41. Vierzehn ist doof

Yella erwachte mit einem Kater. Dabei hatte sie am Vorabend kein einziges Glas Wein getrunken. Helen und Doro schmollten in unterschiedlichen Ecken des Hauses.

Ihre älteste Schwester hatte Stellung im Wohnzimmer bezogen, wo ein Ventilator gegen die Hitze anblies. Yella platzierte den Wäscheständer mit nassen Handtüchern davor, um auf diese Weise ein bisschen Abkühlung zu erreichen.

»Wenn das so weitergeht, ziehen wir alle in den Keller um«, sagte sie.

Leos Gesicht verzog sich. Nachts im Keller mit Rudolf war in etwa das Letzte, was er sich zutraute.

»Ich schwitze gerne«, sagte er tapfer.

»Ich wäre besser mit nach Riga gefahren«, sagte Yella, als sie mit David telefonierte. »Oder an den Nordpol. Ganz alleine.«

David lachte, aber Yella war es ernst.

»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, sagte sie. »Helen kann nicht aufhören, in der Vergangenheit herumzustochern.«

»Hast du dich nie gefragt, wohin dein Vater wollte?«, fragte David.

»Jetzt fängst du auch noch an«, sagte sie.

»Yella?«, fragte David vorsichtig.

»Ich habe keine Lust, mich an Spekulationen zu beteiligen.«

»Das ist doch eine spannende Frage«, sagte David.

»Ist es nicht«, sagte Yella.

»Warum willst du so gar nicht darüber sprechen?«, fragte er.

»Das ist eine Unterstellung.«

»Weißt du etwas?«

»Ich muss los«, sagte Yella. »Ich muss mich um Lucy kümmern. Hier hat bald jeder mit jedem Streit.«

Sie beendete das Telefongespräch. Sie brauchte diese Diskussion wahrlich nicht in stereo.

 

Yella klopfte vorsichtig an der Tür zu einem der Kinderzimmer. Es war bereits elf Uhr und Lucy hatte sich immer noch nicht beim Frühstück blicken lassen. Yella hatte für ihre Nichte Obst klein geschnitten und heiße Schokolade gekocht. Helen und Doro konnte sie nicht versöhnen, aber vielleicht konnte sie ihrer Nichte zur Seite stehen.

»Willst du nicht runterkommen?«

Lucy schüttelte den Kopf.

»Ich habe Hausarrest«, sagte sie. »Doro ist sauer auf mich.«

»Ach was. Niemand hat Hausarrest in den Ferien.«

Niemand außer ihr damals. Nein, daran wollte sie nicht denken.

»Du kennst Mama nicht«, sagte Lucy verzweifelt.

»Ich kenne sie viel länger als du«, sagte Yella lachend. »Ich hatte schon Ärger mit Doro, da warst du noch gar nicht geboren. Und ich fand sie trotzdem toll. Immer noch. Auch wenn sie anstrengend ist.«

Wütend pikste Lucy die Gabel in ein Stückchen Ananas.

»Ich habe es gehasst, ein Teenager zu sein«, sagte Yella ehrlich. »Ich konnte es kaum erwarten, endlich selbst über mein Leben entscheiden zu dürfen. Jetzt wünsche ich mir manchmal, wieder klein zu sein. Erwachsensein ist nicht immer erstrebenswert. Man muss Konflikte lösen, obwohl man keine Ahnung hat, wie man das anstellen soll. Bloß weil man erwachsen ist, macht man nicht automatisch alles richtig.«

»Wie alt warst du, als du ausgezogen bist?«, fragte Lucy interessiert.

»Sechzehn«, sagte Yella. »Weil sie es zu Hause nicht mehr mit mir ausgehalten haben.«

»Und Henriette hat das erlaubt?«

»Sie war gestresst«, sagte Yella. »Sie war froh, dass ich eine Weile bei einer Freundin unterschlüpfen konnte. Wir brauchten beide eine Pause.«

Lucy mampfte ihr Obst in sich rein.

»Deine Mama hat auch Stress«, warb Yella um Verständnis.

Wie oft hatte sie diesen Satz schon ausgesprochen und gehört.

»Ich auch«, sagte Lucy. »Doro stresst mich.«

Yella setzte sich zu Lucy aufs Bett.

»Weißt du, was ich so toll finde?«, sagte sie. »Ihr könnt euch Gemeinheiten an den Kopf werfen. Bei deiner Oma Henriette wurde nie etwas direkt ausgesprochen. So ein Gewitter kann helfen. Ich wünschte, ich könnte mich mal so richtig mit Oma krachen. Vielleicht würde das helfen.«

»Alle meine Freundinnen finden Mama supercool«, gab Lucy kläglich zu. »Seit sie an meinem Geburtstag ein Kleid in ihrem Atelier nähen durften. Sie kommen gerne zu mir, weil sie immer Klamotten abstauben oder Ketten, Ohrringe, irgendwas, was vom Set übrig geblieben ist. Manchmal weiß ich nicht, ob sie wegen mir oder wegen Mama kommen.«

Lucy arbeitete sich an Doro ab, so wie Yella sich an ihrer Schwester abgearbeitet hatte. Es war schwierig, mit ihrer Dominanz umzugehen. Noch schwieriger war es, Lucy einen guten Rat zu geben.

»Es war so schön alleine mit euch«, schniefte ihre Nichte. »Und dann kommt sie und verpestet alles. Sie will immer meine beste Freundin sein, aber ich will keine Freundin, die alles bestimmt.«

»Es sind nur noch zwei Tage bis zu dem Termin.«

»Mama hat versprochen, dass wir in diesem Sommer etwas zusammen unternehmen. Nur wir beide. Jeden Sommer verspricht sie, dass wir reisen. Und dann darf ich wieder mit zu einem Auftrag. Oder ins Ferienlager.«

»Sie muss Geld verdienen. Es gibt viele Leute, deren Existenz an ihrer Arbeit hängen.«

»Manchmal denke ich, alles wäre anders, wenn ich einen Papa hätte. Und nicht nur einen Ludwig. Der sagt nie was. Der verteidigt mich nie.«

Lucy kuschelte sich in Yellas Arm und war auf einmal nur noch ein kleines, unglückliches Mädchen.

»Kennst du meinen Papa?«, fragte Lucy.

Yella schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß noch genau, wie glücklich Doro war, als du kamst.«

»Da merke ich nichts von«, sagte Lucy.

»Ich habe mich furchtbar mit meinem Vater gestritten. Ein bisschen so wie du heute. Ich würde alles dafür geben, noch einmal mit ihm sprechen und ihm sagen zu können, dass ich es nicht so meine. Sag Doro, was du fühlst. Ich habe mich das nie getraut. Aber du kannst das noch besser machen.«

Laute Opernmusik donnerte durch das Ferienhaus. Dieselbe Stelle, immer und immer wieder.

»Vielleicht wartest du, bis Doro fertig ist.«

»Amelie hat mich gefragt, ob ich im Kulturdorf helfe. Sie sagt, sie braucht dringend Unterstützung.«

»Gute Idee«, sagte Yella.

»Und der Hausarrest?«

»Ich rede mit deiner Mutter«, sagte sie. »Und du verschwindest einfach.«