33. Im Verzug

»Was hat er diesmal zu klagen?«, fragte Doro scharf.

»Dass ihr Geldprobleme habt.«

»Hat er dir auch erzählt, dass er für die finanzielle Krise verantwortlich ist?«

Doro schoss sofort zurück. Yella war unversehens zwischen die ehelichen Fronten geraten. Die Version ihrer Schwester deckte sich in keinem einzigen Punkt mit der ihres Mannes. Für Doro war alleine Ludwig Ursache für ihre Misere.

»Ich muss jeden Auftrag annehmen, weil er sich verspekuliert hat. Das hat er vermutlich vergessen zu erzählen«

Yella wand sich ungemütlich: »Solltet ihr das nicht besser miteinander besprechen?«, fragte sie.

Doch Doro ratterte einfach weiter: »Er hat in der Coronazeit komplett den Überblick verloren. Er ist gnadenlos im Hintertreffen mit der Miete für das Atelier.«

Yella wusste nicht, was sie glauben und entgegnen sollte.

»Schon seit Monaten«, erklärte Doro. »Und die Heizkostenabrechnung kommt auch noch. Und die Steuer. Es geht um meine Existenz. Und was macht Ludwig? Er lässt sich von einem Immobilienhai umwerben. Wenn ich das Studio verliere, verdienen wir überhaupt kein Geld mehr.«

»Ihr könnt doch neue Räume anmieten«, wagte Yella einzuwerfen. »Geld kassieren und anderswo neu anfangen.«

»Als wenn das so einfach wäre«, sagte sie. »Die letzten Jahre waren superhart. Corona hat alle Planungen durcheinandergewirbelt.«

Yella erinnerte sich an »Animal Farm«, ihre Schullektüre. »Ich will und muss noch härter arbeiten«, sagte das Pferd, bevor es tot umfiel, ausgebeutet von Napoleon, dem Eber. Doro schulterte wie üblich ein bisschen mehr: Sie übernahm beide Rollen zugleich, die des Ausbeuters und die des Ausgebeuteten.

»Wenn ich diesen Auftrag nicht bekomme, verliere ich alles, was ich mir in zwanzig Jahren aufgebaut habe.«

Es ging um Leben und Tod, wie immer bei Doro.

»Bis jetzt hat Bergmann alle Vorschläge abgelehnt. Mit seiner Biografie kann er es sich leisten, schwierig zu sein. Aber ich habe vertraglich eine Nachbesserungsfrist. Ich kann das Steuer noch rumreißen.«

Sie zog energisch die Vorhänge zu und startete den Beamer.

»Der Regisseur hat die Tonspur im Winter in Schweden aufgenommen«, erklärte sie die bizarren Bilder und Geräusche. »Als Inspiration. Das Eis singt. Er will die ganze Oper im Wasser unter dem Eis spielen lassen.«

Doro gab nicht auf. Die Wohnung verwandelte sich schlagartig wieder in den zauberhaften Unterwasserraum und ihre Schwester in die getriebene Kostümbildnerin, die ihre eigene Welt und Wirklichkeit erschuf.

In diesem Moment knallte die Tür auf. Yella schrie auf, als auf einmal eine bärtige, muskelbepackte Neptungestalt mit schweren Schritten die Wohnung enterte.

»Was machst du denn noch hier?«, donnerte seine Stimme. Der Angreifer war mit einem imposanten Dreizack ausgerüstet und auf Krawall gebürstet.

»Check-out war um zehn. Der neue Mieter ist bereits gelandet.«

Was im blauen Licht aussah wie ein Dreizack, entpuppte sich als Trio aus Besen, Wischmopp und Teleskopstange für den Staubsauger. Das war kein Unterwassergott, der aus den Tiefen des Meeres auferstanden war, sondern der Putzdienst des Airbnb. Ihr Neptun hatte die Ausstrahlung und den absoluten Willen eines Rausschmeißers.

Doro hob verzweifelt ihre Arme. Yella fällte eine Entscheidung. Waren Schwestern nicht dazu da, sich in schwierigen Lebenslagen gegenseitig zu helfen?

 

Eine halbe Stunde später hatten sie Doros gesamten Hausstand in ihre silbernen Koffer verstaut. Das Airbnb verwandelte sich wieder in eine austauschbare Ferienwohnung. Yella war schon fast aus der Tür, als ihr Blick auf den Mülleimer mit dem Umschlag fiel.

»Misch dich nicht ein«, rief eine warnende Stimme in ihrem Inneren. »Das geht dich nichts an.«

Mit einer großen Portion schlechten Gewissens nahm Yella den Umschlag an sich. Für alle Fälle, sagte sie sich. Vielleicht musste sie Ludwig doch noch beispringen.

 

Unten auf der Straße wartete Doro in einem Chaos aus Koffern, Kisten und Krempel.

»Ich komme nur dir zuliebe mit nach Bergen«, witzelte sie. »Wenn es nicht funktioniert, bist du schuld.«

Yella lachte. Noch.