Woads Männer kehrten in die Berge zurück, viele bandagiert, manche auf primitiven Holzbeinen humpelnd. Sie hatten die Waffen der Dreyländer in Besitz genommen, auch deren Pferde und den Proviant. Woad schien ganz zufrieden.
»Du bist im letzten Augenblick gekommen, Botschafterin Byx«, sagte er. »Zehn Minuten später, und wir wären alle tot gewesen.«
»Der Dank muss Lord Rorid und den Wobbyks gelten«, sagte ich. »Ganz zu schweigen von den Ragglern.«
»Und auch ihnen danke ich aufrichtig! Aber du warst es, die Raptidons, Wobbyks und Raggler zusammengebracht hat.«
Da war ich mir nicht so sicher, aber es tat gut, das zu hören. Bis Woad fortfuhr: »Und all die toten Dreyländer? Viel der Ehre gebührt dir, meine Freundin.«
Er meinte es als Kompliment, deshalb nickte ich und murmelte etwas Höfliches. Aber bei dem Gedanken, dass er recht hatte, wurde mein Herz schwer wie Stein.
Wieder zur Friedensarmee zu stoßen bedeutete einen langen Ritt, der weder einfach noch angenehm war. Den armen Havoc hatte ich in Bossyp zurücklassen müssen, und mein neues Pony, ein kleines rötlich graues Tier, das mir einer von Woads Männern geliehen hatte, war eins von der missmutigen Sorte, das oft unvermittelt bockte und unwillig schnaubte. Sein Name war Taboo, aber Tobble nannte es »Achoo«, weil es die Angewohnheit hatte, im unpassendsten Augenblick zu niesen.
Schnee fiel, dann Eisregen, dann wieder Schnee. Da wir dem Telarno nach Süden folgten, war wenigstens immer genügend Wasser vorhanden. Wir hatten ein großes Kontingent an Raptidons, Wobbyks und Ragglern hinzugewonnen, und ich wusste, dass Khara sich über die neuen Mitstreiter freuen würde. Doch wir waren ein erschöpfter, durchgefrorener und hungriger Haufen, um es milde auszudrücken.
Naleese, die Felijaga, lag die ersten beiden Tage auf einem Wagen. Am dritten lief sie schon streckenweise, und als wir am Ziel waren, hatte sie ihre vollen Kräfte beinahe wiedererlangt. Doch nie machte sie die geringste Andeutung über die Nachricht, die sie Gambler überbringen sollte.
Wir fanden die Friedensarmee an der Stelle, wo der Telarno seinen Nebenfluss Reeds aufnimmt, einen schmalen, langsam fließenden Wasserlauf, der von Feuchtgebieten voller harter brauner Rohrkolbengewächse gesäumt wird.
Sabito entdeckte uns zuerst. »Ich habe gehört, dass sich kein Geringerer als Lord Rorid Kopfknacker persönlich an einem fürchterlichen Kampf beteiligt hat!«, sagte er sichtlich aufgeregt.
»Ja. Tatsächlich hat Rorid mich getragen«, sagte ich.
»Lord Rorid«, korrigierte Sabito.
»Er hat mir erlaubt, ihn schlicht mit ›Rorid‹ anzusprechen. Unter Freunden braucht es keine Förmlichkeiten, verstehst du.«
In Sabitos Augen flammte Neid auf. »Du! Du und Rorid Kopfknacker Freunde! Du!«
»Tobble und ich sind eben sehr freundlich, Sabito.«
Er gab einen empörten Laut von sich. »Nicht zu glauben, dass ich die Gelegenheit verpasst habe, neben Lord Rorid Kopfknacker in die Schlacht zu fliegen. Die Lady hat mich aber wieder hierherbefohlen, nachdem ich unser Volk unterrichtet hatte.«
»Ist Maxyn ohne Gefahr aufgebrochen?«
»Ja, das ist er. Ob er sein Ziel allerdings erreicht hat, kann ich nicht sagen.«
»Und Renzo?«
»Renzo und Gambler sind mit zweihundert Pferden zurückgekommen. Ich habe gehört, sie hätten sie sogar bezahlt.«
»Unerhört!«
Wir wurden von allen und jedem begrüßt und dann in Kharas Zelt gerufen. Dort trafen Tobble und ich auf Renzo und Gambler mit General Varis und der blauen Bodick.
