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Ich erlebte eine der glücklichsten Wochen meines Lebens, was irgendwie seltsam war, denn eigentlich passierte nichts Besonderes. Wir gingen früh zu Bett, es gab weder Sex noch Drogen, und wir blieben unter uns. Bei Bo lief alles friedlich und entspannt. Es lief gut, in jeder Hinsicht. Ich erfuhr, was es bedeutete, ein sicheres, gemütliches Zuhause zu haben, in dem man sich wohlfühlen konnte. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr man sich nach solchen Dingen sehnen konnte.

An meinem letzten Tag brachten wir die Mädels wie üblich zur Schule und wanderten dann weiter am Fluss entlang durch den Wald bis zu einem See namens Rydal Water, um dort zu picknicken. Das Laub der Buchen und Ahornbäume war inzwischen so dicht geworden, dass es uns die Sicht auf die Berge versperrte.

Im grünen Dämmerlicht des Waldes sagte Bo: »Ich bin froh, dass du uns besucht hast.«

Ich lächelte. »Ich auch.«

»Es ist wirklich schön, dass wir uns kennengelernt haben«, fügte sie hinzu. Dann wurde sie still und schaute auf den See.

Nur das leise Plätschern des Wassers war zu hören.

»Ich wünschte …«, setzte Bo an, hielt dann aber inne.

Ich sah sie fragend an.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich dachte nur, wie schön es wäre, wenn du … egal. Komm bald wieder. Komm im September, wenn die Touristenmassen verschwunden sind. Im Herbst ist es hier traumhaft schön.«

Mir wurde ganz schwindlig, als ich sie so reden hörte. Ich war überwältigt, dass dieser wunderbaren Frau so viel an meiner Gesellschaft lag. Dieses Maß an Aufmerksamkeit war ich überhaupt nicht gewohnt.

Ich musste an meine Mutter denken, die nun seit einem Jahr tot war, an all das, was zwischen uns gestanden hatte und nie wieder gut werden würde, und an den alten, tief sitzenden Schmerz, von ihr im Stich gelassen worden zu sein. Ich hatte es immer als Schwäche empfunden, keine richtige Familie zu haben, als hätte mein Herz kein Blut, sondern Wasser durch meinen Körper gepumpt und wäre irgendwann zum Stillstand gekommen. Ich wollte nicht, dass es wieder anfing zu schlagen.

Bo erwähnte meine Mutter an diesem Tag nicht, aber als wir uns auf den Heimweg machten, hakte sie sich bei mir ein und sagte lächelnd: »Es kommt mir vor, als hätte ich noch eine Tochter bekommen.«

Ich schmiegte mich an sie, erwiderte jedoch nichts. Tochter? Wohl eher Freundin, oder? Nein. Dieses Wort traf es auch nicht.

Später, nach dem Abendessen, als Gus hinausgestürmt war, weil die Katze mal wieder auf den Boden gekackt hatte, fragte Maggie plötzlich: »Mum, kann Daddy nicht woanders schlafen?«

Flüchtig, ganz flüchtig, sah ich es vor mir: Bos Bett, ohne Gus …

Ich blickte hoch zu Bo.

Unsere Blicke trafen sich.

Bo sah verdutzt aus. Dann lachte sie und sagte: »Maggie möchte manchmal, dass wir einen Mädelsabend machen, dann sitzen wir zusammen im Bett und lesen.«

Ich nickte und hörte mich sagen: »Oh, das klingt lustig.«

Jetzt war mir klar, welches Wort es traf. Tochter nicht. Freundin auch nicht. Geliebte.

* * *

Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns am Bahnhof voneinander. Anschließend ging Bo mit Maggie in den Bahnhofsladen, und ich wartete am Gleis auf den Zug. Durchs Schaufenster sah ich Bo vor dem Zeitschriftenregal stehen. Sie wischte sich Tränen aus den Augen. Ich dachte: Wahrscheinlich ist sie einsam. Dann dachte ich: Ich bin auch einsam. Und dann stieg ich in den Zug und fuhr zurück nach Brighton, zu meiner Einzimmerwohnung, und seufzte über mein Elend. Kein Geld, keine Familie, nur schlimme Erinnerungen und ein armseliges Zuhause, das alles andere als gemütlich war.

Als ich zu Hause ankam, warf ich mich aufs Bett und dachte an Bo – an ihr schönes Haus in den Bergen, ihre niedlichen Töchter und ihren grantigen Ehemann, der überhaupt nicht zu schätzen wusste, was für eine wunderbare Frau er hatte. Was Bo wohl gerade machte? Ob sie mich vermisste?