Wo könnte man besser beginnen als in Nürnberg? Die Stadt hatte um 1500 etwa 30 000 Einwohner. Damit war sie eine der größten in deutschen Landen – dreimal so groß wie Berlin. Nürnberg war das Zentrum vieler Dinge. Ein Zeichen ihrer politischen Bedeutung war, dass der Reichstag des Heiligen Römischen Reichs Anfang der 1520er-Jahre zweimal dort tagte. Die Stadt war Sitz einiger der reichsten deutschen Handelshäuser und Kreuzungspunkt von Ost-West- und Nord-Süd-Handelswegen. Zu ihren angesehenen Einwohnern zählten der Maler Albrecht Dürer und führende humanistische Gelehrte wie Johannes Cochläus. Als Zentrum des Druck- und Verlagswesens fehlte es Nürnberg nicht an wohlhabenden Mäzenen, und so konnte es die Früchte der Gelehrsamkeit von nah und fern ernten. Conrad Celtis, ein weiterer deutscher Humanist, bescheinigte den Nürnbergern: »Wie die Bienen Blüte um Blüte aufsuchen, damit sie eine Wabe bauen und ihre Zellen mit reicher Beute füllen können, so sammeln jene in verschiedenen Ländern gewaltige Reichtümer und schaffen sie in ihre Stadt.«[1] Keine Stadt in deutschen Landen führt deutlicher vor Augen, dass diese einen Knotenpunkt in Europa bildeten, eine Kontaktzone, in der Völker und Kulturen zusammenkamen.
Hieronymus Münzer war einer der Nürnberger Bürger, die in die Welt hinausgingen. Der Arzt und Humanist mit einem starken Interesse für die Kartografie hatte sich in Nürnberg niedergelassen und 1493 an der berühmten Nürnberger Chronik mitgearbeitet, zu der er die erste gedruckte Deutschlandkarte beisteuerte. 1494 brach er zu einer einjährigen Reise auf die Iberische Halbinsel auf. Später beschrieb er mit großer Genauigkeit, was er gesehen hatte: Altarbilder, Bibliotheken, heiße Quellen und Weingärten. Außerdem erwähnte er die vielen Deutschen, die er auf seiner Reise getroffen hatte – Kaufleute, Handwerker, Drucker und Künstler aus allen Teilen des Heiligen Römischen Reichs, von Danzig und Stettin im Norden bis nach Kempten und Ulm im Süden. Sogar Menschen aus einem Dorf in der Nähe seines Geburtsorts, der Kleinstadt Feldkirch, war er begegnet. Wohin er auch kam, überall traf er auf Deutsche, die ihn herumführen konnten.[2]
Das Heilige Römische Reich war eine Welt in Bewegung. Deutsche hatten an den Kreuzzügen teilgenommen, und in jüngerer Zeit war es am Ostrand des Reichs, einer Kontaktzone, die gelegentlich zu einer Kriegszone wurde, zu Zusammenstößen mit den osmanischen Türken gekommen. 1529 belagerten die Osmanen Wien, und in den nächsten anderthalb Jahrhunderten brachen an dieser Front immer wieder Kämpfe aus. Im Spätmittelalter waren Deutsche in großer Zahl nach Osten gewandert und hatten sich in einem großen Bogen vom Baltikum bis an die untere Donau niedergelassen. Es gab Vertreter sogenannter »unehrenhafter Berufe«, wie Messerschleifer, Wandermusiker, Komödianten und Akrobaten. Zu den Fernreisenden gehörten auch Wandergesellen. In deutschen Landen erstmals nach dem Schwarzen Tod im 14. Jahrhundert erwähnt, waren sie bald gut organisiert. Dann gab es Soldaten, die selbstbewussten deutschen Landsknechte, die überall in Europa wegen ihrer Kampfkraft gefragt, aber auch gefürchtet waren, weil sie im Ruf standen, diebisch zu sein, zu vergewaltigen und die Pest zu verbreiten.[3]
Künstler und Gelehrte waren ständig auf Reisen. Dürer verbrachte zwei lange Abschnitte seines Lebens in Italien. Außerdem lebte er während seiner Lehrjahre und dann noch einmal 1520/21, als er Ende vierzig war, einige Zeit in den Niederlanden – in Gent, Brügge, Brüssel und Antwerpen, wo er »18 stüber [für] mein dodten [Patenkind] umb ein rothes piret [Barett]« ausgab und »12 stüber verspilt[e]«.[4] Conrad Celtis studierte in Italien und reiste anschließend durch Kroatien und Ungarn nach Krakau, wo er Ostern 1489 eintraf. Dort blieb er ein Jahr, ging auf Wisentjagd, besuchte ein Salzbergwerk und erkundete die Karpaten, bevor er nach Nürnberg zurückkehrte.[5] So gut wie jeder deutsche Humanist verbrachte einige Zeit in Venedig, Florenz, Bologna oder Padua. Auch Angehörige der religiösen Elite und fromme Adlige reisten als Pilger, für die alle Wege nach Rom führten, nach Italien. Andere folgten dem quer durch Europa führenden Pilgerweg nach Santiago de Compostela in Spanien. Und um 1520 verbreiteten Anhänger von Luthers Lehre diese bereits eifrig in Großbritannien, Skandinavien und Osteuropa.
Das Heilige Römische Reich im Jahr 1500. Es bestand aus derart vielen winzigen Fürstentümern, dass die Karte – mit den Worten von Simon Winder – aussah, »als sei eine Puzzle-Fabrik explodiert«[6].
Kaufleute verfügten über eigene Netzwerke. Die Hanse besaß Niederlassungen in Nowgorod, Bergen und Brügge sowie eine berühmte Balkenwaage am Nordufer der Themse, dort, wo sich heute der Bahnhof Cannon Street befindet. 1500 hatte die Hanse ihre große Zeit bereits hinter sich. Die Schließung der Nowgoroder Niederlassung durch Zar Iwan III. im Jahr 1494 war ein Zeichen für den politischen Druck, unter dem die Hanse stand. Gleichzeitig bekam sie Konkurrenz von der englischen Handelsgesellschaft Merchant Adventurers und den Holländern. Aber ein großer Teil des verlorenen Nordhandels wurde von anderen deutschen Kaufleuten übernommen, die statt der Seewege Landrouten benutzten. Die berühmtesten von ihnen waren die Augsburger Fugger, die mit allem handelten, was man sich denken kann, und nebenbei Fürsten finanzierten. Ihre Agenten mit den herzförmigen Taschen aus hellem, weichem Leder traf man überall in Europa. Eine ihrer Routen führte über die Alpen nach Venedig und Genua. Agenten der anderen großen Handelshäuser aus Augsburg und Nürnberg nahmen denselben Weg. In Venedig angekommen, begaben sie sich zum Fondaco dei Tedeschi direkt neben der Rialtobrücke, das teils Lagerhaus und teils Unterkunft für deutsche Kaufleute war. In Augsburg andererseits machte sich die Verbindung nach Venedig in italienisierender Architektur bemerkbar.[7]
Auf einem Aquarell von 1516 ist Jakob Fugger, bekannt als »der Reiche«, in seiner luxuriösen »goldenen« Schreibstube abgebildet, während er seinem Buchhalter Anweisungen gibt. Im Hintergrund ist ein Schrank zu sehen, dessen Schubladenbeschriftungen von der Größe seines Handelsreichs künden: »Inspruck«, »Venedig«, »Rom«, »Mayland«, »Craca« (Krakau), »Antorff« (Antwerpen), »Lisbona« (Lissabon).[8] Dass Lissabon genannt wurde, ist bedeutsam, denn dreißig Jahre zuvor wäre dies noch nicht der Fall gewesen. Fugger hatte seine dortige »Faktorei« oder Niederlassung 1503 eröffnet. Einige Jahre später besaß das Handelshaus auch in Spanien ein eigenes Netzwerk von Agenten. Wie der langsame Niedergang der Hanse und die wachsende Bedeutung Antwerpens im 16. Jahrhundert waren auch die zunehmenden Aktivitäten oberdeutscher Handelshäuser auf der Iberischen Halbinsel ein Zeichen des Wandels, der sich damals vollzog. Sie zeigen, wie Deutsche die neuen Gelegenheiten, die sich nach den Reisen von Christoph Kolumbus, Bartolomeu Dias und Vasco da Gama boten, ergriffen.
Deutsche Wirtschaftshistoriker haben die Rolle untersucht, die Fugger und andere Handelshäuser, wie die Welser, auf den neuen globalen Handelsrouten spielten, während Kunsthistoriker sich damit befasst haben, wie Motive aus den neuen Welten in Ost und West in Dürers Werk Eingang fanden – in Form etwa eines Holzschnitts, der ein Nashorn (Rhinozeros) zeigt, und einer Kohlezeichnung mit dem Bildnis eines Afrikaners.[9] Doch die weitergehende deutsche Beteiligung an der Erkundung, Eroberung und Ausbeutung dieser Welten beginnt gerade erst die Aufmerksamkeit zu finden, die sie verdient.[10] In den meisten Schriften über die deutsche Geschichte wird sie kaum erwähnt. Noch immer hält sich weithin die Auffassung, das binnenländische Deutschland habe bei all dem nur am Rand gestanden. Was die deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert vorantrieb und den narrativen Impetus der Standarddarstellungen dieser Zeit liefert, ist die Reformation. Während Spanien und Portugal die Welt unter sich aufteilten, waren die deutschen Fürsten und Städte – so scheint es für gewöhnlich – in innere Kämpfe verstrickt, die sich von Luthers Auftritt auf dem Reichstag zu Worms im Jahr 1521 über das militärische Vorgehen des Kaisers gegen die Protestanten in den 1540er-Jahren bis zum Augsburger Reichs- und Religionsfrieden von 1555 hinzogen.
Doch der Religionsstreit, der das Heilige Römische Reich im 16. Jahrhundert erschütterte, fand in einem globalen Umfeld statt. Was in Deutschland gesagt und getan wurde, war mit Ereignissen jenseits des Indischen Ozeans und des Atlantiks verknüpft. Der Reichstag zu Worms zum Beispiel, auf dem Luther mit berühmt gewordenen Worten die Forderung, seine Lehre zu widerrufen, zurückwies und Kaiser Karl V. ihn als Häretiker verurteilte, behandelte in derselben Sitzung eine Reihe von Verordnungen gegen Handelsmonopole und deren Geschäftsgebaren. Damit reagierte der Reichstag auf den deutschen Osthandel mit Gewürzen aus Asien; auf dem nächsten Reichstag, der stattfand, als die Nachricht von Ferdinand Magellans Weltumrundung in Deutschland eintraf, kam dieses Thema erneut zur Sprache. Luther selbst wetterte gegen den »Außenhandel, der aus Kalkutta und Indien und dergleichen Ländern Waren herbringt, wie kostbare Seide, Goldarbeiten und Gewürze, die nur zur Pracht dienen und keinen Nutzen haben, der saugt aus Land und Leuten das Geld heraus«.[11] Sein Verbündeter Ulrich von Hutten pries ein imaginäres goldenes Zeitalter deutscher Selbstgenügsamkeit, das angeblich durch die Einfuhr von »allerläppischsten Waren«, wie »Pfeffer, Ingwer, Zimt, Safran, Kubebe[n-Pfeffer]«, zerstört wurde.[12]
Karl V., der Luther verurteilte, war erst zwei Jahre zuvor, 1519, mithilfe großzügiger, durch Darlehen der Fugger und Welser finanzierter Bestechungszahlungen an die Kurfürsten zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gewählt worden. Bei seiner Wahl war er bereits König von Spanien, und als Hernán Cortés ihm im selben Jahr 1519 die Eroberung von Montezumas Aztekenreich meldete, erklärte er, Karl könne sich jetzt Kaiser sowohl von Neuspanien als auch von Deutschland nennen. Er sei dabei, zum »Herrn der Welt« zu werden.[13] Karl erklärte, in Anspielung auf den spanischen Erwerb eines Reichs in der Neuen Welt, »Plus ultra« – immer weiter – zu seinem Wahlspruch, und er war es auch, der die transatlantische spanische Schifffahrt organisierte, so dass regelmäßig Flotten zwischen Sevilla und Havanna, Cartagena und Veracruz hin- und herfuhren.[14] Die relative Vernachlässigung Deutschlands durch Karl war einer der Gründe, weshalb das Luthertum nach 1521 auf Kosten des Reichs an Einfluss gewinnen konnte. Aber es trifft auch zu, dass die Deutschen bis zu Karls Abdankung im Jahr 1556, als der spanische und der österreichische Teil des Herrschaftsgebiets der Habsburger getrennt wurden, in einem »Reich, in dem die Sonne niemals untergeht«, lebten.[15]
Der Habsburger Anspruch auf die Weltherrschaft wurde durch einige der besten Arbeiten der Nürnberger Goldschmiede verherrlicht. Um zu erkunden, wie deutsche Lande an den gefeierten europäischen Expeditionen und Reisen beteiligt waren, bietet jedoch ein bescheideneres Material einen besseren Einstieg: Holz. Denkt man an die Deutschen und ihre Wälder um 1500, fällt einem wahrscheinlich die Wiederentdeckung von Tacitus’ Germania, des Werks, das erstmals das Klischeebild der Deutschen als langhaariger Waldmenschen aufbrachte, durch Humanisten wie Conrad Celtis ein.[16] Aber was die Deutschen um 1500 mit ihren Wäldern vorwiegend taten, war, sie abzuholzen, weniger für sich selbst als vielmehr für iberische Schiffsbauer. Nordeuropäisches Holz stand hoch im Kurs. Die großen portugiesischen Pinienwälder, die Pinhal de Leiria, konnten die Nachfrage nicht decken, weshalb Hanseschiffe deutsches und skandinavisches Holz in großen Mengen nach Portugal transportierten. 1494 wurde für den Schiffsbau bestimmtes deutsches Holz vom Zoll befreit.[17] Auch nach Spanien lieferte Deutschland Holz und andere Materialien für den Schiffsbau. 1523 teilte Karl V. den Städten Lübeck und Danzig mit, dass Jakob Fugger beauftragt worden sei, genügend Kupfer, Masten, Teer und Tauwerk zu beschaffen, um acht Schiffe zu beladen, die nach La Coruña gesandt werden sollten. Die Städte wurden aufgefordert, Fugger bei der Erfüllung seines Auftrags zu unterstützen.[18]
Der deutsche Beitrag zum Bau hochseetauglicher Schiffe in Spanien und Portugal ging indes weit über die Lieferung von Holz und Teer hinaus. Einige der portugiesischen Schiffe, die in den 1480er- und 1490er-Jahren die westafrikanische Küste erkundeten und von dort häufig Sklaven abtransportierten, waren entweder in Deutschland oder nach deutschen Plänen gebaut. Immerhin hatten Deutsche die Hanse geschaffen, einen »Seestaat«, der in einer Liga mit Venedig, Genua und Portugal spielte.[19] Im 15. Jahrhundert hatte sich der Schiffsbau in Nord- und Südeuropa gegenseitig befruchtet, was zu einem guten Teil die Entdeckungsreisen erst ermöglichte. Die iberische Reconquista im Spätmittelalter, an der deutsche Schiffe teilnahmen, öffnete dem nichtislamischen Schiffsverkehr die Straße von Gibraltar und führte zu engeren Beziehungen zwischen dem Mittelmeer im Süden und der Nord- und Ostsee im Norden. Ein Marinehistoriker spricht von einem »Dialog zwischen Nord und Süd« und einer »maritimen Symbiose«.[20] Genueser und venezianische Schiffe fuhren nach Flandern, und Hanseschiffe segelten nach Süden. Deutsche Schiffe steuerten die Iberische Halbinsel nicht nur an, um ihre kostbare Holzladung zu löschen, sondern auch, weil infolge der enormen Expansion des Kabeljau- und Heringsfangs in nördlichen Gewässern die Salznachfrage gestiegen war, die in Portugal befriedigt wurde. Die Anforderungen der »Salzflotten« regten eine hybride Schiffsentwicklung an. Das Ergebnis – der Rumpf und die Takelage der von den iberischen Ländern auf See geschickten Schiffe – war ein kompakter, schneller und manövrierfähiger Schiffstyp, der überallhin segeln und eine schwere Bewaffnung in Form von Kanonen tragen konnte.[21]
Diese Schiffe hatten, neben Italienern, Flamen und Engländern, auch deutsche Mannschaftsmitglieder. Bekannt ist, dass mindestens ein Deutscher auf Magellans letzter Reise mitsegelte, denn Hans von Aachen (Juan Aleman de Aquisgran) kehrte im September 1522 als einer von 18 Überlebenden der 270 Mann, die drei Jahre zuvor in See gestochen waren, auf der Vittoria nach Sevilla zurück. Als Teil der Indienflotte liefen zwischen 1497 und 1590 über 700 Schiffe aus dem Hafen von Lissabon aus. Die Todesrate ihrer Mannschaften betrug knapp 10 Prozent (bei Kapitänen und Jesuiten war sie niedriger).[22] Deshalb brauchte man unbedingt ausländische Matrosen. Deutsche wurden auf portugiesischen Schiffen zumeist als Kanoniere angeheuert, als bombardeiros alemães. Hans von Aachen war einer von ihnen, ebenso wie ein Deutscher, dessen Name nicht bekannt ist, der 1502 an Vasco da Gamas zweiter Reise teilnahm und seine Erlebnisse in einem Tagebuch festhielt.[23] Der bei Weitem bekannteste deutsche Kanonier war der aus Hessen stammende Hans Staden, ein früherer Soldat, der auf die See floh und an Bord eines deutschen Salzschiffs nach Portugal gelangte, wo er 1547 auf einem portugiesischen Schiff mit Fahrtziel Brasilien als Kanonier anheuerte. Von dieser Reise kehrte er sicher nach Lissabon zurück, doch beim nächsten Mal, zwei Jahre später, hatte er weniger Glück. Das spanische Schiff, das aus Sevilla kommend zum Río de la Plata unterwegs war, sank vor der brasilianischen Küste, und nachdem er auf einer portugiesischen Küstenfestung gedient hatte, geriet er in die Gefangenschaft von Tupinambá-Indianern. Der Bericht, den er später, 1557, über die Gefangenschaft veröffentlichte – die Warhaftige Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden, Nacketen, Grimmigen Menschenfresser Leuthen in der Newenwelt America gelegen –, wurde zu einem Bestseller.[24]
Deutsche Kanoniere waren in Portugal und Spanien hoch angesehen. In dieser Zeit kontrollierten Deutsche die Metalllieferungen, und ihre Kanonengießereien galten als die besten in Europa. Nach Ansicht des spanischen Militärautors Luis Collado waren die deutschen und flämischen Gussstücke »die besten, die es gab«.[25] In den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts importierten Spanien und Portugal deutsche Kanonen in großer Stückzahl. Außerdem lockten sie deutsche Kanonengießer und Rüstungsunternehmen auf die Iberische Halbinsel. In Lissabon war schon vor 1466 eine in deutschem Besitz befindliche Schießpulverfabrik errichtet worden. Die später hinzukommenden Kanoniere stießen in der portugiesischen Hauptstadt auf eine beachtliche deutsche Gemeinde aus Kaufleuten, Handwerkern und Druckern. Manche hatten sich wie Hans Staden allein auf den Weg gemacht. Andere waren in Antwerpen, dem Endpunkt des portugiesischen Gewürzhandels, gruppenweise rekrutiert worden. Es gibt einige Belege, die den Umfang dieser Wanderung erkennen lassen. Als Hieronymus Münzer 1494/95 durch die Iberische Halbinsel reiste, bemerkte er im Hafen von Lissabon ein unter deutschem Kommando stehendes Schiff mit dreißig deutschen Kanonieren an Bord, und 1525 forderte das an der Malabarküste gelegene Cochin bei der portugiesischen Krone die Entsendung von hundert Kanonieren an, von denen die Hälfte Deutsche sein sollten.[26]
Heute glaubt niemand mehr, dass die Portugiesen sich ihren Weg nach Asien (und Afrika) einfach freischossen. Vielmehr nutzten sie lokale Rivalitäten aus und schlossen Abkommen, um ihre Handelsposten errichten zu können. Auch waren sie bei militärischen Zusammenstößen mit Nichteuropäern nicht immer erfolgreich.[27] Gleichwohl war die portugiesische Seemacht keine Legende, und die Marineartillerie war ein wichtiger Bestandteil dieser Macht. Portugiesische Schiffe waren schwer bewaffnet; manche hatten Dutzende von Kanonen an Bord.[28] Dementsprechend wurden die deutschen bombardeiros wertgeschätzt. Sie standen über den gemeinen Matrosen auf einer Stufe mit dem Schiffsbarbier und dem Zahl- und Proviantmeister und genossen einige Privilegien. In Portugal wurde ihnen eine Unterkunft zur Verfügung gestellt, sie durften Waffen tragen und erhielten eine Pension. Im späten 15. Jahrhundert gab es in Lissabon derart viele bombardeiros alemães, dass sie die Bartholomäus-Brüderschaft zu dominieren begannen, die bedeutendste Organisation der deutschen Gemeinde, die aus einer von Hansekaufleuten gegründeten Kirchengemeinde hervorgegangen war. Die deutschen Kanoniere brachten ihre Institutionen mit nach Indien, wo sie in Cochin und Goa Kirchengemeinden gründeten. Bis zu den 1540er-Jahren hatten viele von ihnen den Beruf gewechselt und sich dem Handel zugewandt. Manche heirateten südasiatische Frauen. Einige scheinen sich mit ihrem artilleristischen Wissen an lokale Herrscher verdingt zu haben, was ein frühes Beispiel für einen Technologietransfer von West nach Ost wäre. Zu diesem Zeitpunkt hatten die bombardeiros alemães bereits eine entscheidende Rolle bei der portugiesischen Expansion gespielt, sowohl jenseits des Atlantiks nach Brasilien als auch die westafrikanische Küste entlang und in den Indischen Ozean hinein.[29]
Neben deutschen Kanonieren dienten auch deutsche Musketiere der portugiesischen Krone, aber in geringerer Zahl; das portugiesische Reich stützte sich überwiegend auf die Seemacht und die Kontrolle strategischer Küstenstützpunkte. Deutsche Landsoldaten fand man eher im spanischen Heer. Dies galt für die Herrschaftszeit sowohl Karls V. als auch Philipps II., dessen ausgedehntes Reich in Spanien, Italien, Flandern sowie Nord- und Südamerika die spanischen Personalressourcen überforderte. Trotz ihres Rufs, streitsüchtig und gewalttätig zu sein, wurden die deutschen Landsknechte hoch geschätzt. 1572 kämpften mindestens 20 000 deutsche Fußsoldaten und weitere 11 000 Berittene auf verschiedenen Kriegsschauplätzen, vor allem in Europa, für den spanischen König.[30] Die Rolle deutscher Soldaten in den spanischen Besitzungen in Amerika war in der Herrschaftszeit Karls V. am größten. Von einem von ihnen wissen wir, weil er später einen Bericht über seine Erlebnisse verfasste. Ulrich Schmidel stammte aus einer bayerischen Kaufmannsfamilie. 1534, mit Mitte zwanzig, heuerte er in Cádiz bei einer spanischen Expeditionsflotte aus 14 Schiffen an, die zum Río de la Plata segeln sollte; es war die Expedition, während der Buenos Aires gegründet wurde. Laut Schmidels Bericht nahmen neben 2500 Spaniern »150 Hochteusche, Niederlennder unnd Sachsen« an ihr teil.[31] Möglicherweise bildete sich bei diesen Soldaten aus verschiedenen Teilen des Heiligen Römischen Reichs aufgrund des Zusammenseins im Ausland sogar eine Art gemeinsamer deutscher Identität heraus.[32] Schmidel blieb fast zwanzig Jahre in Südamerika und nahm an Eroberungsexpeditionen den Paraguay-Fluss hinauf und bis ins Gebiet des heutigen Bolivien teil.
