Kapitel 28
Sie spazierten langsam vom Pub zu Annes Auto.
»Sie meinen also, einer ihrer früheren Lover könnte eifersüchtig auf Ernie gewesen sein und ihn …« Anne stockte.
»Ich weiß es nicht, aber es ist doch wirklich mehr als seltsam, dass er so spurlos verschwunden ist. Oder fast spurlos. Seine Gummistiefel sind noch im Schuppen von Jean Barlow.«
Anne nickte. »Die würde er in Südamerika nicht brauchen. Aber ich muss zugeben, ich glaube nicht an Südamerika. Ich glaube allerdings auch nicht daran, dass die Polizei auf unsere vage Vermutung hin etwas unternehmen wird. Wir haben ja nicht einmal einen Beweis für ein Verbrechen. Und natürlich auch keinen Verdächtigen.«
»Verdächtig sind im Grunde zwei Gruppen. Männer wie Angus, die hier leben und mal was mit Jean Barlow hatten, und die sogenannten Gartenfreaks. Vielleicht hatte sich da einer mehr versprochen, als sie zu geben bereit war. Und als dann Ernie auftauchte, der sie ja anscheinend doch beeindruckt hat …« Finola zuckte mit den Achseln.
»Und wie finden wir die Namen der potenziellen Verdächtigen raus? Haben Sie eine Idee?« Anne blieb neben ihrem Auto stehen.
Finola nickte. »Sie gehen nachher noch einmal zurück in den Pub und fragen Angus aus. Vielleicht so ein bisschen als verzweifelte, betrogene Frau? Er fand Sie nämlich ›nett und anständig‹ und klang dabei sehr ritterlich.«
»Und wegen der Gartenfreaks?«
»Rufen Sie Lachie an! Der kann über das Internetportal sicher die entsprechenden Daten der Männer abrufen, die BabyJean kontaktiert haben. Vielleicht erkennen wir dann eine Querverbindung zu jemandem, mit dem BabyJean kurz zuvor oder etwa zur gleichen Zeit in Kontakt war.«
Anne hob die Augenbrauen. »Mir scheint, Sie haben das durchgedacht. Was wollen Sie selbst machen?«
»Ich werde wieder zu Rose Miller aus London und gehe zurück nach Invertingle. Schließlich habe ich hinten an der Mauer noch nicht alles umgegraben. Und sicher kann ich nach getaner Arbeit mit Ms Barlow noch ein wenig Tee trinken und plaudern. Wir können dann ja mal ganz zufällig über Männer reden. Ich schätze, wenn ich es richtig anfange, wird sie mich an ihrem reichen Erfahrungsschatz teilhaben lassen.« Finola zwinkerte.
»Gut, also fahr ich Sie jetzt zurück.«
Finola zögerte und sah sich um. »Warten Sie, ich habe eine Idee, wie wir auch gleich noch Craig Erskines Verbindung nach Invertingle überprüfen können. Der ist ja schließlich mein Fall. Und ganz aus den Augen dürfen wir ihn nicht verlieren.« Sie wies auf ein kleines Buchgeschäft. »Bin gleich wieder da.«
Als sie ein paar Minuten später zurückkam, saß Anne schon im Auto, die Fenster hatte sie heruntergelassen.
»Augenblick!« Finola hielt ein kleines Buch in der Hand, dass sie ein paarmal kraftvoll auf- und zuklappte, sodass der Rücken Knicke zeigte und an einer Stelle sogar brach. Dann beugte sie sich nieder und strich mit dem Buchschnitt mehrmals über den Boden.
»Oh, mein Gott, was machen Sie denn da?«
Finola grinste und stieg ein. Dann begann sie, verschieden große Eselsohren in die Seiten zu falten.
»Das ist der gleiche Reiseführer wie der, den ich in Craig Erskines Auto gesehen habe. Der sah auch so missbraucht aus. Haben Sie einen Kuli?«
Wortlos holte Anne einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche und reichte ihn Finola. Die schrieb in Druckbuchstaben Craig Erskine hinein.
»So, und diesen Reiseführer finde ich nun in Ms Barlows Schuppen und kann dann fragen, wer Craig Erskine ist und ob ich ihn ausleihen und näher angucken kann. Den Reiseführer, meine ich.«
»Das war mir klar«, sagte Anne trocken.
»Und dann könnten wir dasselbe auch noch irgendwie bei diesen Anwälten machen. Die Visitenkarte hat, vermute ich, als Lesezeichen im Reiseführer gesteckt. Dies ist Lovely Argyll , also nehme ich an, Craig Erskine war hier.«
Anne schüttelte den Kopf.
»Was ist?« Es fiel Finola schwer, ihre Begeisterung zu bremsen.
»Ich war schon bei Barrett & Browning. Ms Browning hat im Computer nachgeguckt und mir dann glaubhaft versichert, dass die Kanzlei weder Craig Erskine noch Ernest Gibson noch Malcolm Scott zu ihren Mandanten zählt.«
»Oh!«
Natürlich war es gut, dass Anne die Sache mit den Anwälten schon abgeklärt und auch gleich nach Craig Erskine gefragt hatte. Aber was hatte ihr toter Mann mit dem allen zu tun?
»Schnallen Sie sich an, da wartet jemand auf diesen Parkplatz.« Anne ließ den Motor an.
