Als ich fünfzehn war, fühlte ich mich drei Monate lang hundeelend. Jeden Morgen wachte ich schlagartig auf, stürzte aus unserem alten Zigeunerwagen ins dahinterliegende Gebüsch und kotzte so lange, bis nichts mehr kam. Und selbst dann musste ich noch würgen. Ich würgte, bis ich das Gefühl hatte, in Ohnmacht zu fallen.
Nach einer Woche sah meine Mutter mich misstrauisch an. »Was ist los mit dir?«, fragte sie.
Ich wich ihrem Blick aus. »Hab mir den Magen verdorben.«
Sie nickte, sagte aber nichts weiter. Ich blieb tagelang im Bett liegen, war manchmal sogar zu schwach, um rauszugehen, wenn mir übel wurde. Mein Bruder brachte mir einen Eimer. Ich machte ihn sauber, wenn ich dazu imstande war.
Irgendwann begriff ich, was mit mir los war.
Als die Übelkeit endlich nachließ, war ich völlig erschöpft und abgemagert. Ich dachte: Hoffentlich ist das Baby in mir jetzt tot.
Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Irgendwann dämmerte sogar meiner Mutter, was mit mir nicht stimmte.
Ich dachte, sie würde mir helfen, es loszuwerden. Ich wusste, dass das möglich war. Wenn man zum Arzt ging, verschrieb er einem eine Pille, und dann verschwand das Baby spurlos, als ob es sich in Rauch auflöste.
Doch meine Mutter hasste Ärzte. Für sie zählten Ärzte zu den »Obrigkeiten«, ebenso wie Schulen, Sozialarbeiter, die Polizei und die Regierung: allesamt Schnüffler und Spitzel, die nur eines im Sinn hatten, nämlich uns einzusperren. Man musste sie hassen und ihnen unbedingt aus dem Weg gehen. Die Obrigkeiten waren der Grund, weshalb wir nie länger an einem Ort blieben. Sobald sie mitbekamen, dass mein Bruder und ich nicht zur Schule gingen, waren sie uns auf den Fersen.
Also brachte meine Mutter mich nicht zum Arzt. Stattdessen schleppte sie mich einen Monat lang jeden Abend zum Black Horse, um beim Wirt zwei doppelte Gin für mich zu bestellen. »Sie hat einen Braten in der Röhre, der es eilig hat, rauszukommen«, erklärte sie. »Noch mehr Bälger kann ich mir nämlich nicht leisten.«
Der Wirt schüttelte den Kopf, als fehlten ihm angesichts dieser Schande die Worte, schob das Glas zu mir herüber, und meine Mutter bezahlte ihn mit dem Geld, das meine nächtlichen Besucher ihr zugesteckt hatten.
Ich kippte den doppelten Gin hinunter. Mir wurde speiübel und schwindelig davon, und ich begann zu lallen. Es war eine Herausforderung, in diesem Zustand zu unserem Zigeunerwagen zurückzufinden. Wenn es mir gelang, kniete ich mich auf den Boden und betete, dass der Gin seine giftige Wirkung entfalten und das Baby aus mir heraustreiben möge. Doch meine Gebete wurden nicht erhört. Ich konnte nicht begreifen, dass dieses ekelerregende Gesöff mich dazu brachte, doppelt zu sehen und durch die Gegend zu torkeln, aber dem Baby in meinem Leib nicht das Geringste anhaben konnte. Es ergab überhaupt keinen Sinn.
Ein Gutes hatte das Ganze jedoch: Die Männer blieben weg. Als sich herumsprach, dass einer von ihnen mich geschwängert hatte, wollte es natürlich keiner gewesen sein, und zum Beweis verzichteten sie auf weitere Besuche.
Als die Übelkeit endlich nachließ und ich wieder ein wenig essen konnte (viel gab es sowieso nicht), wurden meine Klamotten zu eng. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Oberteile an den Seiten aufzuschneiden und meine Jeans offen zu lassen.
»Wie lange ist das jetzt her?«, fragte meine Mutter und starrte auf meinen runden Bauch.
Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Fünf oder sechs Monate.«
»Tja, mit Gin wirst du das jetzt nicht mehr los. Wir werden es irgendwem unterjubeln müssen.«
Ich schwieg.
Die Zeit verging. Je größer das Baby in mir wurde, desto müder und erschöpfter fühlte ich mich, und ich hatte so große Angst davor, was passieren würde, dass ich einfach nur noch sterben wollte.
Aber ich starb nicht.
Meine Mutter verdonnerte mich zum Arbeiten. Ich sollte Fliesen reparieren und anmalen. Sie schleppte säckeweise Fliesenscherben an, unzählige Puzzleteile, die ich mit Kleber wieder zusammenfügen sollte. Wenn ich damit fertig war, sollte ich mit einem dünnen Pinsel schöne Muster darauf malen, damit meine Mutter sie für zehn Pfund pro Stück an reiche Leute verkaufen konnte.
