Als sie in die Villa Vlinder zurückkehrten, fanden sie auf der Türschwelle den leeren Kuchenteller. Ihr Nachbar von gegenüber hatte auf dem Teller ein winziges Geschenk platziert, kaum größer als ein Stück Käsekuchen. Aus dem recycelten Packpapier kam ein Gemälde zum Vorschein, das den zerstörten Dachstuhl der Villa Vlinder zeigte. Das Backsteingesicht sah aus, als hätte ihm die Eiche den Schädel eingeschlagen.
»Gruselig«, sagte Yella.
Als sie das Gemälde umdrehte, sah sie das Datum. 04.08.2001. 23.45 Uhr.
»Das wäre unser letzter Urlaubstag gewesen«, sagte Yella erschrocken.
Erst jetzt begriff Helen, was ihr Nachbar von gegenüber ihr hatte mitteilen wollen. Sie war wirklich die Letzte, die an übersinnliche Mächte glaubte, aber hier in Bergen waren Kräfte am Werk, die größer waren als sie selbst. Häuser hatten Gesichter, Rudolf brachte Unglück, und der Unfall hatte ihr womöglich das Leben gerettet. Was für ein merkwürdiger Zufall. Hätte ihr Vater in der Nacht nicht sein Leben gelassen, wäre die ganze Familie in dem Haus gewesen. War ihr Vater in Wirklichkeit ihr Schutzengel gewesen?
»Vielleicht hat uns unser Vater zweimal das Leben geschenkt«, sagte Yella.
Die Sommerschwestern hatten den Unfall immer als schreckliche Erfahrung in Erinnerung behalten. Wahrscheinlich gäbe es sie gar nicht mehr, wenn ihr Vater das Haus nicht verlassen hätte. Ira hatte auf eine verquere Weise Frenkie und Milou zusammengebracht, der Sturm hatte bei der Feuerwehr etwas verändert. Vielleicht wäre Aurelia ohne den Unfall nie geboren worden. Ohne das Untwetter wäre sie eine andere. Aber es war nicht alles schlecht in ihrem Leben. Es gab viele Dinge, für die sie dankbar sein konnte.
»Mama hat eine falsche Entscheidung gefällt«, sagte Helen. »Es wäre nicht nötig, unseren Vater totzuschweigen. Er hat Fehler gemacht. Wie wir alle. Ihre Ehe war am Ende. Wie viele. Aber er hat uns auch schöne Dinge hinterlassen.«
»Die Liebe zu Holland.«
»Und Schwestern.«