Schmidel und seine Kameraden waren deutsche Konquistadoren in den Jahren zwischen 1520 und 1550, einer Ära, die von manchen »Zeitalter des Conquistador« genannt wird.[33] Der problematischste deutsche Beitrag zu dieser gewalttätigen Ära der Entdeckungen, Eroberungen und Ausplünderungen betraf Venezuela – »Klein-Venedig« – unter der Herrschaft der Welser aus Augsburg. Sie hatten die Wahl Karls V. zum römisch-deutschen Kaiser mitfinanziert und dem ständig geldklammen Karl in den 1520er-Jahren mit weiteren Krediten ausgeholfen, die sogar noch größer waren als diejenigen der Fugger. Im März 1528 gewährte Karl Agenten der Welser ein asiento, einen Vertrag über Wirtschaftsprivilegien. Zwei Jahre zuvor hatten die Welser in Santo Domingo auf Hispaniola eine Niederlassung eröffnet, die Zucker, Perlen und Gold nach Spanien ausführte und Lebensmittel, Luxusgüter und die Mittel für weitere Eroberungen auf dem amerikanischen Festland – Waffen und Pferde – importierte. Die Ressourcen des Handelshauses machten es für die spanische Krone attraktiv, da es die Anfangskosten der Erschließung bisher nicht ausgebeuteter Gebiete übernehmen konnte. Nach dem Vertrag von 1528 sollten die Welser Venezuela »erobern und besiedeln«. Es wurde erwartet, dass sie binnen zwei Jahren zwei Ansiedlungen mit jeweils mindestens 300 Kolonisten gründeten und die nötigen Befestigungen errichteten. Die damit verbundenen Kosten sollten sie selbst übernehmen; außerdem sollten sie auf ihre Einnahmen das »königlichen Fünftel« zahlen.[34]
Die Welser-Ära in Venezuela begann Ende Februar 1529, als dessen erster Gouverneur, Ambrosius Ehinger, mit 300 Mann auf dem Festland eintraf und sich in der Küstenstadt Coro einrichtete, die damals von einigen Dutzend Europäern bewohnt wurde, die sich aufgrund der nahe gelegenen Perlenbänke dort angesiedelt hatten. Nur ein halbes Jahr nach Ehingers Ankunft unternahm er zusammen mit dem größten Teil der Neuankömmlinge die erste entrada oder Expedition, die zum Muster der Welser-Herrschaft in Venezuela wurde und dem Vorgehen der Konquistadoren anderswo glich. Ehinger verbrachte nur ein Viertel seiner Zeit als Gouverneur in der Hauptstadt. Gleiches galt für seine Nachfolger Nikolaus Federmann, Georg Hohermuth und Philipp von Hutten (einen Cousin des Humanisten und Luther-Gefährten Ulrich von Hutten), die allesamt die erste Gelegenheit ergriffen, Coro hinter sich zu lassen und auf Expeditionen zu gehen. Hohermuth brachte 1535 die größte Gruppe von Neuankömmlingen mit, die während der Welser-Zeit in Venezuela eintraf. Obwohl er vorher noch nie aus Europa herausgekommen war, begab er sich nur drei Monate nach seiner Ankunft mit fast 500 Mann auf eine entrada. Hutten blieb über fünf Jahre in Venezuela, verbrachte aber nur sechs Monate in der Hauptstadt. Während die angehenden Kolonisten und ihre Anführer Expeditionen unternahmen, die manchmal Jahre dauerten, ging es in den Ansiedlungen, in Coro ebenso wie in der zweiten Siedlung, Maracaibo, nicht voran. Von einer wirtschaftlichen Entwicklung konnte kaum die Rede sein, und die Ausfuhren waren vernachlässigbar. Niemand bemühte sich darum, das Potenzial der Perlenbänke auszuschöpfen oder, was noch erstaunlicher war, die Rohstoffvorkommen des Landes auszubeuten.
Man könnte Venezuela eine »gescheiterte Kolonie« nennen, so wie die französische Kolonie in Kanada in den 1540er-Jahren und später die englische Kolonie Roanoke Island in Virginia, die scheiterte, als Probleme aufgrund fehlgeleiteter Arbeitsressourcen und der Vernachlässigung der Sicherung langfristiger Prosperität durch Wetterbedingungen verstärkt wurden.[35] Venezuela war allerdings nie wirklich eine Kolonie. Obwohl von Agenten eines Handelshauses verwaltet, war es eine Ausgangsbasis für Erkundung und Eroberung – eine Konquistadoren-Unternehmung wie andere auch, deren Fußtruppen aus in Sevilla oder auf den Kanarischen Inseln rekrutierten Spaniern bestanden, während die Anführer zufälligerweise Deutsche waren. Die Männer – und es waren ausschließlich Männer –, die als Erste nach Venezuela kamen, gingen fast alle auf entradas, ebenso die meisten, die nach ihnen eintrafen, 1530 und 1535. Viele von ihnen hatten bereits an Expeditionen anderswo in Amerika teilgenommen oder in den Italienischen Kriegen gekämpft. Das Kontingent von 1535 war besonders stark militärisch geprägt. Die Neuankömmlinge, die in Coro an Land gingen, waren mit Bogen, Arkebusen, Lanzen und Rapieren bewaffnet und begierig darauf, Indianer zu »erobern« und zu Christen zu machen und nebenbei hübsche Profite einzustreichen. Auch die Art der Finanzierung der Kolonie trieb die Menschen dazu, an entradas teilzunehmen. Kolonisten erhielten von den Welsern Kredite, die sie verzinst zurückzahlen mussten, während sie gleichzeitig die hohen Preise für über Santo Domingo importierte Güter und Proviant zahlen mussten. Es ist nachvollziehbar, dass verschuldete Kolonisten, die in den ums Überleben kämpfenden Städten Coro und Maracaibo praktisch dienstverpflichtete Knechte waren, auf Risiko gingen und sich dazu entschlossen, sich mit Welser-Krediten für Expeditionen ins Inland auszurüsten.
In den Jahren der Welser-Herrschaft in Venezuela wurden sechs Expeditionen unternommen. Sie dauerten von Mal zu Mal länger, dabei wurden beachtliche Entfernungen zurückgelegt, insgesamt rund 20 000 Kilometer, mehr als bei jeder anderen Unternehmung der Konquistadoren. Von Coro führten die entradas nach Westen in die kolumbianischen Anden und ins hinter ihnen gelegene Tal des Río Magdalena. Auch nach Süden machten sich die Konquistadoren auf den Weg, durch die zum Orinoco-Becken gehörende Ebene östlich der Anden bis zum Standort des heutigen Bogotá, den Federmanns zweite Expedition 1538 zur selben Zeit wie zwei spanische Konquistadoren erreichte. Huttens letzte entrada drang tief ins Amazonasbecken vor, in Gebiete, die bis zu Alexander von Humboldts wissenschaftlicher Expedition über 250 Jahre später kein Europäer mehr betrat. Die Expeditionen der Gouverneure oder Generalkapitäne der Welser waren klassische, von Bewaffneten auf Pferden und zu Fuß unternommene Erkundungs- und Eroberungsmissionen von Konquistadoren. Eines ihrer Ziele war es, eine Westpassage nach Asien zu finden. Aber in erster Linie gingen die Expeditionen auf Schatzsuche – nach einem Schatz, wie Francisco Pizarro ihn nach der Eroberung des Inkareichs in Peru an sich gebracht hatte, oder nach dem Gold, das angeblich in dem mythischen Königreich El Dorado zu finden war. Die entradas forderten von ihren Teilnehmern einen beträchtlichen Blutzoll. Ehinger und Hutten kamen beide ums Leben, Hohermuth starb zwei Jahre nach der Rückkehr von einer Expedition, die seine Gesundheit ruiniert hatte, in Santo Domingo. Die Überlebensrate lag bei nicht mehr als 40 Prozent, das heißt, Hunderte von Teilnehmern blieben auf der Strecke.
Die Ergebnisse waren, wie sich herausstellte, bescheiden. Zwar wurde auf den Expeditionen geplündert, die Beute fiel aber nur gering aus. Ehingers zweite entrada in den frühen 1530er-Jahren war die erfolgreichste, aber die Beute wurde von den nach Coro zurückkehrenden Teilnehmern verloren. Die Konquistadoren in Venezuela fanden überall Dinge von Wert – goldene Ohrringe und dergleichen –, die eingeschmolzen werden konnten. Aber einen Schatz, wie sie ihn suchten, fanden sie nicht. Dies hätte sich geändert, wenn Federmann den Vorrang seines Anspruchs auf die Reichtümer des Muisca-Königreichs in Cundinamarca hätte durchsetzen können, aber die spanische Krone vergab dieses Gebiet – das zum Vizekönigreich Neugranada wurde – an einen spanischen Anwärter. Zweifellos rechneten die Welser ihre Einkünfte aus der Provinz herunter, um ihre Abgaben an die Krone zu verringern, aber Venezuela war offensichtlich weniger profitabel als andere spanisch-amerikanische Provinzen, von Peru über Mexiko bis Neugranada. Die meisten Expeditionen brachten nicht einmal die eigenen Kosten ein. Sie wurden immer mehr zu verzweifelten Versuchen, wenigstens etwas aus dem gescheiterten venezolanischen Unternehmen herauszuholen, bevor die spanische Krone den Vertrag kündigte.
Dies schien angesichts der in der Welser-Gesellschaft ausgebrochenen Streitigkeiten über Venezuela und der wiederholten Konflikte in Coro während der Abwesenheit der Gouverneure immer wahrscheinlicher zu werden. Hinzu kamen Spannungen zwischen den überwiegend spanischen Kolonisten und den Deutschen. Und nicht zuletzt stand die Frage der Behandlung der indigenen Völker im Raum. Der spanische Indienrat (Consejo de Indias, wie Nord- und Südamerika genannt wurde) beklagte sich bereits 1535 über die starke Dezimierung der indigenen Bevölkerung aufgrund des Vorgehens der Welser. 1538 strengte das spanische Gericht in Santo Domingo eine Untersuchung an und entsandte Antonio Navarro als Richter nach Venezuela, um dem Vorwurf nachzugehen, die deutschen Herren würden gegen Indianer brutale Gewalt anwenden, spanische Kolonisten ungerecht behandeln und sich in der Verwaltung Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen. 1544 folgte eine weitere Untersuchung. Zu diesem Zeitpunkt gingen die Welser bereits juristisch gegen Federmann vor, dem sie Insubordination und Veruntreuung vorwarfen. Mitte der 1540er-Jahre war die Welser-Herrschaft in Venezuela im Grunde vorüber, obwohl sie offiziell erst 1554 endete.
Manche der Vorwürfe gegen die Welser-Verwaltung waren haltlos, ein Nebenprodukt des Grolls der spanischen Kolonisten gegen sie. Außerdem benachteiligten die spanischen Behörden bei mehreren kritischen Anlässen das deutsch verwaltete Venezuela zugunsten seines spanisch verwalteten Nachbarn, Santa Marta. Und als die Krone den Welser-Vertrag kündigte, geschah es in der Hauptsache nicht deshalb, weil Agenten des Handelshauses ihre Macht missbraucht hatten und brutal gegen indigene Völker vorgegangen waren, sondern weil in Venezuela – und anderswo in Spanisch-Amerika – die Ära marodierender Konquistadoren vorüber war und die Ära geordneter spanischer Verwaltung begonnen hatte. Die Niederlage des Volks der Muisca in Cundinamarca und die Gründung von Bogotá markierten einen Wendepunkt. Nach Jahrzehnten der entradas ins Landesinnere hatten sich drei aus verschiedenen Richtungen kommende Expeditionen getroffen, was zur Gründung von Neugranada führte. Es bildete die geografische Verbindung zwischen den spanischen Besitzungen in Mittelamerika und an der Karibikküste und dem spanischen Peru. Figuren wie Ehinger und Federmann wurden jetzt ebenso wenig gebraucht wie Cortés oder Pizarro, und dies wäre auch der Fall gewesen, wenn sie sich den Indianern gegenüber anders verhalten hätten.[36]
Ungeachtet dessen war das Vorgehen der Welser-Agenten in Venezuela abscheulich. Auf den Expeditionen wurde systematisch geplündert und Gewalt angewendet. Den Ureinwohnern begegnete man mit Verachtung: Ein »arm Volck, gantz nacket, barhaupt und barfuß«, beschrieb Hutten sie.[37] Sie wurden gezwungen, aneinandergekettet als Träger zu dienen, oder gefangen genommen und auf Hispaniola als Sklaven verkauft. Selbst ein Autor, der das Vorgehen auf den entradas gegen die schlimmsten Anschuldigungen verteidigt, malt ein düsteres Bild der Geschehnisse. Auf Ehingers zweiter Expedition, schreibt Jörg Denzer, hätten sich die Konquistadoren nicht schlimmer verhalten als andere vor ihnen. Als die Ureinwohner im Tal von Pacabueyes freundliche Annäherungsversuche zurückwiesen, kam es, wie Denzer einräumt, zu »Gewaltexzessen«. Aber, fügt er hinzu, die Plünderungen seien trotz aller Brutalität einem rationalen Kalkül gefolgt und hätten die Grenzlinie zu »sinnloser Grausamkeit« nicht überschritten. Zweifellos. Aber die »von Vernunft geleitete« Gewalt, die Ehingers Männer ausübten, um Indigene dazu zu bringen, ihnen zu verraten, wo Gold zu finden war, umfasste Folter und Geiselnahme, zu der es wiederum gehörte, dass man die Geiseln hungern ließ und ihren Tod in Kauf nahm.[38]
Die Wirklichkeit, die sicher düster genug war, bildete die Grundlage, auf der spanische Zeitgenossen und später lateinamerikanische Schriftsteller Horrorgeschichten über die einzigartige Gewalt der Deutschen erzählten. Manche modernen Versionen solcher Geschichten, in denen von Konzentrationslagern und Völkermord die Rede ist, sind offensichtliche Rückprojektionen der Geschichte des 20. Jahrhunderts.[39] Aber diese Argumentationslinie, die in Lateinamerika durchaus verbreitet, den meisten deutschen Gelehrten aber unbekannt ist, hat eine lange Geschichte. Die berühmteste zeitgenössische Anklage stammt von dem Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas, der verdientermaßen als Verteidiger der Rechte der Indigenen gegenüber gewalttätigen Europäern in Erinnerung geblieben ist. Las Casas behauptete, »jene […] viehischen Tyrannen, d[ie] Deutschen«, hätten vier bis fünf Millionen Indianer »[ge]mordet […] und erwürgt […]«. Aber wer wäre überrascht über solche grausamen Exzesse, fragte er, denn der »tyrannische deutsche Gouverneur« in Venezuela sei ein »Ketzer« gewesen »und ließ noch außerdem deutliche Kennzeichen des Lutherthums blicken«.[40] Las Casas’ 1542 verfasster und zehn Jahre später veröffentlichter Bericht zeigt, wie erbittert die Glaubenskämpfe im Zusammenhang mit der Reformation auf neuem Terrain ausgefochten wurden. Obwohl die meisten Teilnehmer an den brutalen venezolanischen entradas Spanier waren, richtete sich die Anklage ausschließlich gegen ihre deutschen »lutherischen« Anführer. Sie war das Gegenstück der leyenda negra, der »schwarzen Legende«, die holländische, britische und deutsche Protestanten gegen die Spanier ins Feld führten, wonach das Vorgehen gegen die amerikanischen Ureinwohner demjenigen der Inquisition entsprach – die als Symbol für jede katholische Unterdrückung stand.
