Kapitel 24
Finola gähnte, als sie in Oban aus dem Wagen stieg – so viel frische Luft nach der langen Fahrt musste von ihrem Körper erst einmal verarbeitet werden. Sie kreiste ein paarmal ihre Schultern und machte sich auf den Weg zum Treffpunkt.
Noch gestern Abend, während sie sich in Sichtweite der Bank die Beine in den Bauch gestanden hatte – dieser verflixte Craig hatte tatsächlich Überstunden gemacht, und zwar sogar noch länger als Maggie, nämlich bis fast halb acht –, hatte sie ein Fake-Profil auf der Gartenfreundeseite angelegt, auf der Uncle Ernie seine BabyJean gefunden hatte.
Rose Miller. Studentin aus London. Unterwegs in den Highlands, um zu sich selbst zu finden. Ein Foto hatte sie ein wenig später am Abend noch eingestellt, als sie ihre Verkleidung ausprobiert hatte. Denn auf das Angebot, im Umkreis von Oban kostenfrei Gartenarbeit zu leisten, war Jean Barlow sofort eingegangen.
Ein wenig nervös sah Finola die Straße entlang, auf der Ms Barlow aus Invertingle kommen und sie abholen würde. Sie strich über ihre geflochtenen Zöpfe, über die sie ein buntes Kopftuch nach Piratenart gebunden hatte. Die verdeckte Stirn, die silberrandige Brille und das geschickte Make-up würden hoffentlich verhindern, dass Ms Barlow in Rose Miller die Nichte von Ernest Gibson erkannte, die sie am Sonntag aufgesucht hatte. Die weite Jeans-Latzhose mit den vielen Taschen und das auffällig bunte Ringelshirt würden das Ihre dazutun. Die meisten Menschen vergaßen ja glücklicherweise Leute, die für sie unwichtig waren, sofort wieder. Schnell steckte sie noch einen Kaugummi in den Mund.
Da! Ein Auto hielt, die Fahrerin ließ das Fenster herunter und fragte: »Rose Miller?«
»Yeah!«
Kaugummikauend und mit eckigen Bewegungen stieg Finola ein.
»Großartig, dass ich in Ihren Garten kann«, erklärte sie mit südostenglischem Akzent. »Ich habe gerade angefangen, mich furchtbar zu langweilen. Ich muss noch bis zum Wochenende warten, bis meine Freundin kommt und wir zusammen weiterreisen. Aber so viel hat Oban nun auch nicht zu bieten. Und ich kann ja nicht immer nur im Hostel rumhocken.«
Ms Barlow wendete und fuhr Richtung Invertingle. »Ich freue mich, dass mir jemand hilft. Der große Garten ist doch sehr viel Arbeit, und ich habe im Augenblick ein Rückenproblem.«
Sie heftete die Augen auf die Straße und sah Finola nicht genauer an. Gut!
»Kein Problem, ich kann ja mal mit dem Kram anfangen, für den man sich bücken muss«, bot Finola an.
»Sie kennen sich aus, Rose? Ich darf doch Rose sagen?«
»Aber klar doch. Meine Eltern haben auch einen Garten«, fabulierte Finola, »und ich habe als Kind schon immer geholfen. Ich finde, dabei kann man so wunderbar nachdenken. Ist richtiggehend Meditation.«
Hoffentlich entging es Ms Barlow, dass sie nicht wirklich Ahnung von Gartenarbeit hatte!
Sie bogen über ein kleines Gässchen seitlich in das Grundstück ein und hielten im Carport.
»Brauchen Sie noch etwas, oder wollen Sie gleich anfangen?«, fragte Ms Barlow beim Aussteigen.
»Gleich anfangen.« Sich erst mal einen Überblick verschaffen. »Das heißt, ich müsste vorher noch mal zur Toilette.«
»Ich zeige Ihnen, wo alles ist. Sie können gerne nachher auch zwischendurch in die Küche kommen und sich einen Tee machen.«
Auf ein solches Angebot hatte Finola gehofft, denn sie hatte nicht wirklich Lust, den ganzen Tag mit Gartenarbeit zu verbringen. Und natürlich konnte sie nur etwas herausfinden, wenn sie mit Ms Barlow sprach oder sich im Haus umsah. Uncle Ernie war hier gewesen, klar, aber ob es bei BabyJean auch Spuren von Craig gab?
