12

 

Ich redete mir ein, dass bei Begehren nur Distanz half, und meldete mich eine Woche lang nicht mehr bei ihr. Ich hoffte, sie würde meine Beweggründe verstehen und dann von sich aus ebenfalls auf Abstand gehen. Damit unsere Liebe eine gesunde Basis bekam. Erst dann konnten wir neu anfangen.

Doch so kam es nicht.

Sie schickte mir ständig E-Mails, morgens, mittags, abends. »Bitte lass mich wissen, wie es dir geht. Wenn du Schluss machen willst, okay. Ich verstehe das. Aber lass uns wenigstens darüber reden.«

Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? Diese junge Frau machte ihr Wohlergehen von mir abhängig. Wenn ich sie im Stich ließ, würde sie daran zerbrechen. Aber ich wollte sie ja gar nicht im Stich lassen. Was ich brauchte, was wir beide brauchten, war ein wenig Abstand.

Nach sechs Tagen Funkstille schickte ich ihr eine SMS: Ruf mich an.

 

Samstagvormittag rief sie an. Sie klang niedergeschlagen und ein wenig heiser, als hätte sie einen Kater. Vielleicht hatte mein Schweigen sie zum Trinken verleitet.

»Gus ist dieses Wochenende wieder in Manchester«, sagte ich. »Die Mädels sind gerade beim Musikunterricht. Ich muss mit dir reden.«

Alice schwieg. Doch ich konnte hören, was unausgesprochen blieb: »Wenn er wegfährt, warum hast du dann nicht gefragt, ob ich wieder zu dir komme?«

Als sie weitersprach, kam sie jedoch direkt zum Punkt: »Hast du kalte Füße bekommen?«, fragte sie.

»Nein«, antwortete ich sofort. Ich hatte keine kalten Füße bekommen. Ich wollte es ja. Wirklich. Ich liebte diese junge, kluge, aufgewühlte Frau, aber es stand einfach zu viel auf dem Spiel. Lola und Maggie. Sie waren erst sechs und acht Jahre alt, und sie waren glücklich. Sie führten ein glückliches, behütetes Leben. Das konnte ich unmöglich zerstören.

Alice sagte: »Da bin ich aber froh.« Sie klang erleichtert. Dann fragte sie: »»Aber warum klingst du dann so besorgt?«

»Wir sollten uns besser keine E-Mails mehr schreiben.«

»Was? Wieso?«

»Du weißt doch, wie schwierig Gus ist. Er war schon immer eifersüchtig, aber in den letzten Jahren ist es noch schlimmer geworden, vor allem, seit ich so erfolgreich bin, und er … Egal, jedenfalls benutzt er meinen Computer und liest meine E-Mails. Wir sollten ab jetzt nur noch telefonieren. Am besten morgens, dann habe ich Zeit, und er bekommt nichts davon mit.«

»Aber ich muss arbeiten.«

»Dann eben abends. Bitte, Schatz. Ich kann kein Risiko eingehen.«

Alice schwieg. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte sie: »Na gut.«

»Und könntest du meine alten E-Mails bitte löschen, falls du sie noch hast? Ich weiß, es klingt paranoid, aber man kann wirklich nie wissen …«

Alice schwieg erneut. Dann sagte sie: »Okay.«

»Verstehst du, warum ich dich darum bitte?«

»Ja. Natürlich verstehe ich das.«

»Wir sehen uns bald wieder«, sagte ich. »Ganz bestimmt.«

Alice blieb still. Dann sagte ich, dass ich aufhören müsste, und legte auf.