Und während ich die Tage damit verbrachte, einsam auf einem Plastikstuhl draußen vor dem Zigeunerwagen zu sitzen und Fliesenscherben zusammenzuleimen und zu bemalen, wuchs das Baby in mir weiter heran und nahm immer mehr Platz ein.
Einmal sagte ich: »Was passiert denn, wenn das Baby kommt?«
»Ganz in der Nähe ist eine Frau, deren Tochter es haben will«, sagte meine Mutter.
Doch das hatte ich gar nicht gemeint. Ich wollte wissen, was mit mir geschehen würde und wie ich es eigentlich schaffen sollte, das Baby aus mir herauszukriegen. Die meiste Zeit versuchte ich, nicht daran zu denken, aber manchmal bekam ich nachts Albträume davon, das Kind ganz allein im Zigeunerwagen zur Welt zu bringen, ohne dass mir jemand dabei half.
Eines Tages kam das Baby schließlich, früher als erwartet. Ich hatte keine Ahnung, welchen Wochentag oder welche Uhrzeit wir hatten, ich wusste nur, dass es draußen hell war, nicht dämmrig wie am frühen Morgen, sondern richtig hell.
Ich war allein im Zigeunerwagen und begriff erst nach einer Weile, was los war. Zuerst dachte ich, ich hätte mir in die Hose gemacht, aber der ganze Boden war klatschnass, die reinste Überschwemmung. Mein erster Gedanke war, wie ich diese Schweinerei beseitigen sollte, bevor meine Mutter zurückkehrte.
Als mir klar wurde, dass das Baby herauskommen wollte, ging ich nach draußen zum Toilettenhäuschen und setzte mich aufs Klo.
Nach einer Weile wurde es mir dort zu ungemütlich, also schleppte ich mich wieder zum Zigeunerwagen zurück. Inzwischen standen nur noch vier Wohnwagen auf dem Platz. Die anderen hatten meinen nächtlichen Besuchern gehört; sie waren längst weitergezogen. Niemand schien da zu sein.
Ich stand auf der Wiese und rief: »Hilfe!« Dann wartete ich eine Weile, aber nichts passierte. Also beschloss ich, mich wieder an die Arbeit zu machen und mich so abzulenken.
Die Wehen folgten einige Stunden später. Zuerst waren sie gar nicht so schlimm, trotzdem rief ich wieder um Hilfe. Doch niemand hörte mich. Ich dachte, dass wahrscheinlich Sonntag war, denn sonntags vertrieben sich die meisten Leute vom Platz die Zeit im Black Horse. Ich fragte mich, ob es wohl gut für das Baby war, an einem Sonntag zur Welt zu kommen; vielleicht gab es für Babys, die sonntags geboren wurden, mehr Hoffnung als für gewöhnliche Montags- oder Dienstagskinder.
Nach einer Weile hielt ich das Sitzen nicht mehr aus, also ging ich spazieren. Ich lief kreuz und quer durch die Landschaft, und als die Wehen schlimmer wurden, rief ich abermals um Hilfe. Doch niemand kam. Da dämmerte mir, dass ich die Sache wohl allein durchstehen musste. Ich wusste nicht, was ich tun musste und ob ich vielleicht sterben würde.
Dann wurden die Wehen so stark, dass ich eine Weile gar nichts mehr denken konnte.
Irgendwann war ich nicht mehr imstande weiterzulaufen, weil die Wehen in Wellen kamen. Ich zog mein Nachthemd aus und setzte mich ins Gras. Und wenn eine Wehe kam, schrie ich, wie ich noch nie zuvor geschrien hatte. Ich konnte kaum glauben, dass diese Laute tatsächlich von mir kamen.
Ich hoffte noch immer, dass jemand mich hören und mir zu Hilfe eilen würde, doch niemand kam. Also blieb ich einfach dort sitzen, den Rücken an einen Baum gelehnt. Ich heulte, stöhnte und brüllte, und als mein Körper es mir befahl, begann ich zu pressen.
Irgendwann, das Gras war schon voller Blut und Schleim, kam das Baby endlich aus mir heraus. Ich fing es mit meinen Händen auf: ein zerknittertes, graues, mit weißer Schmiere bedecktes, wimmerndes Bündel. Dann wurde das Baby rot und schrie, und ich wusste nicht, was ich mit ihm machen sollte, ob ihm vielleicht kalt war und wie ich es am Leben halten konnte. Ich wusste nur, dass die Nabelschnur durchtrennt werden musste, aber ich hatte keine Schere dabei, und alles war dreckig.