Zunächst verschwand Finola also im Gästebadezimmer, das sich insofern als interessant erwies, als im Spiegelschrank ein angebrochenes Paket Herrenrasierer und eine Dose Rasierschaum standen. Von Uncle Ernie? Hatte er dieses Bad benutzt? In den
Schmutzwäschekorb in der Ecke waren auf den ersten Blick nur gebrauchte Handtücher geknüllt, aber dazwischen fand sich bei genauerer Untersuchung eine einzelne dunkelbraune Herrensocke.
Nicht wirklich erhellend. Dass er hier gewesen war, hatte Ms Barlow nie abgestritten. Die Frage war nur – wohin war er von Invertingle aus weitergefahren? Und was hatte Craig damit zu tun?
»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte Ms Barlow und klopfte an die geschlossene Tür.
Mist, sie hatte viel zu lange gebraucht.
»Ja, ja, alles klar, hab nur anscheinend das schottische Frühstück von heute Morgen nicht vertragen.« Finola zog an der Spülkette und wusch sich die Hände.
Sie ließ sich zuerst die Küche zeigen, dann folgte sie Ms Barlow durch eine Glastür direkt in den Garten zu einem Schuppen, in dem sämtliche denkbare Gartengeräte säuberlich an der Wand hingen. Eine Schubkarre, Kniematten und Körbe standen darunter.
»Hier finden Sie, was Sie brauchen.«
»Alles klar. Ist es okay, wenn ich mir erst mal den ganzen Garten anschaue? Und dann Unkraut jäte oder so?«
»Ja, sehen Sie sich ruhig um. Und dann könnten Sie da ganz hinten rechts an der Mauer umgraben. Ich habe mit einem Band gekennzeichnet, wo ich die Ecke neu anlegen will. Das würde mir im Moment am meisten helfen.«
Finola nickte und betrachtete die üppig wachsenden Pflanzen, während Ms Barlow zum Haus zurückging. Dann spazierte sie zuerst einmal gemütlich durch den Garten. Der war im Großen und Ganzen sehr gepflegt; vor allem die überall verstreuten Rondelle, wo weiße und blaue Hortensien gepflanzt waren, wirkten top. In anderen Bereichen zeigte sich die Arbeit, die zu tun war, sogar Finolas eher ungeübtem Auge.
Kein Wunder, dass BabyJean ihre Hilfe so dankbar angenommen hatte. So wie ihre Fingernägel aussahen, war sie nicht unbedingt die Richtige für grobe Gartenarbeit. Sie wirkte eher wie eine Frau, die mit einer Rosenschere einzelne Triebe abschnitt und dann zurücktrat, um ihr Werk zu betrachten. Aber möglicherweise lag sie damit auch völlig falsch. Vielleicht hatte sich Ms Barlow nur gerade eine frische Maniküre gegönnt. Und in einem solch großen Garten
steckte auf jeden Fall enorm viel Arbeit jeglicher Art.
Am Ende des Gartens erreichte Finola die Mauer, die das ganze Grundstück zu umschließen schien. Sie war alt und bestand aus unregelmäßigen Natursteinen, an den meisten Stellen war sie niedrig genug, dass Finola hinüberschauen konnte. Doch außer ein paar Wiesen und Feldern und einem kleinen Kiefernwäldchen waren nur ein paar Schafe in der Ferne zu sehen.
Sie folgte der Mauer nach rechts, bis sie einen Knick machte. Dort war tatsächlich ein Stück verwilderte Wiese mit Absperrband und Steinen gekennzeichnet. Das also sollte ihr Arbeitsbereich sein. Sie würde den Spaten holen müssen. Was Ms Barlow hier wohl pflanzen wollte?
Finola schlenderte zurück in Richtung Schuppen. Hübsch war es hier mit all den kleinen Pfaden zwischen grünenden und blühenden Pflanzen. Ms Barlow schien bei den Blüten eine Vorliebe für Weiß, Blau und Lila zu haben, nur an einer einzigen Stelle entdeckte Finola auf dem Weg zurück zum Schuppen Hortensien mit rosa Blüten.
Sie beschloss, sich noch vor der eigentlichen Arbeit einen Tee zu kochen. Dabei konnte sie sich in der Küche umsehen und mit etwas Glück Ms Barlow aushorchen. Ja, sie gab zu, Detektivarbeit lag ihr mehr als Umgraben.