Kapitel 14
Es war erst zehn vor neun, und Finola hatte sich gerade noch einmal im Bett umgedreht, als es an ihrer Zimmertür kräftig klopfte.
Wollte Anne etwas von ihr? Vielleicht war es doch nicht so günstig, im gleichen Haus wie die Arbeitgeberin zu wohnen.
»Miss? Kann ich jetzt bei Ihnen saubermachen?«
Verdammt! Das musste Annes Haushaltshilfe sein. Mrs Beauchamps, gesprochen Beecham, genannt Mrs B. Am vergangenen Freitag hatte Finola erleichtert erfahren, dass Mrs B ausnahmsweise nicht kommen konnte, aber heute – der Montag war der zweite Mrs-B-Tag – würde sie ihr nicht entgehen können.
Nicht, dass sie etwas gegen die Frau hatte, schließlich kannte sie sie überhaupt nicht, aber die Tatsache, dass jemand Fremdes ihr Zimmer für sie saubermachen, ihren Dreck wegputzen wollte, war ihr unangenehm. Ja, natürlich war es praktisch, und sie verstand auch, dass Anne nicht das ganze Haus in Schuss halten und gleichzeitig die Detektei führen konnte. Dennoch …
Erneut klopfte es. »Miss?«
»Fünf Minuten!«, rief Finola und schwang ihre Beine aus dem Bett. Das Klopfen wiederholte sich nicht, stattdessen war irgendwo anders auf dem Stockwerk ein Staubsauger zu hören.
Hastig zog Finola sich an und sah sich um. Zum Glück sah es nicht allzu unordentlich aus. Den Stapel Kleidungsstücke auf dem Boden neben dem Schreibtisch, den sie gestern einfach vom Stuhl geworfen hatte, packte sie im Ganzen und schob ihn in ein leeres Fach im glücklicherweise großen Kleiderschrank.
Vorsichtig öffnete sie die Tür und schaute aus dem Zimmer. Die Tür zum Badezimmer stand offen, und eine Frauenstimme sang eine melancholische Ballade.
Dieses Mal klopfte Finola, und zwar an den Türrahmen, denn Mrs B wandte ihr den gebeugten Rücken zu und schien so versunken darin, die Badewanne auszuwischen, dass sie sie nicht erschrecken wollte.
Erstaunlich agil drehte sich Mrs B um. »Ah, Finola MacTavish, nehme ich an?« Sie zwinkerte und wedelte mit ihren in Putzhandschuhen steckenden Fingern. »Die Hand geb ich Ihnen jetzt aber nicht.«
»Ich will Sie auch gar nicht bei der Arbeit stören.«
»Ach, stören Sie ruhig. Ich kann gut weiterwischen, während Sie mir ein bisschen was über sich erzählen.«
Mrs B sah Finola erwartungsvoll an. Ihren Falten nach zu schätzen, war sie eher siebzig als sechzig, ihre Haare glänzten schwarz gefärbt, ihre kleine stämmige Gestalt hatte sie in Leggings und ein zeltartiges rotes Gewand gehüllt, dazu die gelben Putzhandschuhe – angesichts dieses Farbfestes musste Finola ein paarmal blinzeln.
»Äh, ich geh schnell unten ins Bad.« Finola griff nach ihrer Zahnbürste, murmelte »Bis später« und verzog sich.
Das Bad im Erdgeschoss war klein und wurde, obwohl es auch eine Dusche gab, normalerweise nur als Gäste- beziehungsweise Kliententoilette benutzt. Nun aber gab es Finola die Möglichkeit, sich einen Moment lang zurückzuziehen und die dringlichsten Morgendinge zu erledigen.
Am liebsten wäre sie danach gleich in die Küche gegangen, aber das wäre feige gewesen, also stieg sie die Treppe wieder hinauf und fand Mrs B mit dem Staubsauger in ihrem Zimmer.
»Ah, da sind Sie ja! Ich bin hier gleich fertig«, rief sie über das laute Brummen hinweg. »Dann mach ich in der Küche ein Teepäuschen und habe Zeit für Sie!«
Angesichts des strahlenden Lächelns und der freundlichen Worte brachte es Finola nicht fertig, Mrs Bs Einladung abzulehnen.