Im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreiteten deutsche Mythenbildner eine eigene Version der Geschehnisse. Bei ihnen wurde die Welser-Ära in Venezuela zu einem frühen Beispiel kühnen deutschen Ausgreifens in die Welt, »ein Stück deutscher Tatkraft« und »ein Beispiel deutschen Wagemuts«, wie ein Autor schrieb.[41] Aber wer immer eine Legende um die Taten der Welser spinnen wollte, musste mit dem Problem der von ihnen ausgeübten Gewalt klarkommen. Ein geeigneteres Symbol für den deutschen Beitrag zur europäischen Expansion war jemand, der nicht aus Augsburg kam, sondern aus Nürnberg: Martin Behaim.[42] Er ist weiterhin vor allem für den Globus bekannt, der Anfang der 1490er-Jahre unter seiner Anleitung entstand. Er ist das älteste erhaltene Exemplar seiner Art. Doch dies erklärt nicht, warum dieser Nahezu-Zeitgenosse Albrecht Dürers als einer der größten Söhne der Stadt gefeiert wurde und sie ihm nicht nur ein Denkmal widmete, sondern auch eine Schule, eine Straße und eine Lokomotive nach ihm benannte. Eine Legende wurde geschaffen und von Generation zu Generation weitergegeben, die ihm bemerkenswerte Leistungen als Astronom, Navigator und kühner Seefahrer zuschrieb, kurz, ihn als großen deutschen Helden des Zeitalters der Entdeckungen pries. Im 19. Jahrhundert wurden zahlreiche Mythen über Behaim in Umlauf gebracht. Alexander von Humboldt verlieh einigen von ihnen Glaubwürdigkeit; Lokalpatriotismus und deutscher Nationalstolz trugen das Ihre zur Mythenbildung bei. Für die Nationalsozialisten war Behaim ein großer deutscher »Raum-Eroberer«. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden seine Leistungen »in fast grotesker Weise« übertrieben.[43] Angeblich war er vor Kolumbus nach Amerika gelangt oder hatte wenigstens seinem guten Freund Kolumbus die Idee eingegeben, westwärts nach Indien zu segeln; Brasilien soll er erreicht und die Passage, die später Magellans Namen tragen sollte, entdeckt und sogar den Kompass erfunden haben. Heute wird niemand mehr so etwas behaupten, aber das Problem ist, dass die bereinigte Darstellung seiner Leistungen kaum plausibler ist. Ein Rest von weniger offensichtlich unplausiblem Unsinn bleibt. Zudem fahren Autoren, die nicht lokalpatriotisch oder nationalistisch vorbelastet (und häufig keine Deutschen) sind, oftmals fort, alte Legenden zu recyceln.
Wer also war Martin Behaim? Was hat er wirklich geleistet, und warum ist er bedeutend? Er wurde 1459 in eine patrizische Nürnberger Kaufmannsfamilie hineingeboren. Als er 15 Jahre alt war, starb sein Vater, und sein Onkel, ein Leinenhändler, schickte ihn nach Flandern, wo er im Handel arbeitete und einige Geldprobleme hatte – ein wiederkehrender Aspekt seines Lebens –, bevor er 1484 tat, was damals eine wachsende Zahl deutscher und flandrischer Kaufleute tat: Er ging nach Lissabon. Dort kam er gut voran. Er heiratete die Tochter Jobst van Huerters, eines gebürtigen Flamen, der Gouverneur zweier Inseln der portugiesischen Azoren war. Behaim und seine Frau, Joanna, bekamen 1489 einen Sohn, der ebenfalls Martin getauft wurde. So viel ist klar. Die meisten Legenden über Behaim drehen sich um seine Aktivitäten in den 1480er-Jahren. Angeblich hatte er, wenigstens informell, in Nürnberg bei dem angesehenen Mathematiker Johannes Müller, genannt Regiomontanus, studiert, weshalb er in Portugal mit offenen Armen empfangen wurde; immerhin hatte er von seinem Mentor zusammengestellte astronomische Tabellen im Gepäck, zusammen mit einer verbesserten Version eines nautischen Astrolabiums – vielleicht war es auch ein Jakobsstab –, das für die portugiesische Expansion von entscheidender Bedeutung sein sollte. Schon kurz nach seiner Ankunft in Lissabon wurde er eingeladen, der Junta dos Mathematicos, dem Beraterstab der Krone in Navigationsfragen, beizutreten. Später begleitete er Diogo Cão auf Erkundungsfahrten die afrikanische Westküste entlang, auf denen sie die Mündung des Kongo entdeckten. Zur Belohnung wurde Behaim zum Ritter des von Heinrich dem Seefahrer gestifteten prestigeträchtigen Christusordens geschlagen.
Jede dieser Behauptungen ist entweder falsch oder spekulativ. Es ist so gut wie sicher, dass Behaim nicht bei Regiomontanus studiert hat – er könnte es allerdings vorgegeben haben –, und auf jeden Fall hat dieser keine Tabellen entworfen, die von portugiesischen Steuermännern benutzt wurden. Die Portugiesen besaßen bereits nautische Tafeln, die sie zusammen mit den von Lotsen und Seefahrern erarbeiteten detaillierten Portolankarten verwendeten. Sowohl das Astrolabium als auch der Jakobsstab wurden schon lange vor Behaims Eintreffen in Lissabon von portugiesischen Seefahrern benutzt. Für Behaims Mitgliedschaft in der Junta dos Mathematicos gibt es, abgesehen von einem kurzen Eintrag in einer fünfzig Jahre nach den Ereignissen verfassten portugiesischen Chronik, keinen Beleg. Dass er mit Diogo Cão auf Reisen ging, ist unwahrscheinlich, und noch unwahrscheinlicher ist, dass er in den Christusorden aufgenommen wurde. Es trifft zu, dass er 1485 in den Ritterstand erhoben wurde, aber dies war vermutlich der Fürsprache seines künftigen Schwiegervaters zu verdanken, der gute Beziehungen zum Hof hatte; außerdem war Johann II., was die Verleihung der Ritterschaft betraf, recht großzügig. Der Deutsche Anton Herwart wurde in den 1490er-Jahren aus Gefälligkeit geadelt, und er war nur ein Reisender in Portugal.
Bleiben noch einige andere Möglichkeiten. Behaim könnte an einer späteren Expedition (1485/86) zum Golf von Guinea teilgenommen haben. Ein moderner Autor deutet ferner an, dass Behaim als Vermittler für die Einfuhr von Nürnberger Präzisionsinstrumenten für die Navigation tätig gewesen sein könnte – die in Portugal einen ähnlich guten Ruf hatten wie deutsche Geschütze.[44] Doch dafür gibt es keinen Beleg; außerdem passt es nicht zu der Art von Waren, mit denen Behaim in Flandern gehandelt hatte. Die weitergehende Schlussfolgerung lautet, dass, abgesehen von einigen akkuraten Landkarten der Küste von Unterguinea sowie Sonnentafeln, die der deutsche Drucker Valentim Fernandes in Lissabon herstellte, weder Behaim noch ein anderer Deutscher bedeutende wissenschaftliche Kenntnisse oder Navigationsmittel zu den portugiesischen Entdeckungsfahrten im 15. Jahrhundert zu den atlantischen Inseln und die afrikanische Küste hinunter beigetragen hatten.[45] Wie wir sehen werden, ist auch Behaims berühmter Globus keine Ausnahme davon.
1490, nach dem Tod seiner Mutter, kehrte Behaim nach Nürnberg zurück, trat sein Erbe an und beglich seine Schulden. Er blieb drei Jahre in Nürnberg. Trotzdem haftete ihm der Ruch des durchtriebenen Geschäftemachers weiterhin an. Behaim wohnte bei seinem Cousin Michael, der an Behaims damals in Lyon lebenden Bruder Wolf schrieb, Martin verhalte sich »seltzam«, worauf dieser mit dem Stoßseufzer antwortete: »[I]ch woltz gar gern, das wir gantz ledig von ym werden.« Dies war im November 1491. Ein Jahr später berichtete Michael erneut, dass Behaim wenig tat, außer im Garten herumzuhantieren.[46] In Wirklichkeit war er alles andere als untätig. Er teilte sein Wissen über die Erkundung der afrikanischen Küste mit dem Nürnberger Humanisten Hartmann Schedel, dessen kosmografisches Hauptwerk, die Nürnberger Chronik, 1493 erschien. Außerdem wurde in dieser Zeit unter Behaims Anleitung der Globus, der sogenannte Erdapfel, hergestellt. Den Auftrag dafür hatten drei Nürnberger Ratsherren erteilt, wahrscheinlich auf Drängen Behaims und mit Unterstützung eines Mittelsmanns, des Finanziers Georg Holzschuher. Der Globus, dessen Herstellung zwei Jahre in Anspruch nahm, war ein Prunkstück, an dem einige der besten Handwerker der Stadt mitgearbeitet hatten. Die penibel gemalten Karten waren mit ausführlichen handschriftlichen Legenden versehen.[47] Entgegen der Behaim-Legende bedeutete der Globus keinen wissenschaftlichen Fortschritt und ermöglichte auch keinen neuen Blick auf die Welt; tatsächlich befand er sich nicht einmal auf dem geografischen Wissensstand der Zeit.[48] Vermutlich diente er als Demonstrationsobjekt, das die Nürnberger Kaufleute auf die Geschäftschancen in einer expandierenden Welt aufmerksam machen sollte, vom Gold der afrikanischen Westküste bis zu den Gewürzen in Fernost. Er war ein prächtiges geografisches Handelsverzeichnis mit nicht weniger als 1100 Ortseinträgen, mitsamt Informationen über eine Vielzahl von Handelsgütern, von wertvollen Metallen über Edelsteine bis zu Gewürzen – Gold, Rubine, Perlen, Saphire, Smaragde, Sandelholz, Aloe, Muskat, Zimt, Pfeffer –, alle ordentlich aufgelistet und gelegentlich durch zusätzliche Angaben über bestehende Handelsrouten ergänzt. Behaim war Geschäftsmann und sein Globus ein Mittel, mit dem der Geschäftssinn angeregt werden sollte.
Der Globus könnte auch den konkreten Zweck gehabt haben, deutlich zu machen, dass die Reichtümer Westindiens in wenigen Tagen erreicht werden konnten, indem man westwärts segelte, ein Ansinnen, das auf einer Kugel überzeugender wirkt als auf einer zweidimensionalen Karte. Für diese Annahme sprechen einige Indizien. So schrieb Behaims Freund Hieronymus Münzer im Juli 1493 an Johann II. von Portugal, um ihn, angeblich im Namen Kaiser Maximilians – Johanns Schwager –, aufzufordern, genau solch eine Reise westwärts nach »Cathay« auszurüsten, und Behaim als geeigneten Expeditionsteilnehmer zu empfehlen. Die Zeitumstände, unter denen der Brief geschrieben wurde, regen zu Spekulationen an, wie immer man ihn interpretieren mag. Kolumbus war im März 1493 von seiner ersten Reise zurückgekehrt und hatte sowohl der portugiesischen als auch der spanischen Krone Bericht erstattet. Zwei Monate später, im Mai, hatte Papst Alexander VI. die Bulle Inter caetera veröffentlicht, die eine durch den Atlantik führende Grenzlinie zwischen der spanischen und der portugiesischen Sphäre festlegte. Vorausgesetzt, Münzers Brief ist keine Fälschung der Portugiesen, um ihre eigenen Interessen zu fördern – wie manche glauben –, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Behaim ihn bei sich trug, als er nach Lissabon zurückkehrte. Ob Münzer und Behaim, als der Brief geschrieben wurde, von Kolumbus’ Rückkehr vier Monate zuvor wussten, ist unklar; Kolumbus wird jedenfalls nicht erwähnt, und die Nachricht hatte Nürnberg möglicherweise noch nicht erreicht. Mit Sicherheit wussten sie aber von der Rivalität zwischen Portugal und Spanien, und es war durchaus zu erwarten, dass Johann für die Idee einer Westexpedition empfänglich war.[49]
Martin Behaim führt in Nürnberg seinen Globus vor.
Die Episode hatte eine merkwürdige Koda und ein trübes, undeutliches Ende, wie so manches rund um Behaim. Im nächsten Jahr, 1494, begab Münzer sich zusammen mit drei jungen Kaufleuten aus Nürnberg und Augsburg auf eine Grande Tour durch die Iberische Halbinsel. Sowohl Johann von Portugal als auch Ferdinand und Isabella von Kastilien gewährten ihm mehrere Audienzen. Auch mit anderen führte er Gespräche, einschließlich zweier Personen, die eng mit Kolumbus’ Expeditionen verbunden waren. Münzers Reise macht den Eindruck einer Sondierungsmission als nächster Schritt nach dem Brief an Johann von Portugal vom vorangegangenen Jahr, die dazu diente, Informationen über Reisen nach Westen zu sammeln. Die Route der Reise, die Münzer in seinem Brief 1493 vorschlug, ist ebenso unklar wie die Interessen, die hinter Münzer und Behaim standen. Waren es Nürnberger? Welche Rolle, wenn überhaupt, spielten Behaims angeheiratete Verwandte auf den Azoren und dessen Freunde unter Kaufleuten und Plantagenbesitzern? Wir wissen, dass Johann den Reisevorschlag nicht annahm, aber nicht, was aus Behaim wurde. Er stand 1494 weiterhin in enger Verbindung mit Münzer, und Letzterer wohnte während seines Aufenthalts in Lissabon bei Behaims Schwager. Nach 1494 verliert sich jedoch Behaims Spur, bis zu der Nachricht, dass er im Juli 1507 völlig verarmt in Lissabon gestorben sei. Manche nehmen an, dass er sein Erbe bei dem Versuch, mit einer Expedition nach Westen ein Vermögen zu machen, aufgebraucht hatte.[50] Einen Beweis dafür gibt es nicht, aber moderne Spekulationen über Behaim als kaufmännischen Glücksritter kommen seiner verschatteten Figur wahrscheinlich näher als die frühere Legende vom kühnen Naturwissenschaftler, Navigator und Seefahrer.
Behaim war eine relativ kleine Figur in einem großen Netzwerk. Oberdeutsche Kaufleute spielten eine bedeutende Rolle in den sich ausdehnenden Reichen von Portugal und Spanien. Direkt beteiligt waren sie am Gewürzhandel und der sich herausbildenden Zuckerplantagenwirtschaft mit ihrer Abhängigkeit von der Sklaverei, am europäischen Metallbergbau, mit dessen Erlösen Sklaven gekauft und Gewürze bezahlt wurden, und am amerikanischen Silberbergbau, der die europäische Wirtschaft des 16. Jahrhunderts schmierte. Außerdem vergaben sie Kredite und kauften Staatsanleihen auf. Die mächtigen deutschen Handelshäuser bildeten den mitteleuropäischen Rückhalt der iberischen Expansion, der für sie ebenso wichtig war wie Genueser Kapital. Lissabon war ein Beispiel dafür. Mitte des 16. Jahrhunderts war es eine boomende Stadt mit annähernd 100 000 Einwohnern. Die deutsche Kolonie war mittlerweile größer als hundert Jahre zuvor oder noch in Behaims Zeit, setzte sich allerdings ähnlich zusammen – aus Gewerbetreibenden, Druckern, Seeleuten, Kanonieren (natürlich) und Kaufleuten, die im Geschäftsviertel hinter den Docks am Tejo konzentriert waren, wo sich die Lagerhäuser der führenden Handelshäuser befanden. Die Schiffe, die in Lissabon anlegten, kamen aus allen Teilen des portugiesischen Handelsreichs – von den Atlantikinseln, aus West- und Ostafrika, Brasilien sowie Indien und von den Gewürzinseln –, und deutsche Kaufleute hatten bei all diesen Geschäften ihre Hände im Spiel.