So erschöpft wir auch waren, es tat unglaublich gut, sie alle wiederzusehen.
Khara umarmte jeden, wollte wissen, wie es uns ging, und kam dann gleich zur Sache. »Erzählt mir alles.«
Und das taten wir. Unsere Berichte zogen sich über das Essen hin und dauerten bis in den Nachmittag hinein. Endlich sagte Khara: »Gut gemacht! Aber ihr habt noch nicht erklärt, warum eine Felijaga in eurer Gruppe ist.«
»Sie hat eine Nachricht, die sie nur dir, Gambler, überbringen will«, sagte ich.
Er schlug mit dem Schwanz auf den Boden. »Mir?«
»Ja. Wir haben ihr deinen Namen genannt, und da hat sie so reagiert, als ob du jemand Wichtiges wärst.«
Gambler leckte eine seiner riesigen Pranken. »Als ob?«
Ich lachte. »Für mich bist du immer wichtig gewesen.«
»Welchen Namen habt ihr dieser Felijaga genannt?«
Ich hatte gerade den Mund voll Apfelwein, deshalb antwortete Tobble für mich. »Elios Str’ank, Hadrak der Dritte, Lonko über den Wald des Grauens. Hab ich mir gemerkt!«
»In der Tat!«, sagte Gambler zurückhaltend. »Und ihr Name?«
»Naleese B’del, Lenka über das Urbik Flusstal«, leierte Tobble herunter.
Ich will nicht sagen, dass Gambler blass wurde. Das lässt schwarzes Fell nicht zu. Aber er riss die Augen auf und ließ den Unterkiefer fallen, was gleichermaßen bedrohlich wie komisch aussah.
»N-N-Naleese? Ich meine, die, äh, die Lenka über das Urbik Tal?«
Ich schaute Gambler an. Tobble schaute Gambler an. Tobble, Renzo und ich sahen einander an. Als wir schließlich merkten, dass auch Khara Gambler anstarrte, sahen wir Khara an. Und am Ende starrten wir alle zusammen Gambler an.
War Gambler nervös?
Gambler?
Nervös?
Er schien zu erwarten, dass wir etwas sagten. Dazu waren wir aber viel zu neugierig und zu verwirrt. Gambler hatte gestottert! Gambler, der Felijaga, den ich mehr als einmal erlebt hatte, wie er, scheinbar ohne die geringste Angst, in den fast sicheren Tod gestürmt war.
»Was starrt ihr mich denn alle an?«, fragte er gereizt.
»Ich denke, wir sollten diese Naleese kommen lassen«, sagte Khara. Sie nickte einem Soldaten zu, der daraufhin aus dem Zelt lief.
»Also, da muss ich nicht dabei sein«, sagte Gambler, erhob sich und wollte gehen.
Khara drohte mit dem Finger. »Ich fürchte, ich muss sogar darauf bestehen, dass du bleibst.«
Gamblers Schultern sackten nach vorn. Sein Schwanz hing schlaff herab.
Da trat Naleese ein, hinter ihr der Soldat, der sie geholt hatte. Trotz der sichtbaren Stiche quer über ihrer Flanke waren ihre Bewegungen fließend wie langsam dahingleitendes Wasser: eine kleinere, noch geschmeidigere Version von Gambler.
Sie neigte den Kopf vor Khara. »Mylady Kharassande Donati.«
»Sei gegrüßt, Naleese B’del, Lenka über das Urbik Flusstal«, sagte Khara. »Möchtest du etwas essen oder trinken?«
»Nein, Mylady, deine freundliche Botschafterin Byx von den Dalkins hat mich gut versorgt.«
»Das freut mich. Ich habe gehört, dass du eine Nachricht hast. Eigentlich zwei.«
»Ja. Die Botschaft von dem gemeinen Tyrannen, der Dreyland beherrscht, und dann noch eine Nachricht von einigen Felijagas aus Dreyland. Die erste ist ein Aufruf an alle Felijagas von Nedarra, sich gegen den Murdano zu erheben.«
»Verstehe«, sagte Khara. »Und die andere?«
Naleese schloss Gambler in ihren Blick ein. »Diese Nachricht ist bestimmt für die Ohren des Lonko über den Wald des Grauens.«
Khara nickte. »Gambler, willst du die Nachricht hier und jetzt hören? Oder möchtest du dich lieber zurückziehen und sie unter vier Augen hören?«
Gambler seufzte. »Ich will sie gern mit dir teilen, Mylady.«
Khara nickte Naleese zu.