Und so saßen wenige Minuten später beide in der Küche, jede von ihnen einen Becher Scottish Breakfast Tea vor sich. Eigentlich hatte Finola sich schon auf einen Kaffee gefreut, aber Mrs B war mit dem Teekochen schneller gewesen.
»Wollen Sie nicht lieber was Richtiges frühstücken?«, fragte sie angesichts Finolas zwei Scheiben Toast, die sie mit Zitronenmarmelade bestrich.
»Nein danke«, wagte Finola zu sagen.
»Nun, Sie werden das selbst am besten wissen.«
Mit einem solchen Zugeständnis hatte Finola nicht gerechnet. Tatsächlich war die Unterhaltung mit Mrs B letztlich sehr angenehm. Sie stellte zwar neugierige Fragen, bohrte aber nie nach, wenn Finola diese nur kurz beantwortete, sondern nickte dann verständnisvoll.
Finola startete schließlich eine Gegeninitiative: »Arbeiten Sie schon lange für Anne Scott?«
»Über zwanzig Jahre«, erklärte Mrs B stolz. »Und mein Mann hilft im Garten, wenn es nötig ist. Aber die gute Anne macht da meistens alles alleine, was natürlich auch erfreulich ist, denn mein Geordie ist nicht mehr der Jüngste. Das heißt, ich weiß natürlich nicht, wie es jetzt werden wird, weil sie ja nun dieses Detektivbüro übernommen hat. Da wird sie wenig Zeit für den Garten haben, denn selbst wenn sie Sie angestellt hat und Lachie natürlich auch noch da ist, dürfte der Verwaltungskram doch eine ganze Menge Arbeit sein. Buchhaltung und so. Und dann muss sie sich noch ausdenken, wie sie mehr Werbung macht und Kunden gewinnt, denn hier in Albert Terrace kommt ja keiner zufällig vorbei. Andererseits ist es selbstverständlich so diskreter als in der Innenstadt. Ich hoffe natürlich, dass sie Erfolg hat. Und Amanda – Sie kennen doch sicher Amanda Erskine?«
Finola nickte.
»Also, als ich letzte oder vorletzte Woche bei Amanda saubergemacht habe«, fuhr Mrs B fort, »hat sie mir gesagt, dass sie Anne natürlich unterstützt. Mir kam es so vor, als ob sie sich überlegte, selbst einen Auftrag zu erteilen. Da konnte sie natürlich noch nicht wissen, dass ihr Onkel sich so heimlich verdrücken würde. Aber nun passt es ja.«
Sie nahm ein paar kräftige Schlucke Tee und leckte die Lippen.
»Also, ehrlich gesagt, hatte ich ja befürchtet, dass die gute Anne das gar nicht schafft mit der neuen Verantwortung, das war ja immer Malcolms Bereich, und sie ist doch ein ganz anderer Typ und hat sich da auch meines Wissens nie eingemischt, aber was muss, das muss, nicht wahr?«
Sie sah Finola Zustimmung heischend an, fuhr dann jedoch fort, bevor diese etwas erwidern konnte.
»Aber Anne hat uns, also Geordie und mich, schon so manches Mal überrascht. Die ist ein echt stilles Wasser, sag ich Ihnen, die hat Tiefen … Also, ich möchte nicht ihr Feind sein. Da wüsste ich nicht, ob sie nicht irgendwann … Also, ich meine natürlich nicht …« Mrs B geriet ins Stottern.
Finola kaute ihren letzten Bissen Toast, schluckte, spülte mit einem Schluck Tee nach und stand auf.
»Es tut mir leid, ich muss noch einer Information zu einem Fall nachgehen«, behauptete sie. »Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Mrs B.«
»Mich ebenfalls«, sagte Mrs B, sprang von ihrem Stuhl auf und reichte Finola die Hand. »Ich glaube, Sie passen sehr gut hierher, und jetzt gehen Sie los und lösen ihren Fall, Finola! Ich darf Sie doch Finola nennen?«
Finola nickte und lächelte. Etwas anderes blieb ihr angesichts der überschwänglichen Mrs B auch gar nicht übrig.
Wenige Minuten später verließ sie das Haus und nahm den Bus zur Princes Street. Es war natürlich viel zu früh für Craig Erskines Mittagspause, aber die Scottish National Gallery öffnete um zehn und bot sicher nicht nur genügend Freude fürs Auge, sondern auch einen ruhigen Raum zum Nachdenken.