Zunächst hatte der Gewürzhandel Kaufleute in die portugiesische Hauptstadt gezogen. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts war Venedig der Ort gewesen, an dem man präsent sein musste, der Endpunkt des levantinischen Handelswegs von Indien über Land nach Alexandria und von dort weiter über das Mittelmeer. Auf diesem Weg wurden mitteleuropäische Kaufleute mit Ingwer, Nelken, Kardamom, Muskat und Pfeffer beliefert.[51] Wegen des Gewürzhandels unterhielten die Nürnberger und Augsburger Handelshäuser ihre Vertretungen im Fondaco dei Tedeschi. Aber osmanische Vorstöße machten diese Landroute immer gefährlicher und kostspieliger, was die Portugiesen veranlasste, auf der Suche nach einem billigeren Weg das Kap der Guten Hoffnung zu umrunden.[52] Vasco da Gamas Rückkehr von seiner ersten Indienreise im Jahr 1499 war ein Schlüsselmoment, der die gut organisierten Informationsnetze der deutschen Handelshäuser darauf aufmerksam machte, dass etwas Neues im Schwange war. Sie begannen, noch bevor da Gama 1503 mit rund 1500 Tonnen Pfeffer und anderen Gewürzen von seiner zweiten Reise zurückkehrte, ihre Geschäfte in Venedig abzuwickeln und nach Lissabon zu verlagern. Welser-Agenten verlangten den gleichen Zugang zu den alljährlich auslaufenden portugiesischen Flotten, wie ihn einige italienische Kaufleute hatten. Im Februar 1503 wurde ein Vertrag mit der portugiesischen Krone geschlossen. Die von Valentim Fernandes, dem den Welsern nahestehenden Drucker mit guten Beziehungen zum Hof, vermittelte Vereinbarung sicherte deutschen Kaufleuten eine Reihe von Vorteilen zu, einschließlich der Beteiligung an den Gewürzflotten. Dies zahlte sich bereits in kleinem Umfang aus, als Agenten zweier Nürnberger Handelshäuser 1503 mit der Albuquerque-Flotte auf eine Erkundungsreise gingen. Einer von ihnen war Peter Holzschuher, ein Angehöriger der Familie, die als Vermittler beim Bau von Behaims Globus fungiert hatte – die Kaufmannschaft war eine kleine Welt. Er selbst kehrte zwar nicht zurück, aber der andere deutsche Agent brachte seinen Bericht über die Gewürzmärkte in Cochin und Kalikut (heute: Kozhikode) mit nach Europa. 1504 garantierte ein weiterer Vertrag sechs oberdeutschen Handelshäusern die Teilnahme an der Flotte, die im folgenden Jahr auslaufen sollte. Sie alle hielten Anteile an dem deutsch-italienischen Syndikat, das dieses Unternehmen finanzierte, an dem auch drei von dessen eigenen Schiffen teilnehmen sollten. Zu den Teilnehmern der Reise gehörten drei junge deutsche Kaufleute, die die Erlaubnis hatten, Gewürze direkt einzukaufen.[53] Einer von ihnen, der Welser-Agent Balthasar Sprenger, veröffentlichte einige Jahre später ein Buch über seine Reisen; es war der erste von einem Deutschen verfasste Bericht über Indien.[54]
Nach der Rückkehr der Flotte im Jahr 1506 kam es zu einem Rechtsstreit zwischen den Handelshäusern und der portugiesischen Krone über das Recht der Ersteren, nach Entrichtung aller geforderten Abgaben frei über ihren Anteil an den Gewürzen zu verfügen. Die deutschen Kaufleute im Syndikat erzielten schließlich einen Gewinn von über 150 Prozent auf ihre Investition. Aber die Grundfrage blieb bestehen, denn die portugiesische Krone versuchte, nach einer kurzen Zeit des Freihandels ein Monopol im Gewürzhandel zu errichten. An dieser Politik hielt sie bis 1570 fest. Gleichwohl brauchte sie für den Ankauf und Vertrieb der Gewürze private Kaufleute. Diese Aufgabe erfüllten weiterhin auch Deutsche, sowohl in Lissabon als auch auf dem Sekundärmarkt in Antwerpen, wohin die Portugiesen den Gewürzverkauf in zunehmendem Maße verlagerten. Zwischen 1509 und 1511 kauften die Deutschen im Lissabonner Indienhaus nach den Portugiesen mehr Pfeffer und andere Gewürze als jede andere Kaufmannsgruppe. Das Verhältnis zwischen deutschen Kaufleuten und den aufeinanderfolgenden portugiesischen Monarchen erlebte Höhen und Tiefen. In der Anfangszeit argwöhnten die Deutschen, dass die Florentiner bevorzugt behandelt wurden. Der frustrierte Fugger-Agent Cristobal de Haro reiste 1516 mit dramatischer Geste von Lissabon nach Sevilla, als Vorspiel zur Finanzierung der unter spanischer Ägide unternommenen Reisen Magellans und anderer auf der Suche nach einer Westpassage zu den Gewürzanbaugebieten im Osten. Doch die Hintertür zu den Molukken erwies sich als wirtschaftlich nicht lohnend. 1549 schloss Johann III. von Portugal wegen der hohen Kosten der Aufsicht über den Gewürzhandel in Antwerpen das dortige Büro der Krone, so dass die Kaufleute gezwungen waren, wieder alles in Lissabon zu kaufen. Als im folgenden Jahrzehnt die Handelsroute über Land und das Mittelmeer wiederbelebt wurde, zogen sich die Fugger – flexibel wie immer – vorübergehend aus Lissabon zurück und kauften ihren Pfeffer in Alexandria.[55]
Trotz dieser Wechselfälle besaßen deutsche Kaufleute weiterhin erhebliche Anteile am Syndikat, das die Vertriebsrechte für portugiesische Gewürze innehatte. Sie waren das Engagement wert, trotz der Belastung durch das Monopol und der moralischen Verdammung in der Heimat durch Luther, Hutten und andere.[56] Für die portugiesische Krone bestand der große Vorteil der Geschäftsbeziehungen zu den Deutschen darin, dass diese die mitteleuropäischen Bergwerke kontrollierten, in denen die Metalle gefördert wurden, die in Indien für alles Mögliche nachgefragt wurden, von Münzen bis zu Haushaltsgegenständen. Die Krone schätzte, dass sie jährlich 300 Tonnen Kupfer für Indien benötigte. Die Fugger hatten einen beträchtlichen Anteil an diesem Kupfer-gegen-Pfeffer-Tausch.[57] Ein augenfälliger Beweis wurde 2008 buchstäblich zutage gefördert, als in Namibia an einem Strand nahe der Mündung des Oranje das Wrack eines portugiesischen Indienfahrers entdeckt wurde. Wie sich herausstellte, handelte es sich um die Bom Jesus, die 1533 in Lissabon in See gestochen und bei der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung gesunken war. Neben Kanonen, Musketen, Astrolabien, Goldmünzen – und einigen menschlichen Zehen in einem unter einem Holzstapel eingeklemmten Schuh – fand man auch über 20 Tonnen Kupferbarren mit dem Dreizackzeichen der Fugger.[58]
Bis 1570 hatten lokale Händler das portugiesische Handelsmonopol untergraben, indem sie die Gewinne selbst einsteckten und die Krone auf den Kosten sitzen ließen. Diese hob daraufhin das Monopol auf und führte ein Kontraktsystem ein. Kaufleute waren jetzt aufgefordert, Gebote für das Exklusivrecht für Ankauf und Vertrieb von Pfeffer und anderen Gewürzen abzugeben. 1575 erhielt ein Augsburger Handelshaus den ersten Kontrakt. Das war keine Überraschung; überraschend war jedoch die Person des erfolgreichen Bieters, Konrad Rott, denn er gehörte nicht zu den führenden deutschen Kaufleuten. Die Entscheidung war unverkennbar politisch begründet: Man wollte den Kontrakt nicht den üblichen Verdächtigen anvertrauen, die als zu mächtig angesehen wurden. Rott fand italienische Partner, die Rovellasca aus Mailand, und handelte eine Vereinbarung mit dem Kurfürsten von Sachsen aus, die Leipzig zu einem Knotenpunkt des deutschen Vertriebssystems machte. Aber die Vertragsbedingungen und die von ihm zugesagten Darlehen an die Krone trieben ihn zusammen mit einem Abschwung des volatilen Pfeffermarkts 1580 in den Bankrott. Seine italienischen Partner konnten jedoch einspringen und behielten das Netz deutscher Agenten, die Rott nach Indien entsandt hatte. Als der Abschluss des nächsten Gewürzkontrakts anstand, waren wieder die vertrauten Namen im Spiel, Fugger und Welser, die ein Konsortium mit den Rovellasca gebildet hatten, dessen Gebot angenommen wurde.[59]
Nach der Aufhebung des Monopols schwärmten deutsche Handelsagenten in Asien aus, von Westindien bis Macao. Die Fugger und Welser bauten an der indischen Malabarküste unter dem in Cochin residierenden Agenten Ferdinand Cron ein Handelsnetz auf. Cron war ein herausragendes Beispiel für einen deutschen Kaufmann, der im Ausland sein Glück machte. Der gebürtige Augsburger hatte in den 1580er-Jahren eine Lehre in Lissabon absolviert und war Ende zwanzig, als er 1587 in Cochin an Land ging. Von der Anstrengung der Reise und dem lokalen Klima erschöpft, schrieb er an die Welser: »Was für trabajos er überstanden, wie viel tausendmal es ihn gereut und was für graue Haar er bekommen, das wisse Gott. Hätte er gewusst, was er jetzt weiss und erfahren, er würde solche Reise zu thun per ninguna cosa del mundo sich unterstanden haben […].«[60] Dennoch verbrachte er höchst erfolgreiche 37 Jahre in Indien. Sechs Jahre arbeitete er als Agent für die Fugger und Welser, bevor er sich selbstständig machte. Er ließ sich in Goa nieder, lernte perfekt Portugiesisch, heiratete eine adlige Portugiesin, erwarb Grundbesitz und verheiratete seine beiden Töchter mit wohlhabenden Männern. Er pflegte gute Beziehungen zum Hof und war ein Günstling mehrerer aufeinanderfolgender Vizekönige, entkam aber einer Anklage wegen Mitschuld, als einer von ihnen mit den Fingern in der Kasse erwischt und in Unehren nach Europa zurückgeschickt wurde. Cron trieb umsichtig Handel, vergab Kredite strategisch und war eine ausgezeichnete Quelle von Informationen, die er über sein Kuriernetz erhielt. Durch seine Frau hatte er Beziehungen zu einflussreichen Fidalgo-Familien im portugiesischen Asien; zugleich unterhielt er enge Beziehungen zu den Netzwerken von Neuchristen – jüdischen Konvertiten –, die verschiedene Handelswege im portugiesischen Reich miteinander verbanden. Kurz, Crons Leben war eine Erfolgsgeschichte. Dann jedoch fiel er dem wachsenden portugiesischen Misstrauen gegenüber »Spionen«, die angeblich die Holländer unterstützten, zum Opfer. Nachdem er bereits 1619 zusammen mit seinem Schwiegersohn aus fadenscheinigen Gründen verhaftet, nach 90 Tagen aber wieder freigelassen worden war, wurde er 1624 erneut festgenommen und diesmal nach Lissabon deportiert. Aber selbst im Alter war Cron noch ein Lebenskünstler. Er stand nur unter lockerem Hausarrest, und man suchte seinen Rat in Bezug auf die angedachte Gründung einer portugiesischen Ostindienkompanie. Schließlich wurde er von einem Berufungsgericht freigesprochen und ging nach Madrid, wo er 1637 friedlich verstarb.[61]
Wie Florentiner und flämische Kaufleute in Goa auch, nutzte Cron alle Gelegenheiten, die das portugiesische Reich bot. Er arbeitete im Staatsapparat und im Privatsektor, spekulierte mit Staatsanleihen, verkaufte Informationen und handelte mit allen möglichen Waren. Als Agent der Welser und Fugger war er für den Ankauf und die Verschiffung sowohl von Pfeffer, dem »schwarzen Gold«, das zwei Drittel der Fracht der alljährlichen Indienfahrt (carreira da Índia) ausmachte, als auch anderer Gewürze, wie Ingwer, Nelken, Muskat, Kardamom und Tamarinde, zuständig. Später war er auf eigene Rechnung im asiatisch-europäischen Textilhandel aktiv. 1613 verschiffte er Stoffballen an einen Ferdinand Hellemans in Antwerpen. Der Kaufmann Francisco da Gama aus Goa kaufte in Crons Namen Textilien von brahmanischen Händlern für den Versand nach Europa. Cron zog wahrscheinlich seinen Vorteil aus sogenannten caixas de liberdades (freien Kisten) auf den Indienfahrten, mit denen Kaufleute Textilien und andere Güter über Lissabon kostenlos in die Niederlande verschiffen konnten.[62] Im Verzeichnis einer von Crons Schiffsfrachten von Goa nach Lissabon sind Halbedelsteine aufgeführt.[63] Juwelen, insbesondere Diamanten, waren ein weiteres seiner Geschäftsfelder; damit trat er in die ausgetretenen Fußstapfen anderer deutscher Kaufleute in Portugiesisch-Indien.
Zwischen 1520 und den 1550er-Jahren, als deutsche Kaufleute offiziell nicht mit Gewürzen handeln durften, blieb der Handel mit Edelsteinen erlaubt. Eine ganze Reihe deutscher Handelsagenten betätigte sich im Namen oberdeutscher Handelshäuser wie Hirschvogel und Herwart im Juwelenhandel, indem sie an der Malabarküste oder direkt in einem der Hauptfundorte von Edelsteinen im Königreich Vijayanagara Diamanten, Rubine und Smaragde einkauften. Es war ein lukrativer Handel – die besten Stücke gingen an Kaiser, Könige und Päpste –, und einige deutsche Handelshäuser spezialisierten sich auf ihn. Die Herwarts eröffneten in Lissabon eine Werkstatt für den Schnitt und Schliff von Edelsteinen. Perlen konnte man in Indien ebenfalls in großer Menge erwerben. Auch auf diesem Gebiet waren deutsche Kaufleute tätig, in Indien wie auf den europäischen Märkten von Lissabon und Antwerpen. Der Umfang dieses Handels wird bei einem Blick in die Akten des Lissabonner Herwart-Agenten deutlich, der allein 1527 rund 600 Kilogramm Perlen kaufte.[64]
Lissabon war im 16. Jahrhundert ein Umschlagplatz nicht nur von Pfeffer und Gewürzen, sondern auch von Textilien, Indigo und Luxusgütern aller Art. Aus China kamen Edelsteine und Perlen, Bernstein, Seide und Porzellan, aus Timor Sandelholz, aus Indien Truhen und Schatullen mit Elfenbeinintarsien, denn Vijayanagara war auch reich an Elefanten, von denen viele dem europäischen Gefallen an Elfenbein geopfert wurden. Auch von Westen kommende Schiffe löschten in Lissabon ihre Ladung: Zuckerkisten aus Madeira, São Tomé und Brasilien, Gold aus dem westafrikanischen Handelsstützpunkt São Jorge da Mina und für die Plantagen bestimmte versklavte Afrikaner. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts trafen Jahr für Jahr über 5000 versklavte Menschen in Lissabon ein. 1550 warteten rund 10 000 von ihnen in der Stadt auf ihre Weiterverschiffung, damit stellten sie ein Zehntel der Einwohnerschaft.[65]
Deutsche spielten in der Wirtschaft der atlantischen Welt der Portugiesen eine große Rolle, insbesondere im Zuckerplantagensystem. Die Zuckerherstellung war ein kapitalintensives Geschäft, das deutsches Geld anzog. Bereits im frühen 16. Jahrhundert verwaltete ein Welser-Agent eine Plantage auf Madeira, und auch auf der Zuckerinsel São Tomé waren deutsche Interessen vertreten. Aber das große Geschäft wartete in Brasilien, wo ab den 1530er-Jahren die Zuckerwirtschaft in Gang kam. Beispiele deutscher Investitionen in Pernambuco gibt es zuhauf.[66] Zu den Investoren gehörten die Fugger, die sich auch am Sklavenhandel beteiligten, der die Expansion der Zuckerherstellung ermöglichte – 1580 gab es in Brasilien 33 000 Sklaven, 1600 waren es 120 000. Dank der Kontrolle über den europäischen Kupferabbau konnten die Fugger Güter liefern, die an der afrikanischen Westküste gegen Sklaven eingetauscht wurden. 1548 schloss das Unternehmen einen Vertrag mit der portugiesischen Krone, in dem es zusagte, in den nächsten vier Jahren – ausdrücklich für den Handel in Guinea – rund 400 Tonnen Messingringe, 24 000 Töpfe, 1800 breitrandige Näpfe, 4500 Barbierbecken und 10 500 Kessel zu liefern.[67]
Im späteren 16. Jahrhundert war Portugal nicht nur mit wachsender holländischer Konkurrenz in Asien, sondern auch mit dem größeren Problem konfrontiert, die widerstreitenden Ansprüche auf seine begrenzten Ressourcen von Indien und den Gewürzinseln über Nord- und Westafrika bis Brasilien auszubalancieren. Die portugiesischen Prioritäten veränderten sich. Es war der Beginn einer »atlantischen Wende«, die im 17. Jahrhundert noch deutlicher zutage treten sollte.[68] Die um 1500 in großer Zahl nach Lissabon gekommenen deutschen Kaufleute vollzogen ihre eigene atlantische Wende, indem sie Sevilla anstelle von Lissabon zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Handelstätigkeit auf der Iberischen Halbinsel machten. Als der Fugger-Agent Cristóbal de Haro 1516 nach Sevilla ging, war er nur der Erste von vielen. Einige der bedeutendsten deutschen Handelsagenten der Zeit sollten ihm folgen. Ihr Umzug markierte eine umfassendere Schwerpunktverlagerung der deutschen Handelshäuser.