»Ich grüße dich, mein Gefährte aus lang vergangenen Tagen«, sagte Naleese, »den mein Herz nie vergessen hat.«
Jetzt war ich es, der der Unterkiefer herunterfiel. Ich schoss einen Blick nach rechts. Ja, Tobble war genauso schockiert. Und Renzo. Und Khara. Und Sabito. Und wäre Havoc im Zelt gewesen, er wäre vermutlich auch überrascht.
»Ich versichere dir«, fuhr Naleese fort, »dass mir unsere gemeinsame Zeit auf der Insel der Gelehrten viel bedeutet, als wir dort Philosophie und Astronomie studierten.« Ihre Stimme war tief und rau und erinnerte an den an- und abschwellenden Singsang eines Schlaflieds. »Als Tobble vom Volk der Bossyp-Wobbyks deinen Namen nannte, wusste ich sofort, dass ich mit dir sprechen muss.«
Aller Augen richteten sich auf Gambler. »Auch mir ist … unsere, äh, gemeinsame Zeit … viel wert.«
»Das freut mich zu hören. Es dürfte dich interessieren, dass du drei Junge hast, zwei weibliche und ein männliches.«
»Ich … Glückwunsch …«, brachte Gambler hervor. Er blinzelte. »Das ist gut. Ja, gut. Je mehr junge Felijagas, desto besser.«
»Hehe, Gambler, du Schelm!«, sagte Bodick und schlug sich auf die Schenkel. »Da hast du also für junge Kätzchen gesorgt!«
»Kidlets«, verbesserte Naleese.
»So nennen wir Wobbyks unsere Jungen auch«, sagte Tobble. »Kidlets. Und Wibbles.«
»Du hast gar nicht gewusst, dass du Kinder hast?«, fragte Renzo kopfschüttelnd.
Naleese antwortete für Gambler. »Es liegt nicht in der Natur männlicher Felijagas, sich besonders eng an ihren Nachwuchs zu binden.«
»Ist das also deine Nachricht?«, fragte Khara.
»Nein, Mylady. Meine Nachricht ist folgende: Die Felijagas von Dreyland werden bestochen, manipuliert und benutzt von dem Tyrannen, der sich als Kazar bezeichnet. Es gibt viele zuverlässige und aufrechte Felijagas, die ihm widerstehen, und das würden noch viel mehr tun, würde nicht der Tyrann ihre Jungen bedrohen.«
Plötzlich fand Gambler seine Stimme wieder. »Bedroht er auch deine … unsere Jungen?«
»Er hält sie als Geiseln in seinem Kerker. Aber meine Botschaft betrifft nicht nur diese eine Tatsache, sondern sie betrifft alle Felijagas in Dreyland. Unsere Lonkos sind alle tot. Und von den Lenkas leben nur noch zwei, aber wir stehen unter ständiger Beobachtung. Unser Volk braucht einen Anführer. Unser Volk braucht einen klugen, starken und verlässlichen Anführer. Unser Volk braucht dich, Elios Str’ank, Hadrak der Dritte, Lonko über den Wald des Grauens. Wirst du nach Dreyland kommen? Wirst du uns gegen diesen Tyrannen führen?«
»Ob ich … Waaas?«
Khara sah General Varis an, und ihre Blicke trafen sich. Diese neue Entwicklung schien bei beiden auf Interesse zu stoßen.
General Varis sagte: »Was genau schlägst du vor, Naleese?«
»Wäre der Kazar tot oder wenigstens nicht mehr an der Macht, würde seine Armee nicht in Nedarra einmarschieren. Es würde keinen Krieg geben.«
»Die Flotte des Murdano würde trotzdem in See stechen«, sagte Bodick.
»Wir haben aber das Versprechen von Königin Pavionne, dass die Natintjes die Murdano-Flotte nicht durchlassen«, sagte Renzo.
Khara bat mit erhobener Hand um Ruhe. Wir warteten, während sie nachdachte. Schließlich richtete sie das Wort allein an Gambler.
»Sag, alter Freund, würdest du eine solche Mission auf dich nehmen?«