Alice entwickelte eine regelrechte Obsession. Ich konnte nichts dagegen tun. Täglich bombardierte sie mich mit E-Mails und SMS. Mir fehlte die Kraft, sie alle zu lesen.
Ich überlegte, ihre Nachrichten zu blockieren, kam jedoch zu dem Schluss, dass es sinnlos war. Alice würde sich davon nicht abhalten lassen und einen anderen Weg finden, mich zu kontaktieren. Wahrscheinlich tauchte sie irgendwann vor unserem Haus auf und hämmerte gegen die Tür, so melodramatisch wie in Stürmische Höhen.
Es war absurd. Sie hatte wirklich den Verstand verloren.
Mein E-Mail-Postfach platzte aus allen Nähten. Es war nicht zum Aushalten.
Am Vormittag des achten September saß ich vor meinem Computer und sah zu, wie eine Nachricht nach der anderen hereinflatterte.
Ich klickte auf eine der E-Mails und öffnete sie. Alice verkündete, nach Grasmere ziehen zu wollen, damit wir zusammen sein konnten. Es hörte sich so an, als wäre es unsere gemeinsame Entscheidung. Was natürlich Unsinn war. Ich hatte keine Ahnung, was das sollte.
Da kam Gus herein und gab mir einen Brief. »Der ist gerade angekommen«, sagte er.
Der Brief war in Brighton abgestempelt, die Handschrift unverkennbar. Alice. Wer sonst.
Ich legte den Brief beiseite und zeigte auf den Computerbildschirm. »Schau dir das mal an«, sagte ich.
Dutzende aggressiver E-Mails, alle von Alice Dark. »Wo steckst du, verdammt noch mal?« »Rede endlich mit mir!« Die neueste Nachricht hatte die Betreffzeile »Bin jetzt auf dem Weg«.
»Um Himmels willen«, sagte Gus. »Was hat sie vor?«
»Keine Ahnung«, sagte ich kopfschüttelnd. »Ich habe sie ignoriert, aber sie hat mir permanent E-Mails geschickt. Also habe ich sie blockiert, aber das hat nichts gebracht; stattdessen ist alles im Spamordner gelandet. Ist mir eben erst aufgefallen, ich schaue da so selten rein.«
»Tatsächlich?« Gus schien mir nicht zu glauben. Er dachte bestimmt an Christian.
»Ja.«
»Herrgott, Bo. Was hat das alles zu bedeuten?«
Ich schwieg. Wenn ich auch nur die geringste Chance haben wollte, mein Leben mit Gus, meine Kinder und mich selbst zu schützen, musste ich lügen. Ich hatte mich auf eine Affäre eingelassen, weil ich in einer Midlife Crisis steckte, und nun bereute ich es. Das war nachvollziehbar. Aber Gus durfte es trotzdem nie erfahren.
»Zeig mir die E-Mails mal«, sagte Gus.
Ich klickte auf diejenige mit dem Betreff »Bin jetzt auf dem Weg«. Sie hatte sie um fünf Uhr früh abgeschickt. »Ich komme um 14 Uhr in Oxenholme an. Bitte hol mich am Bahnsteig ab. Ich möchte nur mit dir reden. Wenn du es dir anders überlegt hast, ist das okay für mich. Ich verstehe es vollkommen. Wir können einfach nur Freunde bleiben, wenn dir das lieber ist. Ich würde niemals von dir verlangen, mir Opfer zu bringen, aber bitte lass mich nicht so hängen. Lass uns einfach nur reden. A.«
Gus runzelte die Stirn und sah mich scharf an. »Was hast du angestellt?«
»Nichts.«
»Diese Frau denkt offenbar, dass zwischen euch etwas läuft. Wie kommt sie darauf?«
»Ich habe keine Ahnung. Wirklich nicht.«
»Die E-Mail klingt, als hättet ihr eine Affäre.«
Ich schnaubte. »Klar. Bo Luxton, verheiratete Mutter zweier Kinder, treibt es mit einer Frau, die ihre Tochter sein könnte.«
Gus hielt seinen Blick auf mich geheftet. »Das hatten wir doch alles schon, Bo. Weißt du nicht mehr?«
»Hör auf, Gus.«
Er seufzte. »Ich weiß ja, dass es keinen Zweck hat, dieses Thema anzuschneiden.«
Ich scrollte durch die E-Mails. Die älteste war vier Tage alt. Ich öffnete sie, während Gus mir über die Schulter schaute. »Warum meldest du dich nicht mehr?«, stand da. »Dein Schweigen ist die reinste Folter. Bitte melde dich, liebste Bo. Du fehlst mir.«
Dann: »Verdammt noch mal. Wie kannst du mir das antun? Ich habe alles für dich aufgegeben, und du ignorierst mich einfach!«
Eine andere lautete: »Geht es dir gut? Ich liebe dich und mache mir Sorgen. Hat er das mit uns rausgefunden und dir wehgetan?«
Gus las sich das Ganze schweigend durch. Dann sagte er: »Entweder ist sie verrückt, oder aber du lügst.«
Ich seufzte. »Sie ist labil, Gus. Das war mir von Anfang an klar. Ich hatte gehofft, ihr helfen zu können, aber ich habe mich geirrt. Sie hat sich vollkommen verändert, als wäre sie ein anderer Mensch.«
»Verstehe ich das richtig, dass sie heute hierherkommen will?«
»Sieht so aus.«
Ich öffnete den Brief.
B, ich weiß nicht, ob du meine E-Mails bekommst. Ich komme am Mittwoch den 9. September um 14 Uhr in Oxenholme an. Bitte hol mich am Bahnsteig ab. Kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Ax.
Schließlich sagte Gus: »Ich will damit nichts zu tun haben. Du musst reinen Tisch machen. Hol sie am Bahnsteig ab. Egal, ob nun etwas zwischen euch war oder ob sie etwas missverstanden hat – du musst ihr sagen, dass es aus ist. Wenn sie dich stalkt, wie du behauptest, dann sag ihr, dass sie dich in Ruhe lassen soll und dass du sonst die Polizei informierst.«
»Ich kann nicht fassen, dass du mir nicht glaubst, Gus.«
»Das ist das zweite Mal innerhalb von fünf Jahren, dass jemand dich stalkt. Beim ersten Mal habe ich es dir ja noch abgekauft, aber jetzt erscheint es mir eher unglaubwürdig. Und lass uns an dieser Stelle mal offen sein: Du bist mir nicht mehr ganz so sympathisch wie damals.«
Ich entgegnete nichts darauf. Ich konnte ihn auch nicht mehr leiden.