Kluibnschädl war ein Mann, der einen schlechten Nachgeschmack im Mund hinterließ, wie nach nicht mehr ganz frischen Scampi. Trotz seiner alles in allem schäbigen Erscheinung verströmte er eine unangenehme Aura von Überlegenheit. Die Menschheit, so schien es, hatte seine Brillanz nicht verdient.
»Was für ein eigenartiger Kerl«, knurrte Kerschbaumer und wandte sich an Hilde. »Schau doch bitte mal, was du über ihn finden kannst.«
Die Inspektorin blickte vom Computer auf. »Schon getan. Er ist kein einfacher Reporter.«
»Sondern?«
»Sondern einer von drei Gründungsmitgliedern der Österreich Heute Aktuell und mit einer Viertelmillion Euro verschuldet.«
»Warum verschuldet?«
»Weil er sich das Geld für seine Zeitung komplett von der Bank geliehen hat«, erklärte Hilde. »Und damit nicht genug. Die Österreich Heute Aktuell hat zwar schon zwei Journalistenpreise gewonnen, aber die Verkäufe stocken.«
»Im dritten Quartal gab es einen Rückgang um vierzehn Prozent«, ergänzte Feiersinger, der nun ebenfalls auf den Bildschirm starrte und aus dem Studium der Zahlenkolonnen der Auflagenmeldung eine tiefe Befriedigung schöpfte, wie andere aus dem Bedienen von Modelleisenbahnen, dem Sammeln von Kunst oder dem Entkorken von altem Wein.
»Er braucht also eine gute Story«, sagte Kerschbaumer.
»Er braucht jede Menge guter Storys.«
»Ich denke, Sie sollten sich nicht in diesen Sessel setzen.«
Kerschbaumer erhob sich und stand für einen Augenblick Hans-Hermann Hintermaier gegenüber. Dem Biest. Dem Hinterminator . Demjenigen, der sich bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City in der Abfahrt vier Mal überschlug und sich ein Kreuzband anriss, um zwei Tage später praktisch auf einem Bein den Riesenslalomwettbewerb zu gewinnen – und gleich danach eine Schlagerkarriere zu starten, die selbst nach deutschsprachigen Maßstäben einmalig war, denn zu seinen Bergkonzerten pilgerten Hunderttausende. Nun aber hatte er sich zum dritten Mal neu erfunden: als Geschäftsmann mit eigener Bekleidungslinie »Hinterminator All Season Wear«, einer Sonnenbrillen-Kollektion, Weingütern in der Steiermark, dem Import von Wagyu-Steaks, einer Risikokapitalgesellschaft und einem neuen, »zeitgemäßen« Hotelkonzept. Das Hotel in Bad Kleinkirchheim würde das fünfte seiner Kette werden.
Seine Oberschenkel waren so wuchtig, dass die Jeans an den Innenseiten Scheuermale zeigten. Kerschbaumer schob dem Brocken seinen eigenen Stuhl hin, lehnte sich an den Schreibtisch und nahm sich vor, heute Abend bei Werner endlich mit Kniebeugen im Power Rack anzufangen.
»Also, diese Fotos …«, begann der Chefinspektor.
»Ja, also, diese Fotos, genau. Deswegen bin ich hier.« Hans-Hermann Hintermaiers Stimme war ein ganz tiefer Bass, was bei seiner Sangeskarriere von Vorteil war, denn in diesen tiefen Lagen nahm man das Falschsingen nicht mehr so ganz genau wahr.
»Wissen Sie, wer sie gemacht hat?«
»Nein, das weiß ich überhaupt nicht. Diese ganze Sache war überhaupt sehr merkwürdig.«
»Welche Sache?«
»Na, mit dieser Swetlana«, sonorte er weiter, »also, die lauerte mir richtig auf. Über Wochen. Stalking , sagt man wohl.«
»Was Ihnen vermutlich öfter passiert.«
»Ja, schon, aber Swetlana wusste immer ganz genau, wo ich war. Sie war sehr gut informiert. Wollte die ersten paar Mal nur ein Selfie mit mir. Dann brachte sie mir Blumen. Dann einen Kuchen. Sie gab mir ihre Nummer. Wollte sich unbedingt mit mir treffen.«
»Wann geschah das alles?«
»Im Sommer. Juli und August. Eben gerade, als ich oft in BKK war, wegen dieser ganzen Bürokratie und den Baugenehmigungen.«
»Und haben Sie sich mit ihr getroffen?«
Der Hinterminator druckste herum. »Nein, also, ich gebe zu, ich war, na ja, in Versuchung geführt, sagt man wohl. Sie war eine ausnehmend hübsche junge Frau, gar keine Frage …«
»Aber?«
»Sie roch nach Problemen. Nach Ärger. Und davon hatte ich ja genug.«
Feiersinger, der schräg hinter dem Hinterminator saß, zeigte dem Wiener Ermittler drei Finger – ob er damit drei Ehefrauen oder drei Scheidungen signalisieren wollte, würde er später noch präzisieren müssen; in jedem Fall ging es in Hans-Hermanns Privatleben offenbar genauso turbulent zu wie im Geschäftlichen.
»Sagen Sie, was Ihr geplantes Hotel angeht: Hat es da Drohungen gegeben? Gegen Sie oder Ihre Mitarbeiter?«
Der Hinterminator schüttelte den Kopf.
»Und was Swetlana angeht: Sagen Sie da auch die Wahrheit?«, hakte Kerschbaumer nach.
Der Hinterminator nickte wie ein Schuljunge auf die Frage des Lehrers, ob wirklich der Hund die Hausaufgaben zerfetzt habe: genauso beflissen und genauso wenig überzeugend.
Bei einer üppig belegten Mittagssemmel aus der Bäckerei Weissensteiner im Erdgeschoss meldeten sich die Taucher bei Kerschbaumer.
»Was haben Sie gefunden?«, schmatzte der Ermittler in die Leitung.
»Zwei alte Fahrräder, einen Satz ausgedienter Sommerreifen und einen seit drei Wochen vermissten Golden Retriever – und ich will Ihnen keine Details über seinen Zustand verraten. Ich kann Ihnen aber gern die Fotos schicken.«
»Nein, danke.« Kerschbaumer erlebte das, was in Taucherkreisen als Tiefenhumor bekannt war. In den Internetforen der Szene teilte man gern Fotos von Unterwasserfunden. Insbesondere von solchen, die dort nicht hingehörten. Die Semmel schmeckte nicht mehr so recht.
»Besteht denn noch Hoffnung, dass Sie das Handy finden?«
»Der Suchradius dehnt sich immer mehr aus«, erklärte der Cobra-Spezialist, »das macht die Fläche größer und damit einen Fund immer unwahrscheinlicher. Zudem ist das Tauchen in fünfundzwanzig Metern Tiefe bei null Sicht und dieser Kälte schlicht lebensgefährlich. Ich habe die Suche für abgebrochen erklärt. Ich kann für ein Handy nicht das Leben meiner Leute riskieren.«
Kerschbaumer fluchte leise, aber verstand. Wieder führte eine Spur ins Nichts.