Kapitel 38
Die Beerdigung war schlicht und feierlich, und nach den Trauerreden bedauerte Finola sehr, Ernie nicht lebendig kennengelernt zu haben.
Danach fanden sich die Trauergäste im Haus von Amanda und Craig in Fairmilehead zusammen. Es gab ausreichend Fingerfood und Getränke, und man stand in kleinen Grüppchen beieinander, um sich über den Verstorbenen auszutauschen oder alltägliche Gespräche zu führen. Wie die beiden Frauen, Bekannte von Ernie, die sich angeregt über ihre Enkelkinder unterhielten. Welcher Art wohl ihre Bekanntschaft gewesen war?
Lachie stand bei einigen von Ernies Freunden, die Männer schienen sich alle schon lange zu kennen. Anne saß mit Amanda in einer Ecke, beide hielten einen Becher Tee in der Hand. Trotz ihres geschickten Make-ups sah man Amanda an, dass sie geweint hatte.
Finola fühlte sich verloren in dieser Menge von Fremden. Sie sah auf die Uhr. Noch ein paar Minuten, dann konnte sie sich diskret verabschieden. Langsam bewegte sie sich Richtung Haustür.
»Sie wollen aber nicht schon gehen, oder?«, sagte jemand hinter ihr.
Finola zuckte zusammen. Sie erkannte die Stimme sofort.
»Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Craig, Craig Erskine.«
Langsam drehte sie sich zu ihm um.
»Und Sie sind Annes neue Mitarbeiterin Finola, die den Onkel meiner Frau gefunden hat. Dafür möchte ich mich bedanken. Ich hatte Amandas Sorgen nicht wirklich ernst genommen, aber …« Er stockte. »Kennen wir uns irgendwoher?«
»Nicht, dass ich wüsste«, behauptete Finola, doch es fiel ihr schwer, seinem bohrenden Blick standzuhalten.
»Doch, doch – Moment, kann es sein, dass Sie auch bei Bruntsfield Fitness trainieren?«
»Ähm, ja, ich war dort schon mal.«
»Ich erinnere mich – die Frau an der Bar mit dem Gin Tonic!« Er grinste. »Was für ein Zufall.«
»Ja, seltsamer Zufall«, stimmte Finola zu. Sie musste hier weg.
»Ich kann Ihnen heute tatsächlich einen Gin Tonic anbieten. Kommen Sie kurz mit in die Küche. Ich hab angesichts von Ernies Pub-Freunden nicht alles offen herumstehen.«
Er sah sie so auffordernd an, dass ihr nichts übrig blieb, als ihm zu folgen. Leider hatte niemand anderes den Weg in die Küche gefunden, sodass sie allein waren. Craig mixte zwei steife Gin Tonics und reichte ihr eines der Gläser.
»Also noch einmal – danke für Ihren Einsatz!«, sagte er.
Finola hob das Glas an den Mund, um ihre Verlegenheit zu überspielen.
»Halt!« Craigs Augen schienen sie zu durchbohren. »Sie waren nicht zufällig kürzlich im Blue Kitten ? Mit einem Gin Tonic in der Hand, aber irgendwie – einer anderen Frisur?«
Mist! Sie war nachlässig geworden. Die Verkleidung hatte wohl doch nicht ausgereicht.
»Überhaupt …« Er trat einen Schritt zurück, musterte sie, trat dann wieder näher und sah ihr direkt in die Augen.
Finola schwieg und hielt seinem Blick stand. Sie hatte schließlich nichts Unrechtes getan!
»Es kommt mir so vor, also …« Er runzelte die Stirn.
Finola versuchte, den Absprung zu schaffen: »Ich muss jetzt leider gleich gehen, ich habe noch einen Termin.«
Craig griff nach ihrem Arm und schüttelte den Kopf.
»Warte! Mir kommt gerade ein schrecklicher Gedanke«, sagte er leise. »Du hast etwas an dir … Hast du mich kürzlich etwa verfolgt? Als Detektivprüfung oder so? Um zu sehen, ob ich dich bemerke? Steckt Anne dahinter?«
Sein Blick war so intensiv, dass Finola die Augen niederschlug.
»Also doch.« Er ließ sie wieder los und lachte leise. »Und ich hatte schon gedacht, ich spinne ein bisschen, weil ich mich fast ständig beobachtet gefühlt habe. Du warst richtig gut.«
»Worin war Ms MacTavish richtig gut?« Amanda hatte die Küche betreten, eine leere Glasteekanne in der Hand.
»Darin, mich zu verfolgen.«
»Nun, wenn du davon weißt, war sie mein Geld wohl doch nicht wert.« Amandas Stimme war schneidend.
Craigs Blick löste sich von Finola. Er starrte seine Frau an. »Was heißt das?«
Amanda kniff die Lippen zusammen und schwieg.
»Hast du sie etwa beauftragt … Nein, das ist …« Sein entsetzter Blick ging von Amanda zu Finola und wieder zurück. »Aber warum?«
Finola versuchte, sich auf die Tür zuzubewegen.
Doch Craig griff erneut nach ihrem Arm. »Halt! Hiergeblieben! Das will ich jetzt geklärt haben. Amanda hat dir den Auftrag gegeben, mich zu verfolgen?«
»Observieren«, korrigierte Finola.
»Aber warum, zum Teufel? Was solltest du herausfinden?«
»Ob es eine Geliebte gibt.« Jetzt war es egal, wenn sie keine Diskretion mehr walten ließ, fand Finola. Sie war ohnehin enttarnt.
Craig ließ sie wieder los. Der Arme, er schien wirklich aus allen Wolken zu fallen.
»Deine verdammte Eifersucht«, schrie er Amanda an. »So weit hat sie dich getrieben, dass du eine verdammte Detektivin auf mich ansetzt? Du denkst, ich betrüge dich? Verdammt noch mal, wie krank ist das denn? Wenn sich hier jemand betrogen fühlen kann, bin wohl ich das.«
Amanda hob trotzig das Kinn.
Langsam schob sich Finola zur Tür. Craig und Amanda beachteten sie nicht mehr.
Auf dem Weg zum Bus kämpfte sie mit Übelkeit. Sie hätte nicht zu dieser Trauerfeier gehen dürfen. Schlimm genug, dass Craig sie aus dem Fitnessstudio erkannt hatte. Aber dann …
Das durfte ihr nie wieder passieren!
Und jetzt musste sie dringend an etwas anderes denken als an Craig Erskines berechtigte Wut.
Malcolm Scott. Sie würde sich gleich einmal zu Hause in Ruhe hinsetzen und überlegen, wie sie vorgehen konnte, um das verschwundene Geld zu finden. Es musste schließlich irgendwelche Spuren geben, und im Augenblick war sie ohne Auftrag und hatte Zeit für dieses Rätsel.
Ihr Handy klingelte. Anne.
»Finola, wo bist du denn? Lachie und ich suchen dich.«
»Ich bin schon gegangen, bin gleich an der Bushaltestelle.«
»Bleib stehen und warte – wir kommen auch. Wir haben schließlich noch was zu feiern!«
Bevor Finola antworten konnte, hatte Anne aufgelegt. Also wartete sie und versuchte, sich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen. Dann würde sie eben zuerst einmal mit Anne und Lachie die neue Detektei MacTavish & Scott feiern. Auch das war Ablenkung.
Und morgen war endgültig der Fall Malcolm Scott dran!