Alice
Im Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Ich brauchte dringend etwas zu essen. Ich lugte durch den Gardinenspalt, um mich zu vergewissern, dass Bo sich nicht vor der Wohnung herumtrieb. Die Vorstellung, dass sie irgendwo auf mich lauerte, machte mir Angst. Es war fast eine Woche her, seit ich den Umschlag in ihren Briefkasten gesteckt hatte. Sie war sicher nicht in der Stimmung, mir einen Heiratsantrag zu machen.
Ich schlüpfte in meinen Mantel, lief rasch zum Laden und füllte den Einkaufskorb mit Obst, Gemüse und Vollkornreis – lauter Sachen, die Bo mir empfohlen hatte. »Gesunde Ernährung ist wichtig, für Geist und Körper«, hatte sie gesagt. »Sie bilden eine Einheit.« Damals hatte ich Bo noch für ihre Weisheit bewundert, doch das war nun vorbei. Trotzdem folgte ich ihrem Rat. Ich baute mich selbst wieder auf, Schritt für Schritt.
Ich zahlte an der Selbstbedienungskasse. Seit Wochen mied ich menschliche Kassierer aus Angst, dass meine Kreditkarte nicht akzeptiert wurde und ich in die peinliche Situation geriet, alles wieder vom Band nehmen und zurück zu den Regalen bringen zu müssen. Wenn mir das an der Selbstbedienungskasse passierte, konnte ich einfach alles stehen lassen und die Flucht ergreifen.
Doch meine Karte wurde ein weiteres Mal anstandslos akzeptiert. Auf dem Heimweg riskierte ich einen Abstecher zum Kiosk, um Zigaretten zu kaufen. Meine Karte funktionierte auch dort. Entgegen meiner Gewohnheit machte ich bei einem Geldautomaten halt, um meinen Kontostand abzurufen.
Auf dem Bildschirm erschien in leuchtenden Buchstaben die Summe von 3002,67 Pfund.
Grundgütiger.
Ich ging in die Bank und bat um einen Kontoauszug. Da stand es, schwarz auf weiß: 16. November 2015. Einzahlung von Mr Augustus Hartley und Mrs Bo Luxton – 3000 Pfund.
Ein Zugeständnis. Eine Bestätigung, dass zumindest einer der beiden meine Version der Geschichte akzeptierte. Ich war rehabilitiert. Ich hatte wieder Geld. Ich hatte meine Freiheit zurück.
Beschwingt kehrte ich zu meiner Wohnung zurück. So leicht hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Eine große Last war mir von den Schultern genommen worden. Mein Leben, meine Zukunft befanden sich wieder auf sicherem Grund.
Ich war so in Gedanken, dass ich sie erst bemerkte, als sie direkt vor mir stand. »Hallo, Alice«, sagte sie lächelnd.
Bo. Sie hatte an der Treppe auf mich gewartet.
Einen Moment lang hielt ich inne und starrte sie sprachlos an. Dann ging ich an ihr vorbei und stieg die Stufen zu meiner Wohnung hoch.
Bo blieb unten stehen. »Bitte, Alice. Ich möchte mit dir reden. Ich würde dir gern alles erklären.«
Ich drehte mich um und schaute zu ihr hinunter. »Ich habe dir nichts zu sagen.«
Das stimmte natürlich nicht. Ich hatte ihr eine Menge zu sagen.
»Ich verstehe, dass du nicht mit mir reden willst. Wirklich. Gib mir nur fünf Minuten, bitte. Ich kann dir alles erklären.«
Ich war hin- und hergerissen. Meine Neugier war groß. Ich hungerte geradezu danach, was Bo zu sagen hatte.
Werd jetzt bloß nicht schwach, dachte ich. Lass auf keinen Fall zu, dass sie dich wieder mit ihrem Charme einwickelt und fertigmacht. Es geht dir wieder gut. Du brauchst sie nicht.
Ich schloss die Tür auf, ging hinein und hielt sie für Bo auf. Sie kam zögernd die Treppe hoch. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie hinunterstoßen oder sie anflehen sollte, zu mir zurückzukommen, damit alles wieder so wurde wie früher.