Sevilla, das »Große Babylon« Spaniens, in das die deutschen Kaufleute kamen, verdreifachte seine Einwohnerzahl zwischen 1480 und 1580 auf 130 000. Einst hatte es selbst Kaufleute ausgesandt; jetzt strömten italienische, deutsche, flämische und englische Kaufleute in die Stadt, um dort Geschäfte zu machen. In Sevilla überlagerten sich die nordeuropäischen, mediterranen und atlantischen Handelsnetze und machten es zu einem Umschlagplatz von Waren und Finanzen. In der Stadt trafen Beamte und Aristokraten aus ganz Spanien auf Kaufleute und Handelsagenten sowie Reisende, Missionare und andere, die in die Neue Welt unterwegs waren oder aus ihr kamen. Besucher, die in Westindien Geschäfte tätigen wollten, mochten einige Wochen in der Stadt verbringen, weil sie auf eine Entscheidung der Casa de la Contratación, des Hauses der Verträge, das den spanischen Handel mit der Neuen Welt kontrollierte, warteten.[69]
Im Lauf der Zeit wurde der Amerikahandel zum Hauptgeschäft der deutschen Kaufleute in Sevilla, aber zuvor waren sie aus zwei anderen Gründen dorthin gegangen. Der eine Grund waren die vielversprechenden Aussichten der »Molukkenexpeditionen« der 1520er-Jahre. Diese Suche nach einer Hintertür zu den Gewürzinseln weckte ihr Interesse – so wie sie dasjenige Behaims geweckt hatte. Während deutsche Kaufleute sich an der Finanzierung von Kolumbus’ Reisen und derjenigen, die unmittelbar auf sie folgten, kaum beteiligten, investierten sie erheblich in die Alternativroute zu den Molukken. Ein Welser-Agent namens Heinrich Ehinger kaufte einen großen Teil der Gewürze auf, die das einzige Schiff, das von Magellans Weltumrundung zurückkehrte, mitbrachte. Nachfolgende Reisen erwiesen sich für die deutschen Investoren als kostspielige Fehlspekulationen. Die Westroute stellte sich als unwirtschaftlich heraus. Diese Episode fand ihr Ende, als Karl V. 1529 im Vertrag von Saragossa Portugal gegen die Zahlung von 350 000 Dukaten seine Rechte auf die Molukken übertrug.[70] Zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Kaufleute aus einem zweiten Grund in Spanien fest etabliert: wegen der großen Kredite, die sie Karl V. gewährt hatten, um dessen Wahl zum römisch-deutschen Kaiser im Jahr 1519 sicherzustellen. Und sie stärkten ihren Einfluss weiter, indem sie seine ehrgeizige Außenpolitik finanzierten. Ab den 1520er-Jahren stellten deutsche Handels- und Bankhäuser der spanischen Krone jahrzehntelang immer mehr Kredite zur Verfügung. Manchmal kauften sie Staatsanleihen, ein andermal erfolgte die Rückzahlung durch die Überlassung eines Teils der Einnahmen der Krone aus deren Ländereien in Spanien. Jahrzehntelang strichen die Fugger Einnahmen aus dem ihnen verpachteten reichen Maestrazgo ein, abgesehen von einer kurzen Zeit in den 1530er-Jahren, als die Welser die Nutznießer der Verpachtung waren.[71]
Die Kredite bedeuteten Einfluss. Jakob Fugger erinnerte Karl V. 1523 mit deutlichen Worten daran: »Es […] liegt am Tag, dass Eure Kaiserliche Majestät die römische Krone ohne mein Zutun nicht hätte erlangen können […].«[72] Der Gewürzaufkäufer Heinrich Ehinger war auch Mitunterzeichner des Darlehens, das Karl V. zur Zeit seiner Wahl von den Welsern erhielt, sowie einer der Agenten, die 1528 den Welser-Vertrag über Venezuela aushandelten.[73] Der Atlantikhandel wurde bald zum Hauptgeschäft der deutschen Kaufleute in Sevilla. In den Akten der Casa de la Contratación ist verzeichnet, wie den Deutschen Schritt für Schritt der Zugang zu den spanischen Zuckerinseln, dann Investitionen in den Atlantikhandel und schließlich die Stationierung von Agenten in Santo Domingo und auf dem amerikanischen Festland gestattet wurden.
Diese Entwicklung lässt sich anhand der Laufbahn eines der deutschen Kaufmänner in Sevilla, Lazarus Nürnberger, stellvertretend nachvollziehen.[74] Nürnberger ist ein perfektes Beispiel eines deutschen Kaufmanns, der seine Geschäftstätigkeit außerhalb Deutschlands in Lissabon begonnen hatte und dann nach Sevilla umzog. 1499 in einer Kleinstadt bei Nürnberg geboren, durchlief er eine Lehre bei Hirschvogel und arbeitete bereits 1515 für sie in Lissabon. Mit 19 Jahren hatte er schon eine Indienreise hinter sich. Als einer der Hirschvogel-Agenten hatte er an der Malabarküste mit Pfeffer und Ingwer sowie Edelsteinen und Perlen gehandelt, bevor er 1518 nach Lissabon zurückkehrte. Von dort ging er für kurze Zeit nach Sevilla, von wo er nach Deutschland zurückreiste. 1519 war er auf der Frankfurter Handelsmesse und in Nürnberg, wo er seine Arbeitgeber mit erstaunlichen Kenntnissen über Asien beeindruckte – und Martin Behaims Neffen, der nur Portugiesisch sprach, als Dolmetscher diente. Am Jahresende war er wieder in Lissabon, wo er jedoch nicht lange blieb. Die Hirschvogel beorderten ihn nach Sevilla, wo die geschäftlichen Aussichten besser zu sein schienen, und so ließ er sich 1520 dort nieder.
Die notariellen Niederschriften der Stadt zeigen jemanden, der seine Hände überall im Spiel hatte. Nürnberger war ein Mittelsmann, der stets Aufträge von Dritten ausführte und Landverkäufe arrangierte, Bürgschaften oder Vollmachten übernahm, Darlehen vergab oder Schulden eintrieb. Er ging als Agent der Hirschvogel nach Sevilla, war später aber auch für andere deutsche Handelshäuser tätig. Bis 1528 vertrat er Welser-Interessen, und er blieb auch später locker mit der Firma verbunden. Außerdem war er für die Fugger tätig und arbeitete häufig mit Christoph Raiser zusammen, dem Fugger-Agenten in Sevilla. (Es scheint eine enge Beziehung gewesen zu sein, denn einer seiner Söhne wurde Fugger-Agent, und eine Tochter heiratete einen Fugger-Agenten.) Darüber hinaus unterhielt er enge Geschäftsbeziehungen zu mehreren anderen oberdeutschen Handelshäusern, dem in Antwerpen tätigen Deutschen Hans Ort und vielen flämischen und spanischen Kaufleuten. Zusammen mit seinem Schwager Juan Cromberger handelte er auch auf eigene Rechnung. Schon in den 1520er-Jahren besaß er zwei Schiffe, die er im Amerikahandel einsetzte. Die Welser-Verbindungen zur Krone haben ihm in diesem Jahrzehnt zweifellos geholfen, denn er erhielt zusammen mit Cromberger von Karl V. mehrere Konzessionen, einschließlich des Rechts, einen Agenten nach Amerika zu entsenden, was zur Eröffnung eines Büros in Santo Domingo führte. Nürnbergers Geschäfte verhalfen ihm zu großem Reichtum. Er besaß Häuser in Sevilla, ein Weingut und eine Mühle in Andalusien, ein Grundstück in seiner Heimatstadt und eine kostbare Juwelensammlung.
Nürnberger war in außerordentlich vielen Geschäftsbereichen tätig. Am Anfang seiner Zeit in Sevilla, 1522, lieferte er Musketen an eine spanische Armada, die zu den Azoren segeln sollte, um heimkommende Schiffe vor französischen Freibeutern zu schützen. Im folgenden Jahr verschiffte er »Güter« nach Mexiko – höchstwahrscheinlich Metallwaren und Textilien, die den größten Teil seines Exportgeschäfts ausmachten. Im Jahr darauf handelte er zusammen mit seinem Partner – wenig erfolgreich – mit amerikanischen Tierhäuten. Wiederum ein Jahr später, 1525, wurde aktenkundig gemacht, dass er mit Perlen von der Insel Cubagua handelte. Und so ging es weiter. Ein Schiff lief mit einer Zuckerladung ein, ein anderes stach mit einer Ladung aus Äxten, Hufeisen und Nägeln in See. Nürnberger arbeitete mit Partnern in Santo Domingo, Mexiko und Peru zusammen und handelte mit allen möglichen Gütern – Gold, Silber, Kupfer, Smaragden, Perlen, Metallwaren, Textilien, Büchern, Neue-Welt-»Drogen« wie der Stechwinde, Zucker – und Sklaven.
Nürnberger tat, was viele deutsche Kaufleute im spanischen Reich taten. Auch die Welser handelten sowohl mit Zucker als auch mit den Sklaven, die auf den Zuckerplantagen arbeiten sollten. Handelskonzessionen für Sklaven waren übertragbar, und Nürnberger verkaufte sie in gleicher Weise weiter wie Stechwindenladungen. Das Augsburger Handelshaus Herwart, mit dem er häufig zusammenarbeitete, war im Perlen- und Smaragdhandel aktiv. Und während Nürnberger Stechwinden importierte, führten andere deutsche Kaufleute Guajakholz ein, das (allzu optimistisch) als Heilmittel gegen Syphilis gepriesen wurde. Die Lieferung von Getreide, Textilien, Haushaltswaren, Arbeitsgeräten und Spezialartikeln wie Büchern und Musikinstrumenten in die spanischen Kolonien wurde zu einem Hauptgeschäftsfeld deutscher Großkaufleute. In diesem Zusammenhang betrachtet war das schlecht geplante Venezuela-Abenteuer der Welser eine Verirrung. Es endete, wie gesehen, als die Zeit der bloßen Eroberung vorüber war und die Gesellschaften in der Neuen Welt sich besser organisiert hatten. Von dieser Entwicklung profitierten die als Im- und Exporteure tätigen deutschen Kaufleute in Sevilla, unter ihnen auch die Welser.[75]
In einem zentralen Sektor der Wirtschaftstätigkeit in Spanisch-Amerika spielten Deutsche eine überaus wichtige Rolle: bei der Förderung von Kupfer, Gold und vor allem Silber. In frühmoderner Zeit kamen 85 Prozent des weltweit geförderten Silbers und 70 Prozent des Goldes aus der Neuen Welt. Allein zwischen 1540 und 1700 wurden in amerikanischen Bergwerken 50 000 Tonnen Silber gefördert.[76] In Europa herrschte damals ein Silbermangel, und die Lieferungen aus der Neuen Welt verdoppelten den dortigen Vorrat. Von Spanien aus wurde es quer durch Europa zu den Kontoren in Oberdeutschland und den Niederlanden transportiert, wo es die Handelsmaschinerie antrieb – und weitergegeben wurde: nach Norden, wo Getreide, Holz und Pelze mit ihm bezahlt wurden; ins Osmanische Reich und nach Indien, wo die Portugiesen und dann auch die Holländer es gegen Pfeffer und andere Gewürze eintauschten. Ein Teil des Silbers gelangte auch direkt in den Osten; spanische »Manila-Galeonen« brachten es via Spanien auf die Philippinen.[77] Silber war das Schmiermittel des Handels. Die amerikanischen und asiatischen Teile der neuen europäischen Handelsnetze waren durch einen »Silberstrom« miteinander verbunden.[78]
Ermöglicht wurde dies von Deutschen. Vor allem lieferten sie das nötige Fachwissen. Deutsche Bergbautechnik half, Silbervorkommen zu finden und auszubeuten. In Neuspanien erlangte man schließlich eigenes Wissen, aber bis dahin war De re metallica, das postum erschienene Hauptwerk des deutschen Humanisten Georgius Agricola, des »Vaters der Mineralogie«, das Standardwerk. Seine reich illustrierte Schrift war ein grundlegendes Handbuch des Bergbaus, das sich mit allen seinen Facetten beschäftigte, von der Prospektion über die Vermessung bis zum Abbau. Die mexikanische Bergbaustadt Zacatecas besaß eine ausführlich kommentierte Erstausgabe von 1556.[79] Zusätzlich zum Buchwissen brachten deutsche Bergleute praktisches Wissen mit. Mitteleuropa war, vom Harz über das Erzgebirge bis Tirol und Ungarn, das Zentrum des europäischen Bergbaus. Deutsche Bergleute besaßen bereits große Erfahrung im Silberabbau; erst in den 1550er-Jahren überflügelte die Silberförderung in der Neuen Welt die europäische. Hoch angesehen und mobil, schwärmten deutsche Bergleute im 16. Jahrhundert in Europa aus, von Skandinavien bis Spanien.[80] Von Galizien und Asturien nach Spanisch-Amerika zu gehen war ein logischer Schritt. Am Anfang des 16. Jahrhunderts waren deutsche Bergleute in der Karibik, in den späten 1520er-Jahren in Mexiko und Peru.[81] Aber für den Silberabbau brauchte man über das Wissen und die Muskelkraft deutscher und einheimischer Bergleute hinaus noch etwas anderes, und das war Quecksilber, mit dem durch Amalgamierung das Silber aus dem Gestein gelöst wurde. In Peru gab es eine einheimische Quecksilbermine, aber deren Produktion reichte nicht aus. Die Quecksilberminen von Almadén in Kastilien gehörten den Fuggern, die auch die Quecksilberlieferungen nach Mexiko und Peru kontrollierten und damit auch den unablässigen Rückfluss von Silber nach Europa. Das unter furchtbaren Bedingungen von Zwangsarbeitern – unter ihnen viele Morisken, arabische christliche Konvertiten – geförderte Quecksilber aus Almadén wurde von der alljährlich nach Veracruz segelnden Flotte, aber auch von speziellen Quecksilberschiffen nach Neuspanien transportiert. Verpackt war es in Kisten oder Fässern, die jeweils zwei oder drei dreilagige Lederbeutel mit etwa 23 Kilogramm Quecksilber enthielten. Von Veracruz wurde es in diesen Kisten oder Fässern mit Maultierkarawanen zu den Bergbaustädten gebracht.[82]
Der Anteil von Deutschen am Abbau der Reichtümer Amerikas und den daraus folgenden globalen Metallströmen illustriert vielleicht besser als alles andere die Verbindungen zwischen dem mitteleuropäischen Hinterland und den im 16. Jahrhundert von den iberischen Mächten aufgebauten neuen Reichen. Im Venezuela-Vertrag der Welser war festgelegt, dass sie den Transport von Bergleuten in die Neue Welt organisieren sollten. Diejenigen, die in Venezuela selbst anlandeten, wurden nicht verwendet, aber andere arbeiteten in Santo Domingo und auf dem Festland. Der rastlose Lazarus Nürnberger hatte Bergbauinteressen in ganz Spanisch-Amerika. Er importierte Gold aus Santo Domingo, war am Kupferabbau auf Kuba beteiligt, besaß Anteile an zwei Bergwerken in Mexiko, die er durch einen Agenten erworben hatte (und von denen eines, mitsamt neunzig Sklavenarbeitern, wieder verkauft werden musste, weil der Agent in Zahlungsschwierigkeiten geriet), und war in Peru engagiert – ein mit Silber und Gold beladenes Schiff aus Peru erlitt vor Madeira Schiffbruch, aber die Ladung konnte gerettet werden, obwohl das Schiff sank. Auch andere deutsche Kaufleute mischten im Metallhandel mit.[83] Aber das Symbol für deutsche Bergbauinteressen in Amerika schlechthin sind die Fugger mit ihrem Quecksilberexport dorthin und ihrem Gold- und Silberimport von dort nach Europa.
Das Handelsreich der Fugger im 16. Jahrhundert verband Europa, Amerika und Asien miteinander. Die Gesellschaft wickelte Geschäfte in Florentinern und Gulden ab, aber auch in den in Lissabon und Portugiesisch-Asien gebräuchlichen Dukaten und Cruzados sowie den in Sevilla und Spanisch-Amerika verwendeten Dukaten und Maravedís.[84] Das von den Fuggern gesponnene umfangreiche Netz von Niederlassungen, Agenten und Nachrichtenbüros erstreckte sich weit über ihre europäische Ausgangsbasis hinaus. Sie hatten Niederlassungen auf der Halbinsel Yucatán und in Brasilien, und ihr Amerikahandel reichte von Edelmetallen und Perlen über Zucker und Tierhäute bis zu Arzneimitteln wie Guajakholz und Canafistula. Sie finanzierten Geschäfte in Indien, indem sie große Mengen von in Asien gesuchten Metallen dorthin exportierten und umgekehrt Edelsteine, Pfeffer und andere Gewürze von dort importierten. Sie handelten an der afrikanischen Guineaküste sowohl mit Gütern als auch mit Sklaven.[85] All das machte sie extrem reich – »rico como un Fucar«, reich wie ein Fugger, lautete eine spanische Redewendung.[86]
Der deutsche Historiker Richard Ehrenberg veröffentlichte 1896 ein zweibändiges Werk mit dem Titel Das Zeitalter der Fugger, das bereits im Titel die übermächtige Stellung der Firma, insbesondere in der Zeit bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, einfängt.[87] Über zwei oder drei Generationen hinweg besaßen die Fugger eine finanzielle Macht und einen politischen Einfluss, wie sie in der vorangegangenen Epoche die Medici aus Florenz besessen hatten, bis ihre Vorherrschaft dem »Zeitalter der Genuesen« wich, wie der Historiker Fernand Braudel es nennt.[88] Das Ende der 1550er-Jahre bildete eine Zäsur: 1560 starb der Patriarch Anton Fugger, ein Jahr vor seinem Welser-Pendant Bartholomäus und zwei Jahre nach dem Tod Karls V., mit dem das Schicksal der Fugger seit dessen Wahl zum römisch-deutschen Kaiser so eng verbunden war. Doch es folgte kein abrupter Niedergang. Die Firma verfolgte weiterhin breitgefächerte und von vielen missgönnte Geschäftsinteressen. Es gab keine gerade Linie von den 1550er-Jahren bis zum Bankrott, den die Fugger – wie die Welser – im 17. Jahrhundert erlitten.
