Yorkshire
Bald werde ich entlassen, zurück in die Welt der weiten Himmel, der Berge und Seen. Ich sehne mich so sehr nach dem Draußen, nach der Welt hinter diesen Mauern, nach frischer Luft und dem Geruch der Herbstfeuer.
Und nach meinen Mädchen.
Meine Mädchen besuchen mich hier nicht. Sie glauben, dass ich krank bin und damals wegging, um wieder gesund zu werden, was von der Wahrheit ja nicht allzu weit entfernt ist. Ich schreibe ihnen jede Woche. Manchmal antworten sie mir, und ihre Briefe erreichen mich in weißen Umschlägen, auf die Gus mit schwarzer Tinte meine Anschrift gekritzelt hat. Sie schreiben mir von der Schule, von ihren Freundinnen, von neuen Süßigkeiten, die sie probiert haben. Manchmal schreiben sie, dass sie mich vermissen, aber im Großen und Ganzen wirken sie nicht niedergeschlagen. Schlechte Neuigkeiten vertrauen sie mir nicht an, obwohl sie bestimmt auch unschöne Erfahrungen gemacht haben, seit ich nicht mehr da bin.
Sie wohnen noch immer bei Gus in Grasmere. Er hat mitten im Dorf ein Cottage gekauft, damit sie es nicht mehr so weit bis zur Schule haben. Ich habe viel nachgedacht, und mir ist klar geworden, dass ich nicht mehr nach Grasmere zurückkehren kann, weil mich dort jeder kennt. Gus meinte zwar, er hätte das Ganze für sich behalten, den Mädchen zuliebe, aber es stand ja in der Zeitung. Im Dorf würde man sich nur das Maul über mich zerreißen.
Stattdessen werde ich nach London ziehen. Dort kann ich anonym sein. Vielleicht ändere ich meinen Namen und schreibe dann ein paar Bücher als neue, unbekannte und brillante Nachwuchsautorin. So wie Alice.
Alice. Letzte Woche habe ich sie gegoogelt, nur um zu sehen, was sie macht. Gerade hat sie ein Buch veröffentlicht: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Ich habe es bei Amazon bestellt. Es handelt von mir. Das war wohl unvermeidlich. Aber ich habe schließlich meine eigene Version.
Ich werde sie aufspüren. Wir müssen das wiedergutmachen.