicht nähergekommen, warum ihr Chef so entschlossen ist, mich zu Fall zu bringen.
Oder wer seine mysteriöse Quelle ist.
Nachdem wir die halbe Nacht aufgeblieben sind und uns jeden einzelnen Namen vorgenommen haben, jede Notiz und jede Verbindung, die ich möglicherweise zu J-Conn hatte, sind wir übereingekommen, am Morgen noch einmal mit frischem Blick anzufangen.
Ein solider Plan.
Ohne Resultate.
»Ich treffe mich um zehn mit Vanessa«, sage ich und werfe einen Blick auf die Uhr auf dem Herd. »Ich hatte einfach gehofft, gute Neuigkeiten für sie zu haben. Sie tut ihren Teil, aber wir kommen beide nicht weiter.«
Lara holt tief Luft, dann bindet sie ihr Haar mit dem Haarband an ihrem Handgelenk zu einem wirren Knoten. »Okay, lass uns das ein letztes Mal durchsprechen. Vielleicht nähern wir uns der Sache auf die falsche Weise.«
»Inwiefern?«
»Nun, wir haben uns auf die J-Conn-Verbindung konzentriert.«
»Ja …«
Sie beißt sich auf die Unterlippe. »Ich kann nicht glauben, dass ich das sage, weil es wie der Plot für einen zweitklassigen Film klingt, aber was ist, wenn es bei der Verbindung nicht um dich und J-Conn geht, sondern um dich und Steve?«
Ich stehe auf, um uns beiden frischen Kaffee zu holen. »Das musst du mir erklären.«
»Nun, wir wissen, dass du keinen Tipp in Sachen J-Conn bekommen hast …«
Die beiläufige Gewissheit, wie sie das sagt, zwingt mich, eine Sekunde die Augen zu schließen, und ich bin froh, dass ich mit dem Rücken zu ihr stehe, sodass sie es nicht sieht.
»Und«, fährt sie fort, »wir wissen, dass es keine sonstigen Indizien gibt, die dich mit J-Conn verbinden und die man falsch deuten könnte. Denn wenn es die gäbe, hätte ich sie gefunden.«
Diesmal gilt die Gewissheit in ihrem Ton ihr selbst, und ich muss lächeln, als ich ihr nachschenke.
»Also, was ist, wenn der Schlüssel gar nicht J-Conn ist? Was, wenn es einfach die bequemste und glaubwürdigste Art war, dich reinzulegen?«
»Ergibt Sinn.« Ich lasse mich wieder auf meinen Stuhl fallen. »Bloß warum? Ich habe bestimmt im Laufe der Jahre einige Leute verärgert, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendetwas getan habe, um in den Knast zu wandern. Und was zum Teufel hat dein ehemaliger Boss damit zu tun?«
Sie schüttelt den Kopf und spielt mit einem Ohrläppchen, tief in Gedanken versunken. »Keine Ahnung, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass er etwas damit zu tun hat. Ich habe ihn noch nie so erlebt. Es fühlt sich … es fühlt sich an, als sei es für ihn etwas Persönliches.«
Ich schenke ihr ein sanftes Lächeln. »Dein Bauchgefühl, hm? Du gibst endlich zu, dass es so etwas wie Intuition tatsächlich gibt?«
Lara stößt einen frustrierten Atemzug aus. »Lass uns einfach sagen, ich habe gelernt, dass nur weil ich die Regeln befolge, nicht alle anderen das auch tun.«
»Das könnte natürlich sein, wenn ich Steve kennen würde. Aber ich kenne ihn gar nicht.«
Ihr Blick flackert zu mir herüber. »Vielleicht kennst du jemanden, den er kennt.«
»Ganz bestimmt«, sage ich und deute auf die vielen Dutzend Papiere vor uns mit ihren Hunderten von Namen. »Allerdings arbeitet der Mann seit Jahrzehnten bei der SEC. Es könnte jeder sein, oder?«
Sie seufzt. »Ich gehe duschen, vielleicht habe ich ja einen Geistesblitz.«
Ich greife nach ihrer Hand und drücke die Lippen auf die Innenseite ihres Handgelenks. »Willst du Gesellschaft?«
Sie lächelt, tritt auf mich zu und küsst mich auf die Stirn. »Kann ich einfach eine Minute haben? Zum allein darüber Nachdenken?«
Ich küsse abermals ihr Handgelenk und versuche die Panik zu unterdrücken, dass sie sich lösen könnte, bevor wir wirklich angefangen haben. »Klar.«
Sie drückt meine Hand und geht in Richtung Badezimmer.
Aber dann stutzt sie. Kommt zurück.
Mit einem Finger zieht sie ein Blatt Papier von dem Stapel auf meinem Küchentisch und studiert es. Es ist eins der Profile, die ich von meiner LinkedIn-Seite ausgedruckt habe – Leute, die ich nicht als Freunde betrachte, die meinem Kreis jedoch nah genug sind, um von dem J-Conn-Coup zu wissen.