Im Rückblick erkennt man jedoch einige grundlegende Probleme. Geschäfte zu machen war im 16. Jahrhundert stets riskant, und im Überseehandel war das Risiko im Vergleich zum innereuropäischen Handel besonders groß. Schiffbruch und Piraterie waren offensichtliche Gefahren, und die langen Kommunikationswege erschwerten die Überwachung der Tätigkeit der Agenten vor Ort. Betrug durch Zusammenarbeit mit Konkurrenten war ein ständiges Problem der oberdeutschen Handelshäuser. Es war schon schwer genug, von Augsburg oder Nürnberg aus zu verfolgen, was in Gent oder Valencia vor sich ging. Umso schwerer war es, Agenten auf einem anderen Kontinent zu überwachen. Die Schwierigkeiten der Welser mit ihrem Agenten in Venezuela, Nikolaus Federmann, waren nur ein Beispiel dafür. In einem anderen Fall, diesmal in Asien, lag die Sache andersherum: Georg Herwart verklagte in den 1540er-Jahren seinen Augsburger Mitbürger Hans Welser, dem er vorwarf, er und sein Lissabonner Agent hätten zusammen mit Herwarts Agenten Jörg Imhoff Gewinne aus dem indischen Juwelenhandel in Welsers Taschen umgeleitet.[89]
Außerdem mussten deutsche Kaufleute häufig schwierige Beziehungen zu den portugiesischen und spanischen Monarchen pflegen, weil diese die Handelsbedingungen bestimmten. Die regelmäßigen Wendungen der portugiesischen Politik in Bezug auf den Gewürzhandel waren ein stetes Ärgernis für sie, und in Sevilla war es noch schlimmer. Obwohl politischer Einfluss deutschen Kaufleuten häufig Geschäftschancen eröffnete, konnten politische Manöver sie auch wieder zunichtemachen, wie die Welser es in Venezuela erlebten. Die Fugger waren ein klassisches Beispiel für die Gefahren einer allzu engen Bindung an Fürstenmacht. Sie handelten mit allem Möglichen, aber ihre Vorherrschaft beruhte auf dem Finanzwesen und dem Bergbau, die von Anfang an zusammengehörten. Der Einfluss der Fugger in Lissabon war in ihrer Kontrolle der Förderung von Metallen in Europa begründet, die auf asiatischen Märkten gegen Güter eingetauscht werden konnten, und diese Kontrolle begann mit ihren frühesten Vorstößen ins Geschäft der Kreditvergabe an finanzschwache Fürsten gegen die Gewährung von Bergbaurechten. Es begann mit Darlehen an Erzherzog Sigismund von Tirol, genannt »der Münzreiche«. Ende der 1480er-Jahre erhielten die Fugger als Rückzahlung die gesamte Ausbeute der Tiroler Silberminen.[90] Es folgten Darlehen an Kaiser Maximilian I. und dessen Enkel Karl V., die den Fuggern den Zugang zum spanischen Transatlantikhandel eröffneten. Außerdem verschafften sie ihnen die Kontrolle über die äußerst wichtigen Quecksilberminen in Almadén und damit über den Silberhandel, aufgrund dessen sie die Rückzahlung ihrer Kredite erwarten konnten. Aber dies brachte Schuldner und Gläubiger in eine immer schwieriger werdende Beziehung. Das war die Crux bei »politischen Finanzgeschäften«.[91] Die Welser standen vor dem gleichen Problem. Einer ihrer Agenten berichtete Bartholomäus Welser 1547 über ein Gespräch mit einem kaiserlichen Beamten über die ausstehende Rückzahlung eines Darlehens, der auf die Mahnung mit der verstörend nachdrücklich vorgebrachten Forderung nach einem weiteren Kredit reagierte.[92] Die Fugger befanden sich in einer noch exponierteren Lage. Die Bergwerke in Almadén machten viele Probleme. Die spanische Krone beklagte sich über zu geringe Quecksilberlieferungen, worauf die Fugger entgegneten, dass die Krone ständig mit der Bezahlung der Lieferungen im Rückstand sei. Daraus entwickelte sich an der Wende zum 17. Jahrhundert ein Teufelskreis: Unzureichende Quecksilberlieferungen bedeuteten einen ungewissen Rückfluss von Silber, und dieser wiederum bedeutete, dass die Fugger für das von ihnen geförderte Quecksilber nicht bezahlt wurden.[93] Almadén entsprach kaum dem, was Jakob Fugger als »metallischen Segen« bezeichnete.[94]
Hinter all dem stand der immer prekärer werdende Zustand der spanischen Staatsfinanzen. Die Verschuldung gegenüber den Fuggern war bereits unter Karl V. enorm. 1557 wurde offiziell der Staatsbankrott erklärt. Unter Philipp II., der Kredite aufnahm, um die militärische Antwort auf den holländischen Aufstand zu finanzieren, wuchs der Schuldenberg weiter. 1573 lagen die spanischen Staatsschulden bei 50 Millionen und 25 Jahre später bei 85 Millionen Dukaten, was den Staatseinnahmen von acht bis neun Jahren entsprach. Das Silber, mit dem die Schulden bei den Fuggern hätten beglichen werden können, wurde stattdessen für die Truppen ausgegeben, die auf der »Spanischen Straße« in die Niederlande entsandt wurden.[95] Dem Zahlungsausfall von 1557 folgten 1575 und 1596 weitere Insolvenzen, von denen die Augsburger und Nürnberger Handels- und Bankhäuser schwer getroffen wurden. Die Fugger verfügten über genügend Druckmittel, um zu erreichen, dass die Schulden ihnen gegenüber von den Zahlungsausfällen ausgenommen wurden; dafür mussten sie aber die Zinsen auf bestehende Kredite verringern und anstelle von Silber dubiose Staatspapiere akzeptieren. Die Folgen für ihre ökonomische Stellung waren katastrophal. Nach den Insolvenzen von 1557 und 1575 bemühten sich Fugger-Agenten verzweifelt, ausstehende Kredite einzufordern, und verkauften sogar Firmenanteile, um Bargeld in die Kasse zu bekommen. Die davon ausgelösten Erschütterungen waren in ganz Europa zu spüren. Im dritten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts überstiegen die spanischen Staatsschulden die Staatseinnahmen von zehn Jahren.[96] Die durch ihr einst lukratives Geschäftsmodell aus Bergbau plus »politische Finanzen« an die Krone gebundenen Fugger gehörten zu den spektakulärsten Opfern dieser Entwicklung.
»Seid wohlgemut … hört von der neuen Entdeckung!«, so schrieb der in Italien geborene spanische Humanist Pietro Martire d’Anghiera im September 1493, ein halbes Jahr nach Kolumbus’ Rückkehr von seiner ersten Reise, und der portugiesische Mathematiker und Kosmograf Pedro Nunes schwärmte 1537 von den »neuen Inseln, neuen Ländern, neuen Meeren, neuen Völkern«.[97] Den Zeitgenossen fiel es nicht leicht, mit all dem Neuen zurande zu kommen, und viele zogen es vor, es gar nicht erst zu versuchen. So bemerkte der Nürnberger Humanist Johannes Cochläus 1512 leicht gereizt über die vermeldete »Entdeckung« Amerikas: »Ob (die Entdeckung) der Wahrheit entspricht oder erlogen ist, hat nichts mit der Kosmografie oder dem Studium der Geschichte zu tun« – denn bei diesen gehe es um Textforschung.[98] Die Autorität der Antike blieb bestehen, einschließlich der ptolemäischen Geografie. Doch trotz aller Zweifel und Unsicherheit, mit denen man dem Neuen begegnete, hatte der Aufbruch in neue Welten enorme Auswirkungen auf die europäischen Denkmuster. Und Deutschland mit seinen umfangreichen Handelsnetzen, seinen humanistischen Zirkeln und seinem pulsierenden Verlagswesen war für die Vermittlung des Wissens über diese neuen Welten besonders gut geeignet. Seine Schriftsteller, bildenden Künstler und Kartografen spielten eine herausragende Rolle bei der Gestaltung der europäischen Reaktion auf dieses Wissen.
Die Nachrichten über die spanischen und portugiesischen Reisen gelangten auf verschiedenen Wegen nach Deutschland, einschließlich der mündlichen Übermittlung. Reisende auf die Iberische Halbinsel, wie Hieronymus Münzer und der Augsburger Kaufmann Lukas Rem, berichteten bereits Mitte der 1490er-Jahren von dem, was sie gesehen und gehört hatten.[99] In Spanien und Portugal lebende Deutsche befanden sich in einer noch besseren Position, zumal wenn sie über gute Beziehungen verfügten. Martin Behaim ist ein Beispiel, sein Freund, der deutsch-böhmische Drucker Valentim Fernandes ein anderes. Fernandes hatte einige Zeit in Sevilla gelebt, bevor er sich in Lissabon niederließ, wo er regelmäßig als Mittelsmann zwischen der portugiesischen Regierung und deutschen Kaufleuten tätig war. Er war eine munter sprudelnde Informationsquelle und schrieb regelmäßig an seinen Freund Konrad Peutinger in Augsburg, einen mit den Welsern verbundenen Humanisten. Auch in Nürnberg hatte Fernandes Briefpartner. Durch ihn gelangte 1500 die Nachricht von der »Entdeckung« Brasiliens durch Pedro Cabral nach Deutschland.[100] Aber nicht nur aus Lissabon und Sevilla erfuhr man, was in der Welt geschah. Auch Antwerpen war ein Umschlagplatz sowohl von Waren als auch von Nachrichten. Dort begegneten sich 1503 zufällig die beiden Augsburger Humanisten Johannes Kollauer und Matthäus Lang, wonach Kollauer aufgeregt an seinen Freund Conrad Celtis schrieb, er sehe »hier viele wissenswerte Dinge« und treffe portugiesische Seeleute, »die erstaunliche Dinge vermelden […] Sie hätten hier eine andere Navigationskarte zum antarktischen Pol gesehen und Männer, die ihnen seltsame und unerhörte Dinge berichtet hätten […] Eine andere Welt wurde entdeckt, die den Alten unbekannt ist!«[101]
Eine weitere Verbindung waren die stets nachrichtenhungrigen Boten und Kuriere der großen Handelshäuser. Handelsnetze übermittelten Nachrichten auf andere Weise. Damals entstand eine Vorform der Zeitung, Nachrichtenblätter, die Kaufleute – wie Botschafter – ihren Korrespondenten zukommen ließen. Die Texte dieser üblicherweise drei oder vier Seiten umfassenden Blätter waren von Berufsschreibern auf der Grundlage von Berichten verfasst. Wir wissen von einem Fugger-Faktoreileiter in Spanien, der solche Nachrichtenblätter zusammenstellte. Zumeist waren die Fugger und andere Handelshäuser die Abnehmer, und über sie wurden die Neuigkeiten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zu den Empfängern gehörten neben Kaufleuten auch andere Patrizier sowie Fürsten, Geistliche und Humanisten.[102]
Viele Nachrichtenblätter waren handgeschrieben, und man übersieht leicht, wie wichtig dieses Kommunikationsmedium blieb. Aber es gab auch gedruckte Nachrichtenblätter. Der Buchdruck war entscheidend für die Verbreitung von Neuigkeiten über die europäischen Reisen. Schon Zeitgenossen stellten diese Verbindung her. So bemerkte der Paduaner Philosoph Lazarus Buonamici 1538, es gebe »nichts Ehrenwerteres für unser oder das vorangegangene Zeitalter als die Erfindung der Druckpresse und die Entdeckung der neuen Welt«.[103] Beides miteinander zu verbinden war in europäischen Briefen bereits zu einer Art Klischee geworden, und zwar einem, wie wir es heute sehen würden, in doppelter Hinsicht eurozentrischen, denn es ließ außer Acht, dass die Neue Welt bereits vor den europäischen »Entdeckungen« existierte und die Chinesen schon Jahrhunderte vor den Europäern mit beweglichen Lettern druckten.[104] Aber die Bemerkung des italienischen Humanisten deutete auch auf ein anderes Klischee hin, dem wir im Folgenden öfter begegnen werden: dass Deutsche, während andere handelten, bloß über Ereignisse schrieben – oder, in diesem Fall, das Druckmedium bereitstellten, mit dem die Taten anderer festgehalten werden konnten.
Zweifellos spielten deutsche Drucker eine herausragende Rolle bei der Verbreitung des Wissens über die neu entdeckten Länder. Manche hatten sich im Herzen der iberischen Reiche niedergelassen, was nicht unbedingt der beste Ort war, um Schriften über die »Entdeckungen« zu veröffentlichen. Die Portugiesen waren sehr empfindlich, was das mögliche Durchsickern von Informationen zu ihren Rivalen betraf. Valentim Fernandes befriedigte die Nachfrage nach Reiseberichten, blieb aber auf der sicheren Seite, indem er ein Kompendium aus Schriften von früheren Reisenden, wie Marco Polo, druckte, während er aktuelle Informationen Privatbriefen an seine Freunde in Deutschland vorbehielt.[105] In Sevilla war man lockerer. Die größte dortige Druckerei war diejenige der deutschen Familie Cromberger – Lazarus Nürnbergers Geschäftspartner Juan Cromberger war der Sohn des Firmengründers. Die Cromberger druckten zwischen 1503 und 1557 über 550 Bücher, was für eine einzelne Druckerei in der damaligen Zeit ein enormer Ausstoß war. Unter ihnen waren bedeutende Werke über die spanischen »Entdeckungen« und die Kolonisierung Amerikas von Gelehrten wie Pietro Martire d’Anghiera.[106]
Die meisten Schriften über die »Entdeckungen« wurden jedoch außerhalb der Iberischen Halbinsel veröffentlicht, wobei nur Italien es mit Deutschland als Produktionszentrum solcher Werke aufnehmen konnte. Im 16. Jahrhundert erschienen in Europa rund 2200 Druckschriften über Amerika, die 1 bis 2 Prozent der gesamten Druckproduktion ausmachten. Davon wurde ein Drittel (760) in nur vier Städten gedruckt: Augsburg, Basel, Frankfurt und Köln.[107] Die Rolle, die deutsche Drucker spielten, trat rasch zutage. Kolumbus’ Brief, in dem er über seine erste Reise berichtete, wurde in einer lateinischen Fassung umgehend in Basel gedruckt; eine deutsche Fassung erschien vier Jahre später, 1497, in Straßburg. Binnen eines Jahrzehnts entstand in deutschen Druckereien eine ganze Reihe von Sammelwerken. In Nürnberg wurde 1508, zum Beispiel, ein Buch mit dem Titel Newe unbekanthe landte veröffentlicht, eine Übersetzung eines im Jahr zuvor in Italien erschienenen Buchs mit in der ersten oder dritten Person geschriebenen Berichten über portugiesische und spanische Entdeckungsreisen nach Amerika, Afrika und Indien. Zu den Beiträgen gehörte ein Amerigo Vespucci zugeschriebener – und heute als Fälschung geltender – Brief, der zu diesem Zeitpunkt bereits in Straßburg, Nürnberg, Augsburg, Rostock, Köln, Leipzig, München, Basel und Magdeburg erschienen war.[108] Das Buch über Newe unbekanthe landte wurde, ebenso wie ähnliche von Verlegern oder Druckern zusammengestellte Sammelwerke, regelmäßig aktualisiert, wenn neue Reiseberichte eintrafen. Manche dieser Bücher versuchten alle vier Himmelsrichtungen abzudecken, andere konzentrierten sich auf einen bestimmten Erdteil. Ein Beispiel für das wachsende europäische Wissen über Asien war ein 1532 in Basel veröffentlichtes Kompendium mit dem Titel Novus orbis regionum ac insularum veteribus incognitarum.[109] Diese Zusammenstellung früher Reiseberichte, wie Niederschriften über die ersten fünf portugiesischen Reisen in den Fernen Osten, enthielt nichts Neues und war um des Profits willen publiziert worden. Gleichwohl war es ein seriöses Werk von beachtlichem intellektuellem Gewicht; immerhin hatte der reformatorische Theologe und Freund des Erasmus von Rotterdam, Simon Grynaeus, das Vorwort zu dem von Johann Huttich aus Mainz und dem bekannten Kosmografen Sebastian Münster herausgegebenen Buch verfasst. Eine deutsche Ausgabe wurde zwei Jahre später in Straßburg veröffentlicht.
In den 1530er-Jahren erschien im deutschsprachigen Europa ein neues Genre von Weltbeschreibungen, wie etwa das Weltbuch (1534) des Humanisten Sebastian Franck und – als das am meisten gepriesene – Sebastian Münsters Cosmographia (1544). Sie alle enthielten Material über die neu entdeckten Länder – in Francks Fall trotz dessen bitterer Ansicht, die Deutschen wollten alles über die »weitte Welt« wissen, aber nichts über ihr Vaterland: »Das wir nit achten, wir lesen etwa von Insulen in Calicuten, so wir von unsern nächsten nachbaurn lesen.«[110] Auch diese Werke wurden in Form von Sammelbänden vermarktet. So veröffentlichte der Frankfurter Verleger Sigmund Feyerabend 1567 eine zweibändige Warhafftige beschreibunge aller theil der welt, die neben Francks Weltbuch auch umfangreiche Auszüge aus der alten Fundgrube Novus orbis enthielt.[111]
Was lässt sich über den Zweck und Tonfall dieser Berichte sagen? Sie stammten von höchst unterschiedlichen Verfassern – Soldaten, Seeleuten, Geistlichen und Beamten –, die ebenso unterschiedliche Zwecke verfolgten und Sichtweisen hatten. Die einen beobachteten Flora und Fauna – einschließlich der Menschen – der Länder, in die sie kamen. Andere waren weniger an dem interessiert, was sie sahen, als an Handelschancen, Eroberungen oder Seelenfang. Deutsche Drucker und Verleger wiederum wählten aus diesem Rohmaterial aus und redigierten es. Ein offensichtlicher Unterschied bestand zwischen Werken, die den Filter humanistischer Wissensbegierde durchlaufen hatten und erbaulichen Zwecken dienten, und kürzeren, häufig reich mit Holzschnitten illustrierten Schriften – wobei die Holzschnitte manchmal völlig andere Orte zeigten, als im Text beschrieben wurden –, die das Verlangen nach Sensationen, Wunderdingen und Exotik befriedigten. Historiker haben den gelehrten wissenschaftlichen Kompendien, die in Italien von Autoren wie dem Venezianer Giovanni Battista Ramusio verfasst wurden, die eher aufmerksamkeitsheischenden populären Bücher gegenübergestellt, die in Deutschland von profitorientierten Verlegern wie Feyerabend herausgebracht wurden.[112] Doch diese Gegenüberstellung ist nicht zwingend. Immerhin waren es die Erzählungen portugiesischer Seeleute über »seltsame und unerhörte«, aber eben auch »wissenswerte« Dinge, die Humanisten wie Johannes Kollauer zur Beschäftigung mit den neuen Welten anregten.
