Kapitel 35
Es war gemütlich auf Annes Sofa mit Olga, die sich inzwischen auf Finolas Bauch vorgearbeitet hatte, und Annes und Lachies leisen Stimmen im Hintergrund. Sie besprachen, wer den Dienstwagen der Detektei aus Oban abholen sollte, der ja immer noch dort stand, und wann dies am günstigsten in den Arbeitsablauf passte. Finola schloss die Augen.
Sie musste noch einmal eingedöst sein, denn als sie aufwachte, war sie allein. Sie fühlte sich eindeutig frischer und ausgeruhter. Anne hatte ihr zwar heute frei gegeben, aber das hieß ja nicht, dass sie den ganzen Tag hier rumliegen musste. Ein kleiner Spaziergang durch Morningside würde ihr guttun. Vielleicht mit einem fröhlichen Cupcake-Päuschen in Laurie’s Café?
Wenn sie den Kopf nicht ruckartig bewegte, so stellte sie beim Aufstehen fest, tat er gar nicht mehr weh. Gut.
Sie zog sich in ihrem Zimmer um, griff nach ihrer Tasche und murmelte die magischen Worte vorm Verlassen des Hauses: Schlüssel, Handy, Geld. Schlüssel und Geld waren da, ihr Diensthandy, das Jean Barlow an sich genommen hatte, lag noch bei der Polizei in Oban. Aber sie hatte ja noch ein eigenes, das musste auf ihrem Nachttisch liegen, zwei Handys zur Arbeit mitzunehmen war ihr in den letzten Tagen übertrieben erschienen.
Achtundvierzig neue Nachrichten! Und sieben verpasste Anrufe von ihrer Großmutter! Mist.
Sie rief sofort zurück. »Hallo, Granny, ist etwas passiert?«
»Das sollte besser ich fragen«, tönte die Stimme ihrer Großmutter aus dem Lautsprecher. »Warum erreiche ich dich nicht?«
»Jetzt bin ich ja da.«
»Und gestern? Gestern Nachmittag? Was war da?«
Verflixt, ihre Großmutter hatte wohl mal wieder eine ihrer Ahnungen gehabt!
»Meine Chefin und ich haben in Oban einen Fall gelöst. Es war ein wenig hektisch, und ich hatte mein Handy in Edinburgh gelassen«, erklärte Finola. »Es ist aber alles gut gegangen.«
»Hm.«
»Wirklich. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Hast du meine Tropfen Nummer drei genommen?«, fragte ihre Großmutter streng.
Die Tropfen gegen Kopfverletzungen und Verletzungsschock? Woher wusste sie, dass Finola verletzt war?
»Noch nicht.«
»Dann nimm sie jetzt, und geh an die frische Luft. Und beim nächsten Auftrag nimm gefälligst dein Handy mit!«
»Ja, Granny. Ich hab dich auch lieb.«
Laurie wirkte ein wenig reserviert, als Finola das kleine Café betrat und sie grüßte.
»Latte macchiato?«, fragte Laurie.
»Gerne. Und so einen Fliegenpilz-Cupcake.«
Laurie nickte. »Kommt sofort.« Sie drehte sich nach der Kaffeemaschine um.
Das Tischchen ganz hinten war frei. Finola setzte sich und beobachtete, wie Laurie ihre Bestellung richtete und dann mit dem kleinen Tablett zu ihr kam.
»Bitte schön.« Das klang nicht wie die Laurie, die sie kennengelernt hatte.
»Was ist los?«, fragte Finola.
»Sollte vielleicht besser ich fragen«, zischte Laurie.
Finola sah sie fragend an.
»Ich wollte dich gestern besuchen. Du hast doch gesagt, du wohnst bei Mrs Scott. Aber dein Name steht nicht an der Tür und überhaupt hat niemand geöffnet.«
»Wir waren gestern in Oban, tut mir leid, es ist sehr spät geworden.«
»Wir? Du fährst mit deiner Vermieterin einfach mal an die Westküste?«
»Äh …«
»Irgendetwas stimmt doch hier nicht. Ich glaube nicht, dass du
wirklich Physiotherapeutin bist. Aber warum lügst du mich an?« Laurie legte den Kopf schief und sah Finola herausfordernd an.
Finola schaute zum Nebentisch, aber die beiden Frauen dort schienen in ihr eigenes Gespräch vertieft. Wenn sie leise genug sprach, würden sie nichts mitkriegen.
»Ich habe nicht gelogen, ich bin tatsächlich Physiotherapeutin«, erklärte sie. »Aber jetzt arbeite ich für Anne Scott. Als Detektivin. Das soll allerdings nicht an die große Glocke, weil ich ja sonst niemanden mehr heimlich observieren kann.«
Laurie ließ sich auf den zweiten Stuhl fallen. »Hab ich’s doch gewusst!«, flüsterte sie. Ihre Reserviertheit war auf einen Schlag verschwunden. »Cool! Ich erzähl’s niemandem.«
»Danke!« Finola nahm einen Bissen des rot-weiß glasierten Cupcakes.
»Dann geht es Mrs Scott jetzt finanziell wieder gut? Ich hab mir ja schon Sorgen gemacht. Es gibt Gerüchte …«
»Auf Gerüchte sollte man nicht hören.«
»Stimmt!« Laurie lächelte und sprang auf, um den Mann zu bedienen, der hereingekommen war und nun an der Verkaufstheke stand und die bunten Cupcakes betrachtete.
Finola sah ihr nach. Natürlich sollte man nicht auf Gerüchte hören, aber da war der Spruch mit dem Rauch und dem Feuer.
Hatte Anne wirklich finanzielle Schwierigkeiten?
Und wenn ja, was bedeutete das für MWS
Investigators?