»Okay, aber fahren Sie langsam.«
Während Anne den Wagen aus der Parklücke lenkte, knotete Finola das bunte Tuch wieder um den Kopf und setzte die silberrandige Brille auf. Dann zog sie einen Lippenstift aus einer der Taschen ihrer Latzhose, tupfte damit auf die Wangenknochen und verrieb die Farbe. Anschließend steckte sie sich noch ein Kaugummi in den Mund und verzog das Gesicht. Die Verwandlung war erstaunlich.
»Nett, dass Sie mich zurückfahren«, sagte sie in schönstem Südostenglisch.
Anne lachte. »Es ist mir ein Vergnügen, Rose Miller. Und wenn Sie fertig sind, hole ich sie auch gerne wieder ab. Anruf genügt.«
Jean Barlow schien erleichtert, dass ihre Hilfe tatsächlich wiederkam und sich nicht nach halb getaner Arbeit absetzte.
»Hatten Sie eine schöne Mittagspause mit Mrs Gibson?«, fragte sie.
War da etwas Lauerndes in ihrem Blick?
»Die hat mich nur am Hostel abgesetzt und ist dann weitergefahren. Wollte nach Edinburgh«, behauptete Finola. »Hat kaum was gesprochen. Komische Frau.«
»Und wie sind Sie dann wieder nach Invertingle gekommen?«, bohrte Ms Barlow weiter.
»Glück gehabt. Da wohnt gerade ein Fotograf im Hostel, der hat mich mitgenommen, weil er in der Ecke hier nach Motiven schauen wollte«, log Finola. »Hat mich bei diesem großen Haus von den Rechtsanwälten abgesetzt. Die kennen Sie sicher?«
Ms Barlow nickte, ging aber nicht auf Finolas Worte ein.
»Was meinen Sie, wie lange Sie noch brauchen?«, fragte sie stattdessen.
»’N Stündchen oder so.«
»Gut. Ich bin hier, bekomme aber später wahrscheinlich noch Besuch, rufen Sie einfach laut, wenn Sie fertig sind, oder klingeln Sie an der Tür. Das höre ich im ersten Stock besser.«
Wenn sie ehrlich war, hatte Finola kein bisschen Lust auf weiteres Umgraben. Doch sie musste zumindest so tun, als würde sie im Garten arbeiten, um dann zufällig im Schuppen den Reiseführer zu finden und nach Craig Erskine fragen zu können. Also machte sie sich zunächst einmal auf den Weg zum Schuppen, stopfte das inzwischen doch überzeugend alt aussehende Buch in das Regal neben Ernest Gibsons schwarze Gummistiefel und schlenderte dann weiter durch den Garten.
Es war wirklich schön hier. Die Auswahl der Pflanzen so zu treffen, dass sie alle in blau-lila Schattierungen oder in Weiß blühten, schuf eine besondere Atmosphäre. Nur diese eine Hortensie …
Finola blieb abrupt stehen. Hortensien. Veränderten die nicht die Blütenfarbe, wenn was mit dem Boden nicht stimmte? Da war doch mal eine Folge in der Krimiserie Bones gewesen, wo durch das Blut des Ermordeten … Sie schluckte.
Natürlich war es möglich, dass ihre Fantasie jetzt mit ihr durchging oder sie sich völlig falsch erinnerte. Waren es überhaupt Hortensien gewesen, um die es ging? Wer konnte mehr darüber wissen? Mr B!
Finola ging ein Stück weiter, so als wollte sie nicht, dass die fehlfarbene Hortensie mitbekam, dass sie über sie redete. Zum Glück hatte sie die Nummer der Beauchamps im Handy.
»Hello, Mrs B. Ist Ihr Mann kurz zu sprechen? Ich habe eine Frage zu Hortensien. Ja, ich warte …«
Im Hintergrund rief Mrs B nach ihrem Mann, es dauerte aber eine ganze Weile, bis er ans Telefon kam.
»Ja, ja«, erklärte er auf ihre erste Frage, »wenn der Boden schön sauer ist, hat so manche Sorte der Hydrangea blaue Blüten. Da kann man aber auch gut nachhelfen mit spezieller Erde oder Kompost – oder Sie gießen einfach regelmäßig mit Essigwasser. Und dann braucht die Pflanze am besten noch Aluminiumsulfat. Das gibt ein schönes, kräftiges Blau.«
»Und können dieselben Pflanzen sich auch plötzlich rosa verfärben?«
»Rosa? Na ja, so ganz von alleine nicht. Da muss der pH-Wert des Bodens erst mal ins Alkalische verschoben werden. Also am besten kalkt man dazu den Boden, dann nimmt die Pflanze weniger Aluminium auf, und die Blüten werden blass. Bei weißen Hortensien passiert allerdings nichts, die bleiben immer weiß. Kommt auch auf die Sorte an.«
»Danke, Mr B, das hilft mir sehr.«
»Wenn Sie mit gereiftem Mist …«
»Sorry, ich muss jetzt Schluss machen. Ich melde mich wieder, bye.«
Es war nicht besonders höflich, ihm das Wort so abzuschneiden, aber Finola hatte keinen Nerv mehr für weitere Gartentipps.
Alkalischer Boden. Hatte Ernest Gibson hier bei seiner Hilfsaktion einen Fehler gemacht und den falschen Dünger benutzt? Oder hatte er BabyJean ärgern wollen, nachdem er von ihrem ungewöhnlichen Liebesleben erfahren hatte? Oder – war er auf ganz andere Weise die Ursache der rosa Blüten? Im Fäulnisprozess tritt eine Alkalisierung ein, hörte sie ihren Chemielehrer sagen.
Was, wenn Uncle Ernie hier lag? Unter der verfärbten Hortensie?