Kapitel 1
»Dies ist Church Hill, luv
«, rief der Busfahrer Finola zu, als er nach links lenkte.
»Vielen Dank!«
Wie gut, dass sie den Fahrer gebeten hatte, ihr Bescheid zu sagen, wenn sie Church Hill erreichten. Sie hätte die Bushaltestelle nicht wiedererkannt. Nun ja, sie war nur ein einziges Mal hier im Edinburgher Stadtteil Morningside gewesen, und damals hatte es so fürchterlich geregnet, dass sie ein Taxi genommen hatte, um nicht wie eine nasse Katze zum Vorstellungsgespräch zu erscheinen.
Die Bustüren öffneten sich, und Finola schloss sich den Leuten an, die an dieser Haltestelle ausstiegen.
»Noch mal danke«, sagte sie zum Busfahrer.
Der legte den Kopf schief und grinste. »Ich hoffe, der Rucksack ist nicht zu schwer. Ich kann gerade nicht beim Tragen helfen.«
Finola lachte, ohne auf seine Worte einzugehen, und trat mit einem fröhlichen »Bye« hinaus auf den Gehweg. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Hm, sie war später dran als gehofft, obwohl die Reise von Canterbury hierher recht problemlos verlaufen war. Zwar war der Flieger in London mit einer guten halben Stunde Verspätung gestartet, und am hiesigen Flughafen war ihr der Bus ins Stadtzentrum direkt vor der Nase weggefahren, aber alles Weitere hatte geklappt. Zum Glück kannte sie sich ja in Edinburgh ein wenig aus.
Sie überquerte die Straße. Dort drüben, das musste Albert Terrace sein, sie hatte es fast geschafft.
Doch als sie kurz hinter der Ecke in der kleinen Seitenstraße ankam und das Straßenschild las, stand dort Abbotsford Park. Wie konnte das sein? Weiter vorn gabelte sich die Straße, war eine Abzweigung davon Albert Terrace? Aber welche? Oder hatte sie sich völlig in der Richtung geirrt?
Finola zog ihr Handy aus der Jackentasche. Wozu gab es schließlich ein Navi?
»Mist!« Das Handydisplay blieb schwarz, der Akku hatte die Reise wohl weniger gut überstanden.
In diesem Moment stieß jemand so heftig an ihren Rucksack, dass Finola gegen die nahe Hauswand stürzte. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich halbwegs aufrecht zu halten.
»Oh, fucking shit!«, fluchte eine weibliche Stimme.
Vorsichtig drehte Finola sich um. Vor ihren Füßen auf dem Asphalt lag eine kleine weiße Schachtel, daneben stand eine junge Frau mit lockigen roten Haaren, die zwei weitere größere weiße Schachteln auf ihren Armen trug und ziemlich verzweifelt aussah.
»Tut mir furchtbar leid, ich hab dich nicht gesehen. Ich bin in Eile und sonst steht hier eben nie jemand, oje, hoffentlich sind die heil geblieben …« Sie versuchte, sich niederzubeugen, ohne die beiden Kartons auch noch fallen zu lassen.
»Moment.« Finola kam ihr zu Hilfe, ging in die Knie und hob die Schachtel auf. Nun konnte sie eine Prägung darauf erkennen: Laurie’s
.
»Kannst du sie einfach obendrauf … Ach nee, ich muss ja erst mal sehen … Würdest du bitte …« Die Rothaarige schnitt eine Grimasse.
Neugierig öffnete Finola für sie den Deckel. »Cupcakes?«
Drei kleine Kuchen mit knallig blauer Wellenglasur und winzigen bunten Fischchen ruhten neben zwei anderen mit roten Rosen und Schmetterlingen.
»Mhm.« Die junge Frau nickte und besah sich die Cupcakes genau. »Ich bin Laurie von Laurie’s Café«, erklärte sie. »Und die Dinger werden dringend bei einer Geburtstagsfeier erwartet.«
»Sieht doch ganz gut aus. Soll ich dir die Schachtel oben auf die anderen packen?«, fragte Finola.
»Minus eins.«
Finola sah sie fragend an.
»Der Blaue da in der Ecke ist angeschlagen. Nimmst du den bitte raus? Damit darf ich mich nicht blicken lassen. Dann behaupte ich lieber, ich hab mich verzählt und hol Nachschub. Kannst du haben. Noch mal sorry. Und jetzt muss ich los.«
Kaum hatte Finola den Cupcake herausgenommen und die
geschlossene Schachtel auf den beiden anderen platziert, klemmte Laurie alles mit ihrem Kinn fest und eilte auch schon weiter.
»Kannst du mir sagen, wo Albert Terrace ist?«, rief Finola ihr nach.
»Geradeaus! Und komm doch mal bei mir im Café vorbei, Morningside Road, von hier aus ein Stückchen nach der Bücherei …« Damit nahm Laurie die rechte Abzweigung und verschwand hinter einer Hecke.
Finola biss in den Cupcake, den Laurie ihr hinterlassen hatte. Ein bisschen zu süß für ihren Geschmack, aber irgendwie eine nette Stärkung für das bevorstehende Gespräch.