Alice
Die Schwellungen im Gesicht gingen rasch zurück, aber die Kopfschmerzen hielten an, und mein Gedächtnis war wie ein trüber See. Ab und zu, wenn ich mich ausruhte und gar nicht damit rechnete, tauchte ein Bild von Bo auf, die elegant gekleidet vor meiner Tür stand. Doch bevor ich nach dieser Erinnerung fischen konnte, versank sie auch schon wieder im trüben Nichts.
Trotzdem wusste ich, dass Bo mir das alles angetan hatte. Ich konnte mich bruchstückhaft an den Tag erinnern. Ich erinnerte mich an ihr Gesicht, das mir ganz nah gekommen war, und an das, was sie mir ins Ohr gezischt hatte: »Du wirst dafür bezahlen, was du meiner Familie angetan hast, Alice Dark. Ich werde dir so wehtun, dass du nie wieder auf die Beine kommst. Ich werde dein hübsches Gesichtchen und dein schlaues Köpfchen vernichten. Dein Studium kannst du vergessen. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du darauf angewiesen sein, dass fremde Leute dich füttern und dir deinen süßen kleinen Arsch abwischen.«
Das reichte schon. An mehr wollte ich mich gar nicht erinnern.
»Kann ich irgendwie verhindern, dass die Erinnerungen zurückkehren?«, fragte ich die Ärztin.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nicht, Alice. Aber Sie können eine Psychotherapie bei jemandem machen, der auf posttraumatische Belastungsstörungen spezialisiert ist. Er kann Ihnen dabei helfen, mit den Flashbacks umzugehen.«
Ich schwieg. Vielleicht würde mir eine Therapie tatsächlich helfen. Ich konnte es mir ja noch überlegen.
Die Polizei brachte mir meinen Rucksack, der fertig gepackt in meiner Wohnung gestanden hatte.
»Meine Turnschuhe sind weg«, sagte ich.
»Die werden wir bestimmt noch finden«, sagte der Polizeibeamte.
»Machen Sie sich keine Mühe«, sagte ich.
»Wir haben jedenfalls genug Beweismaterial«, sagte er. »Wir werden Bo Luxton noch heute festnehmen.«
»Okay.«
»Ich halte Sie auf dem Laufenden. Wann werden Sie aus der Klinik entlassen?«
»Die Ärztin meinte, wohl noch diese Woche. Vielleicht schon morgen.«
»Gibt es jemanden, bei dem Sie unterkommen können?«
»Ich fahre nach Brighton, wo ich bei meinem Ex-Freund auf dem Boden übernachten kann, bis ich etwas Eigenes gefunden habe.«
»Wirklich? Gibt es denn keine andere Möglichkeit?«
»Es ist ja nur vorübergehend.«
Der Polizist verabschiedete sich und verschwand. Ich holte mein Notebook aus der Tasche, setzte mich damit aufs Bett und schaltete es ein. Dann öffnete ich die Datei: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Seit Tagen hatte ich vergeblich versucht, ein passendes Ende für meinen Roman zu finden. Ich war mir nicht sicher gewesen, wohin die Geschichte führen sollte. Aber nun hatte mir Bo auch noch ein schlagkräftiges Ende auf dem Silbertablett serviert.