Kapitel 11
Finola eilte zurück in die Detektei, wo Anne bereits mit einer Kanne Tee wartete. Sie sah besorgt aus. Obwohl Finola noch den angenehmen Geschmack von Latte macchiato im Mund hatte, wagte sie nicht, die Tasse Tee, die ihr Anne sofort eingoss, abzulehnen. Sie nippte allerdings nur kurz daran und fragte dann direkt: »Lachie hat also etwas gefunden?«
Anne nickte und reichte ihr ein paar Blätter bedruckten Papiers. »Einen privaten Nachrichtenverlauf aus einem Internetforum für Gartenfreunde. gardenerd ist Ernies Nickname, der der Dame BabyJean. « Sie verdrehte ihre Augen.
Finola überflog die Zeilen. Während anfangs Tipps zur Pflege bestimmter Gartenpflanzen ausgetauscht wurden, veränderte sich schon nach Kurzem der Tonfall der Nachrichten.
BabyJean: Ich denke über eine völlige Neugestaltung nach. Allerdings bräuchte ich dafür einen starken Mann. ;-)
gardenerd: Darüber sollten wir einmal persönlich reden.
BabyJean: Mit Vergnügen. Arbeit sollte ja immer mit Vergnügen verbunden sein.
gardenerd: Das klingt sehr nach meinem Geschmack. Was genau schwebt dir vor?
BabyJean: Hier ist eine ganze Menge zu tun. Du kannst dir frei aussuchen, was du gerne machen willst. Ich bin völlig offen. ;-)
gardenerd: Könnten wir das vielleicht am Telefon besprechen? Ist privater. ;-)
BabyJean hatte mit ihrer Telefonnummer geantwortet, und tatsächlich schien der nächste Teil der Planung mündlich ausgemacht worden zu sein. Die weitere Unterhaltung ab dem folgenden Tag drehte sich nur noch um Ernies Vorfreude auf einen exklusiven Blick auf Hügel und Täler an der Westküste und BabyJeans Versprechen, ihn für seine Gartenarbeit vortrefflich zu entlohnen – beides mit Zwinker-Smiley.
Finola sah auf. »Das Datum des letzten Eintrags liegt kurz vor Mr Gibsons Verschwinden. Also können wir annehmen, dass er gerade BabyJean besucht und ihren Garten umgestaltet? Oder was auch immer?«
Anne seufzte. »So einfach ist es leider nicht. Sehen Sie, zuerst war ich ebenfalls erleichtert, dass sich alles als so harmlos herausstellte. Lachie hat natürlich auch noch herausgefunden, dass BabyJean Jean Barlow heißt und ein paar Meilen von Oban entfernt in einem Dörfchen namens Invertingle lebt. Es gibt sogar Bilder von ihrem Garten im Forum.«
»Aber?«
Anne atmete tief ein und stieß dann die Luft in einem Schub aus.
»Ich habe die Telefonnummer, die sie Ernie gegeben hat, angerufen. Als sich eine Frauenstimme meldete, habe ich nach ihm gefragt. Zuerst war Schweigen in der Leitung, dann wollte die Frau wissen, woher ich die Nummer habe. Ernie hat sie mir für Notfälle hinterlassen, weil sein Handy manchmal nicht funktioniert, habe ich gesagt. Dann habe er mir wohl eine falsche Nummer gegeben, hat sie geantwortet, denn bei ihr sei kein Ernie, sie kenne überhaupt keinen Ernie außer Ernest Hemingway und den auch nicht persönlich.«
»Seltsam. Oder es war wirklich die falsche Nummer.«
»Ernie scheint sie aber genau unter dieser Nummer erreicht zu haben. Und es ist auch dieselbe, die bei den persönlichen Daten von Jean Barlow im Forum steht. Die Frau am Telefon kann niemand anderes gewesen sein.«
»Also hat sie gelogen?«
»Sieht so aus.«
»Daher also Ihre Frage nach meinem Führerschein. Ich habe übrigens einen.«
Anne nickte. »Sehr gut. Meinen Sie, Sie könnten gleich morgen früh nach Invertingle fahren und sich die Dame einmal anschauen? Und wenn er da ist, Ernie dazu veranlassen, sich endlich bei Amanda zu melden? Ach, am besten, Sie bringen ihn gleich mit zurück. Sie kriegen den Wagen meines Mannes.«
Genau so hatte Finola sich das Auto eines Detektivs vorgestellt: mittelalt, mittelgroß, mittelschwarz und mitteldreckig. In Edinburgh fiel es bestimmt keinem auf, so durchschnittlich war das Gefährt. Wie es an der dünn besiedelten Westküste aussehen würde, musste sich erst noch zeigen. Andererseits war sie ja nicht zum Observieren unterwegs, sondern würde einfach nur Jean Barlow aufsuchen, sie diskret befragen und Ausschau nach Amandas Uncle Ernie halten. Wie genau, musste sie sich noch ausdenken, aber da sie ein paar Stunden Fahrt vor sich hatte, war das kein Problem.
Sie hatte eine ganze Weile nicht mehr am Steuer gesessen, aber Malcolm Scotts Wagen war gut in Schuss und ließ sich leicht fahren, und als sie eine gute halbe Stunde unterwegs war, packte sie ein plötzliches Gefühl von Freiheit. Ja, es gab wirklich Schlimmeres, als an einem Septembersonntag frühmorgens durch die Highlands zu fahren! Ein paar Touristen waren noch unterwegs, doch der Verkehr hielt sich in Grenzen. Im Radio lief eine Sendung über die Songs der Corries . Und als Flower of Scotland gespielt wurde, sang Finola lauthals mit.