Schließlich legte ich das Baby ins Gras und hob mein Nachthemd auf. Es war das Einzige, was ich hatte, und ich beschloss, das Baby damit zuzudecken, damit ihm warm war. Und als ich das tat, sah ich, dass das Baby ein Mädchen war.
Es schlief ein. Ich trug es zum Wohnwagen und setzte mich mit ihm auf mein Bett.
Irgendwann kam meine Mutter zurück. Als ich sie auf der Treppe hörte, bekam ich furchtbare Angst, als hätte ich etwas Schlimmes angestellt und würde gleich dafür bestraft werden. Also schob ich das Baby rasch unter die Bettdecke und setzte ein Gesicht auf, als wäre nichts passiert.
Doch meine Mutter hatte die Blutspuren draußen bemerkt. Sie schaute sich um und fragte: »Hast du das Baby zur Welt gebracht?«
»Ja«, sagte ich.
»Wo ist es denn? Warum hast du uns nichts gesagt?«
Ich zog die Bettdecke weg und zeigte ihr das Baby. »Ich habe gerufen, doch niemand hat mich gehört.«
Meine Mutter schwieg, aber sie hob das Baby hoch und sagte Hallo zu ihm, was mehr war, als ich getan hatte. Woher hätte ich auch wissen sollen, was man zu einem Wesen sagt, das gerade aus einem herausgekommen ist und das man von Anfang an nicht haben wollte.
Ich hatte damit gerechnet, dass sofort jemand kommen und mir das Baby wegnehmen würde, doch ich hatte mich geirrt. Ich behielt es tagelang bei mir. Es lag neben mir im Bett, und ich betrachtete es, doch es sah mir überhaupt nicht ähnlich, und ich war unsicher, ob es wirklich meins war.
Meine Mutter meinte, ich solle es füttern, aber ich wusste nicht, wie das ging, also tat ich gar nichts. Das Baby zappelte ein bisschen und ruderte unbeholfen mit den Armen, und als es anfing zu schreien, deckte ich es mit dem Laken zu.
Irgendwann ging ich dazu über, das Baby einfach in eine Decke zu wickeln und mit nach draußen zu nehmen, um dort weiter Fliesen zu bemalen. Sonst gab es nichts zu tun. In den ersten Tagen schrie das Baby kaum, sondern schlief die meiste Zeit, und wenn es aufwachte, legte ich das Laken über sein Gesicht und hielt mir die Ohren zu, und irgendwann hörte es auf zu schreien und schlief wieder ein. Dann war ich erleichtert.
Manchmal wurde ich nachts wach und schaute zu dem Baby hinüber. Ich dachte, es würde schlafen, doch es war hellwach und starrte mich stumm an. Seine Augen machten mir Angst.
Meine Mutter sorgte dafür, dass wir etwas zu Essen bekamen, aber sie war weiterhin den ganzen Tag weg und kam erst spätabends heim. Sie redete kaum mit mir. Ab und zu fragte sie, wie es dem Baby und mir ging. Ich sagte, es ginge uns beiden gut, danke, und dann verschwand sie wieder. Aber einmal sagte sie: »Vergiss nicht, das Kind zu füttern.«
Also öffnete ich die Tüte, die sie auf dem Boden stehen gelassen hatte, holte eine Scheibe Brot heraus, ging damit zu dem Baby hinüber, das auf meinem Bett lag, und hielt ihm die Kruste an den Mund. Das Baby fing an, kräftig daran zu saugen, und riss die Augen auf, als wäre es wahnsinnig, und ich bekam Angst.
Also ließ ich es mit der Scheibe Brot allein und setzte mich weit weg von ihm in die Ecke.
Andere Leute hätten dem Baby wahrscheinlich Milchpulver gegeben, aber so etwas gab es bei uns nicht. Ich hatte zwar schon andere Frauen beim Stillen gesehen, aber ich wollte das Baby nicht hochnehmen und an meine Brust halten, weil ich Angst hatte, etwas falsch zu machen. Also gab ich ihm einfach nur Brot und ab und zu etwas Wasser, und da es nicht starb, nahm ich an, dass ich das Richtige tat, obwohl es sich oft erbrach.
Eines Tages kam meine Mutter früher als sonst nach Hause und brachte eine junge Frau mit, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. »Wo ist das Baby?«, fragte meine Mutter.
Ich deutete mit dem Kopf zum Bett, wo das Baby schlief. Inzwischen schlief es die ganze Zeit. Meine Mutter ging zu ihm hinüber, hob es auf und gab es dann der anderen Frau.
Die Frau betrachtete das Baby auf ihrem Arm und begann zu weinen. »Danke«, sagte sie. »Danke.«
Und dann nahm sie es mit.