»Jacob Houghton?« Ich zucke die Achseln. »Er ist ein Investmentbanker. Ich kenne ihn nicht besonders gut, aber nach dem, was ich weiß, ist er … na ja, er ist irgendwie ein Armleuchter. Warum?«
»Ich kenne ihn. Und wenn Steve mich auf Facebook noch nicht von seiner Freundesliste gelöscht hat …« Sie setzt sich an den Tisch, klappt ihren Laptop auf und lässt die Finger schnell über die Tasten fliegen.
»Aha!«, sagt sie triumphierend, rückt ihre Brille zurecht und dreht den Computer um, damit ich den Bildschirm sehen kann.
Ich beuge mich darüber. Sie hat ein Hochzeitsfoto auf Facebook aufgerufen.
Ein Blick wandert zu der Braut, einer Frau in mittleren Jahren, die ich noch nie im Leben gesehen habe. Als Nächstes schaue ich mir den Bräutigam an, und ihn erkenne ich – es ist Steve Ennis, Laras Boss.
»Ich war auf Steves Hochzeit. Verdammt, er hat mich sogar mit seiner Familie an den Haupttisch gesetzt, was der Grund ist, warum ich den Mann kenne …« Sie zeigt auf das Foto.
»Jacob Houghton«, sage ich. »Warum war er bei der Hochzeit deines Chefs?«
»Er ist Steves Schwager, verheiratet mit seiner Schwester. Ich hätte mir nichts dabei gedacht, nur dass ich ihn gestern gesehen habe. Jacob ist sonst immer freundlich, aber gestern war er irgendwie … seltsam.«
»Er war auch auf meiner Cocktailparty«, sage ich geistesabwesend und erinnere mich daran, dass der Bursche ein wenig neben der Spur war, als ich mit ihm gesprochen habe. Ich hatte angenommen, dass er einfach nicht gut in Small Talk ist, aber … »Du meinst, das ist unsere Verbindung?«
»Es ist die einzige, die wir haben«, sagt sie. »Obwohl mir nichts dazu einfällt, wie du und Jacob zusammenhängen könntet. Hattet ihr jemals den gleichen Klienten?«
»Nicht dass ich wüsste.« Ich schaue mir weitere Fotos der Hochzeit an. Dann erstarre ich.
»Wer ist das?« Ich zeige auf die Frau neben Jacob auf einem Bild, das wie ein Familienfoto aussieht.
»Das ist Jacobs Frau, Steves Schwester. Mir fällt ihr Name nicht ein … Wendy?«
»Wie lange sind sie schon verheiratet?«
Sie stößt den Atem aus. »Ich weiß nicht genau. Ich habe nicht wirklich viel mit ihr geredet, abgesehen von dem üblichen Small Talk über die neuesten Nachrichten. Aber Steves Hochzeit war vor zwei Jahren, so lange müssen sie also mindestens zusammen sein.«
Das Blut gefriert mir in den Adern. Dann wird mir heiß. Dann wieder kalt.
»Warum?« Sie schaut zu mir auf und berührt mich dann am Arm. »Was ist los, Ian?«
»Ihr Name ist Whitney. Ich habe mit ihr geschlafen«, sage ich, meine Stimme ein wenig heiser.
»Wann?«
Ich kann mich nicht dazu überwinden zu antworten.
»Ian, wie lange ist das her?«
Ich lege Lara eine Hand auf den Rücken und die andere auf den Tisch neben sie. Ich zwinge mich, hinabzuschauen und ihr in die Augen zu sehen. »Vor einigen Monaten, nach einer Party. Ich habe vermutlich nie ihren Nachnamen auch nur gehört.«
Sie atmet aus.
»Ich hatte keine Ahnung, dass sie verheiratet war, Lara. Du musst mir glauben.«
»Ich glaube dir«, sagt sie und berührt sachte meine Hand. »Aber Jacob sicher nicht. Und wenn er Steve dazu überredet hat, dabei zu helfen, dich zu Fall zu bringen …«
»Das kann nicht sein«, sage ich, richte mich auf und versuche, einen klaren Kopf zu bekommen. »Das ist keine Seifenoper mit Klischee-Schurken.«
»Wir haben recht«, flüstert sie und drückt sich eine Faust auf den Bauch. »Ich spüre es hier. Ich weiß, dass wir recht haben.«
Ich glaube das ebenfalls, und ich habe meine Karriere darauf gegründet, auf mein Bauchgefühlen zu vertrauen. Das hat mir überhaupt erst diesen J-Conn-Schlamassel eingebrockt. Vielleicht wird es auch mein Bauchgefühl sein, was mich da rausholt.
Ich greife nach meinem Handy. »Ich rufe Vanessa an.«