Die Reaktion der Europäer auf das Neue, dem sie begegneten, schwankte zwischen zwei Polen: Entweder versuchten sie, das Unbekannte dem Bekannten anzugleichen. Oder sie hoben die Unterschiede hervor. Schließlich war es nicht leicht, jemandem etwas zu beschreiben, das er nicht gesehen hatte; da war das Bekannte eine Hilfe. So verglich Cortés die Aztekentempel mit Moscheen und den Marktplatz von Tenochtitlán mit dem von Salamanca.[113] Selbst Unterschiede wurden häufig in altbekannte Kategorien gefasst – »zivilisiert« und »barbarisch«, zum Beispiel. Unterschieden sich die Berichte, welche die Deutschen jetzt über fremde Menschen, Tiere und Pflanzen in unbekannten Ländern lasen, wirklich so sehr von den spätmittelalterlichen Schilderungen von Begegnungen mit Tataren auf der Krim oder Muslimen im Heiligen Land (mit denen zusammen sie manchmal gedruckt wurden)? Und wenn diese Beschreibungen Amerikas und seiner Bewohner das »Wundersame« und »Seltsame« betonten, konnten die starken Unterschiede in Erscheinung und Verhalten nicht mit einer Weltsicht in Einklang gebracht werden, welche die Verschiedenheit der Menschheit hervorhob und den Glauben unterstrich, dass alles auf Erden Gottes Zwecken diene? Die Historikerin Christine Johnson hat auf überzeugende Weise dafür plädiert, Francks Weltbuch und Münsters Cosmographia auf diese Weise zu lesen.[114]
Diese Fragen zu stellen ist wichtig, weil sie die Auffassung erschüttern, die Verarbeitung der europäischen Begegnungen mit Asien und Amerika habe sich darauf beschränkt, das exotische »Andere« mit einem Etikett zu versehen. Man findet leicht Beispiele dafür, dass Wissensbegierde und die Bereitschaft, sich bisher Unbekanntes genauer anzuschauen, das Gegenteil grober oder verächtlicher Stereotype hervorbrachten. Bei Albrecht Dürer etwa kamen das Interesse an Unbekanntem und seine Begeisterungsfähigkeit zusammen. Beide traten während seines Aufenthalts in Antwerpen zutage, wo er aus der Nähe Dinge aus Amerika sah, die ihn fesselten – Kleidung, Trachten, Rüstung, Waffen. »Und ich hab aber all mein lebtag nichts gesehen«, notierte er in seinem Reisetagebuch, »das mein herz also erfreuet hat, als diese ding. Dann verwundert der subtilen ingenia der menschen in frembden landen.«[115] Den Menschen begegnete er mit demselben Respekt. 1521 fertigte er die erste europäische Zeichnung einer Sklavin an, einer Dienerin im Haus eines portugiesischen Handelsagenten, der man den Namen Katharina gegeben hatte. Das Porträt beweist einen genauen Blick sowohl auf die Physiognomie als auch auf die indigene Kleidung. Für die Historikerin Ulinka Rublack ist der vielleicht bemerkenswerteste Aspekt der Zeichnung, dass Dürer die junge Dienerin nicht mit seiner Autorität gezwungen hat, aufrecht zu stehen oder ihn anzusehen, sondern dass er ein würdevolles, bewegendes Abbild einer versklavten Frau schuf, das ihr offensichtliches Unbehagen an seinem Blick respektiert.[116] 13 Jahre zuvor hatte Dürer den »Kopf eines Afrikaners« gezeichnet, den er möglicherweise in Nürnberg, wahrscheinlicher aber in Venedig gesehen hatte. Es ist eine von Wärme und Empathie geprägte Kohlezeichnung. Dürer brach mit der traditionellen Weise der Abbildung von »Mohren«, wie sie auf zahllosen Darstellungen der Anbetung der Heiligen Drei Könige zu sehen sind, und zeichnete einen jungen Schwarzen mit lockigem Haar und traurigem Blick.[117]
Auch im 1529 erschienenen Trachtenbuch von Christoph Weiditz ist ein solcher Respekt zu spüren. Die in dem Buch abgedruckten über 150 Aquarell- und Federzeichnungen des jungen, in Augsburg ausgebildeten Künstlers zeigen Menschen, die er auf seinen Reisen in Spanien gesehen hatte, darunter Morisken, versklavte Schwarze und von Cortés nach Spanien gebrachte Indigene aus Amerika. Weiditz war fasziniert von der Vielfalt ihrer Kleidung und scheint sich besonders für die Körperbewegungen bei Arbeit und Spiel interessiert zu haben. Auf einigen der eindrucksvollsten Bilder sind indigene Ball- und Würfelspiele zu sehen; eine Sequenz von drei Bildern zeigt, wie ein Azteke mit den Füßen mit einem Holzstück jongliert. Auf einem anderen Bild bringen schwarze Sklaven in Barcelona Frischwasser an Bord eines Schiffs. Weiditz stellt Bildern von Europäern bei Arbeit und Spiel solche von Nichteuropäern bei Arbeit und Spiel gegenüber. In beiden Fällen interessieren ihn offensichtlich die Auswirkungen auf die Körper. Auf dem Bild aus Barcelona ist der physische Zoll der Arbeit unverkennbar, und Weiditz macht die soziale Stellung der Sklavenarbeiter deutlich, indem er ihre Fußfesseln abbildet.[118] Er zeigt, wie Nichteuropäer im Spanien Karls V. der europäischen Macht angepasst und untergeordnet wurden, und schafft damit unabsichtlich ein ethnografisches Dokument.[119] Dies ist etwas völlig anderes als etwa Feyerabends Sammelwerke. Diese populären Bücher gab es allerdings in großer Zahl. In ihnen kann man eine Entwicklung verfolgen, in deren Verlauf das Neue und Fremde zum »Seltsamen« und dieses zum Erregenden, Gefährlichen und Exotischen wurde, besonders wenn es in Gestalt nackter Männer und Frauen oder des Kannibalismus erschien. Beides rief bei Europäern ein häufig geradezu greifbares Unbehagen hervor, auch wenn sie ihre Überlegenheit zur Schau stellten. In diesem Zusammenhang kann man durchaus von einer »Kolonisierung des Wunderbaren« sprechen.[120]
Wie passen deutsche Augenzeugenberichte über die neuen Welten in dieses Bild? Es gab buchstäblich nur eine Handvoll autobiografischer Berichte von Deutschen, die nach Asien oder Amerika gereist waren, dafür aber umso mehr Übersetzungen nichtdeutscher Reisebeschreibungen. Der früheste deutsche Augenzeugenbericht war derjenige des Welser-Agenten Balthasar Sprenger, der 1505 mit der portugiesischen Flotte nach Indien segelte und ein Tagebuch führte. Seine Merfart und erfarung nüwer Schiffung und Wege zuo viln onerkanten Inseln und Künigreichen erschien 1509. Der junge Tiroler war ein aufmerksamer Beobachter von Menschen und Orten mit einem Kaufmannsblick für gute Häfen und lokale Steuerregime, aber auch für Güter, Nutzpflanzen und Vieh. Er beschrieb voller Bewunderung die Verwendung von Elefanten als Zugtiere in Indien. Außerdem hielt er Erscheinung und Sitten von Afrikanern, Arabern und Südasiaten fest. Er sprach zwar von »wilden Menschen«, beschrieb sie aber ohne jede Geringschätzung oder Anzüglichkeit als »wunderbar onschamhafft menschen beyderlei geschlecht undereinander«.[121] Er unterscheidet die nichteuropäischen Völker sorgfältig voneinander, indem er ihre jeweilige Hautfarbe, Haartracht und Kleidung beschreibt. Hinzu kommen farbige Holzschnitte des Augsburger Zeichners Hans Burgkmair, auf denen eine Vielzahl menschlicher Typen in privaten und öffentlichen Umgebungen gezeigt wird, mit besonderem Augenmerk auf den Unterschieden von Kleidung, Schuhwerk und Schmuck.
Vierzig Jahre vergingen, bis 1550 ein weiterer deutscher Bericht im Druck erschien, eine Sammlung von Briefen Philipp von Huttens aus Venezuela.[122] Es folgten zwei weitere Berichte deutscher Konquistadoren: Nikolaus Federmanns Indianische Historia (1557) und Ulrich Schmidels Neue Welt (1567).[123] Federmann und Schmidel waren wie Sprenger Welser-Agenten, aber ihre Darstellungen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Sie schrieben als Konquistadoren, und vieles von dem, was sie berichteten, liest sich wie Meldungen von einem Feldzug; sie erzählen von endlosen Märschen über Gebirgspässe und reißende Flüsse auf der Suche nach El Dorado, nur unterbrochen von militärischen Attacken und Scharmützeln. Ständig machten die Pferde Schwierigkeiten, und eines der am häufigsten verwendeten Wörter ist »Proviant« – für gewöhnlich in Bezug auf dessen Mangel. Es sind Darstellungen von Taten und Aktionen, aber noch mehr von Entbehrung und Leiden, von, in Huttens Worten, »Noth und Elend, Hunger, Durst, Mühe und Arbeit«.[124] Sowohl Federmann als auch Hutten versuchten sich zu rechtfertigen, Ersterer gegenüber den Welsern, Letzterer gegenüber Vater und Brüdern, denen er – vielleicht etwas zu nachdrücklich – versicherte, seine Fehler seien nicht ihm anzulasten und bedeuteten keinen Ehrverlust. Beide brachten die Konventionen der Alten Welt in ihre Beschreibung der Neuen ein und gestalteten sie, an das Genre des Ritterromans erinnernd, als eine Reihe von Versuchungen oder Charakterprüfungen. Tatsächlich klingen sie häufig wie Kreuzfahrer. Ständig wird die göttliche Vorsehung beschworen, und Europäer, ob Spanier oder Deutsche, sind einfach »Christen«.
Keiner von beiden bezeigt ein Interesse an den indigenen Völkern. Federmann verspricht mehrfach, von »völckern, ihren sitten und gebräuchen« zu berichten, tut es aber nicht. Huttens Darstellung ist in dieser Hinsicht ebenso nichtssagend. Federmann tauft einmal auf dem Marsch durch das Land einige Indianer in der Hoffnung, dass die jungen unter ihnen sich von den »verfürischen und teüfflischen Ceremonien« der Alten abwenden würden, ohne genauer darauf einzugehen, worin sie bestanden. Ein anderes Volk war in seinen Augen einfach »das hertnäckigste bößte falscheste volck«.[125] Schmidel legte ein größeres Interesse an den indigenen Völkern an den Tag; er beschreibt sowohl ihre physische Erscheinung als auch ihre Ernährung und ihre Kulturpraktiken bis ins Einzelne. Von der Gastfreundschaft der Guarayos beeindruckt, bezeichnet er ihren Häuptling als »König«. Hier bilden deutsche Kategorien die Messlatte, ebenso wenn Schmidel einen Nomadenstamm mit »Zigeinern« vergleicht und einem anderen vorwirft, er verhalte sich »wie pey unnß die strasräuber«.[126]
Zu zwei Themen gaben alle drei Reisenden einen Kommentar ab. Das eine war die Nacktheit der Indianer, welche die europäischen und deutschen Leser seit den ersten Übersetzungen von Reiseberichten über die neuen Welten erregte. Aber schon zuvor war in Sebastian Brants großem moralsatirischen Gedicht Das Narrenschiff, dem ersten deutschen Text, in dem die »Entdeckungen« erwähnt wurden, von »Goldinseln […] und nackte Leut’« die Rede.[127] Besonders die Nacktheit der Frauen faszinierte unser Autorentrio. Schmidel ist besonders lüstern; über ein Indianervolk berichtet er, die Frauen seien »muetternakhet und […] schön auff ir manir, vergingen sich auch wol in der finstger«. Sie seien »sehr schönn«, fügt er hinzu, »und gross pulerin [Buhlerin], gar freindtlich unnd sehr hizig am leib, als mich bedunckhet«.[128] Dass indianische Frauen besonders – und vielleicht bedrohlich – erotisch seien, scheint in Deutschland schon vor der Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem Klischee geworden zu sein, wie eine Bemerkung Huttens andeutet, der an seinen Bruder schrieb: »Wir haben nicht darüber gelacht, daß ihr schreibt, wie Bottschaft naus kommen sey, daß uns die Indier sollten alle gefangen und Weiber zu nehmen gezwungen haben […].«[129]
Das zweite Thema, das alle drei Autoren ansprechen – Hutten und Federmann gelegentlich, Schmidel regelmäßig –, ist der Kannibalismus. »Diese Carios«, schrieb Schmidel über ein indigenes Volk, »essen auch menschenfleischs, so sy es habenn khunen; nemlich also wenn sy krieg füren und in dem einen feindt sahen, weib oder man, und wie man in teuschslandt schwein mest, desgleichen mesten sie die gefangen; so aber das weibspilt etwas jung und schönn, so pehelt ers ein jar oder etlich unnd so es etwa in der zeit nach seins gefalen nit lebt, alsdann schlecht ers zu todt unnd ists unnd helt damit ein groß gefestpannget […]«[130] Passagen wie diese waren seit den frühesten europäischen Berichten über Amerikareisen von Kolumbus und Vespucci üblich. Manche Historiker haben ausgeführt, der angebliche Kannibalismus sei eine europäische Projektion, doch diese Auffassung wird von einer überwältigenden Beweislast widerlegt.[131] Die eigentliche Frage ist, wie das Thema behandelt wurde und warum es die europäischen Autoren derart beschäftigte. Kannibalismus war eine »machtvolle kulturelle Phantasie«, Ausdruck einer echten oder stilisierten Furcht.[132] Die Berichte über Kannibalismus, der als Merkmal der Wildheit und Barbarei der »Eingeborenen« betrachtet wurde, stärkten zweifellos das europäische Überlegenheitsgefühl. Er wurde zu einer Rechtfertigung der Sklaverei. Was aber war, wenn Europäer ihn praktizierten? Hutten berichtet davon, dass Christen auf einer Expedition, vom Hunger dazu getrieben, Wurzeln, Kröten, Schlangen und anderes »Ungeziefer« zu essen, auch »wider die Natur« Menschenfleisch gegessen haben. Tatsächlich ist der aufgewühlte Bericht darüber, dass ein Teil eines kleinen Jungen mit Kräutern gekocht wurde, detaillierter als seine Darstellung von indigenem Kannibalismus.[133] Solche Episoden erschütterten einerseits den konventionellen Gegensatz zwischen Heiden und Christen, deuteten andererseits aber auch auf die Kluft zwischen deutschen Katholiken und Protestanten hin. Schmidel war zum Luthertum konvertiert, bevor er sein Buch Neue Welt schrieb, dessen erste Ausgabe von einem ehernen Wiedertäufer gedruckt wurde. Sein Buch ist in protestantischen Begriffen geschrieben und enthält drastische Darstellungen von Spaniern verübter Gräuel. So berichtet er von einem Vorfall in Buenos Aires, wo drei Spanier wegen Diebstahls und Verspeisens eines Pferdes gehängt worden waren und in der Nacht nach ihrer Hinrichtung andere Spanier das Fleisch von den Leichen der Gehängten hackten und aßen. Diese Passage ist auf überzeugende Weise als verschleierter Angriff auf die katholische Eucharistie und die Lehre von der Transsubstantiation interpretiert worden, die sich nach Ansicht vieler Protestanten kaum vom Kannibalismus unterschied.[134]
Auch die berühmteste und erfolgreichste deutsche Schrift über Amerika aus dem 16. Jahrhundert, Hans Stadens 1557 erschienener Bericht über seine Gefangenschaft bei den Tupinambá in Brasilien, ist aus protestantischer Perspektive geschrieben. Seine Warhaftige Historia besteht im Grunde aus zwei Büchern: einem, in dem Staden von seinen eigenen Erlebnissen erzählt, und einem zweiten, sehr wahrscheinlich von seinem Verleger, dem Humanisten Johannes Dryander, verfassten, das eine Reihe ethnografischer Beschreibungen der Sitten und der Kultur der Tupinambá enthält. Das Narrativ wird in Form einer Erzählung von Leiden und Herausforderungen, die durch Glauben und Gottes Gnade überwunden werden, dargeboten, kurz, als Erlösungsgeschichte. Wie der Hinweis auf wilde, nackte, grimmige Menschenfresser im Titel andeutet, zielt es auf ein breites Publikum ab. Federmanns Indianische Historia könnte man durchaus als »gantz lustig zu lesen« beschreiben, wie sein Schwiegersohn und Herausgeber es im Titel beschrieb. Und Schmidels Neue Welt ist mit sexuellen Anspielungen und Schauergeschichten gespickt, aber es war Stadens Buch, das sich in großer Stückzahl verkaufte und binnen eines Jahres vier Auflagen erlebte. Sein Erfolg dürfte etwas mit den grauenvollen Szenen auf den Illustrationen zu tun gehabt haben, angefangen mit dem Holzschnitt auf der Titelseite, auf der ein nackter Mann zu sehen ist, der, in einer Hängematte liegend, einen menschlichen Fuß vor den Mund hält, während weitere menschliche Beine über einem Feuer geröstet werden. In den 1550er-Jahren hatten sich durch die Illustrationen der Reiseberichte von Kolumbus, Vespucci und anderen bestimmte Bilder des Kannibalismus festgesetzt. Körperteile, die über einem Feuer brieten, waren eines davon.[135] Doch ebenso, wie Stadens Beschreibung der Tupinambá außergewöhnlich war, hoben sich auch die Illustrationen der Erstausgabe seiner Warhaftigen Historia – in Absprache mit dem Autor eigens für das Buch geschaffene Holzschnitte – von den Standarddarstellungen ab. Text und Illustrationen bildeten zusammen einen originären Beitrag zum im 16. Jahrhundert stetig wachsenden Angebot an Brasilienbüchern. Spätere Raubdrucke von Verlegern, die die Bekanntheit des Buchs für sich ausnutzen wollten, wurden einfach mit Bildern aus dem Fundus von jahrzehntealten italienischen Reisebüchern über Asien illustriert, mit dem Ergebnis, dass ein von brasilianischen Indianern handelnder Text mit Bildern etwa von javanischen Muslimen illustriert war.[136]
Eine der Illustrationen zum Thema Kannibalismus in Hans Stadens Warhaftiger Historia.
Möglich gemacht hatte diese Illustrationen die europäische Erfindung des Drucks von Holzschnitten und Metallstichen im 15. Jahrhundert. Ein anderes Produkt dieses technischen Fortschritts waren gedruckte Landkarten. Im 15. und 16. Jahrhundert veränderte sich der Kartenentwurf grundlegend, und Deutsche spielten bei dieser »kleinen wissenschaftlichen Revolution« eine Hauptrolle. Der Karten- wie der Buchdruck florierten besonders an den Schnittstellen von Handelsinformationsnetzen, humanistischer Bildung und Technologie, die sich dort gegenseitig befruchteten, das heißt in Italien und in den üblichen deutschen Städten: Augsburg, Nürnberg, Ulm, Basel und Straßburg. Die erste gedruckte mappa mundi mittelalterlicher Art erschien 1472 in Augsburg. Bald darauf kamen andere gedruckte Landkarten aus Deutschland auf den Markt, einschließlich einer locker an Ptolemäus angelehnten Weltkarte in der Nürnberger Chronik, die in der Werkstatt geschaffen worden war, in der Dürer seine Lehre absolvierte. In den 1490er-Jahren und später folgten verkleinerte Fassungen.[137] Es war ein Zeichen für die herausragende Stellung deutscher Kartografen, dass sie regelmäßig neue Ptolemäus-Ausgaben herausbrachten. Außerdem befanden sie sich an Standorten, die besser als andere geeignet waren, um die Ergebnisse der »Entdeckungen« zu verarbeiten. Auf den portugiesischen und spanischen Reisen gewonnene neue Erkenntnisse führten zu einer Revolution im Landkartenentwurf. Die daraufhin entstandenen Landkarten stellten ihrerseits wirkungsvolle bildliche Mittel dar, um neue Welten zu integrieren und vorzuzeigen.
