37
Ian
Drei Wochen später: Donnerstagnachmittag
»Du machst es schon wieder«, sagt Kennedy.
Ich sehe verärgert zu ihm auf. »Was mache ich?«
Matt sitzt auf dem Stuhl neben mir und zählt die Punkte an den Fingern ab. »Du knirschst mit den Zähnen, murmelst vor dich hin, funkelst alles an, was sich bewegt, pflaumst jeden an, der in deine Richtung schaut …«
»Dann tu dir keinen Zwang an und geh.«
»Es ist mein Büro«, meldet Kennedy sich von der anderen Seite des Schreibtischs zu Wort. »Du gehst.«
»Ich dachte, wir wollten darüber diskutieren, wer das andere Ticket für die Mets bekommt«, sage ich.
Matt schüttelt den Kopf und zeigt auf Kennedy. »Ich entscheide mich für ihn. Du bist zu deprimierend, Mann.«
»Na schön«, blaffe ich und stehe auf.
Matt seufzt. »Warte mal. Du brauchst eine Ablenkung. Komm zu dem Spiel, aber du musst versprechen, ein Bier zu trinken und zumindest zu versuchen, dich zu amüsieren.«
»Ich will nicht mehr hingehen«, sage ich, obwohl ich weiß, dass ich wie ein weinerliches Kind klinge. Es ist mir scheißegal.
Mir war so ziemlich alles scheißegal in den drei Wochen, seit Lara New York verlassen hat.
Und ja, nur zu, werfen Sie mir vor, ein Mann zu sein, der einer Frau nachtrauert. Damit komme ich klar, weil es die Wahrheit ist.
Ich weiß einfach nicht, was ich deswegen tun soll. Mein Job ist hier, ihrer ist dort. Ich liebe meinen Job. Sie liebt ihren Job.
Ich liebe sie. Sie liebt mich nicht.
Verdammt.
»Seid ihr mit eurer Belehrung fertig?«, frage ich die beiden. »Wenn noch mehr kommt, tut euch keinen Zwang an und schickt mir eine E-Mail mit all meinen Fehlern. Ich verspreche auch, sie niemals zu lesen.«
Kennedy und Matt tauschen einen Blick, schweigen aber klugerweise.
Kate streckt den Kopf ins Büro, um mich anzufauchen, dass ich einen Anruf auf Leitung zwei habe. Sie verschwindet ohne ein weiteres Wort, und Kennedy und Matt bleiben still und warten auf meine Erklärung.
»Sie ist immer noch sauer auf mich«, berichte ich. »Seit …« Ich schüttele den Kopf, weil ich den Satz nicht laut zu Ende bringen kann. Seit Lara fortgegangen ist.
Kate ist nicht die Einzige, die sauer ist. Selbst Sabrina ist genervt von mir, als könnte ich irgendetwas an der Situation ändern.
Aber was soll ich tun? Es ist nicht so, als könnte ich Lara anrufen und ihr sagen, dass sie zurückkommen soll. Ich kann sie nicht bitten, etwas aufzugeben, das sie will, nur weil ich nicht aufhören kann, an sie zu denken.
In meinen dunkelsten Stunden will ich genau das tun. Aber ich werde es mir verkneifen. Ich werde einen Menschen, der mir etwas bedeutet, nicht bitten, etwas zu tun, wozu ich mich nicht überwinden kann: meine Arbeit aufgeben. Alles aufgeben, wofür ich so verdammt hart geschuftet habe.
Dies – die Wall Street – ist mein Leben. Dieses Büro, diese Menschen … sie sind alles, was ich wollte, seit ich vierzehn war, und ich bin angekommen, verdammt noch mal.
Ich habe das Leben, das ich wollte.
Oder?
Ich lasse die Jungs allein, kehre in mein eigenes Büro zurück und stutze, als mein Blick auf die Orchidee fällt. Verdammt. Wann hat sie angefangen, so zu welken? Gibt es irgendetwas in meinem Leben, das nicht zum Teufel geht?
Ich lasse mich auf meinen Stuhl fallen, presse die Augen zusammen und drücke kurz die Handballen hinein.
Kates Stimme dringt durch die Gegensprechanlage, pure, saure Frau. »Hallo? Leitung zwei!«
Sie legt wieder auf und ich greife nach dem Apparat. »Ian Bradley.«
»Hallo, Junge. Mein Fernseher ist kaputtgegangen.«
Ich stoße ein ungläubiges Lachen aus. »Hallo, Dave.«
»Diesmal war es nicht meine Schuld«, sagt er trotzig. »Meine neue Freundin hat ihren Hund mitgebracht, und das Vieh ist so groß wie ein Pferd. Hat sich gegen den Fernseher geworfen, als er einem verdammten Tennisball hinterhergejagt ist, und das ganze Ding ist runtergekracht.«
»Ist der Hund unversehrt?«
»Ja. Meinst du, ich kann vor dem Wochenende einen neuen Fernseher bekommen? Ich muss sehen, wie meine Jungs die Cubs besiegen.«
»Ja, sicher«, sage ich und mache mir eine Notiz.
