Kapitel 33
»Finola!«
Rief da jemand nach ihr?
Dieses Mal wusste Finola sofort, wo sie sich befand und was passiert war, als sie die Augen aufschlug. Sie lag auf einer Schafweide hinter der Gartenmauer von Jean Barlow. Zwei der Blackface-Schafe waren näher gekommen und starrten sie neugierig an. Wie lange war sie bewusstlos gewesen?
Ein Griff an den Hinterkopf bewies, dass die Wunde dort kaum noch blutete.
»Okay, Mädels, ich hab’s überlebt!«, flüsterte sie den Schafen zu und setzte sich vorsichtig auf. Puh, ein wenig schwindelig war ihr doch.
»Schade, dass ihr keine Pferde seid. Oder Esel. Dann müsste ich jetzt nicht laufen«, murmelte sie, doch die Schafe starrten sie nur weiter an und kauten.
Das Aufstehen klappte ganz gut, und dank der Mauer konnte Finola sich immer wieder festhalten, wenn die Welt anfing, sich spürbar zu drehen, und es in ihren Ohren aufheulte.
Moment. Wieso klang das Geräusch wie eine Polizeisirene? Und warum wurde es immer lauter?
Dann war auf einen Schlag alles wieder still.
Wie sie zur Haustür gekommen war, wusste sie nicht. Doch da vor Ms Barlows Haus zwei Polizeiwagen standen, nahm sie die Gelegenheit wahr, durch die offene Tür hineinzugehen. Stimmen drangen aus der Küche. Männerstimmen, die eindringliche Fragen zu stellen schienen. Dann eine laute Frauenstimme: »Wo ist Rose Miller!«
Anne.
Langsam näherte sich Finola der Küchentür.
»Im Garten«, konnte sie Ms Barlow sagen hören. »Ich wollte sie etwas fragen, und da fand ich sie …« Ein Schluchzen.
»Und Sie haben sie niedergeschlagen.«
»Ich denke, es ist meine Aufgabe, Ms Barlow zu befragen«, mischte sich eine Männerstimme ein.
»Nicht bevor ich Finola wiedergefunden habe!«, widersprach Anne energisch. »Also, Ms Barlow – was geschah dann?«
»Sie kniete am Boden und hat mich nicht gehört. Da war die Schaufel neben ihr und – und dann hab ich zugeschlagen. Aber sie hat noch geatmet, das schwöre ich!«
»Und wohin haben Sie sie gebracht?«
»Gebracht?« Das klang ehrlich verwundert. »Ist sie denn nicht mehr dort? Ich brauchte einen kleinen Drink. Wusste nicht, was ich machen sollte.«
»Nein, sie ist nicht mehr dort, verdammt! Oder hat einer Ihrer Kollegen sie inzwischen entdeckt?« Sie schien sich an einen der Polizisten zu wenden.
Hier bin ich, wollte Finola rufen, aber kein Ton kam aus ihrem Mund. Endlich erreichte sie die Küchentür, gerade rechtzeitig, um einen Polizisten aus dem Garten hereinkommen zu sehen.
»Wir haben die Leiche gefunden – ich habe die Spurensicherung informiert. MacLean bleibt vor Ort, bis die Kollegen kommen, ich werde draußen warten und sie hinführen.«
»Danke.« Ein Mann in Zivil trat ein wenig zur Seite, und Finola konnte Ms Barlow sehen, die wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl saß.
»Dann wollen wir doch mal zur Police Station fahren und unser kleines Gespräch dort fortsetzen. Ein toter Mann und eine verschwundene Frau … Ts, ts, ts.« Der Mann schüttelte den Kopf.
»Ich habe niemanden getötet!«, schluchzte Jean Barlow. »Ja, ich habe Rose niedergeschlagen, aber wenn sie ernsthaft verletzt wäre, würde sie doch noch da liegen, oder? Es war eine Kurzschlusshandlung. Ich war so verzweifelt und wusste nicht, was ich machen sollte.«
»So verzweifelt, weil Sie Ernest Gibson umgebracht und in Ihrem Garten vergraben haben? Und jetzt entlarvt wurden?« Annes Stimme klang schneidend.
»Ich hab ihn doch nicht umgebracht! Er ist einfach umgekippt, als er sich auszog. Er hatte was genommen, weil … Also, ich meine, er hatte morgens Schwierigkeiten gehabt, als er … als wir … und dann hat er gesagt, beim nächsten Mal wird er nachhelfen …« Sie begann zu weinen.
»Viagra?«, fragte Anne. Sie schien nicht überrascht.
Ms Barlow nickte. »Ich hab noch Witze gemacht …«, sie schluchzte kurz auf, »also, ich hab gesagt, er müsse besser auf seine Vitamine achten, wenn das nicht dauerhaft zum Problem werden sollte.«
»Vitamine haben noch niemandem geschadet«, erklärte einer der Polizisten.
Finola zuckte zusammen. Der Grapefruitsaft im Kühlschrank!
»Wenn man ein Medikament mit Grapefruitsaft nimmt, kann das schon mal schiefgehen«, krächzte sie.
Alle Augen wandten sich ihr zu.
»Hi!«, sagte sie, dann wurde ihr wieder schwindelig, und sie ließ sich an der Türfüllung hinuntergleiten, bis sie auf dem Boden zu sitzen kam. So war es besser.
»Finola!« Plötzlich kniete Anne neben ihr, und sie spürte ihre Arme um sich.
Finola ließ ihren Kopf an Annes Schulter sinken.
»Ich bin okay«, flüsterte sie.