Im Deutschland der Renaissance gab es zwei bedeutende Kartografieschulen, eine in Nürnberg und eine in Elsass-Lothringen.[138] Letztere brachte eine der berühmtesten Landkarten aller Zeiten hervor, die sich heute in der Library of Congress in Washington befindet. 1901 wurde im Schloss Wolfegg in Südwestdeutschland ein Bündel alter Dokumente entdeckt, unter ihnen eine Serie von zwölf Blättern, die zusammen eine Weltkarte bildeten, eine von dem lothringischen Kartografen Martin Waldseemüller und seinem Mitarbeiter Matthias Ringmann geschaffene und 1507 in Straßburg gedruckte Universalis cosmographia. Die Karte ist ein Hybrid aus ptolemäischer Geografie und auf Entdeckungsreisen gewonnenen Erkenntnissen. Für diese beiden Quellen stehen die Abbildungen von Ptolemäus und Vespucci oberhalb der Karte. Während die afrikanische Westküste detailliert gezeichnet ist, sind die Erkenntnisse der portugiesischen Reisen nach Asien kaum berücksichtigt worden. Die Darstellung von Nord- und Südamerika ist freier, zeigt aber – neben den karibischen Inseln –, dass die beiden Landmassen nördlich und südlich davon von Wasser umgeben und nicht mit Asien verbunden sind. Zu einem historischen Meilenstein wurde die Karte, weil Waldseemüller den Gebieten, die zuvor »Indien« oder »Neue Welt« genannt wurden, einen neuen Namen gab: Amerika – nach Amerigo Vespucci. Die 1901 wiedergefundene Karte ist das einzige noch vorhandene Exemplar einer Auflage von tausend Stück. Zeitgenossen erkannten Waldseemüllers Wandkarte sofort als kartografische Großtat an, auf die man sich im folgenden Vierteljahrhundert stützte.[139]
Zum Dokumentenbündel von Schloss Wolfegg gehörte auch ein anderes großformatiges Werk Waldseemüllers, seine maritime Weltkarte Carta marina von 1516. Dieser Fund ist als »sogar noch erstaunlichere Tour de Force« als die Weltkarte bezeichnet worden, und dies aus gutem Grund.[140] Mit der Carta marina gab Waldseemüller kühn auf, was er nur neun Jahre zuvor in seine Weltkarte eingebracht hatte. Vespucci und Ptolemäus wurden entthront, und keiner von beiden erscheint mehr auf der Karte. In der Liste der Quellen in der linken unteren Ecke ist zwar Kolumbus genannt, aber nicht Vespucci, und auch der Name »Amerika« wurde stillschweigend fortgelassen. Ptolemäus wurde noch eindeutiger in seine Schranken gewiesen. Während die Karte von 1507 unverkennbar eine Variante der ptolemäischen Welt darstellt, hält sich diejenige von 1516 an eine völlig andere Vorlage, eine Portolankarte von Nicolo de Caverio, und ihr voller Titel weist ausdrücklich darauf hin, dass sie auf Erkenntnissen moderner Reisender beruht, also solcher, die in der Antike unbekannt waren. Die Carta marina ist originärer, aktueller, detaillierter und ikonografisch ungleich reicher als die Karte von 1507. Die Küstenlinien sind genauer gezeichnet; umfangreiche Texte informieren über Politik und Handel der Zeit, einschließlich einer Liste von asiatischen Gewürzen und ihren Preisen. Zwei Dutzend kleine Bilder zeigen lokale Herrscher in aller Welt auf ihrem Thron oder vor einem Zelt posierend. Miniaturzeichnungen zeigen jeweils landestypische Tiere und menschliche Tätigkeiten. Man sieht – als erste Abbildung eines Beuteltiers in einem europäischen Druckwerk – ein südamerikanisches Opossum, ein Rentier, einen Elefanten und ein Nashorn (als eine der ersten von vielen deutschen Darstellungen dieses Tiers). Wie kaum anders zu erwarten, sind in Südamerika und auf Java auch kannibalistische Szenen abgebildet. Weniger vorhersehbar ist die Abbildung einer Witwenverbrennung in Südasien, die unverkennbar auf Burgkmairs Illustrationen für Balthasar Sprengers wenige Jahre zuvor erschienenes Buch beruht und einen der vielen Belege für die umfangreiche Recherche für die Carta marina darstellt.[141]
Der Bilderreichtum wirft die Frage auf, welchem Zweck eine Karte dieser Art diente. Er konnte nicht rein praktischer oder utilitaristischer Art gewesen sein. Die Carta marina war keine Seekarte, wie man sie auf eine Seereise mitnehmen würde. Man braucht sie nur mit ihrem Vorbild zu vergleichen, um den Unterschied zu bemerken. Caverios Portolankarte war für die Navigation bestimmt; sie wies kaum Texte und Illustrationen und keine Ornamente auf und zeigt hinter den Küstenlinien zumeist leere Flächen. Waldseemüller übernimmt auf seiner Karte die Umrisse und die für Portolankarten typischen großflächig kreuz und quer verlaufenden Loxodromen von Caverio, doch die stark ornamentierten Bordüren und Zierrahmen verleihen ihr zusammen mit den aufwendigen Illustrationen ein völlig anderes Erscheinungsbild. Wie viele andere deutsche Landkarten aus dieser Zeit sollte sie vorgezeigt und bewundert werden und Wissen und Überlegenheit demonstrieren. Dafür steht beispielsweise die Abbildung am unteren Rand von Waldseemüllers Carta, wie sie von Lorenz Fries auf seiner Carta marina universalis (1530) übernommen wurde und die den auf einem angeschirrten Meerungeheuer reitenden König Manuel I. zeigt – ein mit Bedacht am Kap der Guten Hoffnung platziertes Sinnbild der Herrschaft, das auf die portugiesische Entdeckung des Seewegs nach Indien hinweist.[142] Auch die auf zeitgenössischen Karten abgebildeten Schiffe sind Symbole. Während Reiseberichte die Gefahren von Überseereisen, wie Krankheiten, Schiffbruch und Piraterie, hervorheben, symbolisieren die auf Seekarten eingezeichneten Schiffe, die unter vollen Segeln auf Handelswegen weitab von streunenden Walen unterwegs sind, die europäische Beherrschung des Raums durch technische Meisterschaft.[143] Kurz, es waren Karten, die Vergnügen bereiten und Stolz hervorrufen sollten. Sie waren bei Fürsten, Kaufleuten, Ärzten, Gelehrten und anderen Angehörigen der städtischen Elite gefragt. Dass es sich dabei um einen durchaus umfangreichen Käuferkreis handelte, zeigt die Höhe der Auflagen.
Globen wie diejenigen von Martin Behaim und seinen Nachfolgern dienten demselben Zweck. Die Benutzung eines Globus »erfreut Astronomen«, wie der Kartograf und Leibarzt Karls V., Gemma Frisius, feststellte, »leitet Geographen, bestätigt Historiker, bereichert und verbessert Juristen, wird von Grammatikern bewundert, weist Steuerleuten den Weg«.[144] Frisius war zu fein, um anzuführen, dass ein Globus auch Kaufleuten diente und dem Stolz von Fürsten schmeichelte. Deutschland war ein Zentrum der Globenherstellung. In Straßburg, Nürnberg, Ingolstadt und Köln wurden Globuszwickel – bedruckte Zweiecke, die auf den Globus geklebt wurden – in großer Zahl gedruckt. Ein Satz solcher Zwickel befand sich unter den Funden im Schloss Wolfegg. Er stammte von Waldseemüller und hatte – wie Karten der Wolfegg-Sammlung – einst Johannes Schöner gehört, einem Mathematiker, Kartografen und Hersteller wissenschaftlicher Instrumente, der bei Waldseemüller studiert hatte. Schöner stellte zwischen 1515 und 1533 selbst einige Globen her, von denen zwei noch existieren, und genoss europaweit einen guten Ruf.[145] Ein besseres Symbol dafür, wie Europäer sich ihre Weltbeherrschung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorstellten und sie demonstrierten, als der Globus lässt sich kaum finden. Als der in Augsburg geborene Maler Hans Holbein der Jüngere, kurz nachdem er sich endgültig in London niedergelassen hatte, das Bild Die Gesandten (1533) malte, platzierte er zwischen die beiden Titelfiguren einen verzerrten Totenschädel als memento mori sowie ein sorgfältiges Arrangement von Dingen, die für die neue Welt der globalen Entdeckungen stehen: einen orientalischen Teppich, Peter Apians Lehrbuch der kaufmännischen Arithmetik, einen Quadranten, eine Taschensonnenuhr, ein astronomisches Instrument und zwei Globen, einen Erd- und einen Himmelsglobus.[146]
Angehörige der Elite mögen als Statussymbol Globen oder Orientteppiche gesammelt haben. Für diejenigen, die sie sich leisten konnten, boten die neuen Welten eine Vielzahl von Prestigeobjekten, von Pfeffer, Zimt und Ingwer über neue Tuche und Edelsteine bis zu Luxusmaterialien wie Perlmutt und Elfenbein. Die Fugger importierten viele solche Prestigekonsumgüter, wie Elfenbein, Perlen, Edelsteine und Leopardenfelle, aber auch Exemplare kostbarer botanischer Arten, wie Orangen- und Mandelbäume. Manches war als Geschenk gedacht, anderes wurde verkauft und eigenen Sammlungen hinzugefügt. Manche Verkäufe wurden mit Herrschern wie Kaiser Rudolf II. in Prag oder Albrecht V. von Bayern in München getätigt, in deren sogenannten Kuriositätenkabinetten die größten Sammlungen von Exotika aus aller Welt lagerten.[147] Ein typisches Kuriositätenkabinett war unterteilt in naturalia, wie Elfenbein, Straußeneier, Kamelbezoare, Vögel und Federkleider aus der Neuen Welt, und artificialia, also von Menschen hergestellte Dinge, wie indische Teppiche, afrikanische Elfenbeinschnitzereien und süd- oder zentralamerikanische Gold- und Silberwaren. Kurfürst August von Sachsen sammelte speziell Dinge aus Indien und anderen Teilen Asiens, wie Textilien, Muscheln, Pflanzen und Tiere, aber auch Landkarten des Subkontinents.[148] Aber nicht nur Fürsten sammelten exotische Dinge. Im frühen 17. Jahrhundert betätigte sich der Augsburger Kaufmann Philipp Hainhofer als Agent, der Luxusgüter und »Wunderdinge« wie die genannten vermittelte; außerdem erwarb er auf eigene Rechnung auf der Frankfurter Messe Objekte, aus denen er Kuriositätenkabinette zusammenstellte, die er dann verkaufte.[149]
Elfenbein und Leopardenfelle gelangten erst nach Europa, wenn die Tiere, zu denen sie gehört hatten, tot waren. Andere Tiere kamen lebendig nach Europa, auch wenn manche dort nicht lange überlebten. Manuel I. von Portugal führte 1511 einen Elefanten aus Indien ein, den er zwei Jahre später zusammen mit zwei Leoparden und einem Geparden Papst Leo X. zum Geschenk machte.[150] Weniger Glück hatte Manuel, als er ein indisches Nashorn nach Lissabon bringen ließ, das er ebenfalls dem Papst schenkte: Es ertrank, als das Schiff, mit dem es transportiert wurde, vor der italienischen Küste sank. Das Bild des Nashorns wurde jedoch berühmt, weil zwei der bekanntesten deutschen Grafiker der Zeit Abbilder von ihm anfertigten: Hans Burgkmair, der Illustrator von Sprengers Reisebuch, und Albrecht Dürer.[151] Beide Arbeiten sind Holzstiche, und beide beruhen auf Skizzen und Beschreibungen, denn keiner der beiden Künstler hatte jemals ein Nashorn gesehen. Burgkmairs Darstellung ist genauer, aber Dürers überaus eindrucksvolles Bild prägte bis ins 18. Jahrhundert die Vorstellung, die man sich von Nashörnern machte, und es ist auch heute noch recht bekannt. Die Literatur über diese einzelne Grafik ist enorm umfangreich, und Kunsthistoriker spekulieren des Langen und Breiten über die Gründe ihrer Ungenauigkeiten und Ausschmückungen. Ist die panzerartige Haut eine Anspielung auf die Jugend des Künstlers, als er in der Werkstatt seines Vaters Rüstungen entwarf? Ist das Horn auf dem Rücken eine absichtliche Geste, um darauf hinzuweisen, dass dies ein Kunstwerk ist, und die Aufmerksamkeit auf den Namen des Künstlers zu lenken?[152]
Albrecht Dürers rätselhafter Holzschnitt eines Nashorns, 1515.
Dürers Rhinozeros zeigt, wie unauslöschlich Bilder von Großtieren aus fernen Weltgegenden sich in der europäischen Vorstellungswelt festsetzten. Dies trifft für den Elefanten noch mehr zu als für das Nashorn. Hatte ein Europäer einmal einen Elefanten gesehen, so konnte er an die Existenz von fast allem glauben, so jedenfalls angeblich die Überzeugung des amerikanischen Historikers Donald Lach, der sich ein Gelehrtenleben lang mit den Wirkungen Asiens auf Europa beschäftigt hat.[153] König Manuels Elefant machte in Lissabon Furore. Vierzig Jahre später erregte ein anderer Elefant, nachdem er die Alpen überquert hatte, ähnliches Aufsehen. Als der österreichische Erzherzog Maximilian sich bei einem Besuch seines Onkels, Johanns III. von Portugal, in Lissabon von dessen Menagerie begeistert zeigte, schenkte Johann ihm einige Bengalhunde, Affen und Papageien; außerdem schickte er einen Elefanten nach Österreich, den Maximilian, wie er vorschlug, nach dem Herrscher der feindlichen Osmanen Sultan Suleiman nennen sollte. Auf diese Weise werde dieser »gleichsam zu Euerem Sklaven und geziemend gedemütigt«. Das Tier wurde nach Genua verschifft, von wo es in Begleitung einer großen Schar von Reitern und Männern auf dem Landweg in Richtung Wien weiterging. Am 2. Januar 1552 überquerte der Zug den Brennerpass. Wo immer der Elefant vorbeikam, liefen die Menschen zusammen. Örtliche Verseschmiede verfassten Knittelverse auf ihn, und Gastwirte nannten ihre Gasthäuser in »Der Elefant« um. Damit wurde er in gewisser Weise unsterblich, obwohl er bereits im folgenden Jahr an Erschöpfung und falscher Ernährung verstarb.[154]
Die genannten Beispiele waren Fürstengeschenke, aber es gab auch einen breiteren europäischen Tierhandel. Die Fugger führten Affen, Wildkatzen und Papageien in großer Zahl ein – bis zu dem Punkt, dass der Antwerpener Agent der Firma sich 1560 bei Hans Fugger beklagte, die Niederlassung sei nicht dazu da, die Verschiffung von Tieren zu organisieren. Papageien waren für Europäer besonders faszinierend. Bereits in den 1490er-Jahren gab es in Spanien und Italien erste Exemplare. 1505 importierten die Nürnberger Anton Tetzel und Willibald Pirckheimer Papageien, aber der Bote, der sie aus Antwerpen überbringen sollte, wurde beraubt. Zwei Jahre später erhielt der Humanist Michael Behaim, ein weiterer jüngerer Bruder Martin Behaims, einen Brief von seinem Bruder Wolf aus Lissabon, in dem dieser Papageien und andere merkwürdige aus Indien kommende Dinge erwähnte. Michael Behaim erinnerte seinen Bruder in seiner Antwort daran, wie sehr ihm merkwürdige Dinge gefielen. Anschließend schrieb er an den Handelsagenten Jörg Pock in Indien und bat ihn um einen Papageien; ob er sprechen könne, sei ihm egal. Zu diesem Zeitpunkt besaß der Augsburger Humanist Konrad Peutinger bereits einen sprechenden Papageien, mit dem er gegenüber seinem Humanistenkollegen Sebastian Brant prahlte.[155] Im 16. Jahrhundert war der Papagei das von Fürsten und Patriziern gleichermaßen bevorzugte exotische Symbol für Reichtum und Status. Lucas Cranach d. Ä. initiierte 1502 eine Mode, als er im Hintergrund seines Porträts von Anna Cuspinian, der Frau eines Habsburger Diplomaten, einen roten Papagei abbildete.[156] Bald darauf griffen auch die Hersteller von Luxusgütern, wie Uhren, das Papageienmotiv auf.
Asien und Amerika hatten großen Einfluss auf Kunst und Handwerk in Deutschland. Dies betraf neue Materialien, wie Perlen und Elfenbein, aber auch die Ikonografie. Cranach malte Papageien, Waldseemüller bildete sie auf seiner Weltkarte von 1507 ab, und beide regten eine Vielzahl von Nachahmern an. Der Grund dafür waren oft die Verlockungen des Exotischen. Dies galt insbesondere für Dürer, der sich, einem Autor zufolge, auf der »Suche nach dem Exotischen« befand.[157] Er lernte auf seinen Reisen nach Antwerpen oder Venedig Materialien wie Bambus und Korallen kennen und interessierte sich für Papageien und Affen, deren Abbildung er in seine Arbeiten integrierte. Aber inwieweit wurden europäische Künstler von außereuropäischer Kunst beeinflusst, wie es in späteren Jahrhunderten ganz offensichtlich der Fall war? Nach Ansicht des Historikers John Elliott hatten die künstlerischen Schöpfungen indigener amerikanischer Völker, sosehr Dürer »Montezumas Schätze« bestaunte, »buchstäblich keinen Einfluss auf die europäische Kunst des 16. Jahrhunderts«. Sie wurden – als »stumme Zeugen der fremdartigen Sitten nichteuropäischer Menschen« – einfach in Kuriositätenkabinetten weggesperrt.[158]
Exotische Tiere, kostbare Stoffe, Edelsteine, Globen: Dies alles war bei Patriziern, aber auch Fürsten und Päpsten verbreitet. Es ist also die Frage wert, wie sich die Entdeckungen fremder Welten auf das Alltagsleben, die materielle Kultur und Vorstellungswelt nicht zur Elite gehörender Deutscher auswirkten. Unterhalb der Elite gab es eine breitere Schicht von Gebildeten, die als Käufer von Dürers Holzstichen und populären Reiseberichten wie Feyerabends Sammelbänden oder Stadens Gefangenschaftsgeschichte infrage kamen. Gelegentlich gelangten Impulse der neuen Welten auch auf direktem Weg ins Zentrum der Populärkultur. Ein Beispiel dafür sind die bei Bürgern und gewöhnlichen Leuten gleichermaßen beliebten Spielkarten. Auf der unteren Hälfte von Spielkarten waren häufig burleske Szenen einer auf den Kopf gestellten Welt abgebildet – ein Wildbret, das einen Jäger röstet, eine Ehefrau, die ihren Mann schlägt. In einem Kartenset war als Schellenkönig ein »mexikanisch-indianischer« König mit einem Indigenen als Diener und einem Schiff und einem Elefanten im Hintergrund abgebildet. In einem anderen Set des Nürnberger Kartenherstellers Virgil Solis sind die üblichen Farbzeichen – Eichel, Laub, Herz, Schellen – durch Löwe, Affe, Papagei und Pfau ersetzt.[159] Bei manchen Volksfesten spielten Papageien ebenfalls eine Rolle.[160] Auch in der religiösen Volkskultur fand die »Entdeckung« der neuen Welten Widerhall. Am Nürnberger Karnevalsumzug am Fastnachtsdienstag, dem Schembartlauf, nahm 1506 erstmals ein Schiffswagen teil. Aber in diesem Zusammenhang ist eine breitere Perspektive anzulegen. Blickt man über das protestantische Nürnberg hinaus und auf das 17. Jahrhundert voraus, ist die reich verzierte Barockkunst der deutschen Gegenreformation kaum ohne das Gold und Silber vorstellbar, das über Spanien nach ganz Europa gelangte.