Er grunzt, und ich weiß, dass das seine Version eines Dankeschöns ist.
»Und wie geht es dir? Ich habe gesehen, dass diese Mistkerle, die dich reinlegen wollten, nächste Woche verurteilt werden.«
»Yep.« Ich klopfe mit meinem Kuli auf den Schreibtisch.
»Warum erfüllt dich das nicht mit größerer Häme?«
»Weil es mir wirklich scheißegal ist, was aus zwei Feiglingen wird. Sie haben mir genug genommen.«
Dave stößt einen Pfiff aus. »Du bist aber ordentlich sauer. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass sie dir mehr genommen haben als ein paar Wochen deiner Lebenszeit und ein bisschen Stolz.«
»Sie haben mir meine Freundin genommen«, murmele ich, bevor ich mich recht besinnen kann.
»Die von der SCT?«
Immerhin nahe dran. »Ja. Sie hat wegen dieses ganzen Schlamassels ihren Job verloren und musste einen neuen in Washington annehmen.«
Dave grunzt. »Das ist ätzend. Die Meisterschaften machen mich fertig. Nur schlechte Nachrichten, seit die Phillies das letzte Mal gespielt haben.«
Ich sage nichts, meine Stimmung ist zu mies, um Interesse an Baseball zu heucheln.
»Tja, wollte sie dich nicht?«, kommt er wie immer direkt zur Sache.
»Wohl nicht.« Ich reibe mir die Augen. »Jedenfalls nicht genug.«
Er schnaubt. »Ah, wer braucht sie schon?«
Die unerwartete Loyalität entlockt mir ein Lächeln. Sie macht mich außerdem mutig. Mutig genug, etwas zu fragen, das ich schon lange fragen wollte.
»Dave …«
»Ja?«
»Warum hast du mich niemals adoptiert?«
Es folgt ein langer Moment des Schweigens, und als die Antwort kommt, ist sie nicht das, was ich erwarte.
»Hölle, Junge. Du hast nie gefragt.«
Ich werde ganz still. »Ich war erst vierzehn, als ich zu dir gezogen bin.«
»Reifemäßig warst du praktisch zwanzig. Du hast immer gewusst, was du wolltest, und nie ein Geheimnis daraus gemacht. Ich dachte, wenn du gewollt hättest, dass ich dich adoptiere, hättest du was gesagt.«
Meine Gedanken überschlagen sich. Es kann nicht so einfach gewesen sein. Oder doch?
»Also, wenn ich gefragt hätte …« Ich räuspere mich und breche ab.
»Nun, ja. Wenn du gefragt hättest, hätte ich dich adoptiert, Sohn. Hatte nicht viel Ärger mit dir.«
Sohn. Nicht Junge. Sohn.
Ich bin froh, dass ich allein in meinem eigenen Büro bin, denn meine Augen werden ein wenig feucht. All diese Zeit, und ich hätte nur zu fragen brauchen.
Meine Tränen trocknen sofort wieder.
»Dave.« Meine Stimme ist ein wenig rau, daher huste ich, um sie zu klären. »Ich muss Schluss machen, aber ich werde dafür sorgen, dass du morgen einen Fernseher hast.«
»Okay.« Er legt auf, und ich lächele, denn anscheinend hat Dave seine Zuneigung so kundgetan, wie es ihm irgend möglich war.
Was sich jedoch von mir nicht sagen lässt. Noch nicht.
Ich greife wieder nach dem Telefon.
Kates Stimme ist frostig. »Was ist?«
Ich stoße einen Atemzug aus. »Sie waren jetzt lange genug sauer, Henley. Sie sollten glücklich sein. Meine Orchidee ist fast tot, also werden Sie die Wette gewinnen. Herzlichen Glückwunsch.«
»So wollte ich nicht gewinnen«, brummt sie.
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass ich nicht gewinnen wollte, weil Sie gestorben sind.«
»Ich bin nicht gestorben.«
»Sie benehmen sich aber so. Innerlich tot.«
Ich verdrehe die Augen. »Wollen Sie den ganzen Nachmittag sticheln und übertreiben, oder können Sie etwas für mich tun?«
»Was denn?«, fragt sie argwöhnisch.
Ich grinse. »Können Sie mir einen Flug nach Washington buchen?«
Ich höre praktisch, wie sie sich ein wenig aufrechter hinsetzt. »Für wann?«
»Sobald wie möglich.«