Von: AlicetheEighth@gmail.com
Datum: 11. Juli 2015, 11:07
An: Bo@BoLuxton.co.uk
Betreff: Hallo
Liebste Bo,
diese Woche habe ich beschlossen, deinem Rat zu folgen und mein Leben in Ordnung zu bringen. Da es viel Arbeit macht, ein Leben, das so chaotisch ist wie meines, in Ordnung zu bringen, hast du eine Weile nichts von mir gehört. Aber nun kann ich Folgendes berichten:
1. Ich habe einen Vollzeitjob.
2. Ich habe eine Zweizimmerwohnung in Kemptown gefunden und ziehe nächsten Monat ein.
3. Ich bin gebärfähig.
Haha. Ich weiß, der letzte Punkt kommt etwas überraschend, aber als ich letztens die Strandpromenade entlangspazierte, stand dort ein Bus mit der einladenden pinkfarbenen Aufschrift »Kostenloser Chlamydien-Test«. Und da dachte ich mir: Warum eigentlich nicht? Wo du diese Woche sowieso dein Leben in Ordnung bringen willst.
Also stieg ich ein und machte den kostenlosen Test, und siehe da: Ich hatte Chlamydien. Kein Wunder, wenn man jahrelang mit sieben Katzen zusammengelebt hat, in einem Haus, das nach Pisse stank. Wahrscheinlich hatte ich mir die Dinger schon vor einer Ewigkeit eingefangen.
Die Frau, die den Test durchführte, meinte, ich solle mir einen Termin bei meinem Hausarzt geben lassen. Doch als ich dort anrief, erfuhr ich, dass mein Hausarzt erst Anfang des nächsten Jahrtausends wieder Zeit für mich haben würde.
Als ich wieder zu Hause war, googelte ich bis vier Uhr morgens und recherchierte alles, was es über Chlamydien zu wissen gab:
- Sie führen nicht zwangsläufig zu Unfruchtbarkeit.
- Sie führen nur dann zu Unfruchtbarkeit, wenn sich eine Unterleibsentzündung entwickelt, was umso wahrscheinlicher ist, je länger man bereits infiziert ist. Aber viele Frauen haben schon ewig Chlamydien und bekommen trotzdem Kinder.
Das war am Montag.
Am Dienstag ging ich zu einer anderen Ärztin und weinte still vor mich hin.
Sie meinte, eine Unterleibsentzündung sei eher unwahrscheinlich. Was für eine Erleichterung.
Am Mittwoch kam ich nach weiteren Recherchen allerdings zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit einer Unterleibsentzündung bei immerhin vierzig Prozent lag.
Am Donnerstagmorgen war die Wahrscheinlichkeit nach weiteren Recherchen auf sechzig Prozent gestiegen, am Donnerstagnachmittag auf achtzig Prozent.
Am Freitagmorgen rief ich bei einer internationalen Adoptionsagentur an und bat darum, mir drei weibliche Babys aus China zu schicken. Man wollte mir ein Bestellformular zukommen lassen. Am Freitagnachmittag teilte meine Ärztin mir mit, dass ich laut Testergebnis keine Chlamydien hätte. Gleichzeitig riet sie mir, eine Sexualberatungsstelle aufzusuchen, wo verantwortungslosen Menschen beigebracht werde, was Safer Sex sei und dass fehlende Verhütung schreckliche Folgen haben könne, Kinder zum Beispiel.
Das hatte ich mir allerdings schon gedacht.
Samstag ging ich trotzdem zur Sexualberatungsstelle, wo ich mit Abstand die Älteste im Wartezimmer war. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich endlich dran. Der Berater gab mir ungefähr dreihundert Kondome und dazu ein paar Gummifolien, deren Funktion mir noch immer nicht klar ist. Außerdem veranlasste er Tests für sämtliche Geschlechtskrankheiten einschließlich Aids, wovor ich mich immer gedrückt hatte, weil ich das Ergebnis lieber nicht wissen wollte.
Also ließ ich mir noch mehr Blut abzapfen. Eigentlich war ich sicher, kein Aids zu haben, da ich nie Sex mit Männern aus tropischen Ländern oder mit Schwulen gehabt hatte.
Samstagabend kamen mir erste Zweifel.
Sonntagfrüh wurde ich schließlich so nervös, dass ich wieder anfing zu googeln.
Um sechs Uhr lag die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion meinen Recherchen zufolge bei 0,2 Prozent.
Um sieben Uhr bei 98 Prozent.
Um acht Uhr setzte ich mein Testament auf. (Mit dir als Haupterbin.)
Eine Beschreibung des restlichen Sonntags spare ich mir lieber.
Montagvormittag flatterte das Formular der internationalen Adoptionsagentur herein, bei der ich drei weibliche Babys aus China bestellt hatte. Ich beschloss, es auszufüllen, denn wenn ich tatsächlich Aids hatte, stand es natürlich außer Frage, selbst Kinder zu bekommen, allein schon aus ethischen Gründen. Eine der Fragen auf dem Formular lautete: »Haben Sie sich schon einmal auf HIV testen lassen?« Es gab zwei Optionen zum Ankreuzen: Ja oder Nein. Da begriff ich, dass es sinnlos war. Ich zerknüllte das Formular und verfluchte diese engstirnigen Bürokraten, denn mal ernsthaft, wir haben es in unserer Jugend doch alle wild getrieben, oder? Wie auch immer, meine Hoffnungen, Mutter zu werden, waren für immer dahin.
Ich fieberte dem Nachmittag entgegen, um bei der Sexualberatungsstelle anrufen zu können und nach meinen Testergebnissen zu fragen. Als es endlich so weit war, tippte ich meine persönliche PIN ein – toller Service! – und hörte folgende Ansage:
»Ihre Testergebnisse lauten wie folgt:
Chlamydien: negativ.« (Die unpersönliche Stimme klang seltsam abgehackt, als sie »negativ« sagte, wie bei den Bahnhofsdurchsagen, wenn es heißt: »Auf Gleis eins erhält in Kürze Einfahrt …«)
»Gonorrhö: negativ.
Herpes: negativ.
Syphilis: negativ.
HIV: negativ.«
Danach war ich in Hochstimmung, denn ich wusste: Mein Traum, Mutter zu werden, kann doch noch in Erfüllung gehen.
Das war meine Woche. Nun frage ich mich ständig, wie einem eigentlich mitgeteilt wird, dass man HIV-positiv ist. Fände ich ja nicht so prickelnd, das über eine Telefonansage zu erfahren.
Ich hoffe, du hattest ebenfalls eine heitere und produktive Woche.
A xxxx
Ich lachte immer noch, als ich meine Antwort tippte:
»Alice, du bist die geborene Komikerin. Bitte besuch mich bald wieder. Ich muss oft an dich denken. Ich vermisse dich. x
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx.«
Von: AlicetheEighth@gmail.com
Gesendet: 11. Juli 2015, 12:04
An: Bo@BoLuxton.co.uk
Betreff: Re: Hallo
Ich denke auch oft an dich. Und ich vermisse dich auch.
A xxxxxxxxxxxxxxxx
Von: Bo@BoLuxton.co.uk
Gesendet: 11. Juli 2015, 12:14
An: AlicetheEighth@gmail.com
Betreff: Re: Hallo
Allerliebste Alice,
da du nun einen Vollzeitjob hast, wirst du mich vorerst wohl nicht mehr besuchen können. Wie viele Urlaubstage hast du denn? Wenn du das nächste Mal kommst, könnten wir eine Gipfeltour machen. Kein Bergsteigen mit Seilen und Ausrüstung, einfach nur eine Wanderung bis zum Gipfel. So eine Tour ist natürlich etwas anstrengender, aber man wird mit einem herrlichen Blick auf den Lake District belohnt. Es gibt wirklich nichts Vergleichbares. Das solltest du auch einmal erleben; du wärest bestimmt begeistert.
Früher war ich am liebsten allein unterwegs, aber mit dir zusammen habe ich das Wandern wirklich genossen. Jetzt spaziere ich wieder allein durch die Natur und merke, wie sehr mir eine nette Begleitung fehlt. Ich wünschte, du wärest an meiner Seite.
In Liebe,
Bxxx
Von: AlicetheEighth@gmail.com
Gesendet: 11. Juli 2015, 12:43
An: Bo@BoLuxton.co.uk
Betreff: Re: Hallo
Liebste Bo,
eine Gipfeltour habe ich noch nie gemacht. Klingt ehrlich gesagt ziemlich anstrengend, und du weißt ja, dass ich im Grunde meines Herzens eine faule Socke bin, die nicht vor die Tür geht, wenn sie nicht unbedingt muss. Aber ich kann es gern mal versuchen. Wenn du mir bei der Tour von deinen Büchern erzählst, werde ich sicher begeistert sein. Doch mit dir zusammen wäre ich auch begeistert davon, auf einer Müllkippe abzuhängen.
Alles Liebe,
A xxxxx
Von: Bo@BoLuxton.co.uk
Gesendet: 11. Juli 2015, 12:52
An: AlicetheEighth@gmail.com
Betreff: Re: Hallo
Auf einer Müllkippe? Im Ernst?
Von: AlicetheEighth@gmail.com
Gesendet: 11. Juli 2015, 12:56
An: Bo@BoLuxton.co.uk
Betreff: Re: Hallo
Ja, im Ernst. Auf einer Müllhalde.
So viel bedeutest du mir eben, Mrs Luxton.
Von: Bo@BoLuxton.co.uk
Gesendet: 11. Juli 2015, 13:06
An: AlicetheEighth@gmail.com
Betreff: Re: Hallo
Alice, du bringst mich zum Lachen wie niemand sonst.
Ich liebe dich. Ich wünschte, du wärest hier.
Von: AlicetheEighth@gmail.com
Gesendet: 11. Juli 2015, 13:08
An: Bo@BoLuxton.co.uk
Betreff: Re: Hallo
Ja, das wünschte ich auch.
Ich liebe dich übrigens ebenfalls. Meine Liebe zu dir ist so groß wie das Empire State Building. Keine Ahnung, welche Art von Liebe das ist, aber sie ist gigantisch.
Von: Bo@BoLuxton.co.uk
Gesendet: 11. Juli 2015, 13:12
An: AlicetheEighth@gmail.com
Betreff: Re: Hallo
Oh ja. Liebe ist so groß und unbeschreiblich wie amerikanische Architektur.
Ich liebe dich auch. Ich